Wound Exits
“Alarmstufe Rot? Ein ganz großer Film!”
Zu den netteren Begleiterscheinungen beim Herübergleiten in gesetzt- bis gebücktes Alter ist es, ungeniert die hohe Qualität von Hollywood-Blockbustern, Actionfilmen und Chart-Risern zum diskursiven Thema zu machen. Früher wäre man von Freak-Brothers hochkant aus der Kneipe geworfen worden.
“Aus welchem Film ist das? Ein Jubiläum in einem Paradies auf Erden: ein Garten mit Laube und Grill, jede Menge gut abgehangenes Gillfleisch, in würzigen Marinaden…”
“…Komm mir jetzt nicht mit `Grüne Tomaten`…”
“…und dann hockt der Hauptnebendarsteller inmitten dieses Idylls zwischen einer Schar Manisch-Depressiver, Schizoider und Suizidaler, die über die Wirkungen ihrer Medikamente und des Entzugs ihrer Medikamente small-talk betreiben (…ach, Du bekommst Angstzustände, wenn Du die absetzt? Also ich krieg erst unglaublichen Durst, und dann ekle ich mich vor Flüssigkeiten…ähnliche Symptome wie bei Tollwut…also ich bekam Wortfindungsstörungen, verwechselte Bekannte mit Bettkante…na wenn schon, so lange Du nicht Deine Bekannten als Bettkante benutzt ist dach olles on Irdnung….) wie unsereins über Fußball und Politik.”
“Hört sich nach Garden State an, aber an die Szene kann ich mich nicht erinnern.”
“Geht noch weiter. Später kehrt er dann bei jemandem ein, dem man zu seinem Geburtstag ne Grundreinigung seiner Wohnung geschenkt hatte. Außerdem war die ganze Bude aufgeräumt, so aufgeräumt, daß man erstmals erkennen konnte, daß sich an der Einrichtung seit Jahrzehnten nichts geändert hat. Die komplette Wohnung bestand fast nur aus Regalen, auf denen sich alte Zeitschriften, vergilbte Bücher und Schallplatten mit verschlissenen Covern stapelten. Die ganze Umgebung war ein einziges Archiv eines lange zurückliegenden Lebens des Archivars, der gealtert war, ohne jemals diese Vergangenheit verlassen zu haben. Aber sie hatte ihn verlassen, war gestorben, zerfallen, in alle Winde zerstreut. Was von den 80ern und 70ern übriggeblieben war hockte im Kreis um den Küchentisch und rauchte Wasserpfeife. Das einzig frische Gesicht war das einer Frau, die so dünn war, dass sie immun gegen HIV-Infektionen war. Der Gastgeber saß auf der Kante einer Federkernmatratze und murmelte: Was mach ich hier? Ich fühle mich so überflüssig. Der Hauptnebendarsteller verließ die Party fluchtartig, allerdings langsam, weil er 5 Nackensteaks, 2 Portionen Bauchfleisch, 2 Würstchen auf der ersten Party einige Teller Chili Con Carne hatte folgen lassen, und ging zu Dir in die Kneipe.”
“Hä? Was soll das denn für n Film sein?”
“Na meiner.”
“Das zählt nicht. Außerdem wär das nicht mal n Daumen waagerecht. Da passiert ja überhaupt nix.”
“Ist ja das Gute daran. Ist doch der Traum jedes Erzählers, nämlich daß es nichts zu erzählen gibt.”
“Komm ich jetzt nicht mit…”
“Na is doch klar, wenn sich nix tut, kann man alles in Ruhe schildern. Übrigens, Deine Speisekarte könnte gut mal n bischen mehr Abwechslung bieten.”
Immer die gleichen Sprüche. Immer die gleichen Gäste. Bloß keine neue Karte. Viel zu riskant.
“Mal n Bier?”
“Ne. Ich hau jetzt ab, guck mir Ditsche in der Glotze an.”
Der Wirt kassiert und stellt fest, daß er Heißhunger auf Junkfood hat.