Weihnachtsseite
“Hab heute noch mit dem Arzt gesprochen, ob er auch noch reinkommt.”, erzählt der Wirt. “Sagt der, ne, ich mach Notdienst. Du, sach ich zum Arzt, ich auch!”
Heiligabend ab 22 Uhr geöffnet. All die Gäste, die jetzt nach und nach eintrudeln, haben seit mindestens 3 Stunden alle 5 Minuten auf die Uhr geguckt. Das Fernsehprogramm an Heiligabend bietet keinerlei Ablenkung. Man geht nicht von hohen Einschaltquoten aus, also werden die langweiligsten Konserven gezeigt. Der überwiegende Teil des Publikums mußte sich zusammen reißen, um nicht schon weit vor 22 Uhr an der Tür zur Grünen Fee zu kratzen, in der Hoffnung, daß der Wirt schon da ist und sie reinläßt.
Der Wirt ist so bekifft, daß die Entspanntheit sich mit einem Blick in seine glasigen Augen auf die Gäste überträgt. Suizid und Homizidabsichten werden an der Garderobe abgegeben, über Barhocker gehängt und in Ulex ertränkt.
Nie waren wir dem 19. Jahrhundert näher. Alle wissen: unser letzter Gang führt aus dieser Kneipe heraus in eine Schneeverwehung. Ist die Todesangst betäubt von Absinth und Lebensüberdruss, ist das eine angenehme Aussicht.
Die Seligkeit ist trügerisch. Es gibt keine weiße Weihnacht. Der Klimawandel erschwert den Kältetod.
“Ich habe Vorgärten in voller Blütenpracht gesehen, und dass zu Weihnachten”, empört sich der Schachspieler, der die Hoffnung auf ein gut stehendes Endspiel in Anbetracht der frühlingshaften Witterung begräbt.