Wunder?
“Lange nicht gesehen”, begrüßt Obi-Wahn, der Wirt, der sich seine ganze Kneipe selbst geschnitzt hat, eine lange versiegte Geldquelle. Er wienert ein Weizenbierglas blank, legt den Kopf schief, grinst und ähnelt gezielt einem Troll. Er ist Hofnarr und Kobold, der Schalk im Nacken seiner Schuldner. “Hat die Scheidung das Lokalverbot aufgehoben?”
“Du siehst in eine bessere Zukunft…”, antwortet der Meinungsforscher. “Diese permanente Couchidylle. Klatschmagazine auf VOX und Pro 7. Bei nem Beitrag über ne Tierforschungsabteilung bei nem Pharmakonzern, deren Belegschaft ihre Versuchskarnickel zu Ragouts für die Kantine verarbeitet, um Kohle zu sparen und den Markteintritt neuer Medikamente zu beschleunigen, hab ich mich vom Acker gemacht.”
Erst nur ins Cafe nebenan, aber da textete ihn der Unternehmensberater zu, der sich von einem Freund immer mehr in einen wildfremden Penner und Säufer verwandelt, der am Tresen auf beliebige, spendable Zuhörer lauert, die er mit seinem Arien des Selbstmitleids belästigt.
Also endlich wieder hier hin, in die Grüne Fee, die für sie tabu ist, seitdem sie ihn mit dem Chief de Chaosine betrogen hatte. Muß man sich mal vorstellen. Seitdem verlangt sie, dass man die Abenden und Wochenenden zusammen zuhause verbringt. Damit ihr sowas nicht nochmal passiert.`Alles nur Deine Schuld. Das wär nie passiert, wenn wir da nie hingegangen wären.`
Er sollte jetzt eigentlich nicht hier sein.
“Was isn das fürn komisches Pfeifen?”, fragt der Meinungsforscher.
“Keine Ahnung”, übertönt Obi-Wahn den anschwellenden Lärm`, “für die Zapfanlage ist das zu laut.”
Es klingt wie die Ankunft eines überdimensionalen Staubsaugers.
Gläser zittern auf der Bar.
Ein dumpfer Knall erschütterte die Grundfeste des Gebäudes, in dessen Erdgeschoß sich die Schänke befand, ein warmes Nest für schräge Vögel mit gebrochenem Flügel.
Lampen schaukelten, die übrig gebliebene Halloween-Dekoration entwickelte ein verspätetes Eigenleben. Für einige Sekunden gingen die Lichter aus, ohne daß es dunkel wurde. Ein rötlicher Schein erleuchtete den Raum.
`Das gibts ja nicht.`, sagte der Obi-Wahn ungewohnt nüchtern. `Ist das nicht das Haus, in dem ihr wohnt?`
Der Meinungsforscher dreht sich langsam um und blickt ungläubig auf die Szenerie am Ende der Straße. Die Mietshauszeile, in der er mit seiner Freundin lebte und stritt, brannte lichterloh.
Stunden später hockt er sehr betrunken vorm Fernseher im Hinterzimmer der Grünen Fee und sieht sich die Nachrichten an. Eine voll besetzte Verkehrsmaschine war in das Wohnviertel gekracht und hatte es bis auf die Grundfeste zerstört.
Er nimmt es dankbar zur Kenntnis. Er hätte jetzt nicht hier sein dürfen. Er war zur falschen Zeit am falschen Ort und das rettete ihm das Leben. Nicht wer zur falschen Zeit am falschen Ort ist, muß dran glauben. Wer zur richtigen Zeit am falschen Ort ist, den erwischt es.