Loading color scheme

Beckstage

Skellington hatte den Hoody gewechselt. Das Edding-Rot durch ein Edding-Gelb ersetzt. Wenn der Zustrom an Gästen unüberschaubar wurde blieb Skellington unübersehbar, eine grelle Gichtgestalt inmitten zunehmender sozialer und kommunikativer Entropie. Das half ihm bei seinem Job als Bühnenmeister, wenn es brannte oder Panik drohte war seine Erscheinung ein besserer Wegweiser als jedes Exit-Signal. Es bedurfte jedoch keines Leuchtwurms. Es war Totenmontag, der Wochentag an dem die Maulfaulheit Robin Suns, die ihre Schicht über ein Life-Style-Magazin gebeugt auf ihrer linken Backe absaß, die Gäste so rigoros fernhielt wie exotische Materie mit negativer Gravitation. Ihr Versäumnis Gäste nach ihren Wünschen zu fragen war so entschieden, das schließlich nur noch eine Handvoll übrig blieb die überhaupt etwas bei ihr bestellte. “Kommse grad erst von der Schicht?” beginnt der Chronist die Konversation mit Skellington auf der Suche nach Ablenkung, da die iphone-Schach-Anwendung Shredder ihn grade nach Strich und Faden erniedrigt. Skellington nuckelt an seinem Becks und entgegnet: “Oh ja, hab bis grade backstage malocht, morgen is Premiere von King Kong - das Musical.” “Na dann bist Du ja jetzt endlich Beckstage.”, kalauert der Chronist ihm auf, und nach Skellingtons Replik: “Das versteh ich jetzt nicht” versiegt das Gespräch bevor es beginnt. Der Chronist sieht sich im leeren Raum um, wobei seine Wahrnehmung aufgrund der ungewohnten Gleitsichtbrille mal verschwommen, mal luzide ist, etwa so als ob der Raum von Wellen erfüllt ist deren Kämme die Sicht trüben und deren Täler sie freigeben. “Ach so, wegen Becks und backstage”, folgert Skellington und der Chronist lässt Wellenfunktion Wellenfunktion sein indem er die Brille abnimmt, sie auf den Tresen legt, so dass die Brillenbügel den Aschenbecher einrahmen. Der Aschenbecher fixiert ihn vorwurfsvoll weil die Brillengläser zu wenig Dioptrien für eine unendliche Sehschwäche haben, der Chronist (weil Brillenschlange) zischelt: “Das haste nun davon dass Du meine Raumzeit krümmst” und wendet sich Skellington zu. Der läßt sich Becks/backstage variabel und veritabel auf der Zunge zergehen …”Habe meine Becks-Tage”…, kichert stoßweise ch ch ch, das stimmlose Hi Hi Hi das eher für das verstohlene Kichern über eine Zote typisch ist, und bei dem man nie so genau hört geschieht es beim Ein- oder Ausatmen? In Skellingtons Mundwinkeln versammelt sich Schimmel und das Kichern erzeugt tiefe Risse auf seiner Lederstrumpf-Haut. Sein Körper krümmt sich auf dem Barhocker, die Armpartien zur Pfötchenhaltung bei einem Tetanie-Anfall, die Beine zu einem Paragraphenzeichen umeinander geschlungen. Eine Gestalt zwischen einem Schiele-Motiv und der Asymmetrie dieser kleinen Spielzeugtiere, deren Extremitäten man durch Druck auf den Knopf im Boden des Sockels, auf dem sie befestigt waren in den unmöglichsten Winkeln verrenken kann. Was ist wenn er erstickt? Bevor sich im Kopfkino des Chronisten ein unangenehmer Kurzfilm rund um das Thema Mund-zu-Mund entfaltet skizziert Skellington wie sein Tag war: “Ich bin nach der Schicht nicht mehr aufnahmefähig, ausser für Becks. Was n Scheißtag. Das miese Klima nur wegen des Rauschens im Blätterwald, weil bei der Premiere von Warten auf Godot Reloaded so ein Scherzbold von unseren `Hands´ Lucky Strikes Koffer mit Wackersteinen gefüllt hat, der Darsteller auf dem Parkett kollabiert ist und die ganze Inszenierung geschmissen hat. Ich fands lustig, aber der Dödel von der Lokalpresse schmierte irgendwas von für sowas werden öffentliche Mittel verplempert statt Kitas zu finanzieren und im Rat forderten die Schwarzen personelle Konsequenzen. Dann noch diese Betriebversammlung. Der Geschäftsführer der sich hinstellt und sagt, ich weiß ihr habt an der Front viel Gegenwind und kriegt die ganzen Geschosse ab, aber ich steh immer hinter Euch. Das hab ich sofort verstanden, das heißt, ihr werdet verheizt während ich nix abbekomme. Arschloch. Und wie war Dein Tag?” Ich hab das Gefühl in mir selbst unterzugehen. Freies Sinken im Meer, das ich bin. Keine Oberflächenspannung die mich hält. Das Licht an meiner Oberfläche wird schwächer, ein sich entfernendes Licht am Ende des Tunnels. “Wie jeder Andere. Bin zu der Einsicht gelangt das Nüchternbleiben Masochismus ist.” “Hey Robin Sun, hör auf uns zu quälen. Mach mal noch zwei Becks.” Robin Sun schreckt in Zeitlupe aus ihrer Lethargie auf. “Wie? was?” Stunden später, aus Fischen auf dem Trockenen waren Fernsehantennen aus dem Zeitalter der Drehscheibe geworden, umklammerten ihre rechten Hände die Pulle Becks Gold wie einst den Schaltknüppel des Bonanza-Rades. Bierkos Kristallweizen sorgt für Transparenz, er hat das Absud nicht betreten, er hat sich am Tresen manifestiert, eine ebenso spontane Erscheinung wie das Weizenbier, das ihm bestimmt niemand da hingestellt hatte. Er strotzt vor gespieltem und verspieltem Stolz auf eine neue App, die auf dem Display des smartphones eine Wählscheibe erzeugt. “Ich hab auch ne App mit der ich jeden Flieger identifizieren kann der grade über uns hinwegfliegt. Ei, Strothmann, das ist der tiefere Sinn der Quantenphysik. Spielzeug zu entwickeln.” Bierko ist trotz der mikrokosmischen Anspielung eher ein makrokosmischer Typ. Planetengroße Augen in einem roten Riesen von Antlitz. Nimmt Dr. Strothmann, den Chronisten, ganz gerne auf die Schippe. Dem nimmt er nicht ab, dass die Teilnamslosigkeit Chronistenpflicht ist, entweder ist der begriffstutzig oder depressiv. Skellington macht n Sittich, zieht Leine, zischt ab, verkrümelt sich, verpisst sich: “Und denkt dran”, ruft er zum Abschied, “Ich stehe immer hinter Euch.” Dann geht der Rückhalt zur Tür raus, einige Sekunden später zieht außen am Kneipenfenster ein neongelber Komet vorbei, den ein Glühwürmchen nach sich zieht, ein großer Fang. “Hat ja lange geklappt mit dem Nichtrauchen”, kommentiert Robin Sun den Abgang, “oder zählt Kiffen nicht als Rauchen?” Unglaublich! Robin Sun registriert etwas. Und spricht. MIT FRUCHT GE SCHMACK! “Vielleicht gelten hier im Lokal für ihn andere Gesetze, oder er will sich schon mal an das Rauchverbot gewöhnen.” orakelt Bierko mit Schaum vorm Mund. Andere Gesetze. Im Inneren eines Schwarzen Lochs. Alles Licht ist im Absud versammelt und kommt nie wieder raus. Höchstens als Hawking-Strahlung. Ute, Schnute, Casimir. Jenseits des Ereignishorizontes ist Erinnerung in Ermangelung eines Zeitkegels unmöglich. “Ei Strothmann, Du hast die Loop-Theorie begriffen und findest ja dass Quantenphysik im Prinzip banal ist. Hast Du mittlerweile Deine Waschmaschine ans Laufen bekommen?” Das bringt Strothmann ins Schleudern. Wozu er die Waschmaschine nicht bekommt. Strothmann beginnt zu dozieren. Dass man wenn die Beobachtung eine aktive Rolle spielt die Natur der Beobachtung verstehen muss, dass man wenn der Standort des Betrachters eine aktive Rolle spielt den Betrachter verstehen muss, dass negative Gravitation und abstoßende Eigenschaften bei Menschen zwei Seiten ein und derselben Medaille sind und so weiter. Er dozierte noch als Bierko schon zu Hause mit einer Grubenlampe um die Stirn in der Koje lag (man hatte ihm den Zähler gesperrt) und ein Buch namens “Die dunkle Wolke” las, einen Titel den er gleichsetzte mit “hyperintelligenter Depression” und der ihn deshalb doppelt ansprach. Das ist lustig, findet er, ich wüßte wie die Waschmaschine funktioniert, aber ich habe kein Strom. Die Grubenlampe flackert und das Licht geht aus. Jetzt wäre es echt kompliziert sich umzubringen, so ganz im Dunkeln. Strothmann hat Streit mit Lloyd, dem Wirt, der niemandem was leiht, nicht einmal ein Ohr (`man hat bei van Gogh gesehen wohin das führt. Hat er nie wieder gesehen, das Ohr`). Dabei ist er gar nicht mehr im Absud, sondern mutterseelenalleine alleine auf dem Bürgersteig. “Ich kann zwar keine Sicherung wechseln, aber die Kneipe Du Pajatz.” Das schafft er auch nicht. Er hat zuviel Angst dass er backstage bleibt, wenn er dieser Bühne für Kurz- und Keinkunst den Rücken kehrt. Nur hier tragen Lampenfieber und Lampe zum Glanz des Etablissements bei, und nicht nur zum Niedergang des kreativ gehemmten Säufers. Als er seine Wohnung betritt hört er die Waschmaschine surren - und sie schleudert doch! -, aber das ist nur ein Traum, dessen eigentliche Quelle die Sehnsucht nach Rückkehr ist, nach der Vergangenheit in der noch jemand da war, der die Maschine bedienen konnte und neben ihm atmete. In Wirklichkeit hat er sein iphone verloren, mit sämtlichen Adressen, Erinnerungen, Daten. Er ist hirntot sobald der Traum aus ist.