Blue Men Group
Was hab ich getan?
Das ist die am häufigsten gestellte, aber nie laut geäußerte Frage auf der Bau- und Tankstelle, auf der - wie der Wirt stolz hervorhebt - `Alkohol gearbeitet wird`. So sehr steht das Trinken hier in der Kontinuität eines Arbeitstages - ganz gleich, ob die Trinker beim Bundesamt für Statistik als erwerbstätig oder als arbeitssuchend geführt werden -, daß die Fuselmalocher sich nach der Arbeit ins Auto setzen und nach Hause fahren. Darunter auch der Sicherheitsfanatiker, der Vorträge über die bösen Konsequenzen schlecht gewarteter Zapfanlagen hält, aber sich generell nach vier Bier in seinen Jeep setzt und im Rausch der Robustheit seines Panzers über Kinderwagen und Hunde nach Hause hoppelt.
Das Arbeitsinstrument ist Schnaps. Der Arbeitsinhalt: Selbstmitleidsarbeit.
Was die Gäste am Tresen unausgesprochen eint ist: Sie sind männlichen Geschlechts und trauern verpaßten Gelegenheiten nach, während sie auf die 50 zugehend spüren, wie der Kältemantel der Einsamkeit sich noch sanft, aber schon bestimmend um ihre Schultern legt, den sie selbst aus Anmaßung, Hochmut, Eifersucht und Pingeligkeit gewebt haben.
Blaue Mannsbilder, vom Leben zu Karikaturen gezeichnet.
Traurig, stumm, melancholisch, sentimental, rechthaberisch, bequem.
“Hat der Graue eigentlich einen Krankenschein? Oder hat der Urlaub?”, fragt Weitwinkel-Klaus den Chef der Firma `Blue Ship`.
“Das kann der Graue doch gar nicht mehr unterscheiden.”, wirft der Wirt ein.
“Ich auch nicht”, sagt der Chef.
Stellvertretend für die anderen lacht der Wirt. Im Gedenken an die drei stents, die man dem Grauen ins Herz gelegt hat, legt er die Musik aus dem Film `Stand by me` auf.
An den Tischen sitzt niemand. Am Tresen ist man unter sich. Senile Bettflucht, kind of blue, mit Schaudern denkt der Verfasser daran, daß ab dem nächsten Lebensjahr regelmäßige Vorsorge-Untersuchungen Pflicht werden. Die Melancholie wird sich allmählich zu Angst und Hoffnungslosigkeit verdichten, Sekunde für Sekunde, Tag für Tag. Jahr für Jahr wird sich das Leben in ein Selbstgespräch verwandeln, das nach und nach nicht mehr stumm im Kopf ausgetragen wird, sondern auf offener Straße.
Da ist Alkohol zu arbeiten besser als überhaupt kein Job.