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Waisenbier

Der langgezogene Höhepunkt der Eurokrise. Kein Thema das unter den Nägeln brennt. Das Rauchverbot ist die Apokalypse fürs Absud. Kein Raucher-Rettungsheizpilz namens Ausnahmebestimmung, Brauchtum oder Tradition unter den die Nikotin-Ager schlüpfen können, auch kein schwarzes Schlupfloch, das sich kettenrauchende Physiker durch den Bierfilz in eine Parallelschänke glühen können in der es verboten ist nicht zu rauchen. “Eine bigotte Schweinerei ist das”, wettert Skellington, dessen aktuelles Motto lautet: Vegetarier ist indianisch für zu blöd zum jagen und dessen Adern so verstopft sind wie die B1 zur Rush-hour, “ursprünglich war das eine Maßnahme des Arbeits- und Gesundheitsschutzes für Angestellte in der Gastronomie, jetzt wollen sie damit das ganze Volk disziplinieren. Faschisten.” Das Absud ist mehr als nur eine Kneipe, das eigentliche Geschäft ist der Handel mit Empörungsbedarf. Dafür ist der Laden so beliebt dass Landschaftsmaler aus Chemnitz hier Geburtstage und Hochzeiten feiern und erst nach dem 12 Baccardi Cola zur reaktionären Philippika auf vietnamesische Zichtenverkäufer ansetzen. Schmutzig verdientes Geld und ein derbes Schauspiel für spät einkehrende Lehrer, die sich in Überschätzung ihrer ironischen Distanz mit dem Ensemble verbrüdern bis die Geschmacklosigkeit jede Distanz überleckt und nur noch eine Flucht mit Pauken und Trompeten durch eine für ein Nixwieweg mit so raumeinnehmenden Instrumenten viel zu schmale Fluchttür bleibt. Die Illusion von Ewigkeit die die Stammgäste in gnädige Schleier hüllt ist demnächst Geschichte. Hier hat jeder Recht so lange er redet und ist ein Idiot, Flachwixer und Schwachkopf sobald er der Raum verlässt und von ihm die Rede ist, jeder weiß dass das so ist und will dass das so ist, weil niemand Bock auf einen Laden hat in dem es gerecht statt menschlich zugeht, niemand geht hier hin um sich zu benehmen, politisch korrekt zu sein und damit andere und sich zu Tode zu langweilen. “Ich bin froh dass das vorbei ist” murmelt der glücklose Unternehmer als links und rechts am Tresen der Abstand zu den Nachbarn groß genug ist. Denkste. “Und wo bleibst Du dann?” fragt der Mann mit Prinzipien. “Keine Ahnung. Aber damit überhaupt noch was geht muss diese Geschichte enden. Sonst höre ich nicht auf sie zu erzählen und nichts entwickelt sich mehr.” Eine Sehnsucht danach sich auf den Weg zu machen im Wissen, dass er nur aus dem Kreuz kommt wenn der Heimatverlust total ist. Elterntod, das letze Bild eine morbide Kitschpostkarte, ein ebenso einträchtiges wie atemloses Nebeneinander auf dem Ehebett, auf dem Rücken liegend wie Käfer die am Bemühen wieder auf die Beine zu kommen erschöpfungsbedingt verreckt sind. Ein akkurat arrangiertes Tableau, dessen Ästhetik ihn an Zeiten erinnerte die weit vor seiner Geburt lagen und das Gefühl hinterliessen seine Eltern wollten verstorben sein bevor er geboren werden konnte. Dass die Augen seiner Mutter offen sind konterkariert den Anschein von Einigkeit im Entschluss. Trotz gegen ein Bild das nicht sie so hinterlassen wollte. Der erste Weg danach führte ihn ins Absud, er nahm ein Taxi direkt dorthin und erzählte. Es dauerte kaum 5 Minuten und jemand kolportierte einen Witz: Kommt n Dauerkartenbesitzer ins Stadion. Fragen ihn die anderen: wo hastn Deine Frau gelassen? Ist gestorben sagt er. Kurzes Schweigen. Dann: aber die Dauerkarte ist doch übertragbar. Hättse doch nem Freund oder Verwandten geben können. Ja, aber die sind alle auf der Beerdigung. Erst die Eltern, dann die Stammkneipe. Ein Aufbruch ins Ungewisse, Angst vor der Ortlosigkeit der Abende. Dem schalltoten Raum den das Fehlen zweier Stimmen die immer da waren im Kopf hinterläßt. Dem Bewußtwerden zunehmender Vergesslichkeit wenn kein Geschwaderschwadronieren mehr den Tinnitus übertönt der auf die Verengung der Halsschlagader hinweist. Auf Phönix die Nachricht: den Nobelpreis für Physik erhält ein Quantenphysiker aus Frankreich und den USA. Flohbär grinst und stellt ihm ein Waisenbier hin: “Der ist echt subtil. Ein Quantenphysiker an zwei Orten zugleich.” So viel Verständnis. Der glücklose Unternehmer muss schlucken. Und das tut er.