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Butzenzauber

“Ich habe nichts gegen Raucherkneipen. Ich bin in Raucherkneipen groß geworden”, verkündet mit einem stolzen Unterton der Anlageberater, dessen Beine vom Hocker nicht zum Boden reichen. Lloyd, der Barkeeper der niemandem was lloyd, blickt abschätzend auf seinen kleinen Gast herab, einen Arm vor der Hühnerbrust, die Hand in die Achselzwinge geklemmt, Zeige- und Mittelfinger der anderen Hand vor die halb offenen Lippen gespreizt. Er nimmt einen Zug aus einer unsichtbaren Zigarette und wägt ab, ob er sich eine Bemerkung erlaubt oder verkneift. Er könnte ihm auch einfach ne Limo hinstellen, obwohl er ein Pils bestellt hat. Die Ankunft eines Gastes nimmt ihm - vorläufig - die Entscheidung ab. Die Tür geht auf, der Wind weht Eisspray in die Räucherkammer und Marilyn Manson betritt das Absud. Lloyd erkennt ihn nicht sofort. Er trägt eine Clark-Kent Brille,ein Regencape, auf dessen Kapuze “Escape” steht und Bergschuhe. Er ist nicht geschminkt wodurch er noch bleicher wirkt als sonst. “Hi Mister Manson, what can I do for You?” erkundigt sich Lloyd. Manson bleibt kurz stehen, schließt die Augen und schnüffelt. Dann antwortet er in perfektem Deutsch mit leichtem amerikanischen Akzent: “Hier darf geraucht werden? Das ist gut…sehr gut…”. Dann nimmt er sich einen Barhocker und eine halb stehende, halb sitzende Position ein, ein Mensch der nicht weiß: should I stay or should I go? “…ich hab es lange dran gegeben. Die Gesundheit. Aber ich finde es verlogen, dass man Kneipen erlaubt, die vom Verkauf einer Droge leben und dann dort den Konsum der anderen Droge untersagt.” Lloyd beugt sich vor: “Mr. Manson. Wenn es nach mir ginge würde ich den ganzen Kapitalismus umpolen und die Konsumenten bezahlen. So wie hier Alkohol gearbeitet wird haben die das verdient. By the way: was zu trinken?” Über Mansons Gesicht huschte ein kurzes Lächeln, er hatte das Cape abgenommen und zu Lloyds Überraschung trug Manson eine Frisur im Stile Jogi Löws. Fehlte nur noch der Seidenschal und der schwäbische Akzent. “Nein, ich hab leider keine Zeit, hab gleich nen Auftritt und muß noch zum Maskenbildner und zum Perückenmacher. Aber ich möchte trotzdem mit Dir ins Geschäft kommen. Meine Absinth-Vorräte sind zur Neige gegangen und ich brauche vor meinem Auftritt dringend Nachschub. Hab die reizende Stadt hier und Absinth gegoogelt. Da bin ich auf Deinen Laden gestoßen. Ganz weit oben.” Lloyd grient stolz über beide Backen und seine bekifften Gollum-Augen glänzen: “Die erste Adresse hier wenns um Thujon geht. Und natürlich führen wir auch Mansinth.” Manson wiegelt angewiedert ab: “Nein, nix von dem Sauzeug. War nur ein Marketing-Gag, hat aber keine Qualität.” LLoyd hält die Flasche Absinth schon in der Hand, bereit sie auf den Tresen zu stellen und hält überrascht inne. “Gut!”, entgegnet er munter und stellt die Flasche wieder ins Regal, “ich hätt mich jetzt nicht getraut das zu sagen. Hier geht das Zeug nicht so gut und ich hab mir gedacht vielleicht find ich ja n Idioten der mir den Fusel abkauft.” Manson beugt sich über den Tresen, den Oberkörper auf die einwärts gelegten Handflächen gestützt. Die perfekt manikürten Fingernägel der Mittelfinger berühren sich. Manson ist nicht aggressiv, als Provokateur nimmt er selbst nicht zur Kenntnis, wenn man ihn provoziert, er ist lediglich kurzsichtig. “Zeig mir einfach mal was Du da hast. Bin besonders scharf auf Absinthe mit höherem Thujon-Gehalt.” “Sehr wohl”, entgegnet Lloyd servil und breitet die Palette von Kräuterlikören vor Manson aus, die sich aufgrund ihres hohen Thujon-Anteils nicht Absinth nennen dürfen. Manson sieht sich im Absud um: “Schönen Laden hast Du hier. Gut abgerockt. Von van Gogh inspiriert. Meine Bilder würden gut hier hin passen.” Der Anlageberater rückt auf und traktiert Manson aufgeregt mit einer Geschäftsidee: “Mr. Manson was ha-ha-halten sie denn von Ess-Ess-Papier mit ihrem Logo, Op-Op- Laden mit Absintharoma und giftgrün?” Manson legt den Kopf schief und runzelt die mit unzähligen winzigen Pickeln übersäte Stirn, die sich bei Betrachtung mit der Lupe als ein Meer aus mikroskopisch kleinen schreienden Fratzen entpuppen würden. Der Anlageberater schiebt kleinlaut nach: “…oder doch lieber ne private Altersvorsorge? Schiffsfonds sind ein echter Geheimtipp…” Manson nickt langsam und erwidert: “Nein danke, aber das mit dem Ess Ess-Papier werd ich mir vielleicht überlegen”, woraufhin dem Anlageberater bewußt wird was er in der Aufregung abgestottert hat, er sich mit entschuldigend erhobenen Handflächen in einen hinteren Winkel des Absud verkrümelt, wo sich Hase und Bärchen Gute Nacht sagen. Mansons Blick fällt auf die Schiefertafel, auf der mit blasser Kreide (…Robin Sun vergisst immer die Kreide vorm Schreiben anzufeuchten, ich habs ihr schon tausend mal gesagt…) die Speisen der Woche stehen. Mansons Blick bleibt dort haften. Er dreht sein Gesicht der immer noch fröhlich leuchtenden Visage des Dealers zu, der stolz wie Oskar sein Sortiment vor ihm auf dem Tresen ausgebreitet hat, und sieht Lloyd mit einem zugleich schwärmerischen und hungrigen Gesichtsausdruck an: “Du hast Grünkohl mit Mettwurst da?” “Ja klar. Grüne Fee, grüner Kohl.” Manson wird überwältigt von einer Fremdsentimentalität, einer Sehnsucht nach Weihnachtsmärkten und einer westfälischen Kindheit, die er nie erlebt hat, muss eine Psychenverschränkung sein, vielleicht aber auch ein Echo seines zweijährigen Aufenthalts in Billerbeck, wohin er sich zurückgezogen hatte um in Ruhe Landschaftsmaleri zu studieren. “Die Fans können warten. Mach mir mal ne Portion. Und wenn Du mittelscharfen Senf in nem Extraschälchen hast wär es ein Traum.” Manson haut rein, dass es eine Freude ist, kratzt mit einem Löffel noch beinahe eine Viertelstunde nach Auftrittbeginn den Teller sauber. Er leckt ihn nur deshalb nicht aus weil das zu schnell ginge. “Jetzt muß ich aber, scheiße, bin ich spät dran. Ach ja, ich nehm die Flasche Hirnwurz und den Cthulhu wenns recht ist, und den Habsburger zum Löschen. Und dann zahlen bitte.” “Sehr gerne. Dann macht das…”. Manson errötet noch während Lloyd rechnet. “Du…äh…das ist mir jetzt total unangenehm. Ich schick sonst immer Igor, meinen Corpse-Gard, aber der liegt heute mit Migräne in seiner Unterdruckkammer, und jetzt hab ich keine Kohle bei. Kann ich n Deckel machen? Ich komm direkt nach dem Gig wieder. Ehrlich. Bring auch noch n paar Leute mit.” Lloyd gefriert das Lachen im Gesicht. Darf das jetzt wahr sein, da kommt Marilyn Manson ins Absud und schnorrt sich durch wie weiland Diedrich Diedrichsen. Was is jetzt cooler, wenn ich ihn festhalte und die Polente rufe, oder wenn ich ihm n Deal anbiete… “Bargeld lacht, Marilyn”, wechselt der Gläubiger aus der Position der Stärke zum `Du`. “Aber weil Du es bist…” …und so kam es dass nun im Absud hinter einer Wand aus Panzerglas ein Regencape mit einer handsignierten Skizze von Marilyn Manson hängt, ein Porträt von LLoyd mit Entenschnabel und Zylinder (Kreide auf Öl), und dass ein verfrorener und durchnässter Marilyn Manson mit einer Flasche Hirnwurz in der Hand und ohne Personalausweis auf dem Weg zu seinem eigenen Konzert von den Bullen aufgegriffen wurden, die ihn für einen durchgeknallten Doppelgänger hielten. Sie setzten ihn wieder im Absud ab wo er hocken blieb, und die Kinder grüner Kommunalpolitiker mit Zaubertricks langweilte bis das Rauchverbot dem Laden den Garaus machte.