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Weiche Linsen

Der Laden stellt van Gogh auf den Kopf. “Siehst Du das Bild, das da in der Ecke hängt?” In jedem anderen Ambiente wäre das ne bescheuerte Frage, aber in einem Schuppen, der die grüne Fee besingt, ist schon die Frage: Siehst Du? Durchaus ernst und mitfühlend gemeint. Aber ja… das Innere einer schäbigen Spelunke. Ein verwaister, rot betuchter Billardtisch. Die Farben Rot, Braun und Gelb dominieren. Glühende, glosende Erdfarben, ein Licht, das nicht vom Tag herrührt, sondern von Substanz, die verglüht. Übertragen auf Milieu und Menschen ist dies das Leuchten der Seuche, Fieberglanz und Totentanz. Die Beleuchtung ist scheckig. Das Licht der Lampe über dem Billardtisch strahlt nicht einhellig, die Luft flimmert und flirrt, das Licht wird zum Medium einer inneren Unruhe der Figuren und Accessoires der Szenerie. Konturen zwischen Gegenständlichem und den verlorenen Gestalten verschwimmen. Der Wirt hat das Innenleben der Grünen Fee nach diesem Bilde gestaltet, doch während beim Bild die Gelbtöne den unteren Teil des Gemäldes und die Rottöne den oberen Teil dominieren - Unterton: gelb, Oberton: Rot - kehrt sich an den Wänden der Grünen Fee die Farbgebung um. Dazu: grüner Absinth, fertig ist eine Nacht in einem van Gogh-Setting. Heute ist eine Verlegerin zu Gast, auf Einladung ihrer Autoren. Sie hocken am großen Tisch am Fenster zum Biergarten. Egal zu welcher Jahres- und Uhrzeit: sieht man zu diesem Fenster hinaus, wogen die Wipfel im Wind. Die Verlegerin ist in Verlegenheit: das Licht ist trüb und sie versucht, sich Kontaktlinsen in die Augen zu praktizieren. Plötzlich schreit sie auf: “Ich kann nicht mehr sehen!” Als Erklärung erweist sich, das sie zwei Kontaktlinsen übereinander gepackt hat, so daß ein Auge in Ermangelung einer Linse nichts zu erkennen mochte, das andere Auge nicht, weil zwei Linsen des Guten zuviel sind. Das aber ist egal. Es ist ihr erster Auftritt im `Absinth`. Kaum betritt sie die Kneipe, ist sie mit Blindheit beschlagen. Das passt. Ein Debüt wie gemalt.