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Blickzwang

“Ich habe Angst, dass der alle Bücher verbrennt, die von mir noch bei ihm stehen.” Der da in die Nähe der Nazis und Neros gerückt wird, ist der ehemalige WGenosse des zum Lyrik-Vorleser und Cartoonisten gewendeten Unternehmensberaters. “Der Typ schuldet mir noch Tausende von Euros und läßt seinen ganzen Müll bei mir stehen”. Der da in die Nähe von Betrügern und Schnorrer gerückt wird, ist der Lyrik-Vorleser und Cartoonist. Der ihn in die Nähe von Betrügern und Schnorrern rückt, ist ein zum Philosophie-Studenten gewendeter Unternehmensberater, der mit dem Lyrik-Vorleser einst im selben Betrieb gearbeitet und in besagter Wohnung gehaust hat. Die beiden sind sich so spinnefeind, dass eine telepathische Abstoßung zwischen ihnen besteht. Kommt der eine in die Kneipe, ist der andere grade weg und umgekehrt. Sie verlassen und betreten die Kneipe im Abstand von höchstens 5 Minuten, so als organisierten sie die Logistik der Vermeidung via sms oder sogar gps. Beide sind äußerlich sehr verschieden, was in Anbetracht ihrer Wesensgleichheit nicht auffällt. Der selbe zugleich kalte, leblose und verletzliche Blick. Der selbe Geruch nach gekautem Tabak, altem Teppich und klemmenden Fenstern. Die selbe Faszination für das Internet als Soziotop. Dieselbe soziale Isolation, in die man gerät, wenn einen Menschen nur als Publikum interessieren, man aber das Publikum nicht interessiert. Kann nicht weghören, obwohl ich nicht zuhöre. Kann nicht wegsehen, obwohl ich es nicht ertrage, sie anzusehen. Obwohl sie sich nie begegnen, höre und sehe ich sie beide gleichzeitig, der Kleinere ohne Lippen ein Embryo im wulstigen Gesicht des Breiteren. Der untere, über der Wampe geöffnete Hemdknopf öffnet sich im immer gleichen Pullover des anderen, der einen mumifizierten Rumpf bedeckt. So verschieden sie scheinen, so wenig sind sie auseinanderzuhalten. Sie sind siamesische Zwillinge in fürchterlicher Feundschaft. “Wenn ich morgen ins Badezimmer schlurfe”, haut mich der Ellenbogen des Wirtes an, “seh ich in den Spiegel und denke: Du kennst mich nicht aber Du beleidigst mich.” Der hat Mut. Der sieht zumindest hin.