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Wehmut? Absinth!

Trennungen können dazu führen, daß die Stammkneipe von einem Tag auf den anderen wechselt. Alles ändert sich: die Getränke, die Akteure, das Ambiente. Alles bleibt gleich, denn die neue Stammkneipe ist die, wo er immer hinging, bevor er nur noch gemeinsam mit ihr wegging. Beim ersten mal betritt er den Schankraum mit schlechtem Gewissen - doch der Wirt ist Geschäftsmann genug, um den verlorenen Konsumenten freundlich zu begrüßen: “Ich habs gewußt. Irgendwann kommen alle zurück.” Er schwankt noch auf den Holzdielen, als handele sich um Schiffsplanken. Der Solistenstatus bringt sein Mittelohr durcheinander. Ist etwa so, als betrete man nach einem längeren Flug in der Schwerelosigkeit wieder festen Boden unter den Füßen. Den Schlupflöchern in den EU-Richtlinien verdankt er, daß diese Schwankungen rasch nachlassen. Zwar ist der Thujon-Anteil im gewöhnlichen Absinth geregelt, doch deklariert man das Gesöff als Kräuterschnaps, darfs auch etwas mehr sein. Nach einer Karaffe hockt er so bombensicher auf seinem Hocker, als wäre er nicht drei Jahre weggewesen. “Das Wort Sabotage”, erklärt ihm der Wirt, “kommt übrigens vom französischen Wort für Holzschuh. Sabo. Arbeiter warfen Holzschuhe in Maschinen und legten sie so lahm. Daher das Wort Sabotage.” Er hört da einen Vorwurf heraus, kann es aber nicht genau begründen. Ein angenehmer Bewußtseinszustand: total paranoid, aber völlig gleichgültig gegenüber jeder Form von Kritik, auch einer lediglich eingebildeten. Er ist der erste Gast. Das Kommen des zweiten Gastes kriegt er nicht mehr mit. Er verläßt die Kneipe mit dem Gefühl, er sei van Gogh in Sabos.