Loading color scheme

Beschaulich

Das Stammpublikum des runden Stehtisch Nummer 12 heiratet hysterisch. Den dachsgesichtigen CD-Händler, einst Kopf der Speed-Metal-Band “Steiner War”, unterjocht ein französischer Akzent, der ihn an Saxophone und Madame Natalie denken läßt. Der Akzent mokiert sich guttural über türkische Outbound-Agents (”kaufst Du…sparst Du”) und redet ansonsten ausschließlich über die unmittelbar bevorstehende Hochzeit. Kaust Du…spaßt Du…Hochzeit…dann Finsternis, böses Erwachen und eine Zugfahrt in ein Nest, dessen Namen aus zwei Wörtern mit jeweils einmal 4 und einmal 5 Silben besteht. Umsteigen am Nichtraucherbahnhof. Ein Blechfaß Bier stopft dem viermäuligen Müllbehälter wenigstens eins. Das Gelächter einer Damenkegelgruppe im Wagen 23 klingt wie Schmerzensschreie. Ansonsten erweisen sich herren- und damenlose Koffer als Gesprächsthema Nummer 1 auf den reservierten Plätzen. Als seien die Koffer und Gepäckstücke, die bei ihren Besitzern bleiben weniger gefährlich. Jedes Haustier kann einen Sprengsatz mit Zeitzünder in sich tragen. Hysterie, Paranoia, trockene Kehle. Stolz, dennoch nicht ins Bordbistro zu Pils und Schnapeck geflüchtet zu sein. Ein zittriger, unergiebiger Termin in einem zum Call Center umgebauten Wohnzimmer. Versöhnliche Rückfahrt, denn ein Regenbogen fiel durchs Zugfenster auf die karge, schwarz-weiße Landschaft des Romans “Vom Glück, ein Briefträger zu sein” von Charlotte Weitze, völlig verdient, denn die Lektüre unterhält und überrascht. Der Bahnhof, an dem es in die U-Bahn umzusteigen gilt ist grau und abstoßend, bis auf einen liebevoll dekorierten Blumenladen. Das Hübschhäßliche ist tröstlich, deswegen kommt es so häufig vor. Man will sich ab und an gerne aufhalten und es schön haben, aber nicht zu lange. Besser ist eine Umgebung, die es einem leicht macht, das unvermeidliche Sterben und den nahenden Tod nicht zu bedauern. Ausstieg in Fahrtrichtung rechts. Es nieselt auf dem Weg zur Kneipe.