H.Bier Lovecraft
Eines Abends kam Cthulhu auf n Sprung im “Zecher” vorbei, im Schlepptau den
komplett blauen, aber stocknüchternen Besserwisserschlumpf und einen Schoggothen.
Als alle Gäste fluchtartig seine Kneipe verliessen wobei sie entweder auf Wechselgeld
verzichteten (”Stimmt so!”) oder Fersen- aber kein Bargeld hinterliessen wusste
der Wirt: Er ist wieder da.
Er seufzte, klemmte sich eine Wäscheklammer auf die Nase und harrte des
Unaussprechlichen. Immerhin kehrten die Stammgäste unmittelbar nach Cthulhus
Abgang jedes Mal umgehend zurück.
Ohne zu wissen warum sie vor die Tür gegangen waren und auch nicht daran interessiert
es in Erfahrung zu bringen nahmen sie nahtlos ihr großspuriges Gerede wieder auf,
Kerle, die beschlossen hatten, dringend an ihrer Beziehungsunfähigkeit etwas ändern
zu müssen, ihre Partnerin hocken liessen und statt dessen in ihrer Kneipe endlich mal
freundlich zur Bedienung waren.
Auf die Frage des Wirtes wieso bei ihm das große Vergessen nicht einsetzte
antwortete der Klugscheißerschlumpf für seinen Cephaloiden. Von dem physikalischen
Monolog, der neuronale Schwingungsmuster in ein Verhältnis zu irgendwelchen
Teilchen setzte, deren Untergrenze die Lichtgeschwindigkeit ist, verstand er
kein Wort: “Was ist Ambach?” und Cthulhu liess seufzen und das Fazit ziehen:
“Weil wir Parasiten sind und Du unser Wirt bist.”
Seitdem schneiten die drei Klagezeichen in schöner Regelmäßigkeit rein wenn
der Chef mal wieder unter Schlafstörungen litt - so wie heute, in der Nacht zum
21. Dezember 2012.
“Cthulhu, mein alter Großer. Nimm Platz.” nahm der Wirt die Neuankömmlinge in
Empfang, die sich auf die Barhocker am Tresen schleimten, wobei dem Schlumpf
die Höhe des Hockers erhebliche Probleme bereitete.
“Was verschafft mir die Ehre Deines Besuchs?”
Cthulhus Medusententakel hoben sich und legten sich wie ein monströser Fahrradhelm
über seinen mächtigen Schädel. Sie gaben einen Schlund frei aus dessen
Tiefe ein hohes Pfeifen und ein tiefes Brummen ertönten, letzteres ein Symptom
der mangelnden Erdung einer Tiefseekreatur.
Das Kommunizieren mit der menschlichen Rasse delegierte Cthulhu an den
Klugscheißerschlumpf. Der Schoggothe verschlang und verdaute derweil einen
Barhocker, oder vielleicht versuchte er auch sich mit dem Hocker zu paaren,
oder vielleicht war das ein und dasselbe.
Ein bisschen Schwund durch abnorme Gäste ist immer.
“Bin - mitten - in - der - Nacht - wach - ge -worden - und - konnte - nicht
- mehr - ein - schlafen.”
Der Wirt kippte kurz hintereinander ein paar Jägermeister weg, was dazu
führte dass ihm die Rede Cthulhus bald nicht mehr abgehackt, sondern flüssig,
wenn auch sehr monoton erschien, und er die Interferenzen aus Cthulhus
Branenrachen, der bis tief in die zwölfte Dimension reichte, ausblendete.
“Na wenn ich schon mal wach bin kann ich auch die Weltherrschaft ergreifen,
dachte ich, zwängte mich durch Yog Sototh hindurch ins Raum-Zeit-Kontinuum.
Von da an ging alles schief.”
“Ich seh schon, war ne harte Nacht”, heuchelt der Wirt Verständnis, der weiß
dass Cthulhu richtig einen wegsteckt wenn er schlecht drauf ist: bei seinem
letzten Besuch hatte er drei Pullen Domestos weggehämmert, für die er
anstandslos drei straußeneigroße Goldnuggets auf den Tisch gespien hatte
bevor er sich dünne und durch einen Gullischacht in Richtung
seiner Heimatstadt R´lyeh davon machte, nicht ohne seinen blauen
Schergen über die miserablen Verkehrsanbindungen fluchen zu lassen.
“Was mögt Ihr denn trinken?”
“Für mich das gleiche wie immer, für meinen Kommunikationsavatar
diesen Blauen Bols und der Schoggothe…bedient sich selbst.”
Mit einem gewissen Bedauern nahm der Wirt zur Kenntnis, dass er
sich eine neue Jägermeisterkühlmaschine würde besorgen müssen.
Bei dem Trinkgeld war das zu verschmerzen.
Der bestialische Gestank verging erstaunlicher Weise sobald seine
abnormen Gästen den Laden verliessen. Er hatte Cthulhu mal gefragt:
“Fagenhaft Dein Parfüm, aber wiefo” (die Wäscheklammer) “verfliegt
daf fo fmell?”
“Das verfliegt nicht, ich nehme es komplett wieder mit. Ist schließlich meines”.
“Wirklif fade.”
Cthulhu kannte weder das Konzept der Ironie, noch des Sarkasmus,
anderenfalls hätte es für den Wirt ein böses Ende nehmen können,
zum Beispiel als echter Wirt eines Parasiten.
Umgekehrt fragte Cthulhu nach dem seltsamen Nasenschmuck
(die Wäscheklammer) ohne die Cthulhu den Wirt nicht kannte,
da dieser auf Cthulhus Kommen immer durch die ihm voraneilende
Duftnote vorbereitet war. Selbst vor der ersten Begegnung als der Wirt dachte:
was mufft hier auf einmal so, das ist ja als ob gleich Wilbur Whateley um die
Ecke kommt.
“Mit diesem atavistischen Schnäbelchen wurde ich geboren”, flunkerte er.
“Hör auf mit Geburt, sollte man abschaffen”, winkt Cthulhu mit zahllosen Tentakeln ab.
“Meine Mutter hat mir auch nur ihre grotesken Eigenschaften hinterlassen, die alte Ziege.”
Da waren Cthulhu und der Wirt schon Vertraute. Die erste Begegnung war eine der
Sorte spitz auf Knopf:
“Empfehl mir mal nen scharfes Leckerchen”,
forderte der Avatar im Namen des Unausspechlichen:
“In den Barrrrs meiner Heimatstadt gibts nur Einstein-Bose-Soda mit Pyms,
und das hab ich satt. Bin aus der Südsee bis hierher geflutscht nur für
n bischen Abwechslung.”
“Eine weite Anreise nur für n Drink. Und wie bist Du auf mich gekommen?”
“Ist ne telepathische Sache. Du bist n Lovecraft-Fan. Weißt in etwa auf was
ich so stehe. Wehe wenn nicht. Dann ruf ich die Farben aus dem All und das
wars dann mit heute blau, morgen blau und übermorgen wieder.”
Die Drohung mochte ernst gemeint und ernst zu nehmen sein, aus dem Mund
des Schlumpfes gekiekst klang sie unfreiwillig unkomisch. In einer
Laune aus berufsbedingter Resignation, Gleichgültigkeit und Galgenhumor
entgegnete er:
“Hab genau das richtige für Dich, mein Alter”,
verschwand in der Küche und kehrte mit einigen XXL-Flaschen Domestos wieder,
deren Verschlusskappe er abschraubte und die er vor Cthulhu auf den Tresen
wuchtete:
“Hier. Absolut sauberer Rausch. Brauchst Du Gläser? Oder Strohhälme?”
“Sehe ich so aus?” antwortete stellvertretend der Schlumpf, während
Cthulhu seine Abertausend Saugrüssel bündelte und in die Flaschenhälse versenkte.
Es zischte, dampfte, und seitdem waren Cthulhu und er beste Freunde.
Der Wirt stellte also seinen Gästen deren Lieblingsgetränk hin, und nachdem Cthulhu
seine Flasche auf Ex geleert und der Schlumpf seinen Blauen Bols gekippt hatte
tröstete der Wirt: “Nu erzähl mal. Wo drückt denn der Schuhtulhu.”
Cthulhu stierte mit einigen hundert Stielaugen vor sich hin. Nach einigen Sekunden
krakeelte der Klugscheißerschlumpf: “Spiel mal Vadder Abraham”, offenbar
hatte Cthulhu kurzfristig die geistige Kontrolle über seinen Avatar
gelockert, nahm den Blauen aber sofort wieder an die Kandarre weil er unbedingt
80er-Jahre-Rock hören wollte, bei dem er am besten monologisieren konnte.
“Weißt Du”, sinnierte der ferngesteuerte Schlumpf, “ich steh auf Deinen Laden.
Ein nostalgisches Stilgemisch. So was gibts nicht in R´lyeh. R´lyeh ist auf modernd
getrimmt, seit wir Unistadt sind. Die Altstadt ist so nem Viertel mit System-Gastro
gewichen. Wir sind überfremdet mit fundamentalistischen Tsatthoguas, die gegen
den Verzehr von Menschenfleisch hetzen. Das Blöken raubt selbst mir den toten-
gleichen Schlaf. Wie soll ich denn unausgeschlafen Eure Rasse ausrotten?
Nyarlathotep, dem die Schleimbars gehören, ist das ja wurscht, hauptsache Chaos.”
Die Tentakel Cthulhus wimmeln erregt wie kammerflimmernde Schlingpflanzen.
“Ich könnte der euklidischen Welt der Sterblichen beinahe was abgewinnen
wenn ich sehe was aus R´lyeh geworden ist. Euer Zeitbegriff wird mir sympathisch.
In der vedammten Ewigkeit sind Verfall und Dekadenz ja egal, aber ihr habt Werte.
Sehnt Euch zurück.”
Cthulhu versank in dumpfes Brüten, der Schlumpf hielt, während er in seine Zipfelmütze
strullte, einen ungezwungenen Monolog über die Fähigkeit von Hammerhaien Schwankungen
im Erdmagnetfeld zu spüren. Der Schoggothe schlief an der Decke klebend triefend
seinen Rausch aus.
Der Wirt hing auf der Suche nach 80er-Lala über seinem Ipod wie Spock über seinem
Analysetrichter. Im fahlen Schein des Monitores warf sein Gesicht Falten des Wahnsinns.
Der Begriff “Posbi Fragment” huschte kurz in seinem Gehirn auf, verwandelte sich in
“Pepsi Ferment” und verdaute einige Millionen Gehirnzellen.
Im Hintergrund lief People are People von Depeche Mode und son Zeug. Der Wirt, der wollte
dass sein böser Gast sich heimisch fühlt, lud sogar ein paar songs von H.P.Lovecraft aufs
i-pad, aber eine innere Stimme (in Wirklichkeit die des Schoggothen, der hoffte in
ihm einen Verbündeten zu finden) riet ihm davon ab sie zu spielen.
Chthulhu starrte fasziniert auf einen Kandelaber mit Kerzen, deren Wachs über die
Arme des Kandelabers geflossen und zu Pseudoeiszapfen erstarrt war. Der Kandelaber
stand auf dem mit Kaffebohnen gefüllten Plexiglastrichter einer Industriekaffee-
maschine, die den Kaffee frisch mahlte.
“Ich habe Dracula gekannt…”, kiekste der Klugscheißer, der inzwischen blau war
wie tausend Männchen. “..und ihn gefressen. Schmeckte wie Parafin. Nicht übel.
Leider.”
Aus dem Rachen Cthulhus drang ein Geräusch wie ein langgezogenes Wimmern.
Kein Zweifel: Cthulhu heulte, und weil er ungehemmt seine Eruption
von Selbstmitleid auf seinen Avatar übertrug klang dessen Stimme wie eine
gestrichene Säge, die in unterschiedlichen Winkeln gebogen wird:
“Man hat mich in der U-Bahn nach meinem Tickett gefragt. Dann wurde ich in einen
Sushi-Lade gezerrt und sie wollten Chthushi aus mir machen. Ich wurde sogar mit
einer Thailänderin zwangsverheiratet.”
Er fährt eine Protopodie mit Ehering aus.
“Ich habe meinen Schrecken und meine Identität verloren. Ich werde bei den Simpsons
als außerirdische Krabbe veralbert. Es gibt mich sogar als Plüschtier
in Spielzeuggeschäften. Weiß nicht mehr wer und wozu ich bin, komme mir vor wie eine Figur,
die ihren Autor verloren hat.”
“Alles wird gut”, tröstet der Wirt, der wusste dass sein Geschäft von Identitätskrisen
lebte und Identitätsverlust erzeugte, “wir haben alle mal solche Tage. Pass auf,
alter Junge, wenn Du das nächste mal kommst hab ich was ganz Feines für Dich.
Red Bull Nitro. Dazu eine Handvoll Ültje-Zyankalikapseln und die Welt ist in Ordnung.
Bis dahin verkriechst Du Dich in Deinen Necronomicosmos und nimmst ne Mütze Schlaf.”
Cthulhu rülpste einige Äonen lang Welten und Welpen aus, dann verkrümelte er sich
gehorsam samt Anhang. Die Uhren fingen wieder an zu ticken, der Wirt erwachte aus
seinem Delirium und deklamierte fröhlich: “Theke, Lilly! Theke, Lilly!”
Er hatte geräuschvoll - Hchtlhu - über den Tresen gekotzt - was nix machte, weil er
schon zuvor durch hemmungsloses Grölen von Shanties seine Gäste in den Untergrund
des Bermuda-Dreiecks vertrieben hatte, wo Ratten im Gemäuer und spöttische Ghoule
sich Pfoten und Hände rieben.
Einen Junggesellenabschied schreckte all das nicht. Lärmend wie die Partygäste in Poes
Amontillado-Story fielen sie rudelartig über den Laden her bis das Zecher gerammelt voll
war, entblößten rote, nackte Brüste, indem sie ihre uniform mit Alcohollywood bedruckten
T-Shirts hochzogen und orderten in rauhen Mengen “Braunen Jenkins”, ein Gesöff aus
Rübenkraut und Korn.
Tief in der Nacht, der Wirt hatte sich längst mit der Rotte verbrüdert, feierte man
zusammen im “Wintershop” das Ende der Welt.