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Hospizbetrüger

“Ich hätte da eine prima Geschäftsidee…”, flüstert der ehemalige Pilot von Linienmaschinen, der passend zur Insolvenz des Betriebes nach einem Brand an Bord an Burnout erkrankte und statt in Dubai in Hartz IV gelandet war, “wir werden Hospizbetrüger”. Der untalentierte Unternehmer blickt sentimental auf ein vergessenes Babyphon, das zwischen den Spiritousen auf den Regalen der Schrankwand hinterm Tresen klemmt, ein subtiler Appell an die Alkoholiker Nachwuchs- förderung zu betreiben. Schließlich sterben die Stammkunden weg, hinterlassen Lücken auf den Hockern, und Babyfläschchen lassen sich auch mit Milch und Gin füllen. Dann läßt man die Bälger so lang auf den Hockern thronen bis ihre Füße bis zum Boden reichen und das Glucksen und Geplärr sich zu Stammtischparolen und Abseitsdebatten konkretisiert. Der untalentierte kinderlose Unternehmer hat geerbt, ein elterlicher Doppelselbstmord war eine Doppelhaushälfte wert. Seitdem werden ihm im Absud Geschäftsideen unterbreitet, und weil er das Gefühl hat er sollte unverhofften Wohlstand nur in aussichtlose Projekte investieren - ein Gefühl etwa so wie der Wunsch zu springen in Angesicht eines Abgrundes - kann er nicht weghören. Außerdem: egal ob er nachfragt oder nicht, erzählt wird es ihm trotzdem, und erleichtert darüber dieses Jahr keine Wehnachtsgeschenke besorgen zu müssen lauscht er entspannt, fassungslos und belustigt den ihm unterbreiteten Vorschlägen: `Lass uns Kork nach Portugal rückexportieren. Die kommen wegen der Waldbrände nicht mit der Produktion nach.` `Auf Grönland kriegt man kein gutes Graubrot und das ist als Urlaubsland schwer im Kommen.` `Wir gründen ne Peep-Kneipe für Masochisten in der man sich die Getränke nur angucken darf.` Andere Ideen versteht er nicht, nimmt verbüfft zur Kenntnis dass er den Anschluss an technische Entwicklungen verpasst hat, nicht mehr willens und in der Lage ist auch nur nachvollziehen zu wollen was Cloud-Computing oder Whatsap ist oder was sonst so vom Nerdpol aus die Längengrade hinab der modernen Welt geschenkt wird. Nur durch Schweigen, nachdenkliches Nicken und ab und zu auch ein skeptisches Stirnrunzeln kaschiert er die Anzeichen von Vergreisung, die sich von innen nach außen, von unauffällig nach nicht mehr zu verbergen entwickeln. Krankheitsnamen merkt er sich um so besser, aber nicht ganz korrekt - das Guillian Barre Syndrom verwechselt er altersstarrsinnig mit dem Stuckrad-Barre Syndrom. Der stillgelegte, aber nicht ruhig gestellte Pilot hat zwischenzeitlich in der Altenpflege und im Hospiz gearbeitet, beide Kulissen sind dem Suizidprofiteur deutlich näher als das neue Iphone 5, das er sich aus Tarnungsgründen besorgen wird. “In der Altenpflege”, führt der Expilot mit dem verlebten Elfengesicht und der Guildo-Horn-Frisur aus, “haben Sie die Leute wie Dreck behandelt. Alter, im Hospiz haben die denen alle Wünsche erfüllt, und dann hab ich mir so gedacht, geil, Du täuschst unheilbare Krankheiten vor, bekommst Sausen auf Malle spendiert, gesponsort von der Messe Intertod und der World Association of Undertakers, und wenn der Schwindel aufzufliegen droht wechsele ich Namen und Herberge und das ganze geht von vorne los.” “Ja klar. Sterbebegleitung durch die Medien, Wetten auf das genaue Todesdatum, Verwandte fordern das Agoniedoping damit man zum genau richtigen Zeitpunkt abtritt, die Telefongesellschaften verdienen an den 0800er Deadlines, ist ne schöne Idee nur dass Du wirklich dabei draufgehst.” Der Ex-Pilot ist ernsthaft erschüttert, sein Verstummen zeigt: das Konzept war völlig ironiefrei. Sie hocken schweigend nebeneinander, Männer die auf ein Babyphone starren. Das Absud füllt sich, die Geschäfte mit der Grünen Fee und den geschlossenen Fenstern, die den Rauch im Raum konservieren, florieren. Auf den Hockern nehmen die üblichen Gäste Platz, ergänzt durch ein paar Nachrücker von den Tischen, die vom jüngeren Publikum ausgeapert wurden, Endmoräne Tresen. Der Ex-Pilot und der untalentierte Unternehmer, der keinen Spass mehr an der Bedeutungsverschiebung hat, die das Wort Erbrecht durch unterschiedliche Betonung erfährt, sind betrogene Möchtegernbetrüger. Sie sind längst Insassen eines Hospizes, dessen Wirt dem Tod bei der Arbeit zusieht.