Branane
“Säufer schlägt h7!”
Seitdem die Worterkennungsprogramme der Tablets, Pads und smartphones regelmäßig
für unfreiwilligen Humor oder Ärger sorgen, indem sie vorschnell zum Beispiel “bestirnt”
durch “Bestie” oder “Liebesglut” durch “Diebesgut” ersetzen, grassiert die Wortspielerei
selbst unter den Schachköpfen.
“Bitte ein Qbit” bestellt dann auch noch ein Schwarzspieler, dem der Referendar so
grell aus der Betonung springt, das noch 1001 Kneipen weiter jemand
in der ältesten noch biertriebenen Kneipe der Welt - dem Schweidnitzer Keller in
Breslau (auch wenn laut Guinness(!)-Eintrag die Gaststätte Röhrl den Titel “älteste
ununterbrochene Pinte” für sich beanspruchen darf und Archäologen Relikte einer
aus dem 16. Jahrhundert vor Chr. stammenden Spelunke in Susa ausgegraben
haben, ein für den Quellcode der Gastronomie passender Fundort, steht doch heute
Susa für Summen und Salden) - ein angehender Lehrer zeitgleich genau das selbe
dusselige Wortspiel zum Besten gibt, wobei er von Nord- und Südpolen umgeben
erst recht nicht verstanden wird, was ihn nicht daran hindert ungefragt klugzuscheißen
und zu korrigieren: “Die ersten Kneipen wurden schon im Gilgamesch-Epos erwähnt
und das erste Gastronomiegesetz stammt aus dem 17. Jahrhundert von Christus.”
LLoyd stellt dem Schwarzspieler ein halbvolles und ein halbleeres Glas Becks hin,
das Läuferopfer auf h7 ist inkorrekt, aber der Gegner patzt, Weiß steht auf Gewinn
und geht über den Anker.
Unterdessen platzt Bierko der Kragen, es hagelt - schuldig im Sinne der Ulknudel -
Verbal(l)hornte Berufsbezeichnungen von Schufakäufer bis Wetterinär, während Bierko
mit dem Kopf unter dem Arm den Pott aufsucht, auf der Flucht vorm neuen Nachbarn,
der nach Nackenschweiß und Nackensteak müffelt, nicht über seine tote Frau
hinwegkommt weil er daran scheitert nekrophil zu sein und darauf besteht, dass
ein Stammtisch aus einen Stammbaum gezimmert werden muss. Baumstamm!
Stammbaum!
Bierko schüttelt den Kopf, indem er ihn beim schütteren Schopf packt und hin und
her dreht.
“Da kann man auch gleich behaupten ein web-Programmierer habe immmer URLaub…”
Den kann er draußen nicht erzählen, weil man es nicht so betonen kann dass der
Gag rüber kommt.
5 Karaffen rote Eidechse hat er drin, sizilianischer Sauerampfer, aber knallt. Er trinkt
eigentlich nur aus Gewohnheit, aber die Gewohnheit ist tückischer als die
Sucht, es steckt Wohnung in ihr, Sicherheit, Familie, soziales Umfeld, Gemeinsamkeit,
dafür steht das Ritual des sozialen Trinkens.
Sein sich stumpf auf dem Druckspüler des Urinals (…eine Perlmutt- oder eine Oktav-
klappe?…ach halt sie doch…) spiegelndes Gesicht ist kein Zerrbild, sondern traurige
Realität. Er wünscht sich mehr Unerkennung, seufzt “Ach ja”, während er sich die
Hände unter kaltem, klaren Wasse reibt und den Text von Kaltes, klares Wasser
vor sich hin summt. Der Hahn lässt sich nicht ganz zudrehen, wie so viele Hähne
im Absud hört er nicht auf zu tröpfeln. Mit einem “Dann wolln wir ma”, dessen
übertriebene Emphase das Gegenteil von Bewegungsdrang und Rückkehrbereitschaft
bedeutet, drückt er die Tür zum Schankraum auf.
Sein Platz ist besetzt, das verschafft ihm ein tiefes Gefühl der Erleichterung.
Ein Aufbruchsignal: “ich tausche Toleranz nach dem Rauchverbot gegen das
Recht einen Deckel zu machen.”
Der Ausgang führt in eine höherdimensionale Kneipe, die noch bescheuerter ist
als diese. Höherdimensionalität und Reduzierung von Komplexität ist das selbe.
Schließt er die Augen sieht er Smoots Wärmebild des Universums, aufgenommen
durch COBE, nicht durch WMAP, wie es sich für Bierko den Nostalgiker gehört.
Wenn er die Schwelle zur höherdimensionalen Kneipe überschreitet erfasst er
für einen Moment die Langeweile und Weite einer paradiesischen Küste,
ebenso wie die Frustration von Mulis wegen der beschränkten Mittel sich
gegen Fremdkörper auf ihren krumm gebogenen Rücken zu wehren, und dann -
sitzt er wieder am Tresen des Absud. Alles ist gleich, bis auf den Umstand, dass
Bierko ein Bananenweizen bestellt.
Während LLoyd das Weiba zubereitet erkundigt sich Bierko:
“Na Strohmann? Klettern gewesen?”
“Ne. Schach gespielt im Stadtgarten.”
“Ah”, spottet Bierko, “beides ne Hängepartie.”
Strothmann trägt Klamotten eines Jüngeren. Am Knie zerschlissene Jeans,
Jacke mit Wolfspfote. Eine Tarnung, die seine Wünsche entlarvt.
Bierkos Spott deprimiert ihn, nicht weil er ihn kränkt, sondern weil Strothmann
so alt ist, dass er die Anspielung ‘Hängepartie’ versteht.
Von der Wiener Partie schmerzt die Rückenpartie, kein Hexenschuss, Verschleiß
durch jahrelange sitzende Untätigkeit macht die gebückte Haltung zur Qual.
Briefschach als Reminiszenz und Perspektive.
Waren die Gartenschachfiguren eigentlich früher schon so schwer gewesen?