Klogistik
Es liegt mehr als die Hälfte meiner bisherigen Lebensjahre zurück - und schaudernd erinnere ich mich, dass ich damals schon volljährig war, ja, schon mein Studium angebrochen hatte - da war sie mir aufgefallen. Sie stand in der Diskothek an der Bar (sehr lange her) und sah regungslos dem Treiben der Tänzer zu. Ich spechtete immer mal wieder rüber zu ihr. Nichts änderte sich im Verlauf der Nacht an ihrer Pose, an ihrer ausdruckslosen Mimik und daran, dass sie nicht tanzte.
Sie faszinierte mich, weil sie mich an ein scheues Schwarz-Weiß-Foto Bild von Ingeborg Bachmann erinnerte.
Ich war zu schüchtern, sie anzusprechen. Ich wollte grade, enttäuscht von meinem eigenen Mangel an Courage, das Etablisment verlassen, da stand sie von ihrem Barhocker auf und hinkte zur Toilette.
Nach einiger Zeit kam sie wieder, lachte Tränen, schüttelte mit dem Kopf und begann ein lebhaftes Gespräch mit einem der Barkeeper. Jetzt sitzen wir uns in der Kneipe gegenüber und ich frage sie, ob ihre Gehbehinderung sie früher am Tanzen gehindert hat.
“Wie kommst du darauf?”
“Ich kenne Dich schon lange. Ich bin früher ne Zeitlang jeden Tag ins `Gruuft` gegangen, nur um Dich sehen zu können.”
Dann erzähle ich diese Episode, und sie klärt mich auf:
“Nein nein, ich tanze eigentlich sehr gerne, aber ich hatte damals als ob ich nicht schon genug gehandicapt wäre, nen Bänderriss.”
Dann, nachdem ich sie nun mehr als die Hälfte meines Lebens kenne, erzählt sie mir die Geschichte von dem sprechenden Klo.
“Die hatten da ein Klo, das hat Dir gesagt, was Du zu tun hast. Jetzt-bitte-setzen. Jetzt-bitte-Spülung-betätigen. Danke - für ihren Besuch. Kommen Sie - bald wieder. War das denn zu fassen? Den ganzen Abend spricht mich keiner an, Du hast Dich ja auch nicht getraut, und dann redet ne Toilette mit mir. Ist das nicht unglaublich?”
“Und? Hast Du Dich noch mal mit ihr verabredet?”, fragt der Buchhändler zwischen.
“Ne”, sagt die Bachmann,”die war nicht mein Typ. Zu geschwätzig.”
Ich zögere den Gang zur Toilette hinaus. Warum? Der der nicht Anwalt der Entrechteten und Unterdrückten ist, bringt es auf den Punkt: “Damals haben Dich die Toiletten noch angegraben. Wenn wir in unserem Alter auf die Toilette gehen, spielen die Klobrillen sich als Ärzte auf und stellen anhand Deiner Ausscheidungen Diagnosen.”
“Keine Sorge”, sagt der Wirt, “sowas Geschäftsschädigendes kommt mir hier nicht rein.”
Erleichtert gehe ich mich erleichtern.