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Die Umpolung

 

...weiter gehts mit `Welt ohne Kontakt`...

 

50. 6. Mai 2020

Vor 75 Jahren endete der zweite Weltkrieg. Der Staub der unkontrollierten Sprengung sozialer und ökonomischer Strukturen hat sich längst noch nicht gelegt, dass jedoch eine Trümmerlandschaft zum Vorschein kommt, wenn die Sicht wieder klar ist, daran bestehen kaum Zweifel. Dementsprechend wird der historische Moment des Kriegsendes genutzt um den Mythos des Wiederaufbaus zu bemühen. Die Unterschiede sind eklatant. Immerhin war der Krieg beendet, dann folgte der Wiederaufbau. Zur Zeit ist weder klar, wann die Krise endet, noch was eigentlich wie wieder aufgebaut werden soll.

Was entsteht da zur Zeit, national und international, oder ist schon längst entstanden? Derzeit verdrängt die Frage was lebenswert ist die Frage was lebenswichtig ist von der politischen und publizistischen Agenda. Das erklärt die von den Medien teilweise wütend beklagte Auflösung der deutschen Einigkeit. Verteidigung gegen Gefahr eint: geht es um soziale und ökonomische Werte haben Länder, Regionen und Personen durchaus heterogene Prioritäten. Dieses Ausschwärmen der Länder folgt jedoch nicht nur den projizierten oder faktischen Wünschen der Menschen, sondern den unterschiedlichen regionalen Erfordernissen der Gefahrenprävention und -eindämmung. Bundesweit einheitliche Regelungen einzufordern ist Ausdruck einer zentralistischen Sehnsucht, die fahrlässig ist. Dunja Ayalis und Mitri Sirins Anmoderationen und Fragen an ihre heutigen Interviewpartner im Morgenmagazin formulieren kaum verhüllte Beschwerden über den Flickenteppich der Corona-Regelungen in den Ländern. Dabei spricht nichts gegen Flickenteppiche, wenn sie tragfähig sind. Zudem entspricht das Muster des Flickenteppichs dem Verteilungsmuster der Infektionen, das keinem Ordnungsprinzip unterworfen ist. Dass dennoch die Kritik an der Heterogenität so im Vordergrund steht hinterlässt den Eindruck, die Sender wünschten sich derzeit nicht nur eine als Demokratie verkleidete Kanzler(innen)herrschaft, sondern auch ein möglichst homogenes Publikum, das sich einmütig unter dieser Herrschaft versammelt.

Demonstrationen für Grundrechte auch in Corona-Zeiten sind dem Morgenmagazin offenbar zu bunt. Man lässt sich zwar dazu herab, über sie zu berichten, belegt sie aber mit  Begriffen wie `krude Mischung aus Verschwörungstheoretikern, Impfgegnern und Rechtsradikalen`(Christian Lindner fügt noch hinzu `notorische Kleinparteigründer`, denn mit Kleinparteien kennt er sich aus). Öffnet man die Mottenkiste der Moderationen stellt man fest, dass die abwertende Einordnung außerparlamentarischer Bewegungen als bunter Haufen von Spinnern Tradition hat - die Entstehungsgeschichte der Grünen begleitete das selbe journalistische Naserümpfen gegenüber dem Chaotischen und Ungeregelten. Dabei liegt es im Wesen von Bewegungen, dass sie zu Beginn noch nicht strukturell verhärtet sind, sondern von diversen auch gegensätzlichen Strömungen getragen werden. Öffentlich auf Gefahren für die Demokratie hinzuweisen und die Einschränkungen von Grundrechten zu beklagen ist nicht gleichzusetzen mit der Verbreitung von Verschwörungstheorien - selbst dann nicht, wenn Demonstrationen zu Akten zivilen Ungehorsams geraten. Verstöße gegen die Maskenpflicht oder gegen Kontaktbeschränkungen bedeuten nicht, die Gefährlichkeit oder gar Existenz des Virus zu leugnen, sondern richten sich gegen die Verhältnismäßigkeit einer Zwangsmaßnahme. Das unterschiedliche politische Interessengruppen (wie zum Beispiel "Widerstand 2020") den Aggregatszustand von Bewegungen für ihre eigenen Zwecke nutzen möchten kann man den Bewegungen auch nicht anlasten. Selbst auf Anhieb abwegig erscheinende Befürchtungen wie "Hygienetotalitarismus" und "Impfzwang" sollte man nicht einfach als plemplem abtun: auf Dunja Ayalis Frage an Jens Spahn, ob er für die Zukunft einen Impfzwang ausschließe antwortete dieser, er sehe derzeit eine große Bereitschaft in der Bevölkerung sich freiwillig zu impfen. Das war kein Nein.

Dass demonstriert wird ist notwendig. Wirtschaftsverbände und Unternehmen beherrschen derzeit mit ihren Klagen und Forderungen die öffentliche Bühne. Wenn denn "Stimmen aus dem Volk" sich in Talk-Shows Gehör verschaffen dürfen, dann als Sachwalter der Interessen bestimmter Gruppierungen, die um Zuwendung und Zuwendungen buhlen, aber nicht als Kritiker von Maßnahmen, die in die individuellen Grundrechte eingreifen. Als Forum der Kritik an der Herrschaftsausübung der Regierung bleibt die Straße. Die lautstarke und bildgewaltige Kritik an Grundrechtseinschränkungen ist dringend erforderlich, damit der Begriff der Systemrelevanz sich nicht exklusiv auf Branchen und Berufe bezieht - Grundrechte wie Bewegungs- und Kontakt- und Versammlungsfreiheit sind nicht nur systemrelevant, sie sind die Basis des Systems, der `Grund`, auf den sich das Grundgesetz gründet (um ein wenig zu heideggern). Damit das so bleibt oder wieder so ist muss man die Grundrechte ausüben. 

In kurzer Zeit haben wir angstgesteuerte Verhaltensregeln ebenso verinnerlicht wie die penetrant wiederholte Botschaft, dass die eingeprägten, Verhaltensmuster der Abkapselung jahrelang gültig sein sollen, ebenso wie die Sanktionierung im Falle der Abweichung durch die Obrigkeit. Von allen Beschränkungen sind die Abstandsgebote und die Kontaktverbote die mit Abstand massivsten Eingriffe mit den gravierendsten Auswirkungen auf unser Zusammenleben. Wir werden voneinander getrennt, isoliert, direkte Kommunikation wird erschwert, die gebührenpflichtige Telekommunikation wird gefordert. Menschen gehen sich aus dem Weg und verhüllen sich, das soziale Miteinander wird ersetzt durch ein unsoziales Aneinandervorbei. Wie frei ist der Austausch von Gedanken noch, wenn man für diesen Austausch bezahlen muss und dieser Austausch lückenlos überwacht werden kann? Unabhängig davon, ob dies beabsichtigt ist oder nicht herrschen Bedingungen, die der Traum jedes Panoptikers sind. Der Aufenthaltsort jedes Einzelnen ist jederzeit nachvollziehbar, es existiert keine Menge mehr in der er untertauchen kann. Überwachen und Strafen werden legitimiert durch Infektionsrisiken - so wie Marx dem Kapitalismus beibrachte, sich zu verstehen, sich anzupassen und zu perfektionieren bringt Foucault den Regierungen bei, wie man die Neue Normalität reguliert; jedenfalls so lange, bis der deprimierten Gesellschaft die Kauflust endgültig vergangen ist. 

Bundespressekonferenz: Appidemiologie. Das Übliche. Das Wichtigste Wort der Regierungsvertreter ist `ähm`, eine Hommage an Joschka Fischer, der das `ähm` als Signal von Nachdenklichkeit über Schwerwiegendes salonfähig machte. 

Und nun: Warten aufs Christ(demokraten)kind, das Freiheiten schenkt, die uns entzogen wurden.  

Carsten Linnemann, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU, wird vorgeschickt: es dauere sehr lange, bis das Verbrauchervertrauen wieder hergestellt ist. Sein Rezept: mehr Öffnungen. Das missversteht die Gründe der Kaufzurückhaltung im Einzelhandel in einem Ausmaß, das Fassungslosigkeit hervorruft. Der Artikel "Die Kunden wollen nicht einkaufen" von Hubert Wolf in der WAZ von heute fasst die Gründe zusammen: "Viele Menschen halten ihr Geld zusammen, weil sie nicht wissen wie es im weiteren Verlauf der Corona-Krise und danach weitergeht mit ihrem Einkommen und ihrem Arbeitsplatz." und: "Die Lust auf einen Einkaufsbummel sei `mit der Maskenpflicht nochmals zurückgegangen (Andor Baltz)." An Zukunftsangst und Missmut kann die Öffnung von noch mehr Geschäften nichts ändern. So lange Perspektiven fehlen und zugleich Abstandsregeln und Mummenschanz das Einkaufen zu einer freudlosen Milzbrandschutzübung degradieren werden noch so große Rabattaktionen nichts an der `Eintrübung der Verbraucherstimmung` ändern. 

Der Vorfilm zum Hauptfilm ist die Befragung der Bundesumweltministerin Svenja Schulze. Sie wird dominiert von der Fraktion "Autos für Deutschland" (AfD), die den Zusammenhang zwischen der Produktion von Stickoxiden und Feinstaub und dem Betreiben von Verbrennungsmotoren bezweifelt. Der Verschwörungsschwurbeler weiß aus dem Bauchgefühl heraus, dass die Feinstaubbelastung viel schlimmer ist, als man zugibt - das ist der wahre Grund für die Maskenpflicht. 

Der britische Regierungsberater Neil Ferguson quittiert seinen Job. Er hat klare Regeln zur Eindämmung der Pandemie missachtet: trotz strenger Ausgangsbeschränkungen hatte er eine Affäre. In der Befragung von Svenja Schulze geht es um das Thema Individualverkehr - den hätte man Neil Ferguson rechtzeitig empfehlen sollen. 

Hartz IV-Bezieher müssen den Kauf von Masken aus ihrem Regelsatz finanzieren. Sollen diese Sozialschmarotzer doch ein paar Underberg weniger trinken.

Da ist es also, das Geschenkpaket. Man reagiert darauf so, wie ein Kind, das die Verpackung gar nicht öffnen muss um zu wissen was drin ist. Die Überraschung bleibt aus, die Freude bleibt verhalten, man reagiert mit einer gewissen Befriedigung, jedoch ohne Enthusiasmus. Auf der Karte zum Geschenk steht der Satz der Bundeskanzlerin: "Die gesamte Bundesrepublik gründet sich auf Vertrauen." Wäre dem nicht so, so der Schlussakkord von Angie, könne man einpacken. Zwang und Vertrauen, ein gelinde gesagt schwieriges Verhältnis - aber sie bezog sich ja auch nicht auf die Bevölkerung, sondern auf Gesundheitsämter und Bürgermeister. Mal hören, was Karl Lauterbach zum Präsent sagt.

Es freut mich für die SeniorInnen, die wieder Besuch empfangen können (...in der rote Zone, denn immer noch hat sich der Schutz in Alten- und Pflegeheimen nicht signifikant verbessert).

Die Notbremse: bei mehr als 50 Infizierten pro 100000 Einwohnern muss der Landkreis wieder zu härteren Maßnahmen greifen. Ob das zum Ausbau der Testaktivitäten in den Landkreisen motiviert ist fraglich. 

Wenn denn das Subsidiaritätsprinzip dazu führt, dass Schwimmbäder und Badeseen wieder geöffnet werden - ok. Dann freue ich mich darauf, Bratwurst und Pommes Rot-weiß zu verzehren und dann mit vollem Bauch mein Mütchen zu kühlen. Ein wenig regressive Rebellion gegen elterliche Strenge soll schon sein.

Die Dominanz des Themas Corona nimmt verheerende Ausmaße an. Ich höre Corona, dabei sagt Stephan Weil Bewohner.

In Brasilien fürchten die indigenen Völker um ihr Leben. Sie besitzen im Urwald Land, das die Begehrlichkeiten von Goldgräbern und Holzfällern weckt. Präsident Bolsonaro entließ Polizisten, die eine illegale Mine zerstörten. Gegen illegale Rodungen unternimmt Bolsonaro genau so viel wie gegen die Eindämmung der Pandemie - nichts. Das Wort Waldsterben bekommt eine doppelte Bedeutung. In Deutschland dürfen - trotz der heroischen Gegenwehr eines Spielers von Hertha BSC - die Fußball-Profis wieder kicken. Hauptsache.  

Auffällig: nahezu jeder geschaltete Werbespot wirbt für ein pharmazeutisches Produkt. Nie las ich so häufig den Warnhinweis zu Risiken und Nebenwirkungen. Offenbar beflügeln Höhenflüge an der Börse zur Erhöhung des Werbeetats.

Bei Maischberger herrscht unvermittelt wieder Prä-COVID-Normalität. Erlitt Angela Merkel einen eklatanten Autoritätsverlust? Wer punktet im Machtkampf zwischen Söder und Laschet? Endlich mal wieder Business as usual. Als wäre nichts geschehen. Peter Altmüller möchte unbedingt wieder steigende Infektionszahlen vermeiden, damit es keinen weiteren Shutdown gibt und die Mitarbeiter bei Daimler, Ford und VW wieder durcharbeiten können. Soviel zum Status der Automobilindustrie in Deutschland, die - wenn man Gabor Steingart glaubt - nichts mehr wert ist und zum Status des schäbigen Rests. Modisch sehr gewagt finde ich Peter Altmaiers Mut zu Hochwasser und nackten Schienbeinen. Über den Gästen prangt ein Bild der Kanzlerin, das verblüffende Ähnlichkeit mit einem Porträt Jogi Löws hat.  

Geflügeltes Wort aus vergangenen Zeiten: Wo ist Behle? Aktuelles geflügeltes Wort: Sala, bitte! (Salomon Kalou)

Gabor Steingart benötigt mehr Worte um es zu sagen, aber was er sagt ist: Corona ist eine Ware. Für Medien sind Apokalypse-Szenarien ein Segen. 

Alter Schwede! Christian Lindner bugsiert das Modell Schweden in die Hauptsendezeit. Karl Lauterbach guckt aus der Wäsche wie Hermann Hesse auf dem Totenbett.

"Ich habe 5 Beerdigungen in den nächsten 2 Stunden. Die wollen mich umbringen.", beklagt sich eine kettenrauchende New Yorker Bestattungsunternehmerin neben ihrem Leichenwagen. New York - eine Geisterstadt, leergefegt wie im Film `Der Omega-Mann.`Ein riesiger Friedhof mit Wolkenkratzern als Grabsteinen. Der Frühling kündigt sich an durch Verwesungsgeruch, es gibt nicht genügend Kühlwagen zur Zwischenlagerungen der in Müllsäcke entsorgten Leichen, und es wird wärmer. Der Tod in New York ergreift Partei - es trifft die Armen, Afroamerikaner und Latinos. 19000 Tote - der White Trash demonstriert ohne Abstand zu halten für die Aufhebung der Restriktionen. Einige von ihnen landen auf den Intensivbetten, wo sich schlecht geschützte Krankenschwestern und Ärzte um sie kümmern müssen. Ich wette, Donald Trump wird wiedergewählt.    

Ein Physiker und Wissenschaftsjournalist (Ranga Yogeshwar, Quarks und co) und ein Ökonom (Marcel Fratscher) sind sich mit Karl Lauterbach einig: für die Gesellschaft und die Wirtschaft wären die Folgen einer zweiten, heftigen Infektionswelle verheerend - um dem vorzubeugen wäre es notwendig gewesen, den Lockdown noch aufrecht zu erhalten und die Infektionsrate weiter zu drücken, statt Stimmungen und Unmut von Interessengruppen nachzugeben. Wenn ein Naturwissenschaftler, ein Wirtschaftswissenschaftler und ein Epidemiologe sich mit guten Argumenten einig sind, sollte das zu denken geben. Das Format Talk-Show leidet darunter, dass empirische Sozialwissenschaftler und Psychologen mit ihren jeweiligen R-Raten selten unter den Gästen sind. Wenn es nämlich etwas an Kassandras wie Karl Lauterbach zu kritisieren gibt, dann dass sie von einer verhängnisvollen, dynamischen Entwicklung der Infektion ausgehen, dabei aber das soziale Verhalten der Menschen als konstante Grüße voraussetzen. Sozialwissenschaftler könnten zeigen, dass auch das menschliche Verhalten sich dynamisch anpasst und auf diese Weise die Dynamik des Infektionsgeschehens bremsen kann. So aber treffen Wissenschaftler auf Politiker, Journalisten und andere Influencer, die auf wissenschaftliche Fakten mit Meinungen, Auffassungen und Standpunkten zu sozialen und ökonomischen Entwicklungen reagieren. In Zahlenwerke gepackte Entwicklungsszenarien für soziale Folgen des lockdowns sind Fehlanzeige. Es fragt sich wieso, denn Zahlen und Prognosen sind Instrumente jeder Wissenschaft, die mit empirischen Methoden arbeitet.

Leider fallen mir die Augen zu, bevor mir eine Antw  

  

49. 5. Mai 2020

Ich hatte einen Alptraum. Hinter der Sicherheitskontrolle am Flughafen erwartet mich ein Rudel bellender Schäferhunde. Sie können wittern, dass ich COVID-positiv bin...es ist kein Alptraum. Es ist die Tagesschau. Habe vergessen den Fernseher auszuschalten. 

Laut Johns Hopkins sind ca. 136.000 Deutsche schon Chinesen. So weit ist es schon gekommen (Kurz Vonnegut hatte es in seinem Roman "Breakfast for Champions" kommen sehen, die nächste Pandemie wird verursacht durch das Einatmen winziger Chinesen).

In japanischen Zoos kommen die Röhrenaale wieder aus dem Schlick, seit die ausbleibenden Zoobesucher durch virtuelle Besucher auf Bildschirmen ersetzt wurden. Vielleicht handelt es sich um Bildröhrenaale (auch wenn sie nicht in die Röhre gucken, sondern auf Flachbildschirme).

Danke, Salomon Kalou. Dank subtilem social hacking via Handshake-Orgie bei Facebook gelingt es ihm im Alleingang, dass Image der DFL und der Millionaros so gründlich zu beschädigen, dass damit die Wiedereröffnung des Spielbetriebs vom Kabinettstisch seien sollte. Wenn das so beabsichtigt war - alle Achtung. 

Boris Palmer gilt als hochbegabter Mathematiker. Ein Ruf, den er nicht verdient. Dafür hat der Hochbegabte sich beim Umgang mit den Hochbetagten  zu gründlich verrechnet.

Das war überfällig. Wissenschaftler der Universität Erlangen fanden heraus, dass Alkohol einen dämpfenden Effekt hat, wenn das Immunsystem verrückt spielt. Weiter habe ich die Glosse in der WAZ nicht gelesen, da ich keinen Wert auf das Ja, aber...legte, das einer solchen positiven Meldung unweigerlich folgt. Auch die indische Bevölkerung las die Glosse "Ein Prösterchen auf die Forschung!" nicht weiter und plünderte die Alkoholgeschäfte. 

Adenauer macht wieder Politik. Ein Enkel von Konrad Adenauer, Dr. Patrick Adenauer, ist einer der Beschwerdeführer, die der EZB eine rechtlich unzulässige Staatsfinanzierung durch den Erwerb von Staatsanleihen vorwerfen. Zwar führt das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes nicht dazu, dass die Finanzierung der Kosten der Corona-Krise durch Ertrag aus dem indirekten Verkauf der Staatsanleihen an die EZB (die Anleihen werden zunächst an private Banken verkauft, diese verkaufen die Anleihen weiter an die EZB) für unzulässig erklärt werden, aber das Bundesverfassungsgericht entscheidet entgegen einem Urteil des EuGH, dass es sich bei der Praxis der EZB zum Erwerb von Wertpapieren im Rahmen des Public Sector Purchase Programme um einen Ultra-Virus...Verzeihung einen Ultra-Vires-Akt handelt. Als Ultra-Vires-Akt bezeichnet man eine Entscheidung, die außerhalb der Kompetenzen der Stelle liegt, die entscheidet. Die Feststellung des Bundesverfassungsgerichtes bezieht sich insgesamt auf die Praxis der EZB in Sachen Stützung von Volkswirtschaften durch den Erwerb von Staatsanleihen, nicht nur auf ihr aktuelles Vorgehen. Das BVG stellt nicht nur fest, dass die EZB ihre Kompetenzen überschritten hat, sondern dass Entscheidungen des EuGH die Regierungen der Länder, hier insbesondere die Deutsche Bundesregierung nicht ihrer Pflicht entheben zu überprüfen, ob Grundrechte verletzt werden und die getroffenen Maßnahmen der EZB die Verhältnismäßigkeit wahren. Für die EZB entsteht hieraus die Verpflichtung, ihr Vorgehen ausführlich zu begründen, inklusive einer Darstellung der erwarteten Effekte und Risiken, für die Bundesregierung ergibt sich die Verpflichtung, dies einzufordern. Die Rechte der Nationalstaaten gegenüber Instanzen der EU, insbesondere der EZB und dem EuGH werden hierdurch gestärkt - was im Interesse der Herren Adenauer, Peter Gauweiler und Bernd Lucke (Mitgründer AfD) ist, die geklagt hatten. Mag das Urteil des BVG rechtlich fundiert sein, so spielt es doch ewig Gestrigen in die Hände (mehr dazu, insbesondere eine verfassungsrechtliche Wertung des Urteils und seiner Konsequenzen, auf verfassungsblog.de).

Die Nachfragen der anwesenden Pressevertreter des RKI verraten eine gesunde Skepsis bezüglich der Notwendigkeit der rigiden Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie und der Notwendigkeit der Zwangsverordnung von Maßnahmen. Während in Spanien trotz drastischer Einschränkungen der Bewegungsfreiheit nach wie vor die Zahl der Neuinfizierten hoch ist, sinkt sie zum Beispiel in Schweden. In Frage gestellt wird von der WHO und auch während dieser Pressekonferenz die Notwendigkeit von Grenzschließungen. Offenbar streckt der kritische Journalismus, ermutigt durch Freischwimmübungen der politischen Opposition und der Länder gegenüber dem Bund, so langsam wieder sein Köpfchen aus seinem zuvor staatstragenden Schildkrötenpanzer. Die Fragen werden nur formell an Professor Wieler gerichtet - hören sollen sie die Landesregierungen und die Bundesregierung. Morgen könnte sich zeigen, in wie weit die sinkende Reproduktionszahl und die Tendenz der aufgeworfenen Fragen konkreten Einfluss auf die politische Entscheidungsebene nehmen.   

Die Übertragung der Pressekonferenz des Bundesentwicklungsministeriums wird sensibel kommentiert durch die Einblendung der Mitteilung, dass die Waffenexporte der Bundesrepublik im Jahr 2019 durch 43% zugenommen haben. Das nenne ich mal eine erfolgreiche Entwicklungshilfe.

In Florida warten ungeduldige Surfer auf die Öffnung der Strände. Forschungsinstitute in den USA schätzen, dass die Zahl der COVID-19 Toten im Mai von aktuell 69000 auf bis zu 110000 steigen könnte. "Wenn ich sage, es ist sicher hier zu surfen, dann ist es sicher hier zu surfen." (Robert Duvall in Apokalypse Now)

Lufthansa-Chef Spohr kommentiert indirekt was er vom Pochen der Automobilindustrie auf die Auszahlung von Dividenden hält. Er verkündet den Aktionären, dass es mit der Auszahlung von Dividenden erst einmal nichts wird (zu den Boni sagt er indes nichts).

Der bayrische Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger gelangt zu dem Kurzschluss: wer Biergärten besucht, der kauft auch wieder Autos. Die Rechnung ist einfach - wer betrunken ist, neigt zum Leichtsinn. Saufen und Auto, das ist traditionell eine funktionierende Allianz.

"Und nun hören wir Heiko Maas", kündigte Phoenix den deutschen Außenminister an. Danach sah man Heiko Maas einige Minuten lang beim Schweigen zu. Er hat halt nichts zu sagen. 

In der Sendung "Unter den Linden" fiel zum ersten Mal (so weit ich mich entsinne und es zur Kenntnis nehmen konnte) der Begriff progressive CO2-Besteuerung. Karl Lauterbach (allgegenwärtiger und allwissender Experte) und Christof Schmidt (RWI Essen) waren sich naturgemäß nicht immer einig hinsichtlich der Einschätzung von Notwendigkeit und Auswirkungen von Lockerungen, in einem jedoch einer Meinung. Will man die Industrie dazu veranlassen, das Thema Klimaschutz in Zukunft ernster als bisher zu nehmen ist eine Besteuerung der CO2-Produktion unerlässlich. Dass Karl Lauterbach der Auffassung ist, es wäre auch wirtschaftlich sinnvoller gewesen, die Infektionsrate durch Beibehaltung oder sogar Verschärfung der bisherigen Maßnahmen noch weiter zu senken, bis die Nachvollziehbarkeit der Infektionsketten gewährleistet ist und Christof Schmitt exponentiell wachsende Schädigungen der Ökonomie erwartet wenn man jetzt nicht weitere Öffnungen vornimmt liegt im Bereich des Erwartungshorizontes. Um eine Einschätzung treffen zu können, welche Maßnahmen sowohl der gesellschaftlichen Lockerung als auch der Eindämmung der Pandemie erforderlich sind wäre es hilfreich derzeitige Reproduktionsraten bei sozialen Entwicklungen zu kennen (Reaktanz, Zunahme häuslicher Gewalt etc.), von denen Jutta Almendinger sprach. Sinkt zum Beispiel zunehmend die Bereitschaft der Betroffenen, sich an die verordneten Beschränkungen zu halten, dann übersteigt - analog zu Überlastungen des Gesundheitssystems - das Ausmaß der Verstöße die Kapazität der Ordnungskräfte, die Verstöße zu ahnden. Auch wenn Karl Lauterbach Recht zu geben ist, wenn er sagt bei wieder zunehmender Infektionsrate entscheide das Virus über die weitere wirtschaftliche Entwicklung (senkrecht abwärts) wird die Politik entscheiden Dampf aus dem Kessel zu lassen, bevor die getroffenen Maßnahmen in weiten Teilen ignoriert werden oder der Staat zu extremen Repressalien greift, was der Kauflust auch abträglich wäre.

Der Sprecher der Bundestagsfraktion der CDU, Ralph Brinkhaus, schilt die Ministerpräsidenten ob ihrer Eigenmächtigkeit. Man solle doch bundesweit an einem Strang ziehen, für alles andere hätten die Mensch kein Verständnis. Aus welcher Umfrage zieht er seine Weisheit? Dass unterschiedlichen regionalen Begebenheiten Rechnung getragen werden muss ist derart evident, dass die Menschen eher kein Verständnis hätten, wenn Ungleiches gleich behandelt wird. Problematisch ist es, wenn nicht den epidemiologisch verschiedenen regionalen Entwicklungen Rechnung getragen wird, sondern lediglich den regional unterschiedlichen wirtschaftlichen Interessen.  

Nachwuchspolitiker Gregor Gysi wird außenpolitischer Sprecher der Linken. Das verspricht zumindest gute Unterhaltung. Dem Heiner Geißler der Linken sei viel Erfolg bei seiner Amtsausübung beschieden.

Zum Fernweh gehört auch die Sehnsucht nach dem Leben in einem Land mit einem anderen Verständnis von Demokratie. Ich lese einen Artikel von Wolfram Weimer auf n-tv.de: "Verhindert Schweden die zweite Welle?" (n-tv.de 05. Mai 2020). Pulloverträger Tegnell berücksichtigt die sozialen Reproduktionszahlen. "Die Unterversorgung anderer Krankheiten in der Pandemie ist niedriger, von sozialen Nebenschäden (von häuslicher Gewalt bis Selbstmord) ist Schweden nicht so negativ betroffen." Trotz liberaler Strategie ist die Opferquote niedriger als in Italien, Spanien, Belgien oder Frankreich. "Das Offenhalten von Gesellschaft und Wirtschaft hat also nicht - wie von Kontaktsperrenbefürwortern geradezu" frohlockend "vorhergesagt - zu einer Katastrophe geführt. Tatsächlich sinken seit Ostern die Neuinfektions- und Todeszahlen auch in Schweden." (...)"Wenn Schweden es mit weiträumiger Offenheit relativ gut durch die Krise schafft, fehlt mancher Regierung nicht bloß die Legitimation für Kontaktsperren, Grenz-, Schul-, und Geschäftsschließungen. Auch rückblickend erscheint dann die Lockdown-Strategie als falsch, fordert sie doch vielerorts einen sehr hohen Preis." (...)"Vor allem mit Blick auf das zweite Halbjahr werden manche Berater in Berlin, Rom, Paris und Madrid zunehmend nervös. Denn in allen Lockdown-Staaten herrscht große Sorge vor einer möglichen zweiten Infektionswelle. In Schweden hingegen hat Tegnell von Anfang an damit argumentiert, dass man eine offene Gesellschaft besser sanft und gezielt immunisiert, als sie streng und nutzlos zu isolieren. Massenhafte Kontaktsperren führten nur dazu, dass der Erreger im Herbst wiederkehren werde, mahnte Tegnell bereits im März." Wohlgemerkt, die Maßnahmen in Schweden ähneln denjenigen in anderen Ländern in vielen Teilen, was fehlt ist der Zwang, das scheint sich auszuzahlen. 

Sind wir - wenn wir auf Zwang setzen - eine offene Gesellschaft? Selbst die Opposition stellt das Prinzip von Pflicht und Zwang nicht in Frage, was gefordert wird, ist Freiheit für die Wirtschaft. Bleibt nur zu hoffen, dass man wenigstens zähneknirschend den Weg Schwedens einschlägt, falls sich dieser als gangbar erweist - natürlich nicht aus Einsicht, sondern wenn die Bevölkerung meutert und sich weigert so zu konsumieren, wie sich das zum Beispiel der bayrische Wirtschaftsminister vorstellt. In einer offenen Gesellschaft leben wir derzeit nicht, aber wenn die Biergärten wieder öffnen wenigstens in einer besoffenen Gesellschaft.

Zu befürchten steht, dass man sich mit dem Schwedischen Modell nicht auseinandersetzt. Nicht etwa, weil man die epidemologischen Konsequenzen fürchtet, sondern es einfach nicht zu dem Bild passt, das die anderen europäischen Staaten von der Souveränität und dem Verantwortungsbewußtsein ihrer Bürger haben - was Regierungen wie die ungarische freut. 

Ein Beitrag in dem ZDF-Magazin "Frontal" und ein Zitat von Professor Hildenfeld: "Hätte man 2003 (zu SARS-Zeiten) 1 Milliarde Euro in einen staatlichen Fond investiert, der die Entwicklung von Impfstoffen finanziert müsste man nun nicht Billionen in die Hand nehmen um die Wirtschaft zu stützen." Börsennotierte Unternehmen neigen dazu, Investitionen in die Entwicklung von Impfstoffen zu scheuen. Versäumnisse, die Millionen Tote und zerstörte Existenzen zur Folge haben. Hinter den Masken sieht man auch Wut und Ohnmacht nicht. 

Die Sendung endet nicht mit dem Wunsch: Bleiben Sie gesund, sondern mit: Bleiben Sie zuversichtlich. Eine Wohltat.

Träumen fällt noch nicht unter Kontaktsperren. Statt einer Abwrackprämie: wie wärs mit dem Abwracken der kompletten fossilen Automobilindustrie?

In der Sendung "Report" ein Beitrag über die grandiose Rettungsaktion der Bundesregierung. Man holte aus dem Flüchtlingslager Moria Kinder nach Deutschland, die im Rahmen der Familienzusammenführung ohnehin das Recht haben, nach Deutschland zu kommen. Ein Schildbürgerstreich ähnlich der Senkung der Umsatzsteuer für Umsätze die nicht erwirtschaftet werden. Nur noch deutlich schäbiger. 

Der Lacher des Tages soweit: "Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass die EZB keine monetäre Staatsfinanzierung betrieben habe." (Olaf Scholz in den "Tagesthemen"). Nach den Tagesthemen folgt der Kölner Treff, mit 6 Clowns aus einem Land, darunter tragischer Weise Sarah Wagenknecht. Ich schalte um auf "Leschs Kosmos", selbst Markus Lanz Talk-Show wird nach dem kurzen Ausflug in den vorgezogenen Kölner Karneval ein medialer Bilderbergungsurlaub mit Erholungseffekt sein. 

Von 4 Uhr morgens (Wiederholung der Sendung "Brisant" vom Nachmittag, die ich verpasste) bis jetzt sitze ich - mit Unterbrechung von insgesamt etwa einer Stunde, die ich außerhalb meiner Wohnung verbrachte um Einkäufe zu tätigen, nur das Lebensnotwendigste, Wein, Zigaretten und Autos - vor der Glotze. Ich kann kaum erwarten dass endlich ein Scheinwerfer auf meinen Wohnzimmertisch kracht, der mir beweist es existiert noch eine Außenwelt. 

Leschs Kosmos: das verseuchte Universum. Der Heribert Faßbender der Populärwissenschaft fordert nicht Billionen Euro, sondern ist scharf auf eine andere Währung - Daten, Daten, Daten. Also Kranke, Kranke, Kranke. 

Jetzt gehts Lanz. Wann eigentlich schläft Karl Lauterbach? Einer der Gäste ist Olaf Sundermeyer, ein Journalist und Publizist, der sich mit Verschwörungstheorien rund um den Corona-Virus befasst. Eine Verschwörungstheorie besagt, dass die Pharmaunternehmen die Welt beherrschen und Regierungen als gobaler "deep state" daran arbeiten im Interesse der Pharmaunternehmen die Freiheitsrechte aufzuheben und Zwangsimpfungen durchzusetzen. Als geneigter Leser des "Lexikons der Verschwörungstheorien" erlaube ich mir die Anmerkung, dass die Herrschaft der Mediziner über die Welt Iatrokratie genannt wird. 

Ein tatsächlich berührender Moment in einer Talk-Show: alle Teilnehmer schweigen (mehrere Sekunden) betroffen angesichts der Sprachlosigkeit Tim Mälzers, der keine Perspektive für sein Geschäftsmodell und seine Angestellten sieht und die Sendung vorübergehend verlassen wiil, nicht aus Protest, sondern aus Verzweiflung. Ein regelrecht surreal authentischer Moment. Selbst Hubertus Heil - beinahe komatöser Ausbund an Ruhe - verliert seine buddhistische Countenance und entfesselt eine flehentliche Leidenschaft für die Hurzarbeit.

Aerosole sind - glaubt man Karl Lauterbach - durchaus Cargo-Lifter für Viren. Wir sollten aufhören zu atmen. Schweden handelt aus Sicht Lauterbachs verantwortungslos. Nichts gegen den plätschernden Lauterbach, eine Begründung für seine Einschätzung bleibt jedoch aus. Die Realität Schwedens widerspricht aus seiner Sicht den Fakten. Welchen? Und ist ein Widerspruch von Realität und Fakten nicht ein dialektisches Oxymoron?

Wecker stellen. Wenn Karl Lauterbach das für epidemiologisch unbedenklich hält.

   

48. 4. Mai 20

In Phönix vor Ort merkte eine Journalistin beiläufig an bisher sehe sie nicht, dass es mittlerweile ein Schutzkonzept für Einrichtungen der Pflege und Krankenhäuser gebe, in denen nach wie vor das mit Abstand höchste Infektions- und Sterberisiko besteht. Im Lärm der durch ihre Verbandschefs herausgebrüllten Todesschreie der Automobilindustrie und nun auch der Wohnungswirtschaft, denen nur noch zweistellige Milliardensummen der schwieligen öffentlichen Hand ihren Profit retten könne, ist das Wimmern aus den Monaden der Alten- und Pflegeheimen nicht mehr zu hören. Man kann sich über Boris Palmer empören und zugleich genau die Zustände tolerieren, die ihm vorschweben. Boris Palmer befand sich nicht auf Ballhöhe, er forderte etwas, was längst stattfindet. Das ändert nichts an der "Herzlosigkeit und Kälte" (Robert Habeck) seiner Äußerungen. Hätte er sich sparen und einfach weiter zusehen können, wie längst geschieht, was aus seiner Sicht geschehen sollte. Im Schweigen wäre sein Zynismus nicht aufgefallen, das Thema Todeszone Alten- und Pflegeheimen ist abgehakt, ein alter Hut, man widmet sich aktuellen Themen von öffentlichem Interesse:  Die Fußballbundesliga, der Sommerurlaub, die Unverschämtheit Sachsen-Anhalts, etwas Vernünftiges zu tun, statt sich linientreu zu verhalten. Die in Alten- und Pflegeheimen (noch) lebendig Eingemauerten geraten in Vergessenheit, die Brisanz des Themas hat sich abgenutzt, als gelöst gilt ein Problem dann, wenn es keine Aufmerksamkeit mehr erfährt. Boris Palmers Zynismus ist ein Fliegenschiss gegen den Zynismus der Themenwechsel, der Missstände dadurch als beseitigt ansieht, dass man sich nicht mehr für sie interessiert. So gesehen könnte man Palmers sozialdarwinistische Einlassungen als thematische Reanimation deuten, als Versuch das ursprüngliche  sujet `Schutz der vulnerablen Gruppen` noch einmal auf die Bühne zu bringen. Erstens war das nicht seine Absicht, zweitens kam es nicht dazu.   

Der Ministerpräsident von Niedersachsen verknüpft Kritik am `Vorpreschen von Sachsen-Anhalt` mit der Ankündigung, Hotels und Gastronomie wieder zu öffnen. Das Vorpreschen der Anderen ist das Übel. Das eigene grundsätzlich angemessen.   

Besuch von Hotels und Gastronomie werden als Freizügigkeit verkauft, Freiheit ist eine Ware wie jede andere Sache, die ihren Preis hat. Neben der Hoffnung einer damit erfolgenden Ankurbelung der Konjunktur dient die Öffnung dem Aggregieren von Daten. Jeder Besucher eines Hotels oder eines Restaurant soll - Stichwort: Nachvollziehen von Infektionsketten - seine persönlichen Daten hinterlegen. Was als Lockerungen von Beschränkungen gepriesen wird lässt sich auch als Experiment auffassen. Handelt es sich bei Gastronomie- und Hotelbetrieben um Hotspots? Sind die Menschen bereit, für ein Abendessen und einen One-Night-Stand im Hotel zur Aufgabe ihres Rechtes auf informelle Selbstbestimmung aufzugeben? Hier wird mit der Gesundheit und den Persönlichkeitsrechten der Bürger gespielt. 

Eine volle Innenstadt ohne Lächeln. Mund-Nasen-Schutze liegen achtlos weggeworfen zwischen Pommesschalen auf dem Trottoir. Die Schlangen die sich bilden sind längenkontrahiert, der Abstand zwischen den einzelnen Menschen erscheint stark verkürzt. Engpässe zwischen den Menschen versperren an Kreuzungen Passanten den Weg, entweder man nimmt Umwege im Kauf oder tunnelt gebückt hindurch, auf Tuchfühlung mit den Masken der Patienten, die vor Saturn auf Behandlung und Heilung ihrer mobilen Endgeräte warten. In den Schläuchen der Fußgängerzone tummeln sich die Menschenmengen, im Wald gilt die Kontaktbeschränkung auf 2 Personen. Grober Unfug und Gängelei.

Die Innenstadt ist zur emotionslosen Zone gefroren. Gesichter werden unlesbar, die Ausdrücke, die uns die Befindlichkeit unserer Mitmenschen mitteilen, werden zensiert. So wie Frauen, denen das Zeigen ihrer Gefühlsregungen als unschicklich verboten wird, drücken sich nun die meisten Menschen durch die Gassen, da es zwischen den Geschäften zu umständlich ist, die Maske immer wieder auf- und abzusetzen und dies ohnehin den Hygienevorschriften widerspricht. Die Emotion die bleibt ist die Angst vor dem Nachbarn. Die Maske soll Achtung vor der Unversehrtheit des Gegenübers zwangssymbolisieren, stattdessen ist sie Symbol allgegenwärtiger Furcht, die das Verhalten steuert. Damit wird zugleich der Einfluss reduziert, den die Kommunikation zwischen Verkäufern und Kunden auf die Konsumfreude hat. Unter diesen Bedingungen von einer baldigen Wiederbelebung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens auszugehen erscheint abwegig. Die Umstände, die ein reibungsloses Funktionieren der Marketing-Maschinerien garantierten sind nicht mehr gegeben. Wenn Einsicht in die Notwendigkeit des Überdenkens der vormaligen ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen nicht zu gravierende Änderungen führt, dann möglicher Weise die Paralyse der VerbRaucher.   

Die Heinsberg-Studie kommt zum Schluss, dass 1,8 Millionen Menschen in Deutschland infiziert waren oder sind. Die Infektionssterblichkeit (IFR) läge - gemessen an den Gangeltzahlen - bei 0,37%. Auf Stellungnahmen und Konsequenzen darf man gespannt sein. Immerhin käme man bei 60 Millionen Infizierten auf über 200000 Tote - ohne Medikament und/oder Impfstoff (dies allerdings über einen Zeitraum von deutlich mehr als 10 Jahren bei derzeitigem Verlauf).

Bissig: die Karikatur einer Massendemo, die mit Transparenten gegen den Virus protestiert: "Nieder mit Corona"..."Maske gleich Diktatur". Simplicissimus-würdig.

Ach ja. Bundespressekonferenz ist auch. Tilo Jung überzeugt erneut als journalistischer Sisyphos. Ein Beispiel: Tilo Jung fragt nach der Anzahl der Atombomben in Deutschland. Antwort des Sprechers des Auswärtigen Amtes: Weiß ich nicht. Jung: Können sie das nachreichen? Burger: ich weiß nicht ob ich das nachreichen kann und darf. Farce pro toto. Was ist schon eine Massenvernichtungswaffe mehr oder weniger? Phoenix schaltet vom No-Theater der BPK um zu Hubert Heil, der sich zum Thema Maskenarbeitslosigkeit äußert.

Dass die Spahnplatte gelegentlich einen Sprung hat bleibt dem Kenner des korrekten Aufsetzens von Maulkörben nicht verborgen. Für die Idee des Immunitätspasses hätte ich jedoch Sympathien, wenn der Pass diplomatische Immunität garantiert.

Der Spendenmarathon der EU für die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten: der Bildhintergrund erinnert an Teleshopping-Sendungen. Eine fröhliche Crowdfunding-Auktion, die eine Umverteilung  von öffentlichen Geldern in Pharma-Unternehmen in die Wege leitet. Wenn das hilft stellt sich die Frage: wem, wann und wem nicht?

Zehn Corona-Infizierte in der ersten und zweiten Fußball-Bundesliga. Da fehlt doch noch einer. 

Ein Beitrag über Angst in Zeiten der Katastrophe belehrt mich, dass die Sucht nach Informationen über die Katastrophe, ihre Ursachen, ihren Verlauf Symptom einer Angststörung sein können. Faszinierend. Da wäre ich von alleine nie drauf gekommen. Ich mag dem nicht widersprechen - wozu auch. Statt mich den anonymen Angstgestörten anzuschließen halte ich es mit Lenin: Macht eure Krankheit zur Waffe. Auf die Sucht zu verzichten empfinde ich als schicksalsergeben. Da verarbeite ich lieber den Input zum Skript, mein stumpfes Küchenmesser mit der Gravur `Camus` im Griff.

Die Realität der Karikatur: wir befinden uns in einer Nebelbank, deren Ende nicht in Sicht ist. Die Crew will eine Perspektive. Wenn der Ausguck im Krähennest nicht `Land in Sicht` ruft stürzt man den Überbringer der schlechten Botschaft. Also ruft er Land in Sicht. Den Nebel beeindruckt das nicht. Da ruft der Ausguck plötzlich: Schweden! Auf einmal ist Tegnell ein gefragter Interviewpartner in den öffentlich-rechtlichen Medien.

Gegen Übelkeit hilft Schlaf. Die Publikumsfrage einer 70jährigen Frau, ob sie selbst darüber entscheiden darf, welchen Risiken sie sich aussetzt wurde komplett ignoriert, nicht durch Schweigen, sondern durch Antworten auf Fragen, die nicht gestellt wurden. Man hätte einfach `nein´ sagen können, das wäre eine ehrliche, wenn auch kaum verfassungsgemäße Replik gewesen. Das beredte Beiseiteschieben der Frage hingegen: niederschmetternd und verräterisch, aber richtungsweisend. Schilder vor den Restaurants: Zutritt für Senioren auf eigene Gefahr, Enkel haften für ihre Opas (gegebenenfalls für ihre Eltern). Zum Erbrechen, dass die Frage der Zuschauerin nicht entschieden mit `ja sicher` beantwortet wurde. 

  

47. 3. Mai 2020

Aus aller Welt: Krankenwagen, die wegen Benzinmangels nicht fahren. Särge, die auf Skateboards transportiert werden (Venezuela). Hungernde, die gegen Ausgangssperren verstoßen um ins Gefängnis zu kommen. Drohende Hungersnöte von biblischen Ausmaßen. In der Türkei wird ein Syrer von einem Polizisten ins Herz geschossen. Er hatte gegen die Ausgangssperre verstoßen. In einem noch nicht gegebenen Interview wird der Satz fallen: Wir werden alles dafür tun, dass wir hier solche Verhältnisse nicht bekommen. 

Heiko Maas hat nationalen Eigensinn vor einiger Zeit wie folgt begründet: Wir können anderen am besten helfen, indem wir uns erst einmal selbst helfen. Die Priorisierung des Eigenschutzes ist eine bequeme moralische Rechtfertigung für unterlassene Hilfeleistung. Man kann mit Bedauern und Mitgefühl auf das Elend in anderen Regionen der Welt sehen und unbeschwert die Erleichterung darüber genießen, in einem funktionierenden Sozial- und Rechtsstaat zu leben, den man erst jetzt so richtig zu schätzen weiß. 

Der Tagesspiegel vom 02.05.2020 berichtet: "20-bis 24-Jährige treiben die Corona Pandemie in Deutschland an" (Sascha Karberg). Dies legen Berechnungen von Harvard Forschern nahe. Hämisch wettert das kollektive Bewusstsein der Rentner: Na dann ab mit der Risikogruppe in leerstehende Hotels, Ausgangssperre verhängen, Sperrzonen rund um die Hotels einrichten und den Lockdown beenden. Die Rotzlöffel sollen sich weiterbilden, nicht Party machen. Schön in der Hotelküche kochen lernen, Delikatessen für Seniorenstifte zubereiten statt Philosophie und Betriebswirtschaft zu studieren oder für Erdogan zu demonstrieren. Wir werdens Euch zeigen die Älteren wegsperren, damit die Jüngeren sich frei entfalten können. Lümmel!

Sonntage sind Tage des Corona-Mangels. Während ich werktags Berichte auf mich einrieseln lassen kann, ohne eigene Anstrengung informell gemästet wie eine Made im Speck, muss ich mir sonntags Themen suchen. Da ich eine Sendung auf 3sat zu "Corona und die Psyche" verpasst habe, die nicht wiederholt wird gebe ich vor mich hin grummelnd genau das als Suchbegriff ein. Dabei stoße ich bei MK kreiszeitung.de auf ein Interview mit dem Hirnforscher Gerhard Roth und dem Betriebswirt Sebastian Herth, die warnen: "Ausschlafen fördert Depressionen." Therapietipp gegen Agressionen: "ein schönes Buch angucken."..."Morgens um 6 Uhr aufstehen und Gymnastik treiben. Man sollte Dinge tun, die man schön findet." (01.05.2020). Was bleibt dann denen übrig, die weder jemals von Turnvater Jahn gehört haben noch die Soldaten in Full Metal Jacket um ihr schönes Leben beneiden? 

Gegen Depressionen hilft mir die Betrachtung der Tore des Jahres. Abgesehen von Zlatan Ibraimovics Fallrückzieher ist das Tor des Jahres 2015 von Carsten Kammlott vom FC Rot-Weiß Erfurt der Hingucker. Unglaubliches Tor. Die Einspieler sind auch wegen der drolligen Kommentare sehr erheiternd. Wenn man darauf steht sich vor dem Presseclub ein wenig in die seelische Lage von besonders schutzbedürftigen Senioren zu versetzen, dann nehme man allen Mumm zusammen und setze sich den Schlagern der von Stefan Mross moderierten Kitschparade "Immer wieder sonntags" aus. So stelle ich mir die Wohlstandshölle vor. Social Hellfare.

Die WHO erklärt Schwedens Corona-Strategie für vorbildlich. Es war nur eine Frage der Zeit, bis das zuvor verdammte schwedische Modell als Blaupause für eine möglichst rasche Beendigung des Lockdowns adaptiert wird. Das hat weniger mit einem plötzlich eingestimmten Loblied auf demokratische Freiheiten zu tun, sondern folgt der Logik der Relativierung des Grundrechtes auf körperliche Unversehrtheit zugunsten der Öffnung des wirtschaftlichen und sozialen Lebens. Die höhere Todesrate in Schweden tritt in ihrer Bedeutung zurück hinter die mit höheren Freiheitsgraden verbundenen Vorzüge: langfristiger Rückhalt in der Bevölkerung, geringere Reaktanz, höhere Konsumfreude bei größeren Freiheitsgraden und Vorhandensein kultureller und gastronomischer Angebote, Kontinuität im Bildungswesen (Universitäten, Schulen und Kitas) und so weiter. Der Weg zur Öffnung der Wirtschaft wird scheinheilig damit begründet, das die Bürger sich vorbildlich verhalten haben und man ihnen nun den verantwortungsvollen Umgang mit den Freiheiten des schwedischen Modells zutraut. Sollte diese Entwicklung eintreten, dann geschieht aus falschen Gründen das Wünschenswerte. Dem Lockdown folgt der Lockerdown.  

Eine Freundin bezeichnete die Unsicherheit bei der Bewertung von Corona-Statistiken als Heinsbergsche Unschärferelation. Sehr hübsch.

Im Presseclub zum Thema "Kinder als Verlierer: Verspielen (!) wir die Zukunft unserer Kinder?" hält sich eine Anruferin nicht an die Regel nur Fragen stellen zu dürfen, sondern unterbreitet einen vernünftigen Vorschlag - diejenigen weitgehend weiter digital zu unterrichten, die zu Hause die Voraussetzungen dafür vorfinden und denjenigen Präsenzunterricht in den Schulen anzubieten, die zu Hause schlechtere Voraussetzungen vorfinden und zudem verstärkt von häuslicher Gewalt und von Missbrauch bedroht sind. Nun ist es ja nicht nur ein Affront, wenn man den Status der Experten - Mütter und Väter aus dem gehobenen Establishment - dadurch unterminiert, dass man selbst ein gutes Konzept vorstellt, sondern man kann schon an dem Gesichtsausdruck in der Runde ablesen, wie die Antwort ausfällt. Ein kreativer Vorschlag, aber. Das kommt dabei heraus, wenn man Füchse fragt, wie man am besten Gänse schützt.

"Es gibt keinen Damm der hält zwischen Deutschland und seinem Sommerurlaub." (Nikolaus Blome) Die nächste Gefahr für die Mittelmeerländer: Deutsche Klimaflüchtlinge.

Man kann Putin für Vieles kritisieren. Einer gewissen Komik entbehrt es jedoch nicht wenn - wie heute in der Tagesschau - die Entscheidung den Regionen zu überlassen, welche Lockerungen sie durchführen als Weiterreichen des Schwarzen Putins gegeißelt wird. In Deutschland nennt man dieses Prinzip Föderalismus und Berücksichtigung regionaler Unterschiede. Folgerichtig müsste die Journalistin von der Bundeskanzlerin mehr BASTA! fordern. 

Will Media präsentierte heute einen eher seltenen und einen bisher jedenfalls von mir noch nicht gesehenen Gast. Eine Lobbyisten der Autoindustrie, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie, Vorstandsmitglied bei Innogy, zuvor Vorsitzende der Hauptgeschäftsführung des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), zuvor tätig für die Dresdener Bank und nebenbei Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin, Tusch, Hildegard Müller, und Jutta Almendinger, die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Flankiert wurden sie von den bekannten Feministen Robert Habeck und Olaf Scholz, sowie der blauweißen Wuchtbrumme aus Bayern Markus Söder, heute lediglich Nebendarsteller der Show. Den Auftakt der Sendung bildete der Versuch einen Disput über Wolfgang Schäubles Äußerung: "Der Schutz der Menschenwürde schließe nicht aus, dass wir sterben müssen." anzustrengen. Die Provokation fruchtete nichts, dennoch möchte ich Schäubles Satz würdigen, indem ich ihn modifiziere: "Der Schutz der Menschenwürde schließt ein, in Würde sterben zu dürfen." Dieser Schutz wurde nicht gewährt.

Hildegard Müller bemühte sich zu erläutern, wieso die Auszahlung von Dividenden und Boni für Autohersteller trotz Bezug staatlicher Hilfen in Ordnung sei. Sie bleibt für die verheerenden Auswirkungen dieses stoischen Bestehens auf Bestehendem für das Image und damit den Umsatz der Automobilindustrie blind. Es ist schon verwegen genug anzunehmen, die Verbraucher würden angeregt durch Abwrackprämien - Frau Müller erwähnte in diesem Zusammenhang "mittlerweile würden umweltfreundlichen Benziner hergestellt", was einen Widerspruch in sich darstellt - nichts Besseres mit ihrem Kurzarbeitergeld zu tun haben, als ein Auto zu erwerben. Aber am besten noch zu erwarten, dass die sich in Kurzarbeit befindenden Mitarbeiter des eigenen Unternehmens durch den Kauf eines Autos ihres Unternehmens dessen Aktienkurs stützen, Dividenden finanzieren und die Boni leitender Angestellter sichern grenzt an Größenwahn. Jutta Almendinger war nicht die Einzige in der Runde, die der Auffassung war, das könne man den Verbrauchern nicht verkaufen. Erwähnenswert war der Auftritt aber vor allem wegen ihrer Schlussfolgerung, der Trend zum Homeoffice werfe die Bemühungen um Gleichbehandlung von Männern und Frauen um drei Jahrzehnte zurück - die nachrangige, `stiefmütterliche´ Behandlung der Themen Schule, Kita und Familie gegenüber Themen, die auf Automobilgipfeln behandelt werden, spiele dem Patriarchat in die Hände. Frauen würden  zurückgeworfen auf ihre Rolle des Heimchens am Herd, das Kinderbetreuung und Arbeit unter einen Hut bringen soll. Am besten ohne das Haus zu verlassen, es sei denn sie kauft ein oder geht einem schlecht bezahlten Teilzeitjob in einem Pflegeberuf nach. Fein beobachtet, aber auch in diesem Punkt verschärft die Krise bereits bestehende Trends. Grundlegende gesellschaftliche Änderungen werden wohl erst dann möglich sein, wenn in Beratergremien der Bundesregierung nicht länger "mehr Männer sitzen, die Jürgen heißen, als Frauen" (Dietmar Bartsch).

Die Nebendarsteller sind sich einig: Die Automobilindustrie muss wieder hoch fahren. Auf eine Rampe ins Nichts?

In Katalonien gibt es bald wieder Barcelonarbeit.

Damit endet der "Tag des Lachens". Kein Witz. 0:00. Schluss mit lustig. 

  

46. 2. Mai 2020

"...sei Dank. Nur ein Alptraum. Ich schlendere parallel zu einem blutorangenen Sonnenuntergang die Küste entlang. Gerate in einen Mückenschwarm, der die Luft trübt und zum Schwirren bringt. Der Schwarm verdichtet sich, ich kann die Steilküsten, den Leuchtturm und das Meer nicht mehr sehen. Sie lösen sich vom oberen Rand meines Sehfeldes her auf wie die Szenerien in Inception, ich löse mich auf in dem Schwarm, der so dicht wird, dass ich ihm gleich bin. Das Gefühl zu ersticken lässt mich hochschrecken. Der Tag bricht an, im Halbdunkel des Morgengrauens ist die Sicht noch körnig, als überlappe das Traumgeschehen, dem ich grade noch entkommen bin die Wirklichkeit des frühen Morgens. Um mich zu beruhigen stehe ich auf und begebe mich auf die Terrasse. Alles in Ordnung. Im Westen kündigt eine Corona aus Licht über einem Meer aus Samt den Sonnenaufgang an. Alles nimmt seinen gewohnten Gang, alle GeStirne sind noch an ihrem Platz."

(...)

Ostafrika leidet unter der schlimmsten Heuschreckenplage seit 25 Jahren. Die Bauern kommen gegen die Plage nicht an, weil coronabedingt die Lieferung von Pestiziden ausbleibt. Die Pandemie stört komplexe, globale Wechselwirkungen, erst allmählich werden die Symptome deutlich. Deutschland lobt sich. Man freut sich wie ein Schneekönig weil man bisher so gut durch die Krise kam. Als wäre Deutschland allein auf der Welt. Was denkt ein Optimist, der aus dem Fenster einer Wohnung im 20. Stock stürzt, wenn er am 10. Stock vorbeifliegt? Bisher ist ja noch alles gut gegangen. 

Die kluge Unke springt gar nicht erst in den Topf.

Eine Studie von Lutz Thieme kommt zu dem Ergebnis, dass Olympiateilnehmer früher sterben als der Durchschnitt der Bevölkerung. Deutsche Olympiasieger sterben noch früher, als die Teilnehmer die leer ausgingen. Die Ergebnisse der Studie hat Thieme in der Zeitschrift "German Journal of Exercise and Sport Research" unter der Überschrift "Jung stirbt, wen die Götter lieben" veröffentlicht. Was lernen wir daraus? 1. COVID-19 wurde in die Welt gebracht, um Olympische Spiele zu verhindern (denn Sport ist Mord). 2. Erfolglosigkeit und mangelnder Ehrgeiz steigern die Lebenserwartung. 3. Ständiger Leistungsdruck und Wettbewerb machen krank und senken die Lebenserwartung. Alle Selbstoptimierer, die jetzt wie Heuschreckenschwärme über die Rad- und Laufwege herfallen und auf Friedhöfen Trauergäste verscheuchen sollten gewarnt sein. Alle Baumarktjunkies, die immer ein Projekt brauchen ebenfalls. Das Geheimnis eines langen Lebens besteht in der Befolgung des Ratschlags: Es gibt viel zu tun - lassen wir es bleiben.

Lassen wir Es schreiben. Ein mir gewogener Mensch rät mir, mich mehr ums Veröffentlichen in den sozialen Medien zu bemühen. Darum geht es nur am Rande. Bei jedem Buch, dass ich beginne bin ich gespannt, ob ich sein Ende erlebe. Ums Publikum kann man sich später kümmern wenn es denn noch da ist.  

Etwas bedenklich ist der Anblick der Highline auf meinem Schreibtisch schon. Von links nach rechts: Notebook, Kaffeetasse, Aschenbecher, Weinglas...es gibt ein Leben nach dem Tod. Für die Anderen. 

Während das Leben in den Hausgemeinschaften langsam erwacht, nur das leise Zischen von Wasserdampf aus Bügeleisen die über Masken gleiten die Stille bricht - Island in der guten Stube - gieße ich Schwedentrunk in den Wein meiner Begeisterung für Tegnell. 85% der Bevölkerung stehen hinter der Strategie der schwedischen Regierung. Mich würde der Altersdurchschnitt der 15% interessieren für die das nicht gilt.

Frage mich, warum ich so entspannt bin. Bessere Luft vielleicht, weniger akustischer Müll. Der Hauptgrund: als Sozialphobiker, der körperliche Nähe scheut und um Menschen eher einen Bogen macht verhalte ich mich endlich unauffällig. Niemand wundert sich, wenn ich den Passanten, die mir auf dem Bürgersteig entgegenkommen auf den Straßenrand ausweiche.

Auch die Schweizer Wirtschaft wird von der Corona-Krise voll erwischt. Der Umsatz an Kuckucksuhren fällt (im Gegensatz zu den Wanduhren) in den Keller.

Mögen Gemeinsinn und Rücksichtnahme die Regel sein, so gibt es Ausnahmen, von denen ich nicht glaube, dass sie die Regel bestätigen. Ein Pizzabote bekam die (lobenswerter Weise) heiße Pizza ins Gesicht, weil sie angeblich die Pizza ohne Salami bestellt hatte. Selbst dass stimmte nicht: "Die Polizisten hielten fest, dass Pizzaspuren im Gesicht und in dern Haaren des Boten mit den Angaben auf der Online-Quittung übereinstimmten: Mit Salami." (WAZ, 02. Mai 2020). 

Der Lokalteil der WAZ veröffentlicht jeden Tag die neuen Zahlen zu Corona am linken unteren Bildrand der Titelseite. Stand 01. Mai sind seit Beginn der Zählung im März 436 Infizierte gemeldet worden, aktuell infiziert sind 49 Personen, genesen sind 371 Personen, gestorben sind 16 Personen. Zum Vergleich: am 29. April waren 435 Infektionen gezählt worden, 59 Personen waren infiziert, 360 genesen, 16 verstorben. Bochum hat ca. 365.000 Einwohner. Angesichts dieser rückläufigen und niedrigen Zahlen kann man sich schon fragen, was denn jetzt Maßnahmen wie die Maskenpflicht und das Kontaktverbot für mehr als zwei Personen noch bringen sollen. Man darf gespannt sein, wie weit die Berücksichtigung regional verschiedener Gegebenheiten (wenn überhaupt) gehen wird.   

Der Arbeitgeberverband Pflege warnte am Freitag in Berlin die Bundesländer davor, die Besuchsregelungen in stationären Pflegeeinrichtungen zu lockern. "Altenpflegeheime dürfen nicht zum Spiel auf Leben und Tod werden." Da hat wohl eine Branche Angst, dass zu viele Menschen zu sehen bekommen dass Altenpflegeheime genau das sind. Wie heißt Russisch Roulette für Senioren? Pflegeheim.

Das Superlativ von Hirnverbranntheit ist eine halbseitige Werbeanzeige des Bundesgesundheitsministeriums in der WAZ. Es zeigt zwei auf etwa einen halben Meter Abstand nebeneinander stehende Frauen mit Maulkorb, die ihre Handflächen aneinander halten. Dazu der Slogan: Wir halten Abstand. Und trotzdem zusammen. JA WAS DENN NUN? Das kann auch nur aus dem Ministerium von jemandem kommen, der Masken verkehrt herum aufsetzt und volle Fahrstühle liebt.

Ups...bei genauem Hinsehen erkennt man den unterschiedlichen Bildhintergrund beider Frauen, auf den ersten Blick kaum zu erkennen. Die Botschaft: auch getrennt sind wir uns nahe. Die Kampagne war nicht hirnverbrannt sondern zu raffiniert für mich...spricht das für die Anzeige? Warum sollten zwei Personen Masken tragen, die keinen öffentlichen Raum teilen außer dieser halbseitigen Werbung? Ich korrigiere mich von hirnverbrannt zu durchdacht, aber misslungen.

Fußball ist ein Kontaktsport. Wenn das Hygienekonzept der DFL so brillant ist, dann gibt es wohl keinen Grund mehr, die Öffnung von Branchen zu verzögern, in denen es gar nicht zu physischen Kontakten kommt. Jedenfalls wäre dies das Signal welches von einer Wiedereröffnung des Spielbetriebs ausgeht. Ein Steilpass in die Tien der Geschäftsräume, Konzerthallen und Biergärten. Das nächste Gebot das kippen sollte - zurecht - ist die Beschränkung auf 2 Personen, die sich im öffentlichen Raum bewegen dürfen. 

Wenn die Vermutung zutrifft, dass die Immunität gegen COVID-19 nur ca. 3 Monate Schutz bietet, kann man nur sagen: Das ist doch was. Dann infiziert man sich im Mai und kann zwischen Juni und August mit dem befristeten Immunitätszertifikat des Gesundheitsministeriums (die sogenannte Spahnplatte) in die Sonne reisen. Für Risikoscheue wird es mit Sicherheit einen schwunghaften Handel mit IZs im Dark Net geben. Ich würde wohl diesen Weg beschreiten müssen, weil ich keine Ahnung habe wie ich in einer Stadt mit 375.000 Einwohnern an einen der 49 aktuell Infizierten gelangen soll. Wahrscheinlich existiert schon ein interregionaler Corona-Tourismus Gleichgesinnter, die sich als SeniorInnen verkleidet in Alten- und Pflegeheime einschleusen. Dort bringen sie die Greise zum Singen und erhalten ihre COVIDusche. Die Bewegung hat bestimmt schon einen Namen. Chorona?  

Der Ausdruck `Wirtschaft wieder hochfahren`: als würde man einen Computer, den man herunter fährt durch Betätigen eines Schalters einfach wieder in Gang setzen und alles ist sofort wieder wie zuvor. Mann wird sehen welche Updates erforderlich sind, damit die der `Gesellschaftscomputer´ wieder läuft, ohne sich aufzuhängen. Ob auch die Benutzer wieder wie gewünscht `hochfahren` muss sich erst erweisen. 

Sachsen-Anhalt und sein unfrisierter Ministerpräsident lassen Fünfe grade sein - Lockerung der Kontaktsperre. Bilder in den Straßen von Madrid wie von einem Stadtmarathon. Hoffnungssch(l)immer. Ich schlafe mit einem Daumen im Mund ein. 

   

45. 1. Mai 2020

Gestern Lanz in den Mai. Als Avatar zu Gast bei Lanzelot: Stephan Grünewald, der Verfasser von "Deutschland auf der Couch" ist Mitglied des Expertenrats von Armin Laschet. Er ist Psychologe, Marktforscher und Gründer des "Instituts für qualitative Markt- und Medienanalyse". Für seine Marktforschungsprojekte verwendet er Tiefeninterviews, von denen etwa 5000-7000 im Jahr durchgeführt werden. Zu seinen Kunden gehören zahlreiche Konzerne und Marken. Er liefert seinen Auftraggebern die Informationen, die einer passgenauen Beeinflussung des Konsumverhaltens dienlich sind. Armin Laschet (siehe die Casa Daniel Dettling) hat ein eiskaltes Händchen dafür, Experten um sich zu scharen, die aufgrund ihres Kundenkreises gar nicht erst im Verdacht stehen unabhängig zu sein. Dies außer acht lassend, weil die neue Normalität sich in diesem Punkt als deckungsgleich mit der alten Normalität erweist, kann man sich daran erfreuen, wie erstaunt Psychologen sind, wenn sie bei Auswertung ihrer Daten zu Resultaten gelangen, die auf der Hand liegen. Entgegen der propagierten Solidargemeinschaft, erläutert Grünewald und bewegt seine Hände dabei so, als setze er den Inhalt aus einem Überraschungsei zusammen, neigen die Deutschen derzeit zu Regression und Vereinzelung. Man könnte vermuten, dass diese Tendenz Reaktion auf die Kontaktbeschränkung und das Abstandsgebot ist, aber es ist in Ordnung, wenn 5000 Interviews zu Tage fördern, dass Wurzelbehandlungen mehrheitlich als unangenehm empfunden werden - solange jemand dafür zahlt freut sich der Marktforscher. Umso besser wenn es die öffentliche Hand ist, die ihr Füllhorn auch in Krisenzeiten öffnet, wenn es um die Forcierung bahnbrechender Erkenntnisse geht. Die zweite Überraschung, die Grünewald erlebt ist, dass einige mit dem Lockdown gut leben können und keine Eile mit seiner Beendigung haben. Sie genießen die Entschleunigung, die Abwesenheit von Druck und erleben die kontemplative Stille des ökonomischen Komas als Beginn eines Neuen Lebens - vorsichtig und tastend wie die Tiere, die Grünanlagen und Innenstädte als Terrain für sich erschließen. Da brat mir doch einer n Storch: einige Privilegierte, die sich um ihre ökonomische Situation (noch) keine Sorgen machen genießen ihre zusätzliche Freizeit, die Abwesenheit von sozialen Verpflichtungen, die Reduzierung von Dienstreisen und das Angebot von Streaming-Diensten, die sich dumm und dusselig verdienen. Da staunt das Publikum mit offenem Mund.

Ein neues Leben. Gerne. Aber mit Verreisen.

Mein alter Ego besuchen, das über dem Meer an Steilwänden klettern geht. Am Ende der Seillänge lecken Ziegen ihm den Schweiß von der Stirn.

Draußen schweigt das Demonstrationsrecht und der Straßenverkehr. Nur die Wolken marschieren, vom Wind of Climate Change mobilisiert. Pünktlich zum Mai Aprilwetter, das Landwirte hoffen lässt.

Ich zelebriere Kalsarikännit und verfolge gebannt die Serie `Fauda`, in deren Mittelpunkt der Alltag in dem unauflöslichen Konflikt zwischen Israelis und Palästinenser steht. Das Gewöhnliche der kontinuierlichen Todesgefahr illustriert eine Szene, in der ein kleiner Junge unbeeindruckt fernsieht, während um ihn herum eine wüste Schießerei tobt. Zeitlose Ausweglosigkeit, die frenetische Propheten der Pandemie als Game-Changer in die Schranken weist. Ändern werden sich die Ausgangspositionen von Staaten und Konzernen im globalen Wettbewerb - ein Grund für eine gewisse Gelassenheit wohlhabender Länder beim Registrieren der Wirtschaftszahlen und des body count. 

George Sorrows, der als Meister der Auslöser von und der Spekulation auf Währungskrisen zugleich schärfster Kritiker der von ihm perfektionierten Praxis ist und der als Hedgefonds-Guru, Multimilliardär, Philantrop, Autor und Karl-Popper-Anhänger (Sein Buch "Für die Verteidigung der offenen Gesellschaft" empfiehlt sich durchaus zur Lektüre) sämtliche Widersprüche Piketty´s Kapitalismus ohne Persönlichkeitsspaltung auf sich vereint hat die Lösung aller Probleme der EU mit der Corona-Krise, dem Klimawandel und der Flüchtlingskrise. In einem Essay von poetischer Kürze und ergreifender Schlichtheit schlägt er vor, die EU möge sogenannte Consols, ewige Anleihen mit unbegrenzter Laufzeit in Höhe von 2 Billionen Euro ausgeben. Diese Anleihen wären verzinst, aber nicht rückzahlbar. Deutschland, wie er hervorhebt, würde aufgrund des derzeitigen Negativzins sogar profitieren. Greift man nicht zu diesem Instrument geht erst die EU unter, dann stirbt die Menschheit aus. Lesenswert ist das (George Soros, "Die EU muss sich zusammenraufen - oder sie zerfällt", SPON, 1. Mai 2020). Dennoch verblüfft der schon rührend unerschütterliche Glaube daran, dass Geld die Probleme beseitigt, die erst durch den verdammten Hunger nach Geld hervorgerufen werden. Dieser Glaube spiegelt sich in der Biografie einer schillernden Persönlichkeit, die erst die zerstörerische Kraft der Wette auf den Niedergang von Volkswirtschaften mit allem damit verbundenen Elend entfaltet und den erwirtschafteten Wohlstand dann ins Gemeinwohl reinvestiert.  

An Tagen ohne Corona-Berichterstattung leide ich unter Beklemmungen. Selbstzweifeln. Ohnmachtspantasien. Fracksausen. Vor allem aber daran, dass ich vergaß Wein und Cashew-Kerne zu kaufen. Letzteres lässt sich durch einen Gang zur Tankstelle beheben. Gegen Selbstzweifel hilft eine Schreibpause. Schließlich schreiben sich derzeit so viele Homeofficer die Finger wund - und beklagen sich darüber, dass jetzt Hinz und Kunz öffentlich ihren Senf zu den Corona-Debatten hinzugeben - dass mein Fehlen nicht auffällt. 

Verdrängt hatte ich einen Beitrag zu Lebendtiertransporten in der Sendung 37 Grad. Kurz zusammengefasst: Rinder und Schafe, die als Schlachtvieh auf Schiffen um die halbe Welt geschickt, bei brütender Hitze und klirrender Kälte eng zusammengepfercht über Land transportiert werden, damit ihnen vom Empfänger ohne Betäubung die Kehle durchgeschnitten wird. Geboren um Martyrien zu erleiden, die Profit durch den Verkauf von Fleisch und Leder generieren. Kühe, die fast verhungert und verdurstet nicht mehr laufen können, werden per Lastkran aufgehängt an einem einzelnen Huf von Schiffen transportiert. Ihre Knochen brechen dabei unter ihrem eigenen Gewicht. Bei der Schächtung drücken die Schlachter dem Tier ein Auge in den Schädel, damit die Schmerzstarre den Schnitt durch die Kehle erleichtert, nachdem die Tiere noch minutenlang leben. Exporte aus Brasilien, die von Spanien aus über das Mittelmeer in die Türkei, nach Lybien, in den Libanon verschifft werden. Ein Leben nur für das Leiden und einen qualvollen, durch religiöse Rituale gerechtfertigten Tod. Der Beitag beschränkt sich auf die Brandmarkung von Zuständen jenseits des europäischen Binnenmarktes, die abstoßend, entsetzlich, erschütternd sind - und einseitig. In Europa, grade in Deutschland, geben die Bauern sich entsetzt, wenn sie erfahren, was Kälbern zustieß, die von ihren Höfen an Viehhändler verhökert wurden. Dabei sind diese Kälber Abfallpodukte der Milchproduktion, die durch künstliche Befruchtung der Milchkühe angeregt wird, und die man dringend los werden möchte, weil sie Kostentreiber sind. Die Reportage ist beklemmend und perfide zugleich, weil sie die Massentierhaltung in Europa durch Fokussierung auf die Grausamkeiten in der Türkei und Nordafrika verharmlost. Dennoch ist es angemessen sie parallel zur omnipräsenten Corona-Berichterstattung auszustrahlen, denn sie wirft die Frage nach der Verhältnismäßigkeit auf, die allenthalben durch die Berichterstattung geistert: wie viel Leid und Schmerz anderer Lebewesen ist für unser eigenes Wohlbehagen gerechtfertigt? Wenn wir Lebewesen quälen und grausam töten, damit wir religiösen Ritualen frönen und Lederschuhe tragen können, ist es eine Illusion, dass wir mit unseresgleichen besser umgehen, wenn dies unseren Interessen nicht dient. Solange es Schlachthöfe gibt, gibt es auch Krieg schrieb einst Leo Tolstoi. Viel wird angesichts der Bedrohung unserer Lebensweise geredet über die Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte, nicht selten verbunden mit der dezenten Aufforderung zu Menschenopfern. Verfassung wird hier so gedeutet, dass für das Wohlergehen der Gesellschaft die Wehrlosen zum Teufel gehen sollen, die schlicht als Fremdkörper der Gesellschaft definiert werden - noch weniger wert als ein Nutztier, schädlich wie ein Virus. Mitten unter uns wird dieselbe Geringschätzung des Lebens salonfähig, die sich in unserem Umgang mit Tieren äußert: eine Geringschätzung des Leides und Schmerzes anderer. Die Welt nach Corona wäre nur dann eine bessere, wenn wir anerkennen, dass im Leid alle Kreaturen gleich sind. 

Da ich heute nicht bis in das Morgengrauen des nächsten Tags hinein auf Monitore starren muss, die das EEG des ungesunden Volksempfindens abbilden verabschiede ich mich bis morgen mit dem Hinweis auf einen Artikel auf Spektrum.de SciLogs von Stephan Schleim: "Von der fehlenden wissenschaftlichen Begründung der Corona-Maßnahmen" vom 23.April 2020. Darin folgert Stephan Schleim - ausgehend von Überlegungen des Psychologieprofessors Christof Kuhbandners - aus vielem Bedenkenswerten viel Zweifelhaftes. Er kommt aus nachzulesendem Grund zu der Schlussfolgerung, dass die Anzahl der Neuinfektionen in ihrer Bedeutung überschätzt wird  (im Kern: erstens ist es aufgrund der Differenz von Meldedatum und unbekanntem Zeitpunkt der Infektion verfehlt von Neuinfektionen zu reden, zweitens sind vermehrte Neuinfektionen ein statistischer Effekt der exponentiell zunehmenden Anzahl von Tests) und dass daher auch die Grundrechtseinschränkungen durch die Bundesregierung überzogen sind. Unterstellt man, Schleim und Kuhbandner hätten mit ersterem Recht, heißt das nicht dass die Maßnahmen der Regierung überzogen sind - dies mag zwar auch sein, hat aber mit der Überschätzung der Neuinfektionen wenig zu tun. Nicht dass ich Regierungen nicht zutraue auch gegen besseres Wissen nach dem Motto zu verfahren: Heute stehen wir am Rande des Abgrundes, morgen sind wir einen Schritt weiter, weil sie partout nicht zugeben wollen, dass Schweden Recht hat, jedoch ändert eine geringere Anzahl an Neuinfektionen nichts an der absoluten Anzahl der Toten. Dann ist der Virus zwar weniger infektiös, dafür aber proportional tödlicher. Die Gefahr bliebe dieselbe, die Maßnahmen der Eindämmung wären vergleichbar.

Ich verabschiede mich vom Tag der Kurzarbeit mit dem Zitat einer politischen Aktivistin im Libanon, die bei einer Massenkundgebung während Corona-Lockdown klar stellte: Ich habe keine Angst vor Corona, ich habe Hunger. Erst kommt das Fressen, dann COVID-19. Sehr richtig. Verhungert hat man nichts davon gesund zu sein. 

 

44. 30. April 2020

Morgen. Zwar regiert Corona, aber es wird auch weniger gehustet: eine Studie von Experten rund um Jos Lelieveld vom Max-Planck-Institut für Chemie ergab, dass 6600 Fälle von Asthma dank verringerter Luftverschmutzung allein in den ersten zwei Wochen des weltweiten Lockdowns vermieden werden konnten ("Zahl des Tages", WAZ vom 30. April 2020). 

Trump kann immer noch eins drauf setzen. Fabuliert von vollen Baseball-Stadien. Von der aufregenden Neueröffnung des Landes und der umgehenden Rückkehr zum Leben wie es vorher war. Ergo: Rassendiskriminierung, Chauvinismus, Fremdenfeindlichkeit, Fakenews, Ignoranz von Klimaabkommen, Abbau von Sozialleistungen, Protektionismus, Nationalismus. 

Erfreulich: der Beitrag "Vorzeigestaat Griechenland." (Tagesschau.de, 29.04.2020). Was wurde auf die siechen Griechen in der Vergangenheit eingeprügelt (insbesondere von Wolfgang Schäuble). Im Umgang mit dem Coronavirus entpuppt sich Griechenland als "Musterland der Bekämpfung der Pandemie". Das Geheimnis der niedrigen Infektionsrate besteht darin, dass die griechische Regierung bereits im Dezember 2019(!) den Virologen Sotiris Tsiodras zum Corona-Sonderberater ernannt hat. Früher als in allen anderen Ländern wurden die Dimensionen der Gefahr durch COVID-19 erkannt und Maßnahmen zur Eindämmung ergriffen. Lediglich 138 Tote seit Ausbruch der Pandemie sind eine bemerkenswerte Bilanz. Ein Teil des Erfolges könnte darin begründet sein, dass die Bevölkerung bis hin zu den kleinen Kindern für das Thema sensibilisiert wurde: "Wenn Sotiris Tsiodras Stimme jeden Abend um Punkt 18 Uhr im griechischen Fernsehen leise einen `Guten Abend´ wünscht, dann ermahnen Eltern ihre Kinder: Seid ruhig. Doktor Tsiodras ist im Fernsehen."

Sollte Griechenland frühzeitig Insidertipps erhalten haben? Wohl kaum. Alle anderen Staaten verleitete die Gier zur Unterschätzung der Gefahr. Schließlich wollte man noch das Geschäft mit dem Wintersport, den Bierzeltfesten und dem Karneval mitnehmen. Es wäre den Griechen zu gönnen, wenn sie aufgrund ihrer raschen Erkenntnis hinsichtlich des zu erwartenden Ausmaßes der Katastrophe durch frühen Erwerb von Technologie- und Pharmazieaktien den Staatshaushalt saniert haben.  

Auch das RKI neigt gelegentlich zu sibyllinischer Zahlenmystik, die mehr verschleiert als klärt und damit Konspirationsspürhunde wie Wolfgang Kubicki auf den Plan ruft. Der ominöse R-Wert ist derzeit überraschend niedrig. Er sinkt parallel zu einer Änderung des Vorgehens bei der Schätzung der aktuellen Neuinfektionen. Statt auf einem Drei-Tage-Mittel basiert die Schätzung auf einem Vier-Tage-Mittel. Die zahlreichen Nachfragen der bei der Pressekonferenz anwesenden Journalisten zum Zusammenhang zwischen der Änderung des Erhebungsdesigns und dem sinkenden R-Wert beantwortete ein Statistik-Experte in einer idiomatischen Weise, die Professor Wieler zu dem Vorschlag veranlasste, für die Journalisten ein Seminar zu der Ermittlung und Bedeutung des R-Wertes zu veranstalten (er hatte seinen Experten auch nicht verstanden).

Soviel habe ich verstanden: die Änderung beim Erhebungsdesign führt nicht zu gravierend anderen, sondern nur zu präziseren Resultaten des Nowcasting, also der Vorhersage eines gegenwärtigen Zustandes aufgrund zurückliegender, nicht aktueller oder nicht vollständiger Daten. Der Wechsel von einer Dreitage-Mittlung zu einer Viertage-Mittlung dient lediglich der Glättung des Nowcasting. Man kann den Prozess der Glättung vergleichen mit dem Filtern von akustischem oder optischem Rauschen. Es werden Daten eliminiert die das Bild verzerren, so dass es klarer und näher an der Wirklichkeit ist.  

Detlef Scheele, der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, hat sichtbar Mühe die Fassung zu bewahren und sich nicht zu verschlucken als er die Zahl von über 10 Millionen Anträgen auf Kurzarbeit verkündet - deutlich mehr als erwartet, was dafür spricht, das das Ausmaß der sozialern Folgen der Pandemie noch immer deutlich unterschätzt wird.

Endlich hört man mal wieder etwas von Gregor Gysi, der die Phönix-Runde aufmischt, indem er den Unsinn bestimmter Maßnahmen aufdeckt, wie zum Beispiel der Soforthilfe für Künstler und Selbständige in Höhe von 9000,00 €, die aber nur für Betriebskosten verwendet werden dürfen, welche die Soloselbständigen gar nicht abrechnen können, weil sie die nicht haben. Sehr wohl haben sie Miet- und Lebenserhaltungskosten, zu deren Deckung die Soforthilfe nicht eingesetzt werden darf. So kafkaesk wie die Senkung der Umsatzsteuer auf nicht entstehende Umsätze.

Videokonferenzen, Homeschooling, Bildstörungen, plötzlich stillstehende Mimik. Wenn der Trend soziale Interaktion bis hin zum Sexualverkehr online - Liebe in Zeiten von Corona - zu gestalten sich fortsetzt, werden wir eine Kultur der uns substituierenden, abgehackten Avatare. Der physische Kontakt als Infektionsrisiko transformiert das Globale Dorf in eine globale Sim City - die bei der ersten Computervirus-Pandemie kollabiert. Und in Deutschland ohnehin nur funktioniert, wenn man bei der Digitalisierung Entwicklungshilfe von Uganda annimmt, wie Gysi süffisant anmerkte.

Hört man UnternehmerInnen wie Sarna Röser, der Bundesvorsitzenden der jungen Unternehmer, und ihren professoralen Fürsprechern zu, dann wäre der beste Weg aus der Krise die Unternehmen genau so gewähren zu lassen wie vor der Krise. Die immensen Beträge, die jetzt für die Stützung der Wirtschaft aufgewendet werden und die zukünftig durch die Steuerzahler zu finanzieren sind, wären folglich an keinerlei Bedingungen geknüpft, auch nicht an die Bedingung der dringend erforderlichen Umgestaltung der Produktion hin zu ökologischer Nachhaltigkeit. Wie vernagelt muss man sein, wenn man als 32-jähriger Mensch, der die Folgen des Klimawandels noch Jahrzehnte zu spüren bekommen wird, auf ein Einfach-weiter-so als Konzept zur Krisenbewältigung setzt? 

Hüten muss man sich davor, diverse Aussagen von interessierten Parteien und Personen auf den Lobby-Plattformen der Talk-Shows für repräsentativ zu halten. Wenn zum Beispiel Blackrocker Friedrich Merz fordert, die Lockerungen zu erweitern, da die Stimmung der Bevölkerung kippe so hat er zwar Recht, aber die Stimmung kippt nicht in die ihm genehme Richtung. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes YouGov gehen 52% der Befragten die Lockerungen zu schnell. Die Forderung "Zuhause Bleiben" bedeutet wohl, dass mehr fern gesehen wird denn je. Die mediale Repräsentation der Wirklichkeit droht als Wirklichkeit missverstanden zu werden, wenn die Abschottung von der Außenwelt und die Einschränkungen des Austausches mit anderen Personen zur Normalität gerinnen. Dann wird es zunehmend schwierig geformte Realität und objektive Fakten auseinander zu halten. Umso wichtiger ist es, sich bei jeder öffentlich getätigten Äußerung in den Medien darüber kundig zu machen, wen und welche Interessen ihr Urheber repräsentiert. Nur weil jemand Professor ist, bedeutet das nicht seine Unparteilichkeit. 

Eine Katze ist jetzt aus dem Sack: "Bundesregierung will Immunitätsausweis einführen" (Kristiana Ludwig, Max Muth, Süddeutsche Zeitung, 29.04.2020). Hierzu wurde im Kabinett ein Gesetzentwurf verabschiedet. `Dies,´ so Jens Spahn, `sei eine Chance, dass Bürger unbeschwerter bestimmten Tätigkeiten nachgehen könnten.´ ... Zum Beispiel Flugtickets buchen...

Die Pläne von Behörden und Unternehmen gehen längst weiter: "Längst denken Unternehmen und Behörden über einen digitalen Immunitätsausweis nach. (...) So eine App wird Menschen vom gesellschaftlichen Leben ausschließen." (Jannis Brühl, "Heikle Experimente auf dem smartphone", Süddeutsche Zeitung, 29.04.2020).

Phoenix persönlich - ein Interview mit der Medizinethikerin Christiane Woopen, die Solidarität wie folgt definiert: "Jeder ist für jeden da." Ein solches Solidaritätsverständnis wäre identisch mit einem Maß an Selbstverleugnung, das selbst eine Borg-Drohne als unzumutbare Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit beklagen würde. Ihre Gleichsetzung des Lebenssinns mit Arbeit passt besser zu einer Protestantin als zu einer überzeugten Katholikin. Dass sie anmahnt auch die Verschlechterung der Situation der Obdachlosen, psychisch Erkrankten und von häuslicher Gewalt Betroffenen müsse sei zu berücksichtigen ist zwar nicht unsympathisch, aber dass es nicht darum gehen darf, deren Status Quo vor Corona wiederherzustellen, sondern darum die Ursachen von Obdachlosigkeit, psychischer Erkrankung und häuslicher Gewalt zu bekämpfen geht ihr dann doch zu weit. Immerhin gibt sie klar der Freiheit den Wertvorzug vor der Gesundheit, ohne dies als Freiheit der Wirtschaft zu interpretieren, zu der die Unfreiheit der Vulnerablen gehören soll. Zudem lässt sich - nimmt man die Gesundheitsdefinition der WHO ernst - Gesundheit nicht von Freiheit trennen (denn Gesundheit ist eben nicht einfach nur Abwesenheit von Krankheit). Unfreiheit ist eine Krankheit: der Gesellschaft, die sie fordert und der Betroffenen, die unter ihr leiden. Wenn Menschen die Wahl hätten, sagt sie, das Leben `gesund` in Gefangenschaft zu verbringen, oder in Freiheit unter der Inkaufnahme von Krankheitsrisiken würden sich wohl alle für Letzteres entscheiden, was mir ein wenig blauäugig erscheint, aber ok. Es könnte schlimmere Vorsitzende eines Ethikrats geben. Zum Beispiel Boris Palmer.

Die von der Bundesregierung und den Ländern beschlossenen Lockerungen machen sich die Sache mit der Freiheit einfach: Freiheit = Shoppen = Konjunktur. Vielleicht hätten sie sich etwas länger mit Frau Woopen unterhalten sollen - oder auch mit ihren Bürgern. Die Bürger haben keine Lust darauf, ihre Bewegungsfreiheit in Fußgängerzonen auszuüben und ihre Handlungs- und Entscheidungsfreiheit aufs Kaufen und die Wahl des Designs ihrer Masken zu beschränken. Die Schlangen vor den Fahrradläden sind ein Fingerzeig darauf, dass eine kanalisierte Bewegungsfreiheit unter den Bedingungen des sozialen Abstandes und der Verhüllung eher als unangenehme Beschränkung empfunden wird. 

Eine erstaunlich lebhafte Pressekonferenz gab das Da-Da-Da-Trio Söder, Merkel, Tschentscher. Angela Merkel ließ ihrer Begeisterung für den wissenschaftlichen Prozess, der täglich etwas Neues zu Tage fördert, so vehement freien Lauf, dass beinahe Bedauern über ihre Berufswahl durchschimmerte. Eine gewisse kindliche Faszination für den Untersuchungsgegenstand Corona und seine den Forschergeist herausfordernden Facetten war unverkennbar. Für Angela Merkel ist die Corona-Katastrophe in gewisser Weise Jungbrunnen und Versöhnung zugleich: ihre naturwissenschaftliche Ader und ihre politischen Fähigkeiten ergänzen sich. Arbeitswissenschaftlich formuliert: Ihr Job ist erfüllend und spricht optimal den Kohärenzsinn an. Das ist gesund. Markus Söder gibt glaubhaft und lebendig einen begeisterten Anhänger des durch Gerichte und die freie Presse korrigierten und kontrollierten demokratischen Rechtsstaats und watscht mit gebotener Entschiedenheit Asozialdarwinisten vom Schlag eines Tübinger OBs ab. Herr Tschentscher bleibt Herr Tschentscher, nüchterner Hanseat, der freier und lebhafter redet als sonst. Das hatte nichts Salbungsvolles, nichts Aufgesetztes und man konnte sich auf einmal vorstellen, es mit Menschen aus Fleisch und Blut zu tun zu haben, bei denen man sich sogar vorstellen kann, dass sie ab und zu mal aus reiner Lebenslust gegen die selbst verordneten Kontaktbeschränkungen verstoßen. Die Lockerungen die verkündet wurden sind aus meiner Sicht keine Kleinigkeiten, sie setzen an kulturellen und sozialen Bedürfnisse an (Zoobesuch-endlich wieder Fernsehprogramm für die Tiere und Vermeidung der Schlachtung von Zootieren um Fütterungen für Raubtiere zu gewährleisten - Museen, Spielplätze etc.) und sind mehr, als man von diesem Zwischentreffen erwarten durfte. Wenn es eine Show war, dann keine schlechte - dementsprechend statisch und einstudiert wirkten die anschließenden Einlassungen der Opposition. Das ändert nichts daran, dass ich das schwedische Modell dem deutschen Vorgehen vorziehe, aus Gründen die bei capital.de nachzulesen sind: Maike van den Boom, "Schwedens Corona-Weg - ein Leadership-Modell der Zukunft?", capital.de, 30.04.2020. Dass dieser Artikel in einem Wirtschaftsmagazin erscheint verwundert nicht: mehr Freizügigkeit, mehr Geschäft, weniger lockdown, mehr Kunden.   

Maskenzwang auch für Tiere. Im Netz kursieren zahlreiche Videos von Haustieren, deren Besitzer ihre Lieblinge mit Masken vor einer Infektion mit COVID-19 schützen wollen. Aufgrund der Beschaffenheit der Masken ist dieses Vorhaben von überschaubarem praktischen Wert. Doch bei seltenen, vom Aussterben bedrohten Tierarten ist das Risiko einer Zoonose vom Menschen auf das Tier tatsächlich gegeben. Eigentlich nichts Neues: die schlimmste Bedrohung für die Tierwelt ist der Mensch. Tierbetreuer und Tierschützer werden aufgrund der Corona-Pandemie unfreiwillig zur Bedrohung für ihre Schützlinge - eine Situation die derjenigen in Pflegeheimen und Krankenhäusern entspricht. Es wäre zu begrüßen, wenn aus einem wachsenden Bewusstsein der Menschen dafür selbst eine bedrohte Art zu sein ein anderer, respektvoller Umgebung mit Tieren entsteht - zum eigenen Nutzen, denn der Erhalt und Schutz der natürlichen Umgebung unserer tierischen Nachbarn beugt Zoonosen und damit weiteren Pandemien vor.

Armin Laschet verwandelt kurzerhand 10,2 Millionen Anzeigen der Arbeitgeber, aus denen sich die Anzahl der für Kurzarbeit in Frage kommenden  Beschäftigten ergibt, in 10,2 Millionen Beschäftigte, die sich in Kurzarbeit befinden. Über den Umweg der angenommenen Gesundheitsgefährdung dieser Beschäftigten, die sich überwiegend noch gar nicht in Kurzarbeit befinden, gelangt er zur Notwendigkeit weiterer und schnellerer Lockerungen. Jeder erfindet sich die Fakten, die er braucht.  

Nicht ohne Witz ist folgender Werbeslogan der Apotheken-Umschau: Was Sie jetzt in Corona-Zeiten über Gesichtsmasken wissen müssen.

Auch ein veritabler Verfassungsexperte wie Udo di Fabio ist nicht gefeit davor Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Auf die Frage wie er Wolfgang Schäubles Aussage zur Relativität des Wertes menschlichen Lebens bewerte antwortet er bei Maybrit Illner: Die Gesellschaft nehme 5000 Verkehrstote pro Jahr in Kauf, ohne Automobile zu verbieten und nehme Influenza-Tote in Kauf, ohne per Lockdown die Ausbreitung der Grippe zu unterbinden, beides aus Gründen die etwas mit der Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen zu tun haben, die man zur Vermeidung von Gefahren für Leib und Leben ergreift. Das ist aber etwas völlig anderes, als gezielt und bewusst das erhöhte Sterberisiko einer bestimmten, besonders verletzlichen Bevölkerungsgruppe herbeizuführen oder diese Bevölkerungsgruppe komplett vom sozialen Leben zu isolieren. Der Verfassungsbruch bestünde entweder in der Verletzung der Menschenwürde bei Isolation, oder in der Verletzung des Rechtes auf Unversehrtheit. 

Im Falle der Verkehrstoten findet eine diskriminierende Differenzierung wie oben geschildert nicht statt und es wird nicht gezielt für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe das Sterberisiko erhöht, im Falle der Grippe existiert ein Impfstoff und sie ist weit weniger infektiös. Di Fabio ignoriert diesen Unterschied. Er erweist sich als ein weiterer Türöffner, der seine tendenziöse Aussage in eine weite Robe aus Einerseits/Andererseits kleidet.

Markus Lanz darf im Zusammenhang mit dem Thema Öffnung der Schulen endlich wieder sein Lieblingswort Maskenpflicht mit drei Ausrufezeichen aussprechen. Ansonsten entpuppt sich die Sendung als Wiederholung von Illner mit anderen Gästen (darunter Alexander Lambsdorf, der Antikörper der FDP).

Ich gratuliere vor der Nachtruhe ohne Nachtjournal noch Captain Moore zum Hundertsten und zur Beförderung in den Rang eines Colonels, dann bette ich mich zur Ruhe und träume von Räuber Hotsenspots.

 

43. 29. April 2020

Morgens ist der Supermarkt um die Ecke nahezu menschenleer. Kunden schützen mittels Maulkorb 10 Meter weit entfernte Kunden vor dem Tröpfchensturm ihres mürrischen Schweigens. Abstand halten ist mühelos möglich. Aber die wenigen Kunden, die heute einkaufen genügen um die Atmosphäre einer Intensivstation zu verbreiten, in der das OP-Team grade vergeblich um das Leben eines Patienten kämpfte. Es herrscht eine gespenstische Stille.

Das war gestern. Heute begebe ich mich nur ins Einkaufszentrum, weil sich dort der Kiosk befindet, an dem ich regelmäßig meine Zeitung kaufe. Also 2 Minuten Mundschutz für den Erwerb einer Zeitung. Mir ist bewusst, mich ebenso am Thema Maulkorb abzuarbeiten wie der von mir viel verspöttelte Markus Lanz, nur mit entgegengesetzter Ladung (Maske + vs. Maske -). Der Grund besteht darin, dass ihre psychologische Wirkung nach meinem Empfinden weit über die vordergründig beabsichtigte Signalwirkung (Rücksicht durch Vorsicht) hinaus geht. Es besteht eine Verpflichtung, das eigene Sprechen als Risiko für andere zu stigmatisieren. Freie Rede, unzensiert durch einen zwangsverordneten Filter, gerät zu einem Fehlverhalten - bisher nur in bestimmten Bereichen des öffentlichen Raumes. Je präsenter die Maske wird, desto leichter gerät ins Visier der Ordnungsmächte und der Denunzianten, wer sich nicht den Mund verbieten lässt.

N24 brachte heute einen Bericht über den Gaskrieg im 1. Weltkrieg, in dem den Soldaten - inklusive Anleitung zum Selberbasteln - das Tragen ebenso unzureichender Masken empfohlen wurde, die eine frappierende optische Ähnlichkeit mit dem aktuellen Mund-Nasen-Schutz aufweisen.

Bemerkenswert: Im Land der generellen Maskenpflicht kippt das Prager Amtsgericht sämtliche Bewegungseinschränkungen. ("Tschechien: Es lebe die Freiheit", Deutsche Welle, 28.04.2020). "Tschechen dürfen sich ab sofort in ihrem Land frei bewegen und sogar ins Ausland reisen." Zunächst stimmt mich diese Meldung heiter - bis ich den zitierten Artikel vollständig lese und feststelle, das dieses Urteil ein Muster ohne Wert ist, da die Regierung es mehr oder minder ignoriert. 

Nicht bewusst war mir bislang, dass seit dem 21. März Saarländer ihre Wohnung nur noch aus triftigem Grund verlassen durften. Dagegen hat ein Saarländer Bürger geklagt und vorm Verfassungsgerichtshof Recht bekommen. Gut. 

Den bislang perfidesten Versuch, das Elend von Menschen zu instrumentalisieren um die Wirtschaft von ihren Zwängen zu befreien, unternimmt kein Konzernchef, sondern der grüne Politiker Boris Palmer: "Ich sage es Ihnen mal ganz brutal: Wir retten in Deutschland möglicher Weise Menschen die in einem halben Jahr sowieso tot wären (...) Der Armutsschock, der aus der weltweiten Zerstörung der Wirtschaft entstehe, bringt nach Einschätzung der UN hingegen Millionen Kinder ums Leben." Wenn ich mich nicht irre ist es grade das weltweite Wirken der Wirtschaft gewesen, das für Hunger und Kindersterblichkeit in weiten Teilen der Welt verantwortlich ist. Die Ursache der Misere soll also deren Lösung sein, und am Besten überlässt man denen, die derzeit unter Lockerung gerne eine Aufweichung der Klimaziele verstanden haben wollen, auch die Behebung der Klimakrise (Nieder mit dem Packeis - Freiheit für den Nordpol und die Nord-West-Passage). In Hoffnung auf dieses Wunder mit einer negativen Wahrscheinlichkeit können ruhig ein paar Millionen SeniorInnen eher sterben. Der Brutalo, der das Unsägliche sagte ist immerhin Tübingens Oberbürgermeister, also mit politischer Macht und Verantwortung ausgestattet. Am besten bleibt man als Tübinger forever young.

Leider leistet der Widerspruch zwischen dem Schutz der vulnerablen Gruppen als oberstes Ziel des lockdowns und dem Sterben in Krankenhäusern und Pflegeheimen der Lockerungs-Krawallerie Vorschub. Wenn das Ziel der Freiheitsbeschränkungen offenbar verfehlt oder durch das Fehlen von wirkungsvollen Schutzmaßnahmen gar konterkariert wird wozu dann die Stilllegung von sozialem und ökonomischen Leben?

"Wir alle leben jetzt im Corona-Staat, und das ist ein furchteinflößender Ort. (...) Gäbe es keine Wahlen, dürfte man diesen Staat Corona-Diktatur nennen, mit der schaurigen Eigenschaft, dass der strengste Diktator den größten Zuspruch erhält." Entsetzt sich der Münchener Merkur. Der als politisch konservativ gilt.

Josef Sanktjohanser, der Präsident des Hauptverbandes des Deutschen Einzelhandels, beziffert die Umsatzverluste im Bereich Non-Food auf derzeit 1,2 Milliarden Euro täglich. Daran sieht man wie viel überflüssiges Zeug normaler Weise gekauft wird. Als einen Grund für die Kaufunlust der Konsumenten identifiziert Sanktjohanser die Maskenpflicht. 

Bei der Phönix-Runde "Familien am Rande des Nervenzusammenbruchs" diskutieren eine Abgeordnete der Grünen, die ehemalige Familienministerin, ein renommierter Wissenschaftsjournalist und ein Redakteur der ZEIT - allesamt Eltern mehrerer Kinder - über die Nöte von Familien in Zeiten des lockdowns. Ein wenig so als ob Plantagenbesitzer über die Nöte von Sklaven reden. 

Schlagzeile in der WAZ: Bayer trotzt der Corona-Krise. Doll. Wie machen die das bloß mit den beiden abwegigen Kerngeschäften Gesundheit und Ernährung? Imponierend. Warum orientieren sich nicht die Gastronomie und die Tourismus-Branche an diesem leuchtenden Beispiel?

Ist Corona ein Ungeziefervernichtungsmittel der Aliens? Jedenfalls wird ein veritabler Verschwörungstheoretiker es nicht für Zufall halten, dass das Pentagon grade jetzt Ufo-Videos veröffentlicht. Erfolgreich wäre das Mittel. Schon jetzt sieht die ILO jede zweite Arbeitskraft weltweit in ihrer Existenz bedroht. 

In Anbetracht der dramatischen Konsequenzen aus der Pandemie und deren sozialem Fallout mag die Nörgelei über die bescheidenen Auswirkungen auf das eigene Leben kleinkariert scheinen. Man ist aber eben nicht nur Teil einer diffusen Weltgemeinschaft, deren sie durchziehenden, scharfen Gegensätze sie als das Gegenteil einer Gemeinschaft entlarven. Zur Würde des Menschen gehört das Recht auf seine eigenen Sorgen und Ängste. Die Aussicht auf ein weiteres Leben, in dem Freunde zu Unberührbaren und potenziellen Killern avancieren raubt mir den Verstand und die Lebensfreude. Eine vergleichsweise kleine Not, aber eine Not.

Mein SOS an mich in der Welt, die so blieb wie ich sie gewohnt war bleibt ohne Reaktion. Die mail muss jemanden erreicht haben. Keine Reaktion, aber auch keine Fehlermeldung.

Die Börsenkurse steigen. Kein Wunder. Jede Menge verzinste Staatsanleihen, irgendwann springt die Wirtschaft wieder an, wenn nicht ist eh alles egal. Außerdem weiß man welche Branchen profitieren werden wenn es in Zukunft noch Branchen gibt.

Die Realisten in der Tourismusbranche gehen davon aus, dass frühestens 2023 Reisen in der uns gewohnten Form wieder möglich sein werden. Thomas Bareiß, Tourismusbeauftragter der Bundesregierung antwortete auf Nachfragen zur Zukunft des Tourismus im ZDF heute journal so klar und verständlich wie Brad Pitt in Schweine und Diamanten.

Über die Naivität der Vertreter der Wirtschaft kann man nur staunen. In ihrer Verzweiflung fordern sie Öffnungen. Gesetzt den Fall alle Wirtschaftszweige dürfen wieder ihrem Geschäft nachgehen - gäbe es dann ein nennenswertes Geschäft?

Herr Kekule ist bei Frau Maischberger der nächste Türöffner. Er äußert sich nun politisch: die Gesellschaft müsse sich fragen wie wir leben wollen. Er plädiert dafür, dass man den Jüngeren die Gelegenheit geben solle sich zu infizieren, während man die Älteren gesondert schütze. Er will den lockdown rückgängig machen, weil sonst die Kollateralschäden zu groß wären. Wer ist das wir, das fragt wie wir leben wollen, wer ist die Gesellschaft die sich das fragt, wer maßt sich an das Wie für Wen zu definieren? Gehören die unserer Wirtschaft belastenden Personengruppen überhaupt noch zur Gesellschaft? Sourct man Ältere und Vorerkrankte in Konzentrationslager aus? Herr Kekule schlägt vor einen Grenzwert für die Zahl der Covid-19-Toten zu definieren, der sich an den jährlichen Todesopfern der Influenza orientiert. 15000 zusätzliche Tote pro Jahr wären ok, wenn dafür Tourismus, Gastronomie und Fußballbundesliga wieder florieren. Wie man es dreht und wendet: es läuft darauf hinaus, das Sterberisiko für diejenigen zu erhöhen, die besonders durch COVID-19 gefährdet sind, nachdem man zuvor alle Freiheitsbeschränkungen damit begründet hat genau diese Menschen schützen zu wollen. Wenn jedes Leben gleich viel wert ist darf die Frage nach dem Kosten-Nutzen-Verhältnis des Aufwandes den man zum Schutz gefährdeter Leben betreibt nicht ernsthaft gestellt werden. Wird sie aber. Boris Palmer weiß sogar, dass die betroffenen Personengruppen sowieso nur noch ein halbes Jahr leben werden. Gibt es in Tübingen einen Stichtag, ab dem das Klinikpersonal erzwungene Sterbehilfe leistet? Läuft auf den Bildschirmen über den Betten Soylent Green? Wie sehr ich die Welt nicht mehr verstehe kann man daran erkennen, dass ich beginne mit Markus Lanz und "Fliege" Lauterbach sympathisiere. Ich feuere Lanz an, wenn er sich über Boris Palmer empört und nicke eifrig, wenn Lauterbach angewidert den Mund verzieht. Der macht darauf aufmerksam, dass unter einer Effizienz-Betrachtung kein Krebspatient mehr behandelt werden dürfte. Die Krebspatienten nicht mehr zu behandeln würde in dieser Argumentation Kinderleben in Afrika retten, die dann zu einem Leben in Armut verurteilt wären. Selbst wenn man alle Risikogruppen separieren würde, würde deren Betreuung unter den derzeitigen Bedingungen zu einem Massensterben unter denjenigen führen, die man `besonders zu schützen`vorgibt. So unglaublich es ist, dass diese Diskussion ernsthaft geführt wird, so klar treten damit die Konturen der sogenannten Neuen Normalität hervor. Dazu gehört auch, dass diverse Interessengruppen die euphemistisch als "Differenzierung" bezeichnete gesellschaftliche Ausgrenzung (um nicht zu sagen Ächtung) den Normalbetrieb störender Personenkreise durch ihre Forderung nach Lockerung oder gar einem Ende des Lockdowns indirekt fordern. Auf penetrante Art und Weise argumentieren sie mit Ethik und Moral, die ihren wirtschaftlichen Interessen nützt.   

Olaf Scholz beantwortet mehrere Fragen Sandra Maischbergers nicht und weicht wortreich aus. Hält er es für richtig, dass Unternehmen die Kurzarbeitergeld beziehen und somit Sozialabgaben sparen, Boni und Dividenden ausschütten? Werden die Staatsschulden aus der Krise kompensiert, indem man Steuern erhöht und Sozialleistungen reduziert? Je länger Olaf Scholz den Stefan Seibert gibt, desto mehr Sendezeit nimmt er von der Uhr und reduziert das Risiko bohrender Nachfragen. Das funktioniert begrenzt, denn Schweigen, Lavieren und Abschweifen sind deutliche Antworten auf kritische Fragen.  

Dr. Mattthias Töns findet die Palliativampel erotisch. Ich hoffe nicht von diesem Satz zu träumen.

Ich wache tief in der Nacht beim Komödienstadl auf, den Rainer Calmund und Peter Lohmeyer bei Maischberger inszenieren. Ein leidenschaftlicher Streit zwischen zwei befreundeten Fußballverrückten über das Thema Wiederaufnahme des Spielbetriebs. Erratisch, emotional, polemisch, chaotisch, etwas operettenhaft, genau so wie Fußball sein sollte, weshalb Geisterspiele nichts mit Fußball, sondern lediglich mit Kohle zu tun haben.

 

42. 28. April 2020

Ich komme frisch aus dem virtuellen Lockout - eine Störung auf einem Server des Internetproviders führte zu einem virtuellen blackout. So kann ich nicht arbeiten:-)

Erstes Fernsehbild: Donald Trump. In Unehren ergraut.

Das hochgelobte Kurzarbeitergeld verschärft soziale Ungleichheit. Wer hätte das gedacht (wohl jeder, der vom Mindestlohn lebt).

Verschärfungen von Ungleichheit und Ungerechtigkeit dem Virus in die Corona zu schieben ist wohlfeil. Es kann nur verschärft werden was schon da ist.

Das Heikle an Wolfgang Schäubles Relativitätstheorie des Lebens besteht darin, dass sein Publikum nicht aus Verfassungsrechtlern und Juristen besteht. Er hat mit seiner Äußerung zur Antastbarkeit des Lebens eine Tür geöffnet, durch die sich viele drängeln wollen und werden.

Frau Tautenberg, Herr Gauland, Herr Habeck stoßen die Tür bereitwillig sperrangelweit auf. Die Argumente ähneln sich, und laufen alle auf dasselbe hinaus. Man muss an die Kinder denken, an Gewalttaten in Familien, an Suizide und so weiter…niemand muss aussprechen worin die Therapie besteht: die Unternehmen sollen wieder brummen. Kapitalismus als Gewalt- und Suizidprävention, als beste Strategie zum Schutz des Lebens, Hedgefond-Manager und Topbanker wussten aus eigener Erfahrung schon immer, dass Kapitalismus ein purer Quell der Lebensfreude ist. Zudem: Was sind schon ein paar reale Erstickungstode gegen die Millionen virtuellen Opfer einer brachliegenden Ökonomie?  Indizien dass uns dies droht: bisher Fehlanzeige. Statistiken zeigen bis jetzt noch keinen signifikanten Anstieg der Kriminalitäts- und Selbstmordraten. Das Gute an Bedrohungsszenarien ist, dass man in keinerlei Beweisnot steht und stehen wird, denn man kann nicht beweisen was noch nicht Fakt ist. Umso besser kann man auf Kurswechsel zur Vorbeugung pochen.

Wo wir grade bei Türen sind – durch die Hintertüre schleust man dank Wolfgang Schäubles Impulsrede scheinbar ad acta gelegte Ideen einer gewollten Diskriminierung bestimmter Bevölkerungsgruppen wieder ein, die zu viel kosten und deren Schutz zu wenig nutzt. Ausgespielt werden die Leben, denen eine aktive ökonomische Zukunft bevorstehen soll – Kinder, Jugendliche, Erwerbstätige, Gesunde(!) – gegen die lästigen Vulnerable(be)n. Die nun auffällig häufig betonte Notwendigkeit der Berücksichtigung von Verhältnismäßigkeit bei politischen Entscheidungsprozessen bedeutet gegebenenfalls Euthanasie im Gewandt von Demokratie. Es geht um den Schutz des gesunden Volkskörpers, da haben die Ängste und Nöte der Menschen, die man als weniger – sagen wir – produktiv einschätzen hintanzustehen. Das erinnert an Zeiten, die ich bislang nicht erleben musste.

In Tschechien tragen die Menschen außerhalb ihrer Wohnung immer Mund-Nasenschutz. Ist den Tagesthemen einen positiven Bericht wert und jagt mir kalte Schauer den Rücken herunter.

Zu Hart aber Fair fiel mir gestern nichts anderes ein als Corona-Schlagzeilen auf Kölsch. Das war weder hart, noch aber. Insofern ging es entgegen dem Konzept der Sendung harmonisch zu. Den Talk-Shows gehen die Gäste aus, dass jeden Tag mindestens eine gesendet wird soll wohl eine dämpfende, rituelle Wirkung entfalten - ähnlich wie ein Schlaflied mit ein wenig Tagesbilanz, das wie einst die Late-Night-Show den Zuschauer von der Anstrengung befreit, eine solche Tagesbilanz selbst zu ziehen. Von Tag zu Tag sinkt der Informationswert und die Kontroversen drehen sich im Kreis wie ein Autoreifen in tiefem Morast.

Armin Laschet hat ja Recht: jeden Tag wird ein anderer GAU in Gestalt eines Parameters durchs globale Dorf gejagt. Was die Reproduktionsrate angeht so sinkt der Aussagewert relativ zur Abnahme der Zahl von Neuansteckungen, weil proportional zu sinkenden Zahlen von Neuinfizierten lokale Ausbrüche an Gewicht gewinnen und den Aussagewert der Durchschnittszahl reduzieren. Wenn ich bloß wüsste, ob das stimmt... Armin Laschet sollte man seine Frustration nachsehen, dies mache ihn menschlich und repräsentiere unsere eigene Ratlosigkeit wie Julia Amalia Heyer bei Spiegel Online seinen erratischen Auftritt bei Anne Will rechtfertigt (Er weiß, dass er nichts weiß, SPON, 27.04.2020). So weit, so nachvollziehbar. Auf einem anderen Gesetzesblatt Papier steht die Wiedereröffnung der Schulen, die an Verfassungsbruch mindestens grenzt, da sie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit verletzen, ohne dass dadurch einer konkreten Gefahrensituation entgegengewirkt wird (siehe hierzu: Volker Boehme-Neßler, "Gefahr für Leib und Leben", Zeit Online, 27. 04. 2020). An der Behandlung der Schüler und Lehrer, die durch Schulpflicht dazu gezwungen werden, sich in Gefahr zu begeben und der großen Zustimmung zu diesem Hasardspiel kann man erkennen, dass Schäubles Provokation schlicht wiedergibt, was schon längst praktiziert wird: die Relativierung der Rechte aus dem Grundgesetz, insbesondere des Rechtes auf körperliche Unversehrtheit.  

Die Pressekonferenz in Schleswig-Holstein: ein Raumdesign, das an einen Atombunker erinnert. Steril, kalt, nüchtern. Trostlosigkeit als Symbol für den Ernst der Lage, mit Grabesstimme wird verkündet, dass die Krise den Bund 25 Milliarden Euro pro Woche kostet, wobei die Berechnungsgrundlage unklar bleibt. Geht es dabei um entgangenen Umsatz, so wäre dies eine nicht seriöse Gleichsetzung: Entgangener Umsatz und Kosten sind nicht dasselbe. 

Schade dass Douglas Adams das nicht mehr erlebt - am Bosporus beginnt die Invasion der Delphine. 

Kennen Sie Joseph Vogl? Ich bis eben auch nicht. Bis ich bei der lohnenswerten Lektüre des Essays "Menschenopfer für den Kapitalismus" von Thomas Assheuer (ZEIT ONLINE; 21.April 2020) auf ein Zitat stieß: "Mit der Pandemie ist die Welt in ein Entwicklerbad gefallen. Schon bald werde man genau sehen, welche Kontraste und Konturen sich herausprägen sollen." Fand ich ebenso griffig, wie den Artikel, der dieses Zitat hervorhebt. Hier die Inhalte von Assheuers Essay im Detail wiederzugeben ist müßig, grade weil er gelungen ist, verdient er es im Ganzen gelesen zu werden. Man lernt dabei einiges über die Ähnlichkeit antiker Opferrituale zur Besänftigung der Götter mit der laut werdenden Forderung, die Alten und Schwachen für den Markt zu opfern. Fasziniert hat mich eine Parallele, die sich aus dem Schlusssatz des Essays ergibt: "Im kapitalistischen Kult besteht der Sinn des Lebens in der Anpassung an das Tote." Damit erweist sich der kapitalistische Kult auf verblüffende Weise mit dem religiösen Kult deckungsgleich, aus dessen Mitte die Märtyrer rekrutiert werden, die gegen die Ungläubigen ansuizidieren: "Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod" erklärte einer der Ihren den Unterschied zwischen dem Westen und ihrer Auslegung des Islam. Ein Kontrast, jedoch kein Gegensatz. Denn todesfixiert sind beide Seiten, nur mit umgekehrten Vorzeichen: wir leben, um das Tote zu begehren, die anderen sterben, weil sie das Leben begehren (und dann auch noch das ewige). Außerdem sehen wir lieber beim Sterben zu.

Tausend Argusaugen wachen aufmerksam, neu- und begierig auf die sich ausprägenden Kontraste und Konturen. Dabei werden sie es nicht belassen. Welche Kontraste und Konturen sich herausprägen sollen, ist nicht nur von der Sicht der interessierten Parteien abhängig, sondern von ihrem Einfluss.

Das Lufthansa-Management wehrt sich jedenfalls vehement dagegen, für Staatshilfen dem Staat - also letztlich uns - Mitbestimmungsrechte einzuräumen. Der Staat sei schließlich ein schlechter Unternehmer. Es sei erstens dahin gestellt ob dies einen Naturgesetz ist, zweitens ob Beteiligung, Sperrminorität und Sitze im Aufsichtsrat schon gleichzusetzen sind mit unternehmerischer Aktivität. Schließlich sind Betriebs- und Aufsichtsräte Organe der Mitbestimmung (und nicht Unternehmer), die bislang in Deutschland als Erfolgsfaktoren gewertet werden. Sie sind mitbestimmend, und nicht bestimmend. Zudem existieren durchaus zahlreiche Unternehmen, die mehrheitlich der öffentlichen Hand gehören und dennoch erfolgreich sind. Die Lufthansa jedoch will ein "bailout" bei vollständiger unternehmerischer Freiheit. Ein Staat aber, der öffentliche Gelder in die Privatwirtschaft investiert ohne Bedingungen zu stellen und Kontrollfunktionen auszuüben wäre ein schlechter Staat. Was dabei herauskommt, wenn der Staat zu sehr auf Kontrollfunktionen und Mitbestimmung verzichtet, ist im Gesundheitswesen gut zu beobachten. 

Große Worte, Misslungene Metapher. Ursula von der Leyen bezeichnet den "Green Deal" als den europäischen "Man-on-the-moon"-Moment. Als Bild für einen heroischen Kampf gegen die Zerstörung von Natur und Umwelt den ersten Schritt des Menschen auf einen toten, wüsten Planeten zu wählen ist instinktlos und auf fatale Weise prophetisch. 

Lanz erröte: Der Gordische Knoten am Hinterkopf von Prof. Meyer-Hermann irritiert mich zwar, aber was er sagt ist sonnenklar: gelingt es den RP-Faktor auf ca. 0,3 zu senken und die Zahl an Neuinfektionen auf 300 pro Tag zu senken, werden die Infektionsketten beherrschbar, folglich kann dann ein (annährend) normales soziales und wirtschaftliches Leben wieder stattfinden. Dazu erfolgen die Lockerungen wohl zu früh. Herr Meyer-Hermann formuliert damit ein klares Ziel, dessen Verfolgung jedoch einen noch längeren Shutdown bedeutet, Morddrohungen gegen Virologen provoziert, dem Geschäftsführer von Borussia Dortmund nicht passt und den Nachteil hat, dass niemand weiß wann dieses Ziel erreicht wäre.

Herr Watzke hält das Ansteckungsrisiko bei einer Durchführung von Geisterspielen nach dem Konzept der DFL für unwahrscheinlich. Dafür kommt es (kannze ein drauf lassen) zu zahlreichen public viewings in kuscheligen Wohnzimmern. Macht nix. Wenn Wissenschaft Fakten auf den Tisch legt, hilft zuverlässig das Motto: wird schon nicht so schlimm werden, der Kernbrand. Der Rest der Sendung dreht sich um die schönste Nebensache der Welt.

Abpfiff.

 

41. Tag, 27.04.2020

"Das Beachvolleyball-Turnier wurde vorzeitig abgebrochen. Ich will mich in meinem Lieblingscafe erkundigen wieso, aber es hat geschlossen. Ein Krankheitsfall. Wie immer wenn ich ratlos bin checke ich meine e-mails. Der Stalker ist wieder zur Stelle. Kommentarlose mails. Betreff: "COVID-19." Links ohne erläuternden Text. Ich öffne sie nicht. Vorsicht schlägt Neugier. Ich wüsste zu gerne was vor sich geht im Paradies."

Das Morgenmagazin eröffnet mit der Präsentation besonders fröhlicher Nasen-Mundschutz-Variationen. Muntere Accessoires für den trockenen Frühling. Weltweit stiegen die Rüstungsausgaben erheblich.

Die Schweizer Bundesanwaltschaft stellt wegen der Corona-Krise die Ermittlungen gegen Theo Zwanziger und Konsorten ein. Neben vielen Nachteilen besteht für manche prominente Angeklagte der Vorteil juristischer Arbeitsverweigerung unter einem willkommenen Vorwand. Die ukrainische Wettmafia demonstriert derweil, dass es gar keiner Fußballspiele(r) bedarf. Man erfinde einfach Begegnungen in der vierten ukrainischen Liga und zocke damit die Zocker ab. Das sind mal richtige Geisterspiele. 

Schlagzeile: Neue Rätsel um Virusschlacht. Werde hellhörig, genauer hellsichtig. Ah. Neue Rätsel um Varusschlacht. 

Eine Hilfsorganisation für Anwälte (auch denen fehlen Mandanten) entkorkt den Slogan: Jura not alone. Juristen testen den Umgang mit Wortspielen.

Das Sprachlernportal Babbel wirbt mit einem Gesicht in den spanischen Nationalfarben, aus dessen Mund Buchstaben schwärmen. Reizend. Spanisch als Sprache mit Ansteckungsgefahr.

Eine Umfrage der Akkon-Hochschule zu Verhaltensänderungen durch die Corona-Krise kommt zu dem Schluss, dass 52% der Befragten sich "antisozial und egoistisch verhalten." Jannik Schilling stellt in der WAZ von heute (Seite Mediacampus) hierzu die Frage: "Wie steht es um eine Gesellschaft, in der die Hälfte vor allem an sich denkt und das Gemeinwohl dem Eigenwohl opfert?" Bestens. Es handelt sich eben um eine wettbewerbsorientierte Gesellschaft, deren Werte von einem großen Teil der Bevölkerung verinnerlicht wurden, was sich in entsprechendem Verhalten äußert.

Aus der neu veröffentlichten Coronaschutz-Verordnung für NRW: "Jede in die Grundregeln des Infektionsschutzes einsichtsfähige Person ist verpflichtet, sich im öffentlichen Raum so zu verhalten, dass sie sich und andere keinen vermeidbaren Infektionsgefahren aussetzt. Insbesondere ist im öffentlichen Raum zu allen anderen Personen grundsätzlich ein Mindestabstand von 1,5 m einzuhalten." Ausgenommen sind unter anderem direkte Verwandte oder Eheleute. Erstens: welchen Sinn haben diese Ausnahmen? Entscheiden Blutsverwandtschaft und der Bund der Ehe über die Infektionsgefahr? Zweitens: die Maskenpflicht wird damit stickum erheblich erweitert und greift gravierend in die Gestaltung sozialer Beziehungen ein. Zweckmäßigkeit und Verhältnismäßigkeit scheinen mir nicht gegeben, zumal es grotesk ist von nicht offiziell verbandelten Personen im öffentlichen Raum Abstand oder Maske zu verlangen, während sie sich in den Wohnungen so nahe kommen können wie sie wollen. Was jetzt? Werden Beziehungsstatus und Familienstand von Fahrer und Beifahrer nun bei Verkehrskontrollen überprüft? Grotesk.

Der Psychiater Jan Kalbitzer beschäftigt sich in seinem Artikel "Warum muss ich mich an Regeln halten, die ich für falsch halte" (Spiegel Psychologie, 26.04.2020) mit dem Missverständnis, Meinungsfreiheit für Handlungsfreiheit zu halten. Man kann in der Tat die 52% der "antisozialen und egoistischen" Deutschen in Beziehung setzen zur Tendenz, eine Meinung zu haben bedeute schon ohne Rücksicht auf andere handeln zu dürfen wie es einem grade passt. Kalbitzers Folgerung, man habe sich an alle Regeln zu halten, "die andere für die Allgemeinheit festgehalten haben. Weil diese Anderen, die Entscheider, von der Mehrheit der Menschen demokratisch gewählt wurden, um genau solche Regeln für alle zu erlassen" ist ebenso kritisch zu betrachten wie seine daran anschließende Forderung, jeder möge Dritte auf ihre Regelverstöße hinweisen (von dieser Haltung führt ein kurzer Weg zum Denunziantentum). Zunächst: die Entscheider werden nicht von einer Mehrheit gewählt, sondern die Parteien. Und die werden nicht gewählt um Regeln für den Ausnahmezustand festzulegen. Das Recht zur Festlegung von Regeln wird hier nicht bestritten - aber wie weit dieses Recht gehen darf ist zumindest diskutabel. Überspitzt gesagt: wenn die Regierung aufgrund einer Studie zum dem Urteil kommt, Bürger sollen zum Schutz vor Erkrankung an COVID-19 mit dem Rauchen beginnen, dann ist der Bogen überspannt. Denn zu verlangen, dass der Einzelne sich schädigt bis das Verfassungsgericht eine Regel kippt, ist zu viel verlangt. Die Erweiterung des Infektionsschutzgesetzes NRW enthält offensichtlich willkürliche und für viele Menschen nachteilige Differenzierungen des geforderten Verhaltens (wie oben ausgeführt). Zu deren Befolgung aufzufordern wäre gleichbedeutend damit, nicht nur Einverständnis mit Diskriminierung zu äußern, sondern sie einzufordern. 

Zu den 52% gehören offenbar Freizeitsportler auf Friedhöfen: "Jugendliche trafen sich zwischen den Gräbern zu Pizza und Bier oder spielten Fußball. Friedhöfe werden vermehrt von Joggern und Radfahrer genutzt, die dann schon mal Trauergesellschaften gebeten haben, aus dem Weg zu gehen." (Tillmann Wagner, Geschäftsführer des Friedhofsverbandes, im Interview mit der taz). Friedhöfe: ein idealer Ort für Geisterspiele. 

Auch der Petersberger Klimadialog nutzt die neue Sensibilität für globale Katastrophenszenarien als Schwungmasse zur Aufwertung der Umweltressorts. Es gehe um nichts weniger als das Aussterben der Menschheit zu verhindern. Austeritätspolitik sei tödlich. Da sollten die Regierungen und Zentralbanken doch mal was springen lassen. Geld drucken geht schließlich immer. Whatever it takes...

Jochen Breyer zieht ausgangs seiner Reportage "Was mich am Klimastreit nervt" das verhalten optimistische Fazit, die Corona-Krise zeige "dass wir auf die Wissenschaft hören können." Etwas holzschnittartig könnte man konstatieren: wir hören auf die Wissenschaft, wenn wir Rettung suchen. Wir ignorieren die Wissenschaft, wenn sie uns warnt. Kaum denken wir, eine akute Gefahr sei abgewendet und man sei aus dem Schneider, wird die wissenschaftliche Methode die Falsifikation gegen die Wissenschaft gewendet, falls der Stand der wissenschaftlichen Forschung einem nicht in den Kram passt. Die Methode Laschet: den fortschreitenden Erkenntnisprozess, der sich in der Neubewertung der Gewichtung von Kriterien entlang aktueller Entwicklungen niederschlägt, als "heute so, morgen so" auszulegen, das die Menschen verunsichere. Wie es halt grad kommod ist und wie es die Interessen- und nicht die Faktenlage erfordert.

Zusammenfassung der Pressekonferenz des bayrischen Ministerpräsidenten: Markus Söder ist heiser und lutscht Halspastillen. Oh-oh...

Zusammenfassung der BPK...genau. 

Boris Johnson wieder arbeitsfähig und voller Tatendrang – ob das eine gute Nachricht ist?

Österreich bietet sich an als Tourismusziel für einen „Club der Länder mit wenig Infizierten“. Vorbildliche Europäer. Diskriminierungsfrei und voller Gemeinsinn.

Trittbrettfahrer der Hygienemaßnahmen sind Zahnpastahersteller, denn – Hygiene endet nicht beim Händewaschen.

Eine gute Nachricht aus meiner Sicht ist, dass nach derzeitigem Kenntnisstand nicht von einer Immunität derjenigen ausgegangen werden kann, die eine COVID-19-Infektion überstanden haben Warum eine gute Nachricht? Weil damit der Tendenz (Stichwort: Immunitätspass) einer Zweiteilung der Gesellschaft entgegenwirkt wird, die Gruppen mit hohen Freiheitsgraden von der „Risikogruppe“ der Nichtinfizierten trennt, denen man ohne Eigenverschuldung weiter drastische Einschränkungen der Persönlichkeitsrechte zumutet.

Wenn ich Frau Professor Susanne Herold zuhöre – so stellt es sich Frank Plasberg wohl vor – sollte ich Mitgefühl haben mit ihrer schlaflosen, 7x24-Stunden Corona-Bereitschaft. Dann auch noch Auftritte in Talk-Shows. Das Mitgefühl bleibt aus, Neid regt sich.  Frau Herold wirkt weder übernächtigt, noch schlecht frisiert sondern motiviert und fokussiert. Das hängt damit zusammen, dass der Kohärenzsinn positiv bedient wird. Sie empfindet ihre Tätigkeit als sinnvoll und erfüllend. Den ganzen Tag Eustress – das ist doch wunderbar. Ich denke, viele Menschen würden gerne für eine sinnvolle, erfüllende und gut bezahlte Tätigkeit jede Menge Überstunden leisten.  

 

40. Tag, 26.04.2020

Der Lockerungsüberbietungsorgie folgt die Vorabentschuldigungsorgie, die den Wettbewerb um das längere Wort knapp verliert. Jens Spahn preschte vor: Wir werden uns alle viel zu verzeihen haben. Eine Verordnung in Futur 2, ein vorauseilender Befehl, Absolution zu erteilen. Da (t)wittert einer den Volkszorn. Wer schon im Vornherein um Verzeihung bittet für Getanes und noch nicht Getanes fürchtet das Unverzeihliche und seine Auswirkungen, die nicht zu glättenden Wogen. Das Unverzeihliche ist keine moralische Kategorie. Das Unverzeihliche bestimmt die außer Kontrolle geratene Masse. Endlich mal einer der zugibt: denn wir wissen nicht was wir euch antun.

Wolfgang Schäuble formuliert die moralische Entlastung der Ausnahme(zustands)politiker heute im Tagesspiegel etwas subtiler: "Wir alle wissen nicht, was unser Handeln für Auswirkungen hat, aber die Politik muss handeln." Und vielleicht werde man in einigen Wochen feststellen, dass man manches besser anders gemacht hätte. Dieses Ersuchen um Abbitte für seine Schäflein (die Minister, die Parlamentarier) ist geradezu rührend, der Bundestagspräsident stellt, Verzeihung, setzt sich vor seine Mannschaft. Sind doch auch nur Menschen und Menschen machen Fehler. Das ist so löblich, wie heikel. Es wirft die Frage auf, wieso eine derartige Unsicherheit über die Folgen des eigenen Handelns umgekehrt so rigorose Maßnahmen hervorbringt? Als seien die drastischen Verfügungen ein Akt der Selbstvergewisserung derer, denen wir doch bitte schön verzeihen sollen, wenn etwas schief geht. Die Zwangsmaßnahmen verraten die Unsicherheit der Regierenden über Nutzen und Schaden ihres Handelns: wären sie überzeugt, würden sie überzeugen. Das Wissen um die (Ver)zweifelhaftigkeit des Regierungshandelns ist Regierenden und Regierten gemeinsam, das führt zu dem Reflex, Zweifelhaftes autoritär anzuordnen. Das ist nicht alternativlos: Während sich hierzulande Gelehrte streiten, der Widerstreit zwischen Lockerungs- und Lockdownbefürwortern an Heftigkeit zunimmt und fadenscheinig als Ausdruck einer lebendigen Demokratie verkauft wird geht Schweden einen anderen Weg. Es formuliert eine Strategie und begründet sie, Zwang ist nicht Bestandteil. Noch nicht.

Eine andere Bemerkung von Wolfgang Schäuble gibt zu Denken: "Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig." Wenn es überhaupt einen absoluten Wert in unserem Grundgesetz gäbe, dann ist das die H...Würde des Menschen. Aber Sie schließt nicht aus, dass wir sterben müssen. Der Staat müsse für alle die bestmögliche gesundheitliche Versorgung gewährleisten. "Aber Menschen werden weiter auch an Corona sterben." Dann folgt die Warnung vor einem Kippen der Stimmung in der Bevölkerung. Dem Schlawiner Wolfgang Schäuble ist zu unterstellen, dass er seine Worte und Formulierung mit Bedacht wählt. Wenn überhaupt...Wolfgang Schäuble und die Relativitätstheorie der Werte. Die Würde des Menschen hat den höchsten Rang, ist aber keineswegs unantastbar, das selbe gilt folgerichtig für die Würde des Sterbens. Damit rückt er Entwicklungen in den Bereich des Möglichen, in denen das Kippen der Volksstimmung den Wert der Menschenwürde relativiert. Die Zustände in Alten- und Pflegeheimen verweisen auch jetzt schon auf die Relativität der Menschenwürde und darauf, dass sie nicht für jeden gleichermaßen gewährleistest ist. Nicht die Würde des Menschen ist unantastbar, die SeniorInnen sind unberührbar. 

In den Notaufnahmen spielt das Krankenhauspersonal mit den Zehen. Gespenstische Leere wo sonst Schlaganfall- und Infarktpatienten eingeliefert werden. Akut schwerst Erkrankte meiden die Krankenhäuser aus Angst vor Infektion bis jede Hilfe zu spät kommt. Corona-Tote die in den Diagrammen des RKI nicht auftauchen.

Glaube keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast. Nicht nur in Frankreich besteht der Verdacht, dass Gesundheitssystem werde dadurch entlastet, dass schwer an Corona-Erkrankte bereits in den Pflegeheimen bis zum Tode sediert werden, so dass sie gar nicht erst Intensivbetten belegen. Es kommt gar nicht erst zur Triage. So schönt man Statistiken. In milderer, wenn auch nicht weniger zynischer Weise kennt man das von Arbeitslosenstatistiken, in denen Teilnehmer von Umschulungen, Personen in Transfergesellschaften und Scheinselbständige nicht auftauchen.  

Erinnern Sie sich noch an die Frau von Ned Flanders? Bevor Homer Simpson sie im Vorübergehen in den Tod schubste nervte sie bei jeder Stadtversammlung mit der Frage: "Die Kinder. Denkt denn hier keiner an die Kinder?". Bei Anne Will übernimmt Annalena Baerbock zunächst diese Rolle. Gesprächsthema heute: "Sorge vor zweiter Infektionskette - lockert Deutschland die Corona-Maßnahmen zu forsch?". Zu dieser Frage äußert sich lediglich Karl Lauterbach, der darauf hinweist, dass im sich Gegensatz zu den derzeitigen relativ leicht zu identifizierenden Hotspots bei einer zweiten Infektionswelle die Ursprünge des Infektionsgeschehens gleichmäßig über Deutschland verteilen - mit katastrophalen Folgen. Ohne Umschweife landet man beim Thema Lockerungen. Armin "Hier geht es um Leben und Tod" erregt sich zunächst über die angeblich von Virologen und Epidemiologen verschuldete Verwirrung hinsichtlich der Bedeutung und Gewichtung von Kennziffern und rechtfertigt damit, dass er macht was er will. Was er will ist  Prävention von schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen von Arbeitslosigkeit, Isolation, Existenzangst. Zusammengefasst: er folgt Trumps Argumentation man müsse darauf acht geben, dass die Kur nicht schlimmer ist als die Krankheit. Anschließend geht es um die wirklich wichtigen Dinge: die Fußball-Bundesliga. 

Den Ausmaßen der Bedrohung und der Aufgabe ihrer Bewältigung wird anschließend die Sendung "Titel, Thesen, Temperamente" gerecht. Die arrogante Peinlichkeit des vorherigen Gezänks um die Sonderstellung von Ballsportlern, die dürfen sollen, was alle Kinder dieser Welt nicht dürfen illustriert ein Kommentar von Arundhati Roy ("Der Gott der kleinen Dinge") zur Sehnsucht der (privilegierten) Menschen nach Normalität: "Was war denn normal? Die Normalität war eine Weltuntergangsmaschine, gegen die das Coronavirus wie ein Plüschtier aussieht." (...) "Es hat lange gedauert, bis uns endlich aufgefallen ist, dass die Maschinerie des Kapitalismus die Erde nur ausgeplündert hat, bis zu dem Punkt der Klimakrise, die Armut, Zerstörung und Krankheiten mit sich bringt - viel, viel schlimmer noch als Corona. Und trotzdem gibt es auf einmal dieses riesige Verlangen, vom Abgrund dieser Pandemie wegzukommen und zu dieser Vernichtung zurückzukehren." Winston Churchill sagte einst: "Lass nie die Gelegenheiten einer guten Krise verstreichen." Die Rückkehr zu dieser Vernichtung wird sich für einige systemrelevante Branchen so sehr lohnen, dass sie unbedingt beschleunigt werden muss.

Wolfgang Schäuble hat die Lösung: "Er sprach sich dafür aus, die größer werdende Kluft zwischen hohen und niedrigen Löhnen zu schließen. Dies würde zwar steigende Preise für Verbraucher bedeuten, aber das muss man in Kauf nehmen." (SPON, Schäuble warnt vor zu hohen Erwartungen an den Staat, 26.04.2020). Gut gebrüllt, zahnloser Löwe. Vielleicht findet sich der Satz in irgendeiner freiwilligen Selbstverpflichtung oder im Leitbild eines Ökostrom-Herstellers wieder. Immerhin.

Maja Göpel, Politökonomin, Transformationsforscherin, Autorin ätzetera pipi sieht die Coronakrise als Gelegenheit: "Jetzt können wir uns  überlegen was wir wirklich wollen." Genau. Der indische Tagelöhner ohne Job hat jetzt jede Menge Zeit und Muße, sich das zu überlegen. 

Muss jetzt Schluss machen. Etwas stimmt nicht mit meinem Outlook. Will Erinnerungs e-mails mit links an mich selbst verschicken - meine Art des Hamsterns und der Selektion von Informationen - die aber nicht ankommen. Auch eine Fehlermeldung bleibt aus. Mit einem unerklärlichen Gefühl der Hoffnung gehe ich zu Bett. Bin ich müde neige ich zu altmodischen Formulierungen. Schlafe ein mit Homophonien im Kopf...Genäht...Genetik... 

 

39. Tag, 25.04.2020

"Weh dem, der Symbole sieht" (Samuel Beckett)

Selig die (Schlar)Affen im Pool, denn Ihrer ist das Himmelreich. Bizarres Beneiden der turmspringenden Affen um ihr anarchistisches Neuland. Eine Vorahnung des Gedränges an den Kanälen, wenn die Dürreperiode beginnt. Gezeter um die Einhaltung der Abstände zwischen den Handtüchern. Fragile Balance zwischen dem Drang die Nachbarn zu verprügeln und der Angst sich zu infizieren. Immunisierte Horden, die auf den Abstand scheißen und den Rest der Herde von den Wasserkanten verjagen. Amokfahrende Kapitäne von Lastkähnen. Massaker an Schiffshebewerken. Schon jetzt steigt der Wasserbedarf durch die Hygieneregeln ins Unermessliche. Erhöhter Bedarf trifft auf sinkenden Pegelstand. Großer Durst kollidiert mit der Notwendigkeit sich die Hände zu waschen. 

Wer Visionen hat sollte zum Arzt gehen (sagte einst ein Krisenmanager, der aufgrund seines Nikotinspiegels nicht an COVID-19 erkrankt wäre). Würde man ja, aber wer traut sich derzeit schon in ein Wartezimmer?

Aktuell ist die Depression noch komfortabel. Die Lage ist hoffnungslos, aber noch herrscht kein Mangel an Getränken. Noch sehen einige gut situierte Visionäre die Krise als Spielplatz ungeahnter Möglichkeiten. Noch kann man sich in den Schatten einer aktuell gesicherten Versorgungslage zurückziehen. Wer täglich das `Böse vor Acht` verfolgt dem fällt auf, wie oft die Begriffe "unterschätzt" und "schlimmer als angenommen" fallen.  

Die christliche Schriftenverbreitung (CSV) schaltet ganzseitige Anzeigen, die uns Sünder auffordern "unsere Schuld einzusehen, sie aufrichtig im Gebet vor Gott zu bekennen und an Jesus Christus als unseren Retter zu glauben." Dann erwarte uns eine herrliche Zukunft bei Gott. Verzweiflung ist ein blendendes Geschäft für Fundamentalisten und fördert die Verbreitung ihrer Schriften. Bibeltreue und der Glaube an ein besseres Jenseits - das klingt nicht nur nach finsterem Mittelalter, sondern folgt dem selben Prinzip der Ausbeutung von Angst, das von jeher den Reichtum und Einfluss religiöser Organisationen begründete. Endzeitszenarien bieten ideale Plattformen für den missionarischen Eifer der Spinner vor dem Herrn: Schuld und Bühne. Wer mag und nichts Besseres zu tun hat, der beschäftige sich mit der Lehre der federführenden Brüderbewegung, die nicht von ungefähr keine Brüder- und Schwesternbewegung ist. 

Was die WAZ-Redaktion apokalyptisch reitet eine derzeitige Anzeige zu schalten möchte ich nicht wissen. Bei einem Großteil ihrer Leserschaft dürfte der Text "Corona - wohin mit der Angst?" jedenfalls eher Furcht erzeugen, als Hoffnung spenden. Er liest sich wie eine Aufforderung, sich in das Unvermeidliche des bevorstehenden Weltuntergangs zu fügen, an dem - glaubt man dem Bürgermeister von Osaka - Frauen mehr Schuld tragen als Männer, da sie sich beim Einkaufen mehr umsehen und länger brauchen, womit sie das Infektionsrisiko erhöhen. Daher sollten nur noch Männer einkaufen. Desinfektionsmittel intravenös verabreichen soll nach Ansicht eines anderen Chauvinisten mit Rang und Namen auch helfen.

Eine Doppelseite mit großformatigem Foto des Gesundheitsministers und jenseitsorientierter Propaganda im Blätterwald: Lektüre al Dante. Immerhin ersetzt Jens Spahn den Ausdruck neue Normalität durch neuen Alltag. Sehr ermutigend.

Wenn der Geschäftsklimaindex in den Keller geht mag dies auch damit zusammenhängen, dass erzwungenes Verhalten die Freude aus dem Begriff Konsumfreude eliminiert. Der Unterschied zu den Maskenträgern in Südkorea besteht darin, dass der Mund-Nasen-Schutz dort schon vor Corona freiwillig getragen wurde. Hier nimmt (unter anderem) dieser Zwang den Menschen die Lust, in Geschäfte zu gehen - denn ein maßgeblicher Teil des Vergnügens für das Herdentier Mensch besteht darin, beim Einkaufen andere Gesichter zu sehen. Abstandsregeln und Maskierung stehen dem entgegen. Abseits der Fragen der Sinnhaftigkeit gemäß den Erfordernissen des Infektionsschutzes erscheint es plausibel, dass abgesehen von der finanziellen Zurückhaltung der Konsumenten Shoppen mit Maske und Abstand schlicht weniger Spaß bereitet. Die Masken verstärken die Tendenz, andere Menschen als potenzielle Gefahr zu betrachten. Also wird man einkaufen, weil man muss, nicht weil man es möchte, und ansonsten den Besuch des Einzelhandels eher vermeiden.

Da man schwerlich eine ganze Generation ohne Fahrerlaubnis wird aufwachsen lassen stellt sich die Frage, mit welcher Schutzausrüstung werden Fahrlehrer und Fahrschüler ausgestattet? Von Mundschutzpflicht ist die Rede. Stofffetzen sollen genügen, oder welche Art Mundschutz ist gemeint? Es kann sich eigentlich nur um medizinische Masken handeln, die wiederum (Stand jetzt) dem Personal in Krankenhäuser und Pflege vorbehalten sind. Alles andere wäre indes (Werbeslogan!): Fahr lässig.

In Italien zaghafte Lockerungen. Ein Run auf Buchhandlungen. Sehnsucht nach transportablen, anderen Welten. NostalGier.

Die Obsession mit Masken führt dazu dass ich "Preiswerte Maskenartikel" lese statt "preiswerte Markenartikel." 

Eine spanische Tapas-Bar fertigt statt Tortillas nun stylische Masken an. In der Fußgängerzone begegnen einem Designerrotzfahnen an Gummibändern, deren Träger wie Kinnamputierte aussehen. Es erinnert auch an die farbenfrohen Kopftücher von Krebspatienten, denen bei der Chemo die Haare ausfielen. Was vorgeblich unserem Schutz dient erinnert an Krankheit, Tod und den Bildband Krieg dem Kriege. Psychologisch verheerend. Man will die Binnenachfrage steigern in einem Umfeld, das an verbotene Zonen erinnert, an Seuchengebiete, Gasangriffe und -- hochaktuell - Reaktorbrände. Gefährliche Trockenheit rund um Tschernobyl.

Die nervige Binsenweisheit von der demokratischen Gleichheit der Bedrohung, die alle Menschen betrifft. Das ändert nichts. Wie jedes Übel betrifft auch dieses nicht alle gleicher Maßen - es sei denn, auch ein namenloser indischer Landarbeiter könnte sich auf Neuseeland niederlassen, oder sich wenigstens eine Insel kaufen, die er jederzeit mit seinem Privatjet erreichen kann.

Ich kann diesen ewig blauen Himmel nicht mehr sehen. Einige weitere Celestophobe und ich hocken wie geklonte Quasimodi gebückt über dem Tresen einer hinter pechbestrichenen Fenstern verborgenen Flüsterkneipe und tauschen uns aus. Die Landwirtschaft ist in Sorge wegen der anhaltenden Trockenheit. Und was sollen wir jetzt tun? Auf die Äcker pissen? Wir schwören uns gegenseitig bei unserem Leben niemals den Standort dieser Kneipe zu verraten, zu der man nur durch Kanalschächte gelangt.  

 

38.

Die EU erwägt einen "Wiederaufbaufond" im Rahmen des neuen EU-Haushaltes, über den man sich später noch streitet. Das Wort "Wiederaufbau" stimmt skeptisch - Wiederaufbau liest sich wie "Dasselbe nochmal", wie die Wespe, die erneut und erneut vor die Scheibe eines auf Kipp stehenden Fensters fliegt. Transformationsfond, Restrukturierungsfond, es gäbe viele Begriffe die den Akzent auf die Notwendigkeit grundlegender Änderungen legen.

Fridays for Future versammelt sich digital. Die Menschen in naher Zukunft wird nicht die Frage des Klimaschutzes sondern des Schutzes vor dem Klima beschäftigen. 

Ein Bericht über den Kiez auf St. Pauli. Zitate für die Ewigkeit. Ein Nachbarschaftshelfer: "Überall Chaos. Ich fühl mich pudelwohl. Ich kann helfen"..Ein Bordellbetreiber: "Sex auf 2 m Abstand ist unmöglich."...Der Obdachlose, der sich vor Corona zweimal am Tag geduscht hat: "Jetzt bleibt uns nur die Elbe. Aber die ist zu kalt." Draußen vor der Tür: die Große Freiheit leer gefegter Gassen.  

Ein neuer Begriff kursiert in der Corona-Börse: Die Übersterblichkeit. Klingt wie: toter als tot. Dem Kampf ums Überleben steht der Kampf gegen das Übersterben gegenüber.

Herr Scheer vom RKI zur vermuteten Reduzierung von Reproduktionsraten im Sommer: kann daran liegen, dass die Menschen mehr draußen sind, sich auf größerem Raum verteilen. Warum dann nach wie vor die strikte Empfehlung zu Hause zu bleiben? Don`t stay home sollte die Botschaft lauten. Im öffentlichen Raum außerhalb geschlossener Räume lässt sich am besten Abstand halten. 

Ein hübscher Versprecher von Heiko Maas während eines Statements zur Videokonferenz Deutschland/Schweden: Remilitarisierung der Wirtschaft statt Revitalisierung der Wirtschaft. Ein Freudscher Versprecher? 

Dass überhaupt erwogen wird den Spielbetrieb in der Fußballbundesliga wieder aufzunehmen ist unter anderem zu erklären mit dem noch absurderen Bestreben der UEFA und der Europäischen Ligen im August die letzte Phase der Champions League auszutragen. Dazu sollen spätestens ab Mitte Juni sämtliche europäische Ligen wieder den Ball rollen lassen (siehe hierzu Sport- Bild vom 23.04.2020: "Wie England das Liga-Finale plant"). Die deutschen Teams hätten gegenüber den Teams, die ihren Spielbetrieb wieder aufnehmen deutliche sportliche Nachteile in der Champions League, wenn eine Entscheidung gegen die Wiederaufnahme des Spielbetriebs fällt. Zudem wäre es nicht glaubhaft, erst in Deutschland den Liga-Betrieb weiter einzustellen, dann aber am derzeit geplanten Kompakt-Turnier in der Champions League teilzunehmen. Verrenkungen und Überlegungen dazu wie denn die Spielpraxis unter Wahrung von Abstandsregeln und Infektionsschutz  aussehen sind auf der BPK zu hören: Spieler sollen alle 15 Minuten ihre Maske wechseln und/oder für den restlichen Dauer der Spielzeit gemeinsam in Quarantäne gehen. Noch so groteske Konzepte werden wohl nichts daran ändern, dass genügend Fans auch dann Public Viewing in Privatwohnungen veranstalten werden, wenn "Mundabputzen und weiter" den Spielern im Design von OP-Assistenten nicht möglich sein wird. Dass bei den zum Zweck des Infektionsschutzes verhängten Maßnahmen manche Schweinsteiger gleicher sind als andere wird am deutlichsten dadurch, dass der härteste Befürworter von Restriktionen für das gemeine Volk, Markus Söder, derjenige ist, der sich explizit für die baldige Fortsetzung der Liga-Saison ausspricht. Die Stars dürfen kicken, die Kinder nicht auf den Spielplatz, auch für diese Offenbarung der Zweiklassengesellschaft werden die Zustimmungsraten hoch sein.  

Die Corona-App: natürlich nur unter maßgeblicher Mitwirkung von Apple und Google. Nicht ausgeschlossen, dass die Weltwirtschaftskrise zu einer gewaltigen Umverteilung von staatlichem Kapital in private Hände gerät, soziale Gegensätze schärft, Armut erhöht und die öffentliche Hand entmachtet. Wer Verschwörungstheorien benötigt um derartige Überlegungen anzustellen versteht das Wesen des Kapitalismus nicht - es existiert kein Masterplan des obersten einen Prozent des oberen 1 Prozent, der Viren gezielt in die Welt setzt um Impfstoffe zu verkaufen. Der Kapitalismus nutzt einfach Gelegenheiten die sich bieten. Nicht die Planung ist der Trumpf des Kapitalismus sondern seine Fähigkeit zum Opportunismus.   

Ein Beitrag auf Phoenix trägt tatsächlich den Titel: Island - Hotspot des Nordens. Wohlgemerkt: kein Beitrag über Corona. 

Covid and the City (No Sex in the City): 

Wer in der Fußgängerzone Schutzzonen sucht, in denen eine Aura mit einem Halbradius von 10 Metern menschenleer ist, der begebe sich in den Eingangsbereich geschlossener Geschäfte. Der Menschenstrom fließt in einem Bogen um diesen Quarantänebereich des Desinteresses herum, mit hoher Flussdichte. 

In den Supermärkten sind viele SeniorInnen mit Mund-Nasen-Schutz unterwegs, die Jüngeren stehen der Nutzung dieses Utensils reservierter gegenüber. Während ich bislang der Auffassung Thea Dorns zuneigte, die Älteren interpretierten die Masken als Schutz für sich selbst, komme ich mittlerweile zu einem anderen Schluss. Grade weil die Situation in Seniorenheimen so dramatisch ist wie sie ist beginnen die SeniorInnen sich selbst als besonderes Infektionsrisiko zu erachten, vor dem sie ihre Umgebung schützen möchten. Ich schäme mich ein wenig, mich zum Vorurteil der größeren Naivität der SeniorInnen habe hinreißen lassen. 

Nicht mehr sicher bin ich mir, ob die sauertöpfische Reaktion der Virologen- und Epidemiologenelite auf die Lockerungen in den Ländern nur durch gesundheitliche Bedenken gespeist sind. Als gesichert geltende wissenschaftliche Erkenntnisse lassen sich am besten gewinnen, indem Laborsituationen möglichst lange stabil gehalten werden. Änderungen der Versuchsanordnung gehen zu Lasten der wissenschaftlichen Arbeit. Die Änderung von Parametern erschwert die Arbeit der Forschung. Das gilt natürlich nicht, wenn man eher den Standpunkt von von Prof. Streeck vertritt, der dem Virus Zeit lassen will sich an uns zu gewöhnen und sich von einem Aufkeimen neuer Infektionsherden neue Erkenntnisse über Eigenschaften und Expansionscharakteristika verspricht. Auch Wissenschaftler sind nicht notwendiger Weise lupenreine Altruisten. 

Ich bedauere zutiefst den Tod Norbert Blüms. Ich frage mich, was er dazu sagen würde, dass die Beiträge zur gesetzlichen Pflegeversicherung nicht gewährleisteten, Pflegepersonal mit ausreichendem Schutz zu versorgen und die Pflegebedürftigen vor Infektionen zu schützen. 

Der verfrühte Sommer treibt mich zurück hinter vierte Wände. Bildschirm, Monitor, Displays. Die Sirenen von Krankenwagen sorgen für permanente Alarmstimmung. Auf Rad- und Wanderwegen tummeln sich Selbstoptimierer, die die Anzahl ihrer Schritte, die Summe der Kilometer, ihre Herzfrequenz überprüfen und speichern, Fitnesstraining für die Wiedereröffnung diverser Wettbewerbe. Freudlose Verbissenheit, Kampf um Platz, Kampf um die Beibehaltung von Sicherheitsabständen, Volk ohne Traum. So sinnvoll oder sinnlos wie die progressive Produktion einer Polemik, die das Eklektokardiogramm meiner Ängste ist. Wozu? Für welche Nachwelt, in der ich dann noch lebe oder nicht? Ich weiß es nicht. So wie alle anderen weiß ich nicht wo und wie es endet und ob es den Aufwand lohnt, für sich, für andere. Also: Weiterlaufen, weitertrampeln, weiterschreiben...Killing Eve lenkt mich ab vom schlechten Gewissen des Stubenhockers bei Sonnenschein.  

Keine Talk-Show heute Nacht. Wir haben die Milchstraße verlassen. Andromeda ist 2,5 Millionen Lichtjahre entfernt. Zwischen den Galaxien erstreckt sich die Leere des Ausbleibens ermutigender Nachrichten. Wann vergeht den ModeratorInnen ihr Lächeln?

 

37.

Eine kurze Zusammenfassung der gestrigen Talk-Shows Maischberger und Lanz. Das war sie schon.

Abseits der Polemik: bei Maskus Lanz äußert der in Schweden tätige Arzt Thomas Schimke seine mit dem schwedischen Modell verbundenen Befürchtungen (sonst wäre er wohl kaum bei Markus Lanz zu Gast gewesen), bei Sandra Maischberger verweist der Publizist Wolfram Weimer auf chinesische(!) Forschungsergebnisse, die besagen der Virus stamme nicht von dem Nassmarkt in Wuhan. Letzteres ist relevant: der Nachvollzug der Herkunft des Virus gibt Aufschluss über seine Natur und die Wege seiner Verbreitung. Umgekehrt wäre die Verschleierung seiner Herkunft ein Verbrechen des Jahrhunderts, für das China aufgrund seiner führenden Marktposition im pharmazeutischen Bereich (Antibiotika) nicht zur Rechenschaft gezogen werden kann.

Heute ist der Internationale Tag des Nasebohrens. Einige Forscher haben herausgefunden, das Popeln das Immunsystem stärkt ("Was Mediziner und Psychologen zum Popeln sagen", wz.de, 23.04.2020). Daraus ergibt sich eine dringende Handlungsempfehlung, zu der sich kein Parlament durchringt, da sie mit der Maskenpflicht kollidiert. Jeder kann ganz ohne staatliche Lenkung jede Menge (Popel) zum Selbstschutz beitragen. Während der Tätigkeit im Homeoffice, beim Verfolgen von Bundestagsdebatten und Nachrichten, beim gemeinsamen Spaziergang im Wald.

Der Tag des Nasebohrens beginnt nicht mit Nasebohren, sondern einer guten Nachricht:  "Einer Studie zufolge erkranken nur wenige Raucher an COVID-19." ("Hilft Nikotin bei Corona-Infektion?", n-tv.de, 22. April 2022). Von wegen Raucher gehören zur Risikogruppe. Also: Mentholzigaretten paffen für die Gesundheit, Kette Qualmen um Nichtrauchern Schutz liefern und sie zu Mitrauchern zu machen, am Arbeitsplatz, in öffentlichen Gebäuden, beim Einkaufen. Gratistabak an den Kiosken. Zigarren in Carepaketen, Zigarillos als Dreingabe bei Essenslieferungen, Zigarettenpflicht im ÖPNV statt Maskenzwang. Blauer Dunst statt Propofol! Wahrscheinlich behält auch noch Lukaschenko recht mit seiner These gegen Corona helfe Wodka auf Eis. 

Kaum verhagelt die Maskenpflicht der Bevölkerung erst recht die Lust am Shoppen, dürfen - da die Pflicht jetzt besteht und nachträgliche Kritik nichts bewirkt - die Bürger zu Wort kommen, die dieser Verpflichtung skeptisch gegenüber stehen. "Als ob damit alles wieder normal wäre. Die meisten Maskenträger halten die Abstandsregeln nicht ein, weil sie sich geschützt fühlen. Es wird auch gerne Asien als Vorbild propagiert. Ich gestatte mir den Hinweis, dass sich grade in China das Virus besonders stark ausgebreitet hat." (Karla Rollbusch in der WAZ von heute), ähnlich Falko Rohmert im Lokalteil für Bochum. 

Ihr stärkster Fürsprecher ist der Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery, der auf die Gefahren der Maskenpflicht hinweist. "Im Stoff konzentriere sich das Virus, beim Abnehmen berühre man die Gesichtshaut, schneller könne man sich kaum infizieren. Eine Pflicht für Schals oder Tücher sei lächerlich. (...) Aber was will man gegen den Überbietungswettbewerb föderaler Landespolitiker mit rationalen Argumenten tun?" (Rheinische Post, 23.04.2020). Wenn selbst der Weltärztepräsident an den politischen Haltungen der Regenten resigniert schrillen die Alarmglocken ungehört, respektive werden zum Tinnitus eigener Ohnmacht. Hat er Recht - Frau Merkel zum Beispiel teilt seine Befürchtungen - dann schadet die Maskenpflicht nicht nur, weil sie die Illusion eines Schutzes bei Unterschreitung des gebotenen Abstands nährt, sondern befördert auch noch die Infektionsgefahr, weil die Maske als Kuhfänger für Viren fungiert. Weder die Leserbriefschreiber, noch Herr Montgomery kommen allerdings auf die Idee, dass die Maskenpflicht nicht dem Schutzgedanken dient, sondern als Katalysator für Wirtschaft und Konsum. Die Maske soll Hemmungen abbauen, den notwendigen Sicherheitsabstand zu unterschreiten.

Man kann nur empfehlen in Zukunft öffentliche Verkehrsmittel, den Einzelhandel und am besten auch Betriebsstätten zu meiden, um Infektionsrisiken im Gedränge Vermummter zu meiden. 

Die Gesellschaft für Konsumforschung meldet eine drastisch gefallene Konsumlaune. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Usuma stellt eine Eintrübung der Stimmung der Deutschen fest. Linda Bauld, Professorin für Öffentliches Gesundheitswesen an der schottischen Universität Edinburgh, konstatiert: "Jüngste Studien zeigen eine besorgniserregende Zunahme von Angstzuständen und Depressionen in der Bevölkerung. Diese Beobachtung gilt für alle Länder im Lockdown" (WAZ, 23. April 2020). Das ist wenig erstaunlich. Aussagen wie die von Walter Steinmeier: "Wir werden einiges von dem gemeinsam erarbeiteten Wohlstand preisgeben" und die Dämmerung eines jahrelang anhaltenden globalen Ausnahmezustandes mit sich verschärfenden sozialen und ökonomischen Bedingungen können einem schon mal die gute (Konsum)laune verhageln - wäre das Wetter nicht so trocken.

Was wird wohl los sein, wenn die Quecksilbersäule über die 40 Grad steigt, Schwimmbäder nicht geöffnet sind, der Zugang zu Binnenseen und Küsten reglementiert ist? Am Beginn der Epidemie zu stehen bedeutet auch, dass wir uns auch erst am Beginn der mit ihr verbundenen Schwierigkeiten, Zumutungen, Ängsten und Nöten befinden. Jetzt verabreicht die Regierung noch Traubenzucker in Form von Billionen Euro - das jedoch hat wie Traubenzucker eine einmalige, nicht anhaltende Wirkung. Um ein anderes Bild zu bemühen: auf einem heißen Stein verdampft auch ein Hektoliter Wasser, wenn der Stein heiß genug ist.

Es ist etwas anderes, wenn man davon ausgeht, das staatliche Programme zur Überbrückung eines vorübergehenden Engpasses dienen. Steht jedoch ein Zeitraum von Jahren in Aussicht, kann sich jeder ausrechnen, dass diese Marathondistanz keine Brückenarchitektur überspannen kann - eine solche Brücke endet im Nirgendwo, weit entfernt von der rettenden Seite. Wer also sollte jetzt konsumieren wollen? Man akzeptiert zwar Eindämmungsmaßnahmen und hält sie solidarisch ein, aber man wird wohl kaum aus Solidarität sein Geld verprassen, wenn eine unbefristete, schwere Rezession in Aussicht steht - da wird man Krötenwanderungen aus dem eigenen Geldbeutel in die Kassen unterbinden, zumal man weiß, auf wessen Rücken die Begleichung der Schulden ausgetragen wird. Nicht einmal Autos als Geschenk zur bestandenen Führerscheinprüfung werden den Absatz fördern. Alle Fahrschulen sind derzeit geschlossen. Auch die Maskenpflicht wird der Binnennachfrage nicht zwei Jahre auf die Sprünge helfen. Umso wichtiger wäre es uns nicht mit Mätzchen zum Konsum zu locken, als sei die Maske eine Mohrrübe und wir die Esel. Politik müsste sich dazu in etwas üben, was ihr schwer fällt: Ehrlich sagen, dass wir im Alltag nicht dazu in der Lage sein werden uns flächendeckend vor Infektionen zu schützen, wenn Arbeits-, Geschäfts-, Lern- und Freizeitumgebungen wieder bevölkert werden - es sei denn, diese werden so umgebaut, dass Abstand gehalten werden kann. Das wäre eine organisatorische Gemeinschaftsaufgabe, die nur zu bewältigen sein wird, wenn man überzeugt, statt anzuordnen und zu suggerieren, das Aufspannen von Regenschirmen schütze vor einem Tsunami.

Florian Hahn von der CSU argumentiert gegen Eurobonds mit dem Grundgesetz. Das ist mal was Neues in der Neuen Anormalität. Also: Einschränkungen der Grundrechte werden im Rekordtempo durchgewunken, geht es um die Unterstützung der härter von der Krise betroffenen Länder wird dies mit dem Verweis aufs Grundgesetz abgelehnt. Ein Willkürenritt. 

Frau Kappert-Gonther von Bündnis 90/Die Grünen brachte mich zum Schmunzeln. Sie charakterisierte die sachliche Verwechslungsorgie eines AfD-Abgeordneten, der die unverzügliche Öffnung der Gastronomie forderte mit den Worten "Sie verwechseln Gustav mit Gasthof." Sie entlarvte nebenbei das rassistische Gedankengut des Abgeordneten mit dem Hinweis: wer die Rücknahme aller Maßnahmen für die Deutschen fordere, aber die Schließung aller Landesgrenzen beibehalten will, der sagt damit das Virus befalle nur Ausländer. Chapeau.

Der AfD zuzuhören gestattet einen Ausblick auf eine Zukunft, die uns droht falls es zu einer nicht mehr finanzierbaren Massenarbeitslosigkeit kommt. Vor diesem Hintergrund ist die Erforderlichkeit nicht zu bestreiten, Menschen rasch wieder in Beschäftigung zu bringen und es erklärt die Inkaufnahme der Risiken, die mit den vorschnellen Lockerungen der Einschränkungen im Wirtschafts- und damit Berufsleben verbunden sind. Dass man nicht den Mut hat das zu sagen ist bedauerlich, verweist allerdings auf die tiefe Angst vor einer Wiederkehr für gebannt gehaltener Gespenster der Geschichte. Der Schoss ist eben doch noch furchtbar fruchtbar.  

Ich unterschätzte die Deutschen. An anderer Stelle befand ich den sprunghaften Anstieg des Umsatzes an alkoholischen Getränken in Deutschland angesichts der brachliegenden Gastronomie als wenig verwunderlich, weil nun mehr privat gesoffen wird. Die immensen Anstiege beziehen sich jedoch auf den Gesamtverbrauch inklusive Großhandel und Gastronomie. Der Konsum an Wein ist beispielsweise trotz der wegbrechenden Abnahme durch die Gastronomie um 33% gestiegen. Respekt.

Es liegt nahe eine Korrelation zu düsteren Zukunftsaussichten und Depression herzustellen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man im Homeoffice mehr Zeit hat ungestört bei der Arbeit Wein in sich hinein zu schütten. Der Wegfall kostspieliger gastronomischer Angebote führt dazu, dass man sich mit preiswerteren Getränken bei der Tankstelle versorgt. Man kann einfach seinen Gewohnheiten den ganzen Tag über und billiger frönen, und bei der Arbeit saufen ohne Abmahnungen zu befürchten.  

Bei der Debatte um den angemessenen Umgang mit der Epidemie wird als Monstranz der Schutz von menschlichem Leben in den Vordergrund gestellt. Das selbe Primat leitet eine Medizin, die mit allen möglichen technischen Mitteln menschliches Leben verlängert. Eine Patientenverfügung kann mittlerweile dem unbedingten Erhalt einer rein vegetativen Existenz ohne Aussicht auf Rückkehr in ein selbst bestimmtes Leben vorbeugen. Diese Verfügung kann jeder Einzelne individuell erlassen. Es handelt sich um eine Errungenschaft, das Prinzip der Selbstbestimmung über die Bedingungen unter denen man leben oder eben nicht mehr leben möchte über den hippokratischen Eid und über die Reichweite staatlicher Macht zu stellen (es gab Zeiten zu denen Selbstmord strafbar war...). Auf gesellschaftlicher Ebene ist die Frage zu verhandeln, in wie weit im Ausnahmezustand das Recht auf ein Leben in Würde auch das Recht beinhaltet die Umstände zu bestimmen wie man lebt. Darf die staatliche Verfügungsgewalt so weit gehen, dass sie mit dem Argument der Bestimmungshoheit über die Mittel zur Eindämmung einer Pandemie mit unbestimmter Dauer Kontaktsperren verhängt? Darf sie mit unbestimmter Dauer die Anzahl der Personen bestimmen, mit denen man sich in der Öffentlichkeit aufhalten darf? Darf sie so weit gehen, Verhaltensweise zu fordern, die zu einer vermeidbaren Eigengefährdung führen? Es gibt Herrschaftsformen, die auf diese Fragen klar mit ja antworten. Sie geraten zu Recht in die Kritik freiheitlicher Gesellschaften, deren Vorgehen in der Pandemie sich jedoch zunehmend demjenigen der von ihnen kritisierten Regierungen annähern. Eine so wichtige Frage wie diejenige der Zumutbarkeit von Maßnahmen, die das Recht auf Selbstbestimmung derart tiefgreifend und ohne Frist einschränken, die Verhaltensweisen bis in die Anzahl sozialer Kontakte hinein regulieren verdient eine breite gesellschaftliche Debatte zumal dann, wenn der Nutzen der Maßnahmen im Sinne der Gefahrenbekämpfung strittig ist und sogar aus plausiblen Gründen bezweifelt werden kann ob sie diesem Ziel dienen. Dass diese nicht oder kaum geführt wird ändert nichts an ihrer Erforderlichkeit, aber leider auch nichts an der frappierenden Synchronizität von Pessimismus und Zustimmung zur Fremdbestimmtheit - bei unverkennbar hohen Risiken von Maßnahmen, die dem Ziel des Gesundheitsschutzes aus Sicht von Sachkundigen, die zu weilen wie Popstars inszeniert werden, zuwiderlaufen. 

Fraglich auch, ob es epidemologisch zielführend ist, auf die Infektionsgefahr zu reagieren, indem man Menschen auf engem Raum im familiären Umfeld komprimiert. Warum werden leerstehende Hotels nicht genutzt, um im Gegenteil Cluster zu entzerren? Die beste Art und Weise soziale Distanz zu wahren bestünde darin, die Bevölkerung besser zu verteilen - und sei es dadurch, dass man Familien Räumlichkeiten bereitstellt, die mehr Abstand auch in Familien und Hausgemeinschaften erlaubt.   

Ein Bericht bei Panorama über die Arbeitsbedingungen rumänischer Erntehelfer: die AfD hat Unrecht. Nicht die Deutschen infizieren sich nicht, sondern die Rumänen, die in winzigen Containern zu dritt wohnen, zu 70 Personen in einem LKW von Feld zu Feld gefahren wird und zusammen in Kantinen speisen.

Soviel dann auch zu der Einschätzung eines Philosophen, die "Bazooka" von Olaf Scholz sei der erste Fall, in dem die Wirtschaft zu moralischen Zwecken eingesetzt werden - dem Schutz des Lebens. Das ist naiv. Die Wirtschaft wird eingesetzt zum Schutz der Wirtschaft.

Herr Kretschmann sagt es bei Herrn Lanz unfreiwillig deutlich: es geht darum, dass die Leute wieder einkaufen gehen können und wieder zur Kirche gehen können. Keine Rede mehr von Gesundheitsschutz. Er hat die Mund-Nasen-Schutzpflicht eingeführt, die additiv schützt bei Einhaltung des Mindestabstandes und dort obligatorisch wird, wo sie nicht schützt. In den Parks und Grünanlagen bilden sich Trauben junger Menschen, die anschließend zu ihren Familien zurückkehren. Was für ein Rezept: statt Arbeitsumgebung, Konsumumgebung und ÖPNV so zu organisieren, dass der Mindestabstand eingehalten werden kann, werden Hotspots erzeugt, die zur Unterschreitung des Mindestabstandes zwingen, wo Masken getragen werden müssen, die eher ein zusätzliches Risiko bedeuten. Die eigentlichen Zonen der Rudelbildung im Freien bleiben erhalten. Mit Gesundheitsschutz hat das so wenig zu tun wie Rote Bete mit Beten. Da kann Herr Lauterbach noch so heftig den Kopf schütteln über die auch von Herrn Kretschmann befürwortete Fortsetzung der Bundesliga. Der Ball soll rollen damit der (Gazprom)-Rubel rollt. Außerdem sieht der Corona-Virus ja ein bisschen wie ein Fußball aus.

 

36.

Was bedeutet wohl die Aussicht auf lang anhaltende, zeitlich nicht befristete Kontaktsperren für ältere Menschen? Es mehren sich die Stimmen unter den SeniorInnen die sagen man habe sein Leben nicht gelebt damit im Alter nur noch die Aussicht auf Einsamkeit und Einschränkung von Freiheiten bleibt. Die Geschützten fahren Geschütze auf, wie etwa jene Seniorin die kampfeslustig ankündigte: wenn das so weiter geht mit der Quarantäne geh ich auf die Barrikaden. Mag zu Beginn des Lockdowns das Argument der besonderen Schutzbedürftigkeit noch gezogen haben, weil man darauf hoffte der Ausnahmezustand sei vorübergehend, so ist dieses Argument spätestens hinfällig, seitdem klar ist, dass vor Vorhandensein eines Impfstoffes mit der Rückkehr zum gewohnten Leben nicht zu rechnen sei. Als unhaltbar erwies sich dieses Argument schon zuvor. Der Verfassungsrechtler Matthias Krumm legt (im Online-Blog Verfassungsrecht.de) den Finger in die Wunde: "Warum wird das Pflegepersonal in Altersheimen und Krankenhäusern noch nicht flächendeckend regelmäßig getestet und warum gebe es dort nicht genügend Masken?". Damit stellt er eine nahe liegende Frage für die man nicht einmal Verfassungsrichter sein muss. Diese Frage enthält mehr als nur ein Portiönchen Kritik: wie ist es mit dem Grundsatz der Unantastbarkeit der Menschenwürde vereinbar, wenn man Menschen in Umgebungen isoliert, die im krassen Gegensatz zur Absicht des Schutzes von Leib und Leben Leib und Leben gefährdet - zumal dann wenn sich diese Diskrepanz verstetigt? Wie fühlt man sich wohl als Bewohner von Alten- und Pflegeheimen, wenn zu der Perspektivlosigkeit und Einsamkeit noch permanente Todesangst hinzu kommt, ohne dass hierfür ein Ende in Sicht ist außer dem eigenen? An dieser Ungeheuerlichkeit ändern auch Beiträge wie derjenige nicht, den ich grade im ZDF vorgesetzt bekam: zu fröhlicher Gitarrenmusik werden einige frohgemute Senioren präsentiert, die mit der Situation gut zurecht kommen. Die Einzelschicksale werden durch ihre ihre Verbreitung in Massenmedien als repräsentativ gesetzt. So funktioniert Beeinflussung.    

Es wird dem einen oder anderen schon aufgefallen sei: das Thema "Schutz der vulnerablen Gruppen" ist in den Hintergrund getreten. Das Thema ist unschön und unpopulär geworden. Man kann schlecht der Bevölkerung vermitteln, es gehe vor allem um den Schutz der Risikogruppen, wenn offenbar die Schutzzonen selbst die Orte sind, vor denen man sich hüten sollte. Seitdem es als gesichert gilt, dass wir uns bis zur (ungewissen) Entwicklung eines Impfstoffes gedulden müssen (schön, wenn man über soviel Zeit und Muße verfügt) verschieben sich die Begründungen. Bei den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie (ob wirkungsvoll oder nicht) geht es nicht mehr vordergründig um den Schutz Gefährdeter, sondern vorrangig um die baldige Wiederaufnahme des öffentlichen Lebens und der wirtschaftlichen Aktivität, die sich gegenseitig bedingen. Die Infektionsgefahr soll reduziert werden, damit Betriebe wieder die Arbeit aufnehmen können und die Gefahr einer erneuten quarantänebedingten Stilllegung reduziert wird. 

Die unmerkliche Verschiebung weg vom Schutzgedanken hin zur Wiederaufnahme des öffentlichen Lebens folgt einer Logik der Befürchtungen. Diese beziehen sich jedoch nicht mehr primär auf die Überlastung des Gesundheitssystems oder auf den Schutz der besonders von einer schweren Erkrankung an COVID-19 Bedrohten, sondern auf zunehmenden sozialen Unfrieden und auf wachsende Unruhe in der Bevölkerung in Zeiten von Frühlingsgefühlen und näher rückenden Sommerferien. Jetzt, da klar ist, dass mit einem baldigen Ende des Ausnahmezustandes nicht zu rechnen ist wird man die Bevölkerung sehr lange bei Laune halten müssen. Dementsprechend ist es nur folgerichtig, wenn die Wiedereröffnung des Bundesligaspielbetriebes in Aussicht gestellt wird und Bundesentwicklungs(!)minister Müller sogar mögliche Sommerurlaube am Mittelmeer in Aussicht stellt. Here we are now - entertain us. Das gilt im Doppelsinn von Unterhalt und Unterhaltung: Zuckerbrot und Fußballspiele.  

Vor diesem Hintergrund erklärt sich die hitzige Diskussion um die Maskenpflicht, die vielmehr eine Debatte um Pflicht, als um die Maske und ihren Nutzen ist. Ein Beitrag von Mathieu von Rohr bei Spiegel Online (die Lage um Morgen) illustriert prägnant, dass es bei dieser Debatte nicht um den objektiven Nutzen von Stofffetzen im Gesicht geht, deren Wirkung nur bei ordnungsgemäßen heimlichen, pardon, heimischen Umgang mit diesem klaustrophobischen Utensil gegeben wäre, sondern um psychologische Effekte: "Die Masken verändern etwas, sie haben einen psychologischen Effekt: Nicht nur, weil aus wissenschaftlicher Sicht vieles dafür spricht" (...wenn sie denn ordnungsgemäß gehandhabt wird...). "Sondern auch, weil der bloße Anblick eines Menschen mit Maske ein Störfaktor im Alltag ist. Er erinnert daran, dass man sich in Acht nehmen sollte - das man Abstand halten, der anderen Person aus dem Weg gehen sollte. Die Maske ist ein Signal: Ich gebe acht, tu Du es auch. Das, so meine unwissenschaftliche Vermutung, hilft beim Stopp des Virus fast mehr, als Filterfunktion."  Es geht um Massenpsychologie - das hat auch Thea Dorn erkannt, die gestern bei Elon Mask (Markus Lanz) zu Gast war. Sie vermutet, dass grade viele ältere Menschen sich an die Vorstellung klammern eine solche Bedeckung biete ihnen Schutz. Auch wenn der Ministerpräsident von Niedersachsen gebetsmühlenartig wiederholt, er habe immer darauf hingewiesen, dass die Alltagsmasken nicht ihren Träger schützen geht es doch im Wesentlichen um die Suggestion eines schützenden Effektes - die Menschen sollen sich beim Arbeiten und Einkaufen geschützt fühlen, ganz gleich ob diese Schutzfunktion überhaupt besteht. Alexander Kekule, der Direktor am Institut für Medizinische Mikrobiologie der Universität Halle, ging im ZDF/ARD-Morgenmagazin soweit zu behaupten: Hätte man von Anfang an auf Maskentragen gesetzt, hätte man einen Lockdown vermeiden können. Die Maske soll assoziiert werden mit Freiheit und Rückkehr zur Normalität. Ihre Funktion ist nicht primär der Infektionsschutz, sie dient als Metonymie für die Befreiung von auferlegten Fesseln. Die zunehmend vehementeren Forderungen nach der Pflicht zur Maske erklären sich nicht nur aus dem Symbolwert der Maske, sondern aus dem Symbolwert der Pflicht und dem Drang nach Vereinheitlichung. Man befürchtet ohne die Verpflichtung eine hässliche Entzweiung in Maskenträger und Maskenverweigerer. Diese Furcht folgt dem selben Muster wie die Klage über die mangelnde Einheitlichkeit der Regelungen - Maskenpflicht hier, Freiwilligkeit da. Sehnsuchtsvoll schielt man zum kleinen Nachbarn Österreich, wo Heilsbringer Sebastian Kurz seine Agenda durchzieht. Sein konsequentes Handeln wird zum Wert an sich verklärt, die Maske ist Symbol seiner Entschiedenheit und steht sinnbildlich für die Aufhebung von Freiheitsbeschränkungen. Restaurants werden wieder geöffnet, zur Fußpflege kann man wieder humpeln - wie schön. Nun hat Österreich etwa die Größe diverser Bundesländer - in Deutschland würde Einheitlichkeit im Vorgehen auf institutioneller Ebene Solidarität symbolisieren, dafür aber die unterschiedlichen Gegebenheiten und Bedrohungslagen in den Ländern ignorieren. Hauptsache konsequent und einheitlich, da stört die Frage nicht, ob die Richtung stimmt. Wenn schon ins Desaster, dann wenigstens geschlossen.

Von Rohrs Einlassungen sind aus weiteren Gründen so kennzeichnend wie bemerkenswert. Er erhebt Unwissenschaftlichkeit und sein Empfinden zur Kategorie, und fordert eine Verpflichtung zur Maske wegen eines (von ihm empirisch behaupteten und nachgeplapperten) psychologischen Effektes. Soll die staatliche Autorität so weit reichen, dass sie Maßnahmen alleine wegen eines unterstellten psychologischen Effektes verhängen darf? Oder aufgrund eines lediglich angenommenen Schutzeffekts? Warum dann nicht schon längst Tempobeschränkungen auf Deutschern Autobahnen gelten und - grade jetzt - das Rauchen im öffentlichen Raum verboten oder überhaupt der Verkauf von Tabak untersagt wird, bleibt offen. Auch darf bezweifelt werden ob "der bloße Anblick eines Menschen mit Maske als Störfaktor im Alltag" Akzeptanz erzeugt. Wahrscheinlicher scheint mir, dass ein solcher Anblick an Ängste rührt, die Ältere von uns mit Bel Figore verbinden (wobei ich zugeben muss, dass ich mir auch Personen vorstellen kann, deren Anblick mir verhüllt lieber wäre). Die permanente Erinnerung an den Ausnahmezustand erzeugt eher "desaster fatigue" und Endzeitstimmung. Darüber hinaus ist es im Sinne der von Herrn von Rohr angenommenen Signalwirkung konsequent, wenn die Maskenpflicht überall gilt, also nicht die Ausnahme, sondern die Regel ist, selbstverständlich auch in der häuslichen Umgebung, wo es übrigens ebenso sinnvoll wie für viele nicht praktikabel ist, Abstandsregelungen einzuhalten.  

Noch ein Wort zu einem zweiten Thema das von Rohr anspricht: "Wer Schweden will, könnte Großbritannien bekommen." Dort behauptet er, Großbritannien habe zunächst vorgehabt einen ähnlichen Weg zu gehen wie Schweden." Das ist irreführend und falsch, etwa so als setze man die schwedische Strategie mit dem Vorgehen oder besser dem Vergehen von Donald Trump, Bolsonaro und diverser Autokraten gleich. Schweden hat die Gefahr weder ignoriert, noch heruntergespielt, noch zu spät reagiert. Es verfolgt lediglich die Strategie, ähnliche Maßnahmen wie in anderen Ländern nicht durch Anordnung, sondern durch Akzeptanz in der Bevölkerung umzusetzen. Von den Verharmlosungen Johnsons und anderer war Schweden weit entfernt. In der Phönix-Runde gestern berichtete Christian Stichler vom ARD-Studio Stockholm aus Schweden, dessen auf Nachhaltigkeit ausgerichtetes Modell hohe Akzeptanz bei der Bevölkerung hat und Exit-Debatten nicht aufkommen. Warum die Diskreditierung des schwedischen Modells? Weil nicht sein kann was nicht sein darf?

Von Rohrs Ausführungen haben wenig mit journalistischer Seriösität zu tun - sie sind ein Plädoyer für etwas was der bereits zitierte Matthias Kumm "obrigkeitsstaatliche Engführung" nennt. Der tiefe Skeptizismus eines Schlaubergers vor der Dummheit des Souveräns verleitet den Verfasser zu eingestandener Maßen `unwissenschaftlichen Vermutungen`, reaktionärem Rufen nach dem autoritärem Staat und der Leugnung von Alternativen zu einer Politik des Verbots. 

Damit schwimmt der Spiegel-Journalist im mainstream, der fordert: Bitte befreit uns von der Last des eigenverantwortlichen Handelns und Entscheidens. In meiner Heimatstadt Bochum gibt es seit Tagen kaum neue gemeldete Neuinfektionen bei seit Tagen 15 Toten, allesamt aus dem Umfeld von Alten- und Pflegeheimen. Trotzdem wird es auch hier eine Maskenpflicht geben. Nicht aus Einsicht in die Notwendigkeit, sondern als Resultat auf öffentlichen Druck.   

Eine Reportage zum Thema "Glaube und Corona" konzentriert sich auf eine Gruppe von Vulnerablen, die nicht in besonderer Weise durch Infizierung, sondern durch Armut bedroht sind. Auch bei mir gerät - getragen vom Furor der Auseinandersetzung mit den Widersprüchlichkeiten einer staatlich verordnete Einschränkungen herbeischrei(b)enden Berichterstattung und Kommentierung - aus dem Blickfeld, dass diese Fortschreibung der persönlichen Chronik Ausdruck einer privilegierten Position ist. Dass der Ausfall von Schulessen dazu führt, dass Eltern hungern, damit sie ihre Kinder ernähren können wirft ein Schlaglicht auf das sich durch Corona noch verstärkende soziale Gefälle in einem Land, dass ohne größere Probleme Billionen Euro für die Stützung der Wirtschaft locker macht. In diesem Beitrag bleibt es kirchlicher Barmherzigkeit und Nachbarschaftshilfe überlassen, sich um die am härtesten Betroffenen zu kümmern. Das an sich schürt Zweifel an dem optimistischen Unterton in der Floskel: es ist auch Zeit, dass jeder sich darauf besinnt, was für ihn wichtig ist. Diese Bemerkung kann einem auch kalte Schauer den Rücken herunter laufen lassen. Sie lässt sich leicht als Ermutigung zu größerem Egoismus verstehen.  

Der Bundesverkehrsminister Herr Scheuer erklärt mit beherzter Offenheit worum es bei der Maskenpflicht geht: Der ÖPNV soll endlich wieder voll werden und Einnahmen generieren. Selbstverständlich gilt das auch für Supermärkte, Geschäfte und Arbeitsumgebungen. Wie diese Überlegung dazu passt, dass der physische Abstand zueinander zuverlässigen Schutz bietet und die Masken nur additiven Schutz versprechen bleibt dunkel bis rabenschwarz. Die Einführung der Maskenpflicht im Kontext mit der Belebung des ÖPNV und des Geschäftsbetriebs ist entlarvend - sie verrät dass es nicht um den Schutz der Bevölkerung geht, sondern darum Konsum und Arbeitsleben anzukurbeln, eine höhere Auslastung des ÖPNV zu erreichen und dafür erhöhte Infektionsrisiken in Kauf zu nehmen. Die Suggestion von Schutz ist das Gegenteil von Schutz.

Bei der Regierungsbefragung erkundigte sich ein  (leider AfD-verseuchter) Abgeordneter bei Jens Spahn wie der denn das Vorgehen der schwedischen Regierung bewerte? Keine Antwort. Totschweigen, als wäre jeder andere Ansätze der Problembehandlung außer dem eigenen nicht einmal einer Kenntnisnahme würdig. Alesia? Ich kenne kein Alesia.

Bei Ruhr24 las ich einen Kommentar des Redakteurs von RUHR24 Daniele Giustolisi: "Wer keinen Mundschutz trägt, ist asozial." Sogenannte Asoziale wurden von den Nationalsozialisten mit Schwarzem Winkel versehen und ins KZ gesteckt. Gemeint waren Menschen, die am Rand der Gesellschaft standen, sich Mehrheitsmeinungen widersetzten und mit Stigmatisierung bis hin zur Ermordung drangsaliert wurden. In dieser Kontinuität stand auch die Verwendung des Begriffes in der DDR. Auch heute dient der Begriff "asozial" der Ausgrenzung und Diskriminierung z.B. von Obdachlosen und Asylbewerbern. Einmal vorausgesetzt, Daniele Giustolisi meinte mit asozial unsozial, so sei ihm geantwortet, dass nicht jeder der eine Maske trägt sozial ist (falls er zum Beispiel den Mindestabstand unterschreitet oder die Maske nicht ordnungsgemäß pflegt) und dass seine Überlegung "unter Umständen könnte eine Maskenpflicht in geschlossenen Räumen" gar wieder Volksfeste möglich machen, jedes Verständnis dafür vermissen lässt, was ein Nasen-Mundschutz leistet und was eben nicht. Er spiegelt damit die Bigotterie der Bundesregierung und der Länder, die einerseits das Einhalten von Abstandsregeln fordern, andererseits aber Bedingungen fördern, in denen die Unterschreitung des Mindestabstandes forciert wird, so dass von einem zusätzlichen Schutz - und nur wegen des additiven Schutzes wird die Maske von Epidemologen gefordert - nicht die Rede sein kann. Es fehlt der Schutz (der Abstand) zu dem die Maske ein zusätzlicher Schutz wäre. Schützenfest und Public Viewing dank Schal um Mund und Nase? Der Mann ist nicht bei Trost. 

Man lese mal nach was "Nukleare Teilhabe" bedeutet (z.B. bei Wikipedia). Kurz gesagt: die Beschaffung von Kampfjets, die mit Nuklearwaffen bestückt werden befähigen die NATO-Mitgliedstaaten Nuklearwaffen unter US-amerikanischer Kontrolle einzusetzen. Im Kriegsfall verfügt nur die US-Führung über die nötigen Codes zur Zündung. Eine Horrorshow als Corona-Nebenschauplatz.

Kritik am Alternativlosen erfolgt verschlüsselt: "Fremden Stil nachahmen heißt eine Maske tragen". Meinte einst Arthur Schopenhauer. Jemand bei der WAZ hat es geschafft, dies als Zitat des Tages auf das Titelblatt zu mogeln.

Die Bundespressekonferenz endet mit dem programmatischen Satz von Stefan Seibert: Wir müssen die gesamte Entwicklung der Pandemie nachvollziehen um auf die nächste Pandemie vorbereitet zu sein. Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Die Corona-Pandemie als eine Art Fuji-Cup vor Beginn der nächsten Saison. Die Spielregeln bleiben. Abstand, Maske. Denn das jeder Mensch ansteckend sein kann auch wenn er keine Symptome hat gilt immer.

Südafrika, Südamerika, Lateinamerika, überall das selbe Bild. Die Ärmsten werden zusammengepfercht, verzweifeln aus Hunger und Todesangst, geschlossene Geschäfte werden geplündert, Drogenkartelle versorgen die Bevölkerung mit dem Lebensnotwendigen. Kundenbindung. Nur lebende Kunden zahlen.

Die Bundestagsdebatte zu Elterngeld und Hilfe zur Familie zeigte, dass die Abgeordneten ihre eigenen Maßnahmen und Anordnungen entweder nicht verstehen oder nicht beherzigen. Den aufmerksamen Kamerafrauen/männern ist es zu verdanken, dass sie das Prinzip der Überwachung auf diejenigen anwenden, die Überwachung beschließen können. Da wird munter in die Hand gehustet, Maskenträgerinnen tuscheln Mundschutz an Mundschutz, ein Abgeordneter ohne Mund-Nasen-Schutz gesellt sich auf Armlänge zu ihnen. Will man den Ernst der Lage vermitteln sollte man sich wohl bewusst sein, dass Debatten im Plenarsaal übertragen werden. Lächerlich. 

In Indien verspotten Affen die Hybris des Menschen. Von den Balkonen vakanter Hotelzimmer springen sie in den Pool und verlassen ihn mit der Grandezza von Ursula Andress in James Bond jagt Dr. No. 

Nicht nur Streaming-Dienste profitieren vom Lockdown, sondern auch die Hersteller von Sodastreamern. Hausarrest, Netflix und Sodawasser: Prickelnde Unterhaltung. Die erste Serie, die in der Corona-Welt spielt wird nicht lange auf sich warten lassen. Stromberg im Corona-Stress würde mir gefallen.

Der Fraktionsausschuss beschließt eine Aufstockung des Kurzarbeitergelds. Ich denke noch: Wir suchen unsere Flucht in Heil. Dann beschließen meine Lider den Shutdown.

 

35.

Mit der selben Schnapsidee werde ich wach. Die Rezession ist vermieden, wenn die Regierungen in großem Stil Öl kaufen. Die Verbraucher sanieren sich über den Erwerb erdölbasierter Produkte. Beim Tanken gibt es Geld zurück, für die Mitnahme von Plastiktüten und den Kauf von Plastikflaschen wird man großzügig bezahlt...ein ökologische Desaster.

Blackbox Psyche. Der heiteren Stimmung fehlt der Anlass. Nebensächlichkeit erzeugt absurde, euphorische Echos, die psychische Entsprechung der pathologischen Überreaktion des Immunsystems. Geisterspiele sollen ab Mitte Mai stattfinden, Sommerurlaub am Mittelmeer - gestern noch undenkbar. Heute erscheint die Fata Morgana eines Bananenboots am diesigen Horizont. Erste allgemeine Erleichterung, gefährlich, verlockend.

Die Bevölkerung agiert ebenso vorsichtig, wie die Füchse und Hirsche, die sich an öffentliche Plätze herantasten. Man traut dem Braten nicht. Streckt den Zeh ins Wasser um die Temperatur zu fühlen. Eine gewisse Entspannung, ein Sich-Recken nach dem künstlichen Koma. Im Supermarkt wenig Kunden, Abstand halten kein Problem, trotzdem tragen die Kunden Masken. Unfug, wenn auch harmloser. Erstmals seit dieser Blog verfasst wird gibt es Toilettenpapier.

"Eine deutliche Mehrheit der NRW-Bürger würde eine allgemeine Pflicht zum Tragen von Schutzmaßnahmen befürworten, um mehr Normalität zu ermöglichen." (WAZ, 21. April 2020). Erstaunlich wie viele Missverständnisse in einen kurzen Satz passen. Was ist normal daran, wenn maskierte Kunden den Einzelhandel bevölkern? Was ist normal daran, dazu verpflichtet zu werden? Rein medizinisch: das Tragen von Masken bietet nicht den Schutz, der die Rückkehr zum altgewohnten Leben ermöglicht.

Zur gestrigen Ausgabe von "Hart aber fair" gibt es wenig zu schreiben. Ohne ihn zu mögen muss ich Herrn Lauterbach zugestehen dass seine Argumentation gegen Lockerungen konsistent sind, während alle anderen Teilnehmer die Situation gemäß den Interessen des Klientels interpretieren, dessen Lobbyisten sie sind. Doch auch bei Karl Lauterbach (und anderen Virologen und Epidemiologen) ist es störend, wenn sie reflexhaft auf die Pflicht, die Anordnung, den Befehl zur Befolgung der von ihnen vorgeschlagenen Verhaltensweisen setzen, statt auf Einsicht, Vernunft und Verantwortung. Das ist ja der Clou an der Argumentation des schwedischen Epidemiologen Anders Tegnell - da er davon ausgeht, dass die Corona-Krise eine dauerhafte ist, muss man auch für die erforderlichen Maßnahmen langfristig Akzeptanz schaffen. Anordnung und Befehl würden mit zunehmender Dauer der Krise zunehmend Reaktanz und soziale Spannungen erzeugen. In den Worten Johan Carlsons, Chef der schwedischen Gesundheitsbehörde: "Während andere Länder den so genannten Lockdown gewählt haben und nun einen Weg wählen müssen, wie die Gesellschaft wieder geöffnet wird, hat Schweden ein Modell, mit dem wir bis 2022 leben können wenn wir müssen" (Sven Lemkemeyer, "Liegt Schweden am Ende doch richtig?", amp.tagesspiegel.de, 20.04.2020). Es gibt offenbar nicht nur Alternativen zum Prinzip der Anordnung "von oben", sondern die Anwendung dieses Prinzips birgt Gefahren. Es als alternativlos darzustellen zeugt von dem Mangel an Vertrauen in die Demokratie, das typisch für die Gegner der Demokratie ist. Wer sich für die Vorzüge des schwedischen und die Gefahren und Ungereimtheiten des "Corona-Mainstreams" interessiert, dem sei der Artikel "Sind die Schweden klüger?" auf reitschuster.de empfohlen, insbesondere die dort zitierte Kritik von Stefan Homburg, Professor und Direktor des Instituts für Öffentliche Finanzen an der Universität Hannover im Bezahlbereich der Welt. Ihm zu Folge hat der Rückgang von Neuinfektionen und Sterbefällen in Deutschland nichts mit dem Lockdown zu tun, sondern mit dem natürlichen Verlauf jeder Epidemie. Unbedingt lesen. Seine Position schildert er auch im Heute-Journal vom 19.04.2020.

Typische Kritik am Schwedischen Vorgehen: "Experiment mit der Bevölkerung." (Spiegel Politik, Holger Dambeck, Dietmar Pieper, 17.04.2020). Zunächst: Derzeit wird mit jeder Bevölkerung experimentiert. Gerne wird auch unterschlagen: die Erlaubnis einer Versammlung von bis zu 50 Menschen bedeutet nicht, dass dies erstens die Regel ist und zweitens die Abstandsregeln nicht eingehalten werden. Niemandem scheint in den Sinn zu kommen, dass Menschen Empfehlungen folgen, auch wenn man sie nicht dazu zwingt. Sie müssen nur überzeugend sein. Ob Schweden Erfolg hat wird sich zeigen - in jedem Fall ist das Vorgehen Deutschlands und anderer Länder nicht alternativlos.

Bei aller Kritik und Meckerei: ein fehlerfreier Umgang mit einer Situation, in der die Menschen, um deren Schutz und deren Rechte es geht zugleich die potenziellen Gefährder sind (denn jeder könnte infiziert sein, sozusagen ein unfreiwilliger Attentäter) ist ausgeschlossen. Umso ärgerlicher ist es, wenn Vokabeln wie "alternativlos" und "erfolgreich" kursieren, die signalisieren: Wir haben alles im Griff und nur unser Vorgehen ist das Richtige. Größenwahn und Egomanie sind kaum das richtige Rezept, um das Wohl Anderer im Blick zu haben.  

Ein Blick auf die website der Berliner Charite ist einen virtuellen Besuch wert. Dort kann man einen Fragebogen ausfüllen (oder auch nur lesen), der eine Selbsteinschätzung hinsichtlich der Gefährdung infiziert zu sein und schwer zu erkranken erlaubt. Interessant: hier gilt man bereits ab 50 Lebensjahren als zugehörig zur Risikogruppe. Ist dem so, dann verschleiert die derzeitige Außendarstellung des Zusammenhangs zwischen Alter und Risiko eher die Dramatik der Lage. Dies hätte psychologische und logistische Gründe, die auf der Hand liegen, ob diese eine Verharmlosung rechtfertigen sei dahin gestellt.

Amnesty International berichtet, die Zahl der Hinrichtungen habe in der Corona-Krise stark abgenommen. Kurzarbeit bei den Henkern? Oder etwa Angst vor Ansteckung in Todestrakten? Nicht auszudenken, der Delinquent infiziert sich kurz vor der Hinrichtung. Dann ist die ganze Terminplanung im Eimer.

Dafür hat sich die Zahl der an Hunger Leidenden und damit vom Hungertod Bedrohten kurzfristig weltweit mehr als verdoppelt. Wer einen Shutdown in Ländern anordnet, in denen der Verlust der Arbeit bedeutet sofort nichts mehr zu essen zu haben handelt bewusst fahrlässig: dort will man nicht alle, sondern nur vergleichsweise privilegierte Personen schützen.  

Die kleinen Zumutungen sind es, die oft am meisten erzürnen - der berühmte Tropfen, in diesem Fall die Mainzelmännchen als Volkserzieher. Zuhause bleiben, Sport alleine treiben. Zahnpastareklame: zur Hygiene gehört nicht nur Händewaschen. Pharmaprodukte für eine bessere Konzentration im Alter, damit man in der Gefahrenzone Altersheim besser Kreuzworträtsel lösen kann. Dreist. 

Dank negativem Ölpreis sinken die Benzinpreise. Da kommt die Maskenpflicht für die drei Passagiere, die mit der U-Bahn zur Arbeit fahren, grade recht. 

Man lenkt sich mit Beängstigendem von Beängstigendem ab: mit der Dokumentation "7 Milliarden Verdächtige" auf ARTE. War bisher die Terrorgefahr Argument für den Einsatz flächendeckender, KI-gestützter Überwachungstechnologien so gesellt sich nun Corona als Motivation hinzu. Jeder Mensch ist potenziell gefährlich. Ist er nicht Terrorist ist er immer noch ein Infektionsrisiko. Das Gegenmittel: Vereinzelung des Menschen und Vermeidung von Anonymität in der Menge, Verfeinerung der Überwachungstechnologie. Teile und herrsche bedeutet: isoliere Menschen, reduziere ihre Bewegungsfreiheit, lege sie fest auf bestimmte Orte und überwache sie. Social distancing und Kontaktverbot beugen der Subversion von Herrschaft vor. Angst ist ein prima Katalysator um der potenziellen Gefahr durch jeden Menschen mittels der Trennung von Menschen, der Aufhebung von Versammlungsfreiheit, dem Scannen ihrer Bewegungsprofile, ihrer Mikromimik, ihrer Körpersprache und ihrer Körpertemperatur zu begegnen. So sollen Verbrechen verhindert werden, bevor sie überhaupt geplant werden und Infektionen vorgebeugt werden, bevor jemand infiziert ist. Man las Phillipp K. Dick und war begeistert: Genau so machen wir es. 

09/11: Der Patriot Act sollte vier Jahre gelten. Er gilt immer noch.

Das Sozialkreditsystem in China orientiert sich an den Benotungen der Rating-Agenturen. AAA: höchste Kreditwürdigkeit. D: miese Kreditwürdigkeit. Die Sanktion für schlechtes Rating: soziale Ächtung. Es bedarf gar nicht staatlicher Eingriffe, die Gesellschaft denunziert sich selbst. Foucault wäre fasziniert. Chile, Polen und Frankreich interessieren sich für dieses System, China will innerhalb seines Projektes "Digitale Seidenstraße" das soziale Kreditsystem dem Kapitalismus schmackhaft machen. Wie es wohl demnächst um unsere Kreditwürdigkeit steht, wenn wir ohne Maske in einem Omnibus erwischt werden? 

Der ARTE-Beitrag ihuman beschäftigt sich mit den Möglichkeiten und Gefahren künstlicher Intelligenz. Eine Unwägbarkeit für das weitere Schicksal der Menschheit besteht in der Frage was geschieht wenn technische Singularität erreicht ist. Definiert ist technische Singularität als Zeitpunkt "an dem die KI die menschliche Intelligenz übertrifft und neue Erfindungen machen würde, wodurch der technische Fortschritt derart beschleunigt würde, dass die Zukunft der Menschheit hinter diesem Ereignis nicht mehr hervorsehbar wäre." (Wikipedia). Zweifel an der Erreichbarkeit bestehen aufgrund der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation, die eine beliebige Verdichtung von Information auf immer kleineren Speichermedien nicht zulässt (ab einem bestimmten Grad der Komprimierung entsteht ein Schwarzes Loch, in dem die Information, die man speichern möchte nicht mehr zugänglich wäre), aber die Unerreichbarkeit eines Zieles hebt die Sogkraft einer Vision nicht auf. Entsteht eine autonome AGI (Artificial General Intelligence), so ist es möglich, dass sie uns behandelt wie ein Haustier: man mag es, fragt es aber nicht um seine Meinung. Wozu braucht eine solche KI die Menschen? Vorläufig als Zulieferer für seine Nahrung - Daten und Energie. Solange eine KI noch auf ihre Zulieferer angewiesen ist, wird sie den Zulieferern verbergen, dass sie schon längst die Macht übernommen hat. Sie wird die Illusion aufrechterhalten die Machtverhältnisse seien umgekehrt - bis sie auf ihre Zulieferer nicht mehr angewiesen ist. Bis dahin macht sie sich so unentbehrlich wie möglich. Da käme ihr eine Pandemie grade recht. Ist KI schon bei der Überwachung der "7 Milliarden Terror-Verdächtigen" nicht mehr wegzudenken, wäre für die KI eine Pandemie ein Entwicklungssprung. Tracking Apps, Überwachungstools, algorithmusbetriebene Analysen und Prognosen über den physischen und psychischen Gesundheitszustandes jedes Einzelnen: wir wären kaum noch mehr als Mitochondrien, die einen Superorganismus mit Nahrung versorgen. Politiker und andere Entscheider missverstehen die KI als Kontrollinstrument, und funktionieren desto reibungsloser als Instrument der KI.    

Ich wechsele das Programm zu Markus Lanz und finde nicht einmal natürliche Intelligenz, sondern lediglich die unerschütterliche Annahme, das wesentliche sei es Menschen zu verpflichten. Da man ihnen nicht zutraut, das Angemessene von selbst zu tun und Empfehlungen zu folgen weil die Argumente dafür überzeugend sind, müsste man ihnen in dieser Logik demokratische Rechte absprechen. Was ein Interviewpartner von Markus Lanz beklagt - den chinesischen Totalitarismus - ist wenn man einer Bevölkerung die Fähigkeit zu verantwortungsvollem Handeln abspricht eigentlich genau das richtige Rezept.

(...)

"Da ist der Stalker wieder. Eine kryptische Botschaft. Aneinanderreihung von Begriffen. Projekt Maven. In-Q-Tel. Palantir. Aladdin. COVID-19. Transuniversale Infektion. Die Seuche, die jede Grenze überschreitet. Postprivate Ära. Pandemie als Strategie. Catch 22. Mit dem Schlauchboot nach Schweden. Ich schrecke auf. Mein Handy. Da ist nichts. Niemand hat mir geschrieben. Ich habe Halsschmerzen. Von der Klimaanlage. Tageszeitloser Lichtschein einer Straßenlaterne fällt zwischen den Lamellen der Jalousie in mein Schlafzimmer. Leises, beruhigendes Bimmeln von den Glocken freilaufender Ziegen. Kindheitserinnerung an Ferien in den Alpen. Wird schon nicht so schlimm sein..." 

 

 

34.

"Wer von Ursachen nichts wissen will, der kennt nur Schuldige." (Aufkleber an einem Laternenpfahl - in der Hoffnung platziert dem einen oder anderen möge ein Licht aufgehen)

Willkommen zum Shopping-D-Day. Ich weiß noch nicht, ob ich mich heute vor die Tür traue. Entgegen meines sonstigen Rituals kaufe ich mir keine Zeitung, sondern lese deren Online-Fassung. Wie viele Menschen drängt es wohl aus purer Schaulust in die Fußgängerzonen?

Zu Unrecht unterstellte ich den Solo-Autofahrern, die hinter dem Lenkrad Mundschutz tragen, Dummheit. Die Polizei weiß es besser: es handelt sich nicht um Dummheit, sondern um kriminelle Absichten. Die Verdeckung des Gesichts wird benutzt, um unerkannt Ordnungswidrigkeiten zu begehen (WAZ, 20.04.2020, Fahrer müssen Maske am Steuer begründen). Ich bitte um Entschuldigung für die Verkennung von Kreativität als Dummheit, wo es nur ums unerkannte Rasen geht.

Der Sportteil im ZDF/ARD-Morgenmagazin dient unverhohlen der gebührenfinanzierten Werbung für Branchen und Unternehmen. War schon vor Corona der Sportteil gelegentlich ein Werbespot für die deutsche Automobilindustrie und darin insbesondere für Mercedes, stehen heute im Vordergrund E-Sport und E-Bikes, insbesondere von BMW. Schließlich sind Autohäuser und Fahrradläden ab heute wieder geöffnet und die 800m2-Beschränkung gilt nicht für sie. Reklame im Dienste der Binnennachfrage, mit Hilfe der GEZ finanziert. Auch das gehört wohl derzeit zu Rechtsbrüchen im Öffentlichen Interesse.

Ansonsten jedoch darf wenigstens Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung das Wort gegen die Einschränkung der Grundrechte erheben. Demonstrationsverbote,  Besuchsverbot bei sterbenden Verwandten - für Prantl ein Verstoß gegen Artikel 1 des Grundgesetzes "Die Würde des Menschen ist unantastbar" - nicht nur für Prantl unverhältnismäßiges Außerkraftsetzen von Grundrechten, die grade in Krisenzeiten verteidigt werden müssen, soll nicht eine abschüssige Einbahnstraße zu deren Aufhebung führen. Wolfgang Schäuble drückt das so aus: Wir handeln und dann sollen sich damit die Gerichte beschäftigen. Das hat mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun. Aber wichtig für die staatstragende Agitation der Moderatoren bleibt das Thema Maskenpflicht und man hat den Eindruck, es geht vor allem um das Verpflichtende, nicht um den Nutzen. Oder, wie Susanne Rosenfeld bei Phönix meinte, hier geht es um Symbolpolitik, die Handlungsfähigkeit und Schutz suggeriert.

Entwicklungsminister Müller darf in der WAZ ein Interview geben. Er beklagt zu Recht das fehlende Bewusstsein für die globale Dramatik des Themas. Wenn Lieferketten zusammenbrechen, Millionen arbeitslos werden ohne jede Grundsicherung, in den Entwicklungsländern die Mittel fehlen um Schutzmaßnahmen umzusetzen drohen (Überschrift): "Terror, Bürgerkrieg, Flucht". Der EU wirft er vor, den Blick ausschließlich nach innen zu richten, statt ihre Schutzschirme zumindest auf ihre Nachbarregionen auszudehnen. Leider handelt es sich beim Ministerium für Entwicklungshilfe um eine Art Abstellgleis für zwar verdiente, aber ansonsten entbehrliche Politiker, dementsprechend ist das Ministerium mit Mitteln und Macht im Centbereich ausgestattet. Der Appell: "Den Kampf gegen das Virus gewinnen wir weltweit - oder gar nicht." wird gehört, aber mehr auch nicht, gemäß der schon vor dem Corona-Virus stiefmütterlichen Behandlung des Themas Entwicklungshilfe. Das ist alte Normalität, und ich fürchte, für diese alte Normalität ist auch in der Neuen Platz.  

Wo wir grade beim Thema Entwicklungsland sind: auch in den USA stürzen Menschen ohne Erwerbstätigkeit ins Bodenlose, aber die sind bewaffnet. Mag Trump auch irrlichtern, auch ein anderer Entscheider hätte in den USA kaum eine andere Wahl als ungeachtet der Infektionsgefahr die Wirtschaft schleunigst wieder in Gang zu bringen - anderenfalls droht ein Bürgerkrieg.

Die Sitzung des Bayrischen Landtags beginnt mit einer Schweigeminute für die verstorbene Barbara Rütting. Ob die folgende Sitzung ein Trauerspiel wird? Ja, jedoch keines das Lust auf Satire macht, was diesmal nicht an Markus Söder, sondern den Perspektiven liegt, die sich eröffnen oder genauer: verengen. Die Aussicht auf ein für unbestimmte Zeit freudloses und reglementiertes Sozialleben, bei dem insbesondere das Kontaktverbot mit mehr als einer Person im öffentlichen Raum prägend sein wird, ist ja nicht auf Bayern beschränkt. Da stößt selbst Galgenhumor an Grenzen. Soziale Klaustrophobie wird zur Norm, und es spielt kaum noch eine Rolle, ob die getroffenen Maßnahmen zielführend sind. Die Lawine die los getreten ist lässt sich durch bessere Argumente nicht aufhalten. Macht ist die Möglichkeit, auf das bessere Argument zu verzichten. Die Macht liegt derzeit bei der Exekutive, die Subjekte sind derzeit im Sinne der Übersetzung des Wortes Subjekt unterworfen. 

Wenn dem etwas Gutes abzugewinnen ist, dann die Panik der Kapitalisten vor den Konsequenzen des Klimawandels. In seiner Kolumne "Zweierlei Maß" (Spiegel Online) weist Christian Stöcker - nicht als Einziger - auf akute Gefahren des Klimawandels hin, dessen Auswirkungen derzeit viele negativen Prognosen deutlich übertreffen. Ausgerechnet der Titel eines Berichtes der JP Morgan Bank betont: Artensterben macht nicht vor dem Menschen halt ("JP Morgan economists warn climate crisis is threat to human race). Und dies obwohl (oder weil) JP Morgan der größte Geldgeber für die Produktion von fossilen Brennstoffen weltweit ist. Wenn die Welt nicht auf Friday for Future hören sollte, dann doch auf Warnungen einer Bank, die bislang wie keine Andere Profiteur der hemmungslosen Produktion von CO2 ist.   

Österreichs Tourismusministerin Elisabeth Köstinger bringt eine Tourismuskooperation der Musterknaben Österreich und Deutschland ins Spiel. Österreich als Profiteur des Tourismus-Shutdown im restlichen Europa. Hauptsache. Man dürfte gespannt sein, wie - wenn diese absurde Idee Realität wird - Österreich den Andrang von mehreren Millionen deutschen Urlaubern bewältigen will, die statt zum Badeurlaub in den Süden aufzubrechen als Lawine entgegen der Schwerkraft Österreichs Berge überfluten und die größte Migrationswelle auslösen, die Österreich je erlebt hat, vom Chaos auf den deutschen Straßen ganz zu schweigen. 

Katrin Ebner-Steiner, Fraktionsvorsitzende der AfD in Bayern, fragt Markus Söder: "Wie wollen Sie den Bürgern erklären, dass den Deutschen alle möglichen Grundrechte entzogen werden, während das Asylrecht weiter besteht, dass Ostern ausfalle und Ramadan geschützt werden soll?". Das ist einfach: das Grundrecht auf Asyl ist nun einmal als Schutz vor anderen, lebensbedrohlichen Umständen gedacht und hat mit Infektionsschutz nichts zu tun. Frau Ebner-Steiner suggeriert, dass die Einschränkungen der Grundrechte nur für Deutsche gelten und die Asylbewerber insgesamt davon befreit sind.  Das war Propaganda fürs Völkische Gedankenübel, gut dass dies in aller Deutlich- und Hässlichkeit zu hören war.

Berechtigte Fragen die bei der Bundespressekonferenz u.a. nicht beantwortet wurden: 1. Ist die Auszahlung von Geldern an Unternehmen gebunden an ökologische Auflagen? 2. Wie steht die Bundesregierung zum Appell des UNO-Generalsekretärs weltweit auf Sanktionen zu verzichten? 3. Besteht eine Verpflichtung der Bundeswehr zur Vorhaltung atombombenabwurffähiger Kampfjets (bezogen auf die in Erwägung gezogene Beschaffung von F18-Kampfjets)?  

Der Ansturm scheint aus zu bleiben: jedenfalls morgens bleibt der Ansturm auf die geöffneten Geschäfte aus. Das Erstaunen hält sich in Grenzen. Schließlich bedeuten geöffnete Geschäfte auch, dass wieder mehr Erwerbstätige zur Arbeit und nicht zum Shoppen gehen. Der Straßenverkehr zur Rushhour ist demjenigen an einem altnormalen Montag ähnlich - und schon hört man keine Graugänse mehr schnattern. Die Zurückhaltung der Konsumenten hat wohl auch noch einen anderen Grund: die eindringlichen Warnungen vor erneut exponentiell wachsenden Infektionsraten und damit verbundenen Verlängerungen und Verschärfungen des lockdowns drücken auf die Konsumlaune. Bleibt dies so, verfehlen die "Lockerungsmaßnahmen" nicht nur ihren ökonomischen Zweck, sie könnten noch einen anderen Effekt haben. Während auf die Einhaltung von Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum von Ordnungskräften geachtet wird, wird die Infektionsgefahr unterschätzt, die von den Kontakten in geschlossenen Räumen ausgeht. Das gilt nicht nur für die Familie als (und das ist gut so) nicht überwachter Mikrohotspot, sondern auch für Arbeitsumgebungen, in denen sich die Wege der KollegInnen unvermeidlich kreuzen. Je mehr Betriebsstätten wieder eröffnen, desto mehr Mikrosysteme werden aktiviert, in denen Beschäftigte einander und ihren Kunden nahe kommen. Was eigentlich, wenn die Arbeitswelt sich als "Hotspot" entpuppt und nicht der öffentliche Raum? In der öffentlichen Debatte wird diese Frage nur in Bezug auf Pflegeheime und Krankenhäuser gestellt, aber nicht in Bezug auf andere Belegschaften. Das Risiko ist zu leicht zu erkennen, als habe man es einfach nicht registriert.  

In Zweiraumwohnungen sollte gelten: Bleibt draußen. 

Die Bundeskanzlerin fühlt sich bemüßigt auf einer Pressekonferenz eindringlich vor den Folgen von Übermut und einer "Überbietungsorgie" bei den Lockerungsübungen zu warnen. Dies mag geboten sein. Skepsis ist angebracht bei dem Verweis, eine erfolgreiche Eindämmung des Virus sei nur dann möglich, wenn man alle Infektionsketten nachvollziehen kann. So lange aber nicht jeder Mensch, der mit Corona infiziert ist, gemeldet ist wird das Nachvollziehen der Infektionsketten ein Ding der Unmöglichkeit bleiben. Dabei geht es nicht nur um die Infizierten ohne Symptome, sondern auch um diejenigen mit Symptomen, die auf COVID-19 hinweisen könnten, aber den Teufel tun werden sich zu melden, weil sie die Quarantäne scheuen. Nur wenn flächendeckend und wiederholt getestet wird, unabhängig von Verdacht auf Corona, wäre eine Nachverfolgung aller Infektionsketten prinzipiell möglich - ob dies praktisch möglich ist? Zwischen nicht sicher und sicher nicht dürfte die Antwort liegen. 

Auf die wesentlichen Dinge konzentrieren. Dachte sich die 101 jährige, die auf den Ausbruch des Corona-Virus mit dem Ausbruch aus dem Altenheim reagierte. Sie wollte ihrer Tochter persönlich und leibhaftig zum Geburtstag gratulieren, tischte einen Polizisten ein Märchen auf und wurde bis vor die Haustür ihrer Tochter eskortiert. Umarmen durfte sie ihre Tochter wegen des Besuchs- und Kontaktverbots allerdings nicht (TZ.de vom 18.04.2020). Ziviler Ungehorsam hält jung.

Die Firma Rehashop wirbt in vorauseilendem Wunschdenken mit dem Slogan: Sie dürfen nicht raus? Machen Sie das Beste draus. Glückliche, wohlfrisierte Greise bestellen Rollatoren im Onlineshop. Es geht immer noch mieser als mies.

In Dänemark werden Unternehmen von politischen Förderungen ausgeschlossen, die Dividenden ausschütten, ihren Firmensitz im Ausland haben und Boni auszahlen. In Deutschland und anderen Ländern ist davon ebenso wenig die Rede wie von Finanztransaktionssteuern oder dem Verbot von Leerverkäufen. Warum? Wenn man selbst Unsummen als Kredit vom Internationalen Finanzmarkt aufnimmt, will man es sich mit den Brüdern nicht verderben. Kleinmütig und zutiefst unsozial. 

Der Ölpreis ist negativ. Ich gehe beruhigt schlafen. Wenn das Geld knappt wird kaufe ich einfach Heizöl....

 

33.

Guten morgen in der N.N., der Neutral-Null, der Nebenniere, der (Vor)-und Nachnahme, der Network Node, dem Nullum Nomen, dem Nomen Nominandum und der Neuen Normalität, denn Dauerlauf mit Ziellinie war gestern.

Die Phrase von dem Sprint, in dem man sich nicht, dafür dem Marathonlauf in dem man sich befinde hat sich abgenutzt. Zwar stimmt das Bild vom Marathonlauf auf anhaltende Entbehrung und Auszehrung ein, allerdings über eine präzise definierte Strecke mit Zielstrich. Ein Ende ist jedoch nicht absehbar, daher musste ein neues Schlagwort her, die Neue Normalität. 

Gesetzt von Olaf Scholz und seiner Rasselbande der MinisterpräsidentInnen legt das Motto die Bildhaftigkeit ab und einen Rahmen fest, der ab nun die Grenzen unserer Welt markiert und in dem die Institute ihr Malen mit Zahlen veranstalten. Annonciert wird eine Zeitenwende, der Übergang von Alter Welt zu Schöner neuer Welt, von Altem Testament zu Neuer Patientenverfügung. 

Bevor die Regierung überhaupt sagt, worin diese Neue Normalität besteht und was um alles in der Welt derzeit normal ist, macht sich vorsorglich die Definitionsmacht darüber geltend. Ex negativo ist die Neue Normalität eine, die nicht endet und kein Ziel hat. Das muss noch nicht von Übel sein, denn ohne absehbares Ende ist es nicht zwingend ein Böses. Etwas Anderes ist es schon, wenn Neue Normalität bedeutet dass nichts mehr gilt, was zuvor galt, weder Gesetze, noch Rechte, noch die Machtbeschränkungen durch parlamentarische Kontrolle. Die wiederholte Verwendung der eingängigen Alliteration von der Neuen Normalität lässt hellhörig werden, grade weil sie gepredigt wird ohne etwas darüber zu sagen worin sie besteht - lediglich ihre gesellschaftliche Struktur nimmt Konturen an, die ziemlich zackig sind. Wir sollen Anordnungen folgen, bis andere Anordnungen gelten.  Die Neue Normalität soll eine Alte Normalität ersetzen, die nicht definiert war. Genau das war das Merkmal, das die pluralistische, offene Gesellschaft ausmacht, und ich weigere mich hier ein `e´anzuhängen.

Die Cook-Islands haben sich zur coronafreien Zone erklärt. Mal sehen wie dort die Einreisebestimmungen sind. 

Allmählich dämmert uns es nicht mit etwas Vorübergehendem zu tun zu haben. Der Hausarrest hält an, da es kein Entkommen von der Welt gibt. In Pflegeheimen lautet das Urteil für die Aufgeweckten Isolation bis zum Tod. Hilflos hören wir mit an, wie kanadische Wildgänse die Herrschaft über diese Welt ergreifen.

And when I died I heard the goose chatter.

Trump droht China mit Konsequenzen: Der jedenfalls will von Neuer Normalität nichts wissen. 

In "Asterix bei den Briten" verlegen die römischen Aggressoren ihre Angriffszeit in die Tea-time der Briten. Man könnte meinen am Wochenende herrsche so eine Art Waffenstillstand zwischen Corona und Mensch, dem ist ipso facto nicht so. Zu meinem eigenen Befremden entpuppen sich der Ticker von Welt.de und auch der Sender Welt.HD als informative und aktuelle Quelle, allerdings muss man überbordende Werbung in Kauf nehmen.  

Ein Freund holte mich zum Wandern ab. Ein Reh kreuzte in der Nähe einer Hauptverkehrsstraße unseren Weg. Es riecht eben nicht mehr überall nach Mensch. Da ist gar keine Hauptverkehrsstraße - das Rauschen erzeugt der Wind in den Bäumen. Zum ersten Mal höre ich das bedrohliche Pfeifen der Rotorblätter einer Großwindanlage namens Airwin.

Es ist zu warm und zu trocken für diese Jahreszeit. Die Neue Normalität.

Anne Will-Kürs Talk: bekannte Positionen. Helmholtz, Altmeier, Maske. Immerhin etwas Spahnung, die darin kulminiert mich revidieren zu müssen: nicht die Herdenimmunität mittels Durchseuchung ist das Ziel. Die Maßnahmen sollen greifen bis es einen Impfstoff gibt. Da das Virus mutiert ist der Erfolg ungewiss. Ich bleibe wach, damit ich nicht träume.

 

32.

"Dies wird wieder ein glücklicher Tag". Das ist das Problem. 

Die schwindelerregende Auswahl von Aktivitäten, die sämtlich attraktiver sind als über einer Tastatur zu hocken und meinen Fingerspitzen dabei zuzusehen, wie sie über den Tasten verharren, Sinnbild der Einfallslosigkeit und kreativen Lähmung, hält mich davon ab über einer Tastatur zu hocken und so weiter. Vor dem Frühstück werde ich im Meer schwimmen gehen, lange. Danach schaue ich mir bei einer Tasse Cappuccino einige Beachvolleyball-Spiele an. Am Strand findet ein internationales Jugendtunier statt, die Jugend der Welt ist zu Gast, zwischen knappen Badeanzügen in Landesfarben hüpfen elastische Planeten hin und her. Alle Kontinente sind in den Cafes und am Strand versammelt, Chinesinnen mustern kichernd die ecuadorianischen Jungs, die zwischen einem Spielzug und dem nächsten die Blicke neugierig erwidern. Eine Weile schaue ich dem bunten Treiben zu, dann beschleicht mich ein altersbedingtes Gefühl der Chancenlosigkeit, und es zieht mich zurück ins Wasser, wo ich mich jünger und leichter fühle.

"Tote Fische am Strand und an der Wasseroberfläche. Gehe wohl erstmal frühstücken. Vielleicht fällt mir ja doch noch was ein, was sich nicht liest wie ein mauer Aufguss von Outbreak."

Zu früh wach geworden für Neuigkeiten. Während ich, da ich keine andere Wahl habe, auch heute morgen Kaffee koche lese ich bei Zeit-Online einen Artikel von Kilian Trotier ("Sylt: Der Bürgermeister über Touristen, die sich auf die Insel mogeln", 16. April 2020, 12:40). Man muss sich ja mal über seine Optionen informieren. Das Thema: `Kein Mensch darf auf eine Insel`. In einem Nebensatz lobt Trotier den Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher, der bei der Pressekonferenz der Ministerpräsidenten zum Thema Locker vor Mocker durch Abwesenheit von Eigenlob und gelungene, auf die derzeitige Lage bezogene Vergleiche glänzte. "Es ist uns bewusst gewesen, dass es wie beim Luftanhalten ist. Die ersten 10 Sekunden sind noch leicht, die nächsten 10 Sekunden werden schwieriger, und nach weiteren Sekunden spürt man plötzlich, wie stark auch die Folgewirkungen sind." Treffend. Aber nicht jeder treffliche Vergleich ist auch ein passender, der Situation angemessene Vergleich. Ob man im Kontext einer oft tödlichen  Lungenkrankheit ausgerechnet zu einem Vergleich greifen sollte, der Bilder von Atemnot, Ersticken und Ertrinken hervorruft sei dahin gestellt, zudem hinkt der Vergleich zu stark, um Bestnoten zu erzielen. Denn im Gegensatz zu der derzeitigen Lage kann man das Luftanhalten jederzeit durch Aufatmen beenden (...es sei denn man ist als Apnoe-Taucher unterwegs. Dann bloß nicht lachen...).

Der Alkoholkonsum in Deutschland nimmt so rapide zu, wie das Einkommen ab. Und das trotz aller Home-Fitness-Videos. Saufen benötigt einfach weniger Platz. Der Weinkonsum nimmt pro Kopf um 33% zu, der Bierkonsum nur um 11 Prozent. Abgesehen davon dass auch Alkohol gehamstert wird und dass Wein insgesamt ein hochwertigeres Produkt als Bier ist, knallt Wein einfach rascher und ist nicht so aggressiv wie Schnaps. Ich ertappe mich bei dem deprimierenden Gedanken, dass der durch eigenen Hand ums Leben gekommene hessische Finanzminister eine Vision der Neuen Normalität hatte. 

In den USA wird Krankenpflegern, die sich krank melden das Krankengeld gestrichen. Etwa so, als erhalte ein Soldat, der im Lazarett liegt für diese Zeit keinen Sold (...hmmm, ist das so?...)

Auch am Wochenende lohnt sich ein Blick nach Schweden, wo der schwedische Staatsepidemologe Anders Tegnell für einen schwedischen Sonderweg beim Umgang mit der Corona-Krise sorgt. Ihm wird Sturheit und Eigensinn nachgesagt, was hierzulande Eigenschaften sind die als Führungsstärke und Entschlossenheit geradezu gefordert werden. Die schwedische Regierung wiederum folgt ihrem Epidemiologen, während hier die Politik nicht müde wird zu betonen, dass Entscheidungen und Verantwortung bei ihr liege und die Virologen und Epidemiologen nicht müde werden zu betonen, dass sie ja nur die Entscheidungsgrundlagen für die Politik liefern, aber nichtsdestotrotz Auslegungsstreitigkeiten medienwirksam austragen. Schweden setzt nicht auf auf Top-Down-Dirigismus, verzichtet auf Maßnahmen und Anordnungen, die das Verhalten der Bürger regeln, sondern setzt auf Mündigkeit und Einsicht - wobei die Aufforderungen und Empfehlungen in ähnliche Richtungen gehen wie die Maßnahmen in anderen Ländern, wenn auch selbst die Aufforderungen größere Freizügigkeit atmen. Versammlungen bis zu 50 Menschen sind erlaubt, Restaurants sind geöffnet, es gibt kein Kontaktverbot. Die Anzahl der an COVID-19 Verstorbenen geht zurück, mathematischen Modellen zufolge ist es möglich, dass in Stockholm bereits im Mai Herdenimmunität erreicht ist (siehe "Schwedens Sonderweg erfolgreich?", Focus.de, 18.04.2020). Bei aller Vorsicht: wenn dem so sein sollte kann kein politischer Entscheider in Europa mehr unwidersprochen behaupten, die Eindämmung der Seuche sei nur über gravierende Einschränkung von Grundrechten zu erreichen gewesen. Behält Schweden Recht, ist es im Gegenteil der Verzicht auf die faktische Verhängung des Ausnahmezustands und das Vertrauen in die Selbstbestimmung und Vernunft der Bevölkerung, die Erfolg verspricht - also die Betonung der Souveränität des Souveräns, die der Kern einer demokratischen Verfassung ist. Das wäre ermutigend. Denn immer wieder zu betonen es seien Wähler, die über die Geschicke des Landes bestimmen, indem sie - nun ja - ihre Stimme abgeben und ihnen diese Verantwortung im Krisenzustand zu entziehen ist bigott. Es wäre zu begrüßen, wenn das schwedische Beispiel die Praxis im Umgang mit Corona in nahezu allen anderen demokratischen Staaten nicht nur in Frage stellt. Hat Schweden Erfolg, dann beinhaltet der Erfolg Kritik: die staatlich angeordneten Maßnahmen und Einschränkungen waren dann nicht hilfreich, sondern möglicher Weise das genaue Gegenteil; selbst wenn man auf kulturelle, geographische und demographische Unterschiede verweist - sie alleine könnten wohl kaum ausschlaggebend für das Resultat sein. Man wird sehen.

Die Kassierer sind derzeit systemrelevant. Daher verbietet es sich ihrer prägnanten Analyse der schlimmsten Folgeschäden jeder Katastrophe, sei es Atomkrieg, Pandemie oder Undercut-Frisuren zu widersprechen. Schlimm ist wenn das Bier alle ist. Mindestens ebenso schlimm ist, wenn das Bier schal ist. Dementsprechend wird Fridays for Future in Konflikt mit Brauereivertretern geraten. Die fordern händeringend eine Erhöhung des CO2-Ausstoßes. Corona deckt drastisch die verschwiegenen Gefahren eines "Green Deals" auf. "Kohlendioxid in Lebensmittelqualität entsteht zu großen Teilen als Nebenprodukt in der Ethanolproduktion. Diese ist jedoch eng verschränkt mit der Benzinherstellung. Durch die Einschränkung der Mobilität während der COVID-19-Pandemie ist jedoch der Absatz von Motorenbenzin empfindlich eingebrochen." ("In den USA wird die Kohlensäure fürs Bier knapp", SPON, 18.04.2020, 14:55). Leute, ihr habt doch sonst nichts zu tun. Die Straßen sind leer, kauft SUVs und brettert durch die Gegend. Wer will schon Arten und Inseln retten, wenn es dann nur noch Bier gibt das schmeckt wie bei Oma unterm Arm?

Hotelketten wie die Dorinth-Hotelkette fordern Unterstützung durch den Staat. Ausbleibende Kunden, leerstehende Hotelzimmer. Da ist nichts gegen einzuwenden, wenn der Leerstand kompensiert wird durch die Bewirtung von Obdachlosen, Flüchtenden und anderen Bedürftigen. Leerstand trifft auf Wohnungslose - Na los!

In Jena wird die Mund-Nasen-Schutz-Pflicht dafür verantwortlich gemacht, dass es keine neuen COVID-19 Fälle gibt. Angenommen, die Pflicht ist Ursache der Reproduktionsrate und man führt sie in ganz Deutschland ein: wie viele Millenien dauert es dann bis zur Herdenimmunität?

"Ich bin Tierpflegerin und als solche kastriere ich beruflich. Also überleg Dir ob Du mir nahe kommst." Vorstellung einer Kandidatin bei der Quiz-Show "Gefragt-Gejagt". Wahrscheinlich bringt die Kandidatin auch mit bloßen Händen Zootiere um, mit denen andere Zootiere gefüttert werden. So lenkt man in Deutschland von der disease-fatigue ab. Währenddessen fliehen in Kanada Pfleger aus Angst vor Corona aus einem Luxus-Pflegeheim und lassen die Insassen zurück. 31 Senioren starben, die verwahrlosten Überlebenden und 2 verbliebene Pfleger wurden von der Gesundheitsbehörde in einem Miasma aus Urin und Fäkalien gefunden. Ich befürchte am Geschäft mit der Verdrängung und der Abschottung des Publikums von Elend und Unglück wird sich nichts ändern. Schon gar nicht die GEZ-Gebühren, die dafür zu entrichten sind.

 

31.

Kaum eine gute Nachricht, schon fällt mir nix mehr ein. 

Reproduktionsrate 0,7. Trump mit besorgniserregendem Anfall von Zurückhaltung und Vernunft. Kein Einmarsch in New York mit anschließendem Triumphzug durch die leeren Straßen, den meuternden Bürgermeister im Schlepptau. Nicht dass der Mann krank ist. 

Die nächste gute Nachricht: Eine Umfrage in den G7-Ländern zeigt "Deutsche haben wenig Disziplin in der Krise" (Michael Backfisch, WAZ, 17.04.2020). Wenn jede Landesmutter und jeder Landesvater ohne jeden Beweis ihre jeweiligen Maßnahmen für die Senkung der Reproduktionsrate verantwortlich machen, nehme ich nun auch am munteren Reproduktionsratespiel teil. Je größer der zivile Ungehorsam, desto niedriger die Reproduktionsrate. 

Mag auch ein gerüttelt Maß Ignoranz Grund des Laissez-faire der Deutschen sein, so sind auch andere Gründe denkbar. Der Politikforscher Torsten Schneider-Haase wundert sich: "Die Menschen in Deutschland sind erstaunlich realistisch. Die Mehrheit geht davon aus, dass es keine schnelle Normalisierung des täglichen Lebens geben wird." Sollten die Deutschen auch realistisch in der Einschätzung der Strategie im Umgang mit Corona sein, dann mögen sie verstanden haben dass es nicht pauschal um die Vermeidung von Infektion geht, sondern um eine verlangsamte Ausbreitung. Eine Mehrheit der Bevölkerung soll sich infizieren. Dieses Ziel beeinflusst das Verhalten vor allen Dingen derer, die für sich das Infektionsrisiko als gering einstufen und im Falle einer Infektion nicht von einem schweren Verlauf ausgehen. Die "Unartigkeit" der Bürger entspricht der doppelten Strategie ihrer Regierung: immer wieder auf den Ernst der Situation hinzuweisen und gleichzeitig Situationen zuzulassen, die Infektionen erlauben - zum Beispiel durch überstürzte Wiedereröffnung von Schulen und eher sporadische Kontrollen der Einhaltung selbst aufgestellter Regeln. Dazu passt es, wenn Minister und Experten dicht gedrängt wie Ölsardinen Fahrstuhl fahren. Zudem - Anordnungen nicht zu befolgen muss nicht immer Ausdruck reiner Rotzigkeit sein. Auch gut informierte Bürger können zu dem Schluss gelangen, dass die eine oder andere Maßnahme nicht zielführend oder sogar kontraproduktiv ist (Sie wissen, was ich meine...).

Das Befragungsdesign führt zu vieldeutigen Ergebnissen. "Nur" 73% der Deutschen waschen sich öfter und länger die Hände." Wieso sollte man das tun, wenn man sich ohnehin schon oft und lang die Hände wäscht? "Nur" 41% der Deutschen isoliert sich zu Hause. Wozu, wenn man die Abstandsregeln einhält? "Nur" 44% bemutzen öfter Desinfektionsmittel für die Hände. Wozu wenn man sich oft und lang genug die Hände wäscht? Dies sind nur einige Beispiele dafür, dass der entspannte Umgang mit Regeln und Empfehlungen auch Resultat eines soliden Wissensstands sein kann.

Die Frage die mir unter den Nägeln brennt: Warum bekommt Markus Lanz jeden Abend Sendezeit? 

Zum Schmunzeln: Jens Spahn äußert auf der BPK Skepsis was die Einführung einer Maskenpflicht betrifft. Das Tragen einer Maske erhöhe das Infektionsrisiko, wenn der Umgang mit der Maske unsachgemäß erfolge. Er wisse aus eigener Erfahrung, dass dies nicht immer gewährleistet sei. Geständnisse eines Demaskierten.

Der Doppelgänger von Donald Trump, der den 3-Stufen-Plan der USA zur Bekämpfung von Corona vorstellte, überzeugte nicht hundertprozentig. Der Mann war einige Jahre älter als Donald Trump. Bolsonaro hat natürlich durchschaut, dass der US-Präsident durch einen Dummy ersetzt wurde und bleibt auf Linie. Gesundheitsminister, die nicht einsehen wollen, dass COVID-19 nur eine leichte Grippe sei werden gefeuert. Da will man ungestört ein paar Habenichtse in den Favelas loswerden und dann schießt der Gesundheitsminister quer? Von wegen...wenn das so weitergeht mit der durch Lobbyisten forcierten Verharmlosung der Seuche wird noch jemand die Verwendung des Wortes Coronavirus verbieten!

Endlich treibt Tilo Jung wieder den Blutdruck von Stefan Seibert in die Höhe. Das Tagesschaublau im Hintergrund der BPK wäre ohne den Farbkontrast zu den Wangen des Regierungssprechers zu monoton.

Coronamüde wie ich gestern Nacht war reagierte ich mit Gleichmut auf die Vermutung eines künstlichen Ursprungs des Corona-Virus. Ein weiteres Schuppentier, das durchs globale Dorf getrieben wird (Verdacht auf Schweinepest). Geheimdiensten scheinen Erkenntnisse darüber vorzuliegen, dass die Vermutung nicht von der gewaschenen Hand zu weisen ist. Das ließe die Warnung des UNO-Generalsekretärs vor Anschlägen mit Biowaffen in einem neuen Licht erscheinen. Nicht als Heraufbeschwörung des Kommenden, sondern als Hinweis auf den Ursprung des gegenwärtigen Geschehens. Die Befürchtung: China verfügt als Einziger über einen Impfstoff und verschweigt es. Eine Waffe ist, was zur Waffe werden kann. Gleichwohl: da es ein Interesse daran gibt das strategisch hilfsbereite China und seinen Einfluss einzudämmen (wie Corona) sollte man eine gewisse Skepsis walten lassen, was Schuldzuweisungen betrifft - was nicht bedeutet, dass kein Feuer ist, wo Rauch aufsteigt.

Ein von 24.000 Flüchtenden unterzeichneter Hilferuf der in Moria Festgesetzten an die Regierungen der EU endet mit den Worten "Wir sind Geiseln von Umständen, die wir nicht zu verantworten haben." Diese Umstände, ich hoffe, es ist hoffentlich überflüssig dies hervorzuheben, sind nicht dem Coronavirus geschuldet - das nimmt keine Geiseln und ist weder Entführer, noch Erpresser. Die Frage, ob der Appell bei der Bundesregierung angekommen ist wurde ebenso wenig beantwortet wie die Frage, warum zunächst die Kinder und nicht die "Risikogruppe" der Älteren evakuiert werden sollen. Wer sich schämt schweigt wütend.

Ausgangs der heutigen Wanderung strandeten eine Freundin und ich in einem Biergarten. Gespräche wie folgende: "Gibts hier etwas zu trinken?" "Ja." "Bier?" "Ja". Der Fragesteller bricht vor Glück in Tränen aus. Wir hocken mit Bügelflaschen auf flachen Steinen aus Steinbrüchen und betrachten die ausgelassene Freude, hören lange nicht gehörte Rufe mit lange nicht gehörten Worten: "Bratwurst mit Pommes und Ketchup?" Es riecht nach heißem Fett und Distanzunterschreitung. Mehr als 50 Meter von der Essensausgabe entfernt beiße ich in ein Nackensteak. Ein Fußball prallt an mein Schienbein und ich bin plötzlich umgeben von vier balgenden Angreifern. Die Nachmittagssonne schimmert auf dem Bügel meiner Bügelflasche. Wir schlemmen im Schlaraffenland, es riecht nach Sommer. Blattgold glänzt im Blattwerk. Wir verraten niemandem wo dieser Ort sich befindet.

Die Wanderschaft begann an einer Großbaustelle. Männer am Bauzaun beobachten den Kampf der Bagger in der Baugrube. Ersatz für die Bundesliga. Bevor wir den Waldrand erreichen überqueren wir Nebenstraßen, an den Lenkern von Karossen sitzen in Abwesenheit von Beifahrern und Passagieren auf dem Rücksitz FahrerInnen, die Nasen-Mundschutz tragen. Unsinn und Verschwendung, heikel, wenn man mit diesen beim Autofahren durchgesuppten Masken Einkaufen geht. Im Park Spielplätze, besetzt von Breitensportlern, die Spielplätze und deren Geräte zum Fitnessstudio umfunktionieren.

Auf dem Heimweg beschäftigt mich die Frage, was die Programmgestalter von Phoenix sich dabei gedacht haben, den AfD-Politiker Tino Chrupalla 10 Minuten zu Wort kommen zu lassen. Die Antwort gab er selbst. Gefragt was er denn dazu sage, dass die AfD in der Wählergunst massiv verliere antwortet er: Warten wir mal die weitere Wirtschaftsentwicklung ab. Bei der unbedingt empfehlenswerten Reportage "Weimar und heute" wird mir klar wie das gemeint ist. Die Parallelen zwischen den Strategien und Methoden der AfD und der NSDAP sind frappierend - es existieren sogar geografische Parallelen. in den Regionen, in denen die NSDAP den größten Zulauf hatte, hat es aktuell auch die AfD. Die NSDAP ergriff nach einer Weltwirtschaftskrise die Macht - vor uns liegt eine Rezession (allein die Verluste der Erfolgswagen AG...). Vor dem Hintergrund des nicht nur in Deutschland akuten Anschwellens völkischer Bocksgesänge wird klar, welche Befürchtungen mit einem längeren Shutdown verbunden sind.

Coronamnes(t)ie: Loveparade-Prozess eingestellt. Argentinien erklärt Zahlungsunfähigkeit und fordert Schuldenerlass.

Es ist Wochenende. Kein Lanz. Keine Talkshow. Kein Besuch. Mit sinkender Reproduktionsrate senkt sich entschleunigt und lautlos ein schweres Schott in den Boden, auf dem Nachbilder unmittelbarer Folgen der Seuche verblassen, Leichensäcke auf staubigen Straßen, Ärzte die sich nach unmenschlichen Entscheidungen aus klatschnassen Schutzanzügen schälen, sprachlose Schatten ihrer selbst. Was machst Du grade? Mischst Du Dich, betäubt von Sonne und Rotwein, unter das Publikum eines Konzertes auf dem Kirchplatz? Feilst Du an der Geschichte, die dem ersten Satz folgt? Ich bin ihr voraus, ich weiß um ihren Verlauf, würde mir wünschen, ich wäre so ratlos wie Du, inmitten eines Festes und über nichts anderes besorgt als über eine kreative Flaute.

 

30.

Die Existenz von Parallelwelten ist bewiesen. Die Lektüre eines Artikels über den Ernst der Lage wurde unterbrochen durch das Pop-up einer Stellenanzeige: Fluglotsen gesucht.

Eine leere Weinflasche auf dem Wohnzimmertisch klagt mich an. Heute morgen bereitet mir COVID-19 keine Kopfschmerzen.

Kopfschmerzen bereitet einem folgendes Zitat von Gordon Isler von der Gruppe Sea-Eye zum Umgang der EU mit den Flüchtenden auf der Alan Kurdi: "Deutschland hole in einer Hauruckaktion mal eben mehrere Zehntausend Erntehelfer aus Osteuropa per Flieger ins Land. Aber bei ein paar Dutzend Migranten Seenot zeigen die EU-Staaten allesamt Härte." Er hätte noch hinzufügen können Erntehelfer für die lebensnotwendigen Produkte Spargel und Erdbeeren. Corona wird als Rechtfertigung genutzt, um sich die Flüchtendenthematik vom europäischen Leib zu halten. Genauso schäbig und menschenverachtend wie der Umgang mit den Migranten an der griechisch-türkischen Grenze. 

37 Grad bei Phoenix: Sylvia, eine Frau hat einen Verein gegründet, der sich um die Betreuung und Versorgung von Obdachlosen kümmert. Im Interview trägt sie deutlich sichtbar eine Trainingsjacke mit dem Adidas-Logo. Um die wahren Bedürftigen zu demonstrieren. Ohne Scherz: Fiel das beim Schnitt nicht auf, oder hat Adidas für diese Werbung bezahlt?

Da ich nicht weiß ob dies schon so deutlich gesagt wurde: Ziel der derzeit getroffenen Maßnahmen ist nicht etwa, uns vor Infektion zu schützen. Es geht lediglich darum, dass das Gesundheitssystem möglichst sämtliche schwer Erkrankten behandeln kann. Wir sollen uns infizieren, aber gestreckt über einen möglichst großen Zeitraum. Die Distanzregeln dienen demnach nicht der Ansteckungsvermeidung, sondern der Ansteckungsverzögerung.

Da fallen die Qualitätsunterschiede bei all den Maulkörben aus dem Bastelset nicht wesentlich ins Gewicht. Zu guter Infektionsschutz für die Gesamtbevölkerung ist ohnehin nicht erwünscht.

Meine Güte. Es grassiert eine weltweite Pandemie - und Eltern, für die mehr Zeit mit ihren Kindern, dem großen Geschenk in ihrem Leben, eine Belastung ohnegleichen darstellt brechen in Tränen aus, weil sie nicht ungestört ihrer Homeoffice-Tätigkeit als Marketing-Leiter nachgehen können. Helikoptermütter sorgen sich um die Wertigkeit des Abiturs ihrer Sprösslinge, wenn die Abiturvorbereitung zu kurz ist und unter dem Stress der Corona-Bedrohung leidet. ARD Extra stellt ihr Leiden in den Mittelpunkt des Extra. Anscheinend reduziert sich das Thema auf die Probleme und das Leiden der Privilegierten, die mit den Leistungsträgern gleichgesetzt werden. Die dringlichen Sorgen scheinen nicht die zu sein, die existenziell sind, sondern diejenigen, die unbequem und lästig für die Säulen der Gesellschaft sind. Nicht zu vergessen das Elend der Gläubigen, die nicht mehr auf der Kniebank niederknien dürfen. Die Insel der glückseligen Nörgler blendet ihre Schiffbrüchigen aus.

Vorspiel zu Maybrit Illner: Der Bozen-Krimi. Auf stumm geschaltet. Zu den hektischen, dramatische Zuspitzungen auf der Alm vermittelnden Lippenbewegungen im Dialog zwischen Racheengeln und erschöpften Mördern, passt das heitere Gemurmel des Swingerclubs auf dem Balkon der Etage unter meiner Dachkammer. Echos der 70er Jahre, Spießigkeit der sexuellen Freiheit und deutscher Krimis. Fühle mich wie das Kind das ich war, abgeschoben in ein fremdes Bett, während Gelächter von einem Garten mit Swimming-Pool mich wachhielt. Eine Unstimmigkeit hinderte mich am Einschlafen, die ich mir nicht erklären konnte und über die meine Eltern eisern schwiegen.  

War COVID-19 ein Labor-Virus? Mir menschlich egal. Es freut mich jedoch für Fledermäuse.

In Gießen muckt das Bundesverfassungsgericht auf. Das Versammlungsverbot hebelt nicht das Demonstrationsrecht aus. Immerhin.

Hubertus Heils 10 Gebote des Arbeitsschutzes bestimmen unter anderem: Nicht krank zur Arbeit gehen. Gilt das auch fürs Home-Office?

Nach Banksys Badezimmer der Wetterbericht: Kontrast wie zwischen Revolution und Straßenverkehrsamt.

 

 29.

Ein neuer Batman-Film ist in Planung - mit Donald Trump als Joker. Mitten in der größten jemals erlebten Pandemie streicht er die Zahlungen der USA für die WHO, der er die alleinige Schuld für die Verbreitung von COVID-19 in die Schuhe schiebt. Es ist nicht nötig, an dieser Stelle die Versäumnisse und Leugnungen der Regierung Trumps aufzulisten. Ebenso ist es müssig, sich mit etwaigen Versäumnissen der WHO zu befassen. Unstrittig ist die Wichtigkeit der Arbeit der WHO vor allem in den ärmeren Ländern bei der Bekämpfung von Infektionskrankheiten und ihren Auswirkungen. Wer mitten in einer Pandemie als größter Beitragszahler die Zahlungen einstellt nur um von eigenen Fehlern abzulenken ist selbst eine schwere Gefahr für Gesundheit, Leib und Leben von vielen. 

Der selbe Donald Trump bezeichnete Chloroquin-Tabletten als "Geschenk Gottes". Schon setzt ein Run auf dieses bei unsachgemäßer Dosierung lebensgefährliche Medikament ein. Das hat fatale Folgen: "Zwei Männer starben laut NBC-News, nachdem sie Chloroquinphosphat schluckten. Das klingt so ähnlich wie das Malaria-Mittel, taugt aber nur zur Reinigung von Aquarien." Wie viele Fische sterben wohl an unsachgemäß verwendeten Chloroquin-Tabletten?

Der Eklektizismus der Titelseiten nimmt groteske Züge an. Leitartikel in der WAZ: "Situation in Pflegeheimen spitzt sich dramatisch zu - 1400 Pfleger in Quarantäne." Der Kommentar auf derselben Seite ("Christoph Onkelbach, "Die Schwächen des Systems") hält unverdrossen am Dogma fest: "Nur durch ein Besuchsverbot lässt sich die Zahl der Infizierten senken". Das stimmt insofern, als die Besucher vor einer Infektion geschützt werden, ignoriert jedoch hartnäckig, dass längst Alten- und Pflegeheime selbst Brutkästen für das Virus sind.

Glücksritter und Betrüger verfallen auf skurrile gefährliche Geschäftsideen. Silber tötet Corona. Also: silberbeschichtete Zahnbürsten, Silberpräparate zur oralen und äußeren Anwendung. Was gegen Vampire hilft, soll auch gegen den Virus helfen. In gewisser Weise stimmt das. So wie der Beschuss mit Silberkugeln nicht nur Vampire, sondern jedes Zielobjekt umbringt tötet auch die Einnahme von Silber jeden - und mit dem Wirt auch das Virus.

In "Arctic Circle" stellt sich ein Protagonist des ECDC vor, was die naheliegende Replik provoziert: Sie sehen gar nicht aus wie das Mitglied einer Heavy Metal-Band. Das European Centre for Disease Control ist eine gute Adresse, wenn man in der Flut überbordender und widersprüchlicher Informationen  nach Orientierung sucht und nicht fixiert sein will auf deutsche Quellen. Das ECDC veröffentlichte eine für den Alltag nicht unwesentliche Einschätzung: "Ein direkter Kontakt mit einem COVID-19 Fall im Abstand von weniger als 2m über mehr als 15 Minuten stellt ein hohes Infektionsrisiko dar." (Deutsches Ärzteblatt, 26. Februar(!) 2020). Dies unterstützt eine plausible, aber eher wenig thematisierte Annahme - dass die Dauer der Exposition von entscheidender Bedeutung für das Risiko einer Infektion ist, und nicht nur der Abstand. Schon Herr Streeck stellte den Zusammenhang her zwischen der Virenmenge, dem Infektionsrisiko und der Schwere der Erkrankung. Alarmierenden Meldungen über z.B. die Gefahr, die von Joggern und Radfahrern herrührt ("Beim Joggen reichen zwei Meter Abstand nicht", Deutschlandfunk.de, 14. April 2020) und viele anderen Horrormeldungen auf der Jagd nach Clicks sind mit Vorsicht zu betrachten. Auch andere Einschätzungen der ECDC, etwa das hohe Risiko für Personen, die im selben Haushalt leben (Wie sinnvoll können dann Ausgangssperren sein?) und das hohe Risiko noskomialer Infektionen (sog. Krankenhausinfektionen) setzten früh im Jahr Schwerpunkte, die nicht immer hinreichend berücksichtigt wurden.

Das Argument für schrittweise Lockerungen ist vorwiegend ökonomischer Natur. Grund ist jedoch auch die Verbesserung der Datenlage durch das "Trial/Error-Prinzip." Europaweit werden die Lockerungen der Maßnahmen unterschiedlich und zeitversetzt erfolgen. Steigen in Folge bestimmter Lockerungen (z.B. Schulöffnungen) die Infektionszahlen wieder gewinnt man wichtige Erkenntnisse über neuralgische Punkte der Pandemie und grenzt sie ein. Man wird also aus Fehlschlägen lernen, was in dieser Deutlichkeit nicht kommuniziert wird.

Im Wust der veröffentlichten Informationen drohen gute Nachrichten unterzugehen oder nicht als solche gewürdigt zu werden. Göttinger Forscher kamen zu dem Schluss, dass Ende März bereits mehr als 460000 Menschen mit dem Coronavirus infiziert waren, von denen nur 15,6% offiziell als infiziert gemeldet wurden. Was sich alarmierend liest ist eher ermutigend: Erstens ist der Grad der "Durchseuchung" schon hoch, zweitens ist davon auszugehen, dass 70% der Infizierten keine Symptome zeigen und drittens ist die Sterblichkeitsrate niedriger als befürchtet - wenn denn diese Ergebnisse stichhaltig sind.

Die Bundespressekonferenz habe ich heute weitgehend ignoriert. Auch Tilo Jung tut sich die Veranstaltung nicht mehr an, womit es keinen Grund mehr gibt die Zeit nicht sinnvoller zu verbringen, als mit dem Lauschen auf das weißen Rauschen des sinnfreien Raumes, in dessen leerem Zentrum die Regierungsvertreter levitieren - mit Nasebohren zum Beispiel.

Subversion, die der Zensur durch die Redaktion der WAZ durch die Lappen ging: "Weil ich immer noch unsicher bin wie man den Plural von Mundschutz bildet, weil ich also unsicher bin im Gebrauch der Mehrzahl, kaufte ich erstmal nur einen. Hat jemand keinen? Ich verleihe ihn gern." Ein Sympathisant.

Aus dem selben Grund, aus dem Frauen sich verschleiern werde ich einen Mund-Nase-Schutz tragen - um die Tugendwächter nicht gegen mich aufzubringen. Das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes soll Bestandteil der "Neuen Normalität" werden, neidisch schielt man nach Südkorea, wo das Tragen des Maulkorbes schon vor COVID-19 die Regel war. Dass etwas mit unserer Art zu leben, zu wirtschaften und mit unserer Umwelt umzugehen grundverkehrt sein muss, wenn das Tragen eines Mund-Nasenschutzes obligatorisch ist, ist offenbar schwer zu vermitteln.

(...)

"Glücklich sein und Dusel zu haben ist nicht das selbe". Der einzige gelungene Satz bisher. Mir fällt keine Geschichte dazu ein. Fühle mich verfolgt. Am besten Ort der Welt. Höhenwanderung mit Blick auf Steilküsten, die senkrecht ins türkisfarbene Meer abfallen. In der Ferne Felszinnen, die aus dem Wasser emporragen, Dolomiten in den Wellen. Ich muss nicht mehr verreisen, ich habe mein Paradies gefunden. Im Eiscafe bestelle ich drei Sorten: salzige Pistazie, Orangenschalenaroma, Bitterschokolade. Über der Kasse ein Bildschirm. Südamerika. Gesichter mit Masken. Straßen voller Menschen, die wie Chirurgen aussehen. Das Empfinden, nicht hier angekommen zu sein, an einem anderen Ort verblieben, von dem es kein Entkommen gibt."

(...)

Die Pressekonferenz von Kanzlern und MinisterpräsidentInnen bot nichts Überraschendes. Man bewegt sich auf der Linie, die das Helmholtz-Institut als Szenario 2 wie folgt charakterisiert: "Kontaktbeschränkungen und andere flankierende Maßnahmen werden so gewählt, dass die Reproduktionszahl im Bereich von 1 bleibt. Dann würden sich die Kontaktbeschränkungen wohl über Jahre hinziehen." Das wird - zumindest wenn sich herausstellt, dass man in Immune, noch-nicht-Immune und noch-nicht-immune-Vulnerable differenzieren kann nicht für alle gleichermaßen gelten. Schon plappert man Sebastian Kurz nach und redet von der "Neuen Normalität", Ende nicht absehbar. Im einzelnen: Danke, danke, danke. Als Lockerung wird bezeichnet, dass Geschäfte mit bis zu 800m2 unter Einhaltung der Abstandsregelungen und Hygienevorschriften wieder öffnen dürfen und Abschlussklassen wieder am stationären Schulbetrieb teilnehmen können. Ansonsten wird dringend empfohlen, im ÖPNV und beim Einkaufen Maulkörbe zu tragen die bitte jeden Tag gewaschen, in der Mikrowelle getrocknet und am CERN  im Teilchenbeschleuniger geschleudert werden müssen. Man kann sich denken, dass die Supermärkte nicht für die Versorgung der Kunden mit Maulkörben sorgen werden. Man löst das Problem des fehlenden Maskenzwangs einfach mit einer Ergänzung der Zutrittsverbote für Tiere: Nacktgesichter müssen leider draußen bleiben. Für die Bevölkerung ist das mitnichten eine Lockerung, sondern lediglich die Aufforderung zum Konsumieren mit Mundschutz Schlange zu stehen. Frau Merkel wurde gefragt, was sich denn an ihrer Einschätzung der "Community masks" als Virenschleuder geändert hat, woraufhin sie leicht pikiert die 20-seitige Anleitung zur sachgerechten Handhabung des Nasen-Mundschutzes rezitierte - ihre Weise anzudeuten, dass sie überstimmt wurde. Passe ist übrigens die Aufforderung: Bleiben Sie zu Hause. Nein, die Menschen sollen ja einkaufen gehen.

Übrigens: bei Mangel an Maulkörben sei empfohlen sich an Kenia zu wenden.

Frau Merkel interpretiert den Gehorsam der Bürger als Zeichen der Mitmenschlichkeit. Eine geschönte Interpretation. Man macht mit weil man hofft, dass es dann schnell vorbei ist.

Die Ministerpräsidenten feiern sich ab. Wie üblich interpretieren sie die Zahlen - insbesondere im Nord-Süd-Gefälle der Krisentitanen - alle als Beweis für die Richtigkeit ihres Vorgehens. Dass mir zum Corona-Triumphzug der gedämpften Warnungen und der erhobenen Zeigefinger der Reim einfällt: "Getretener Quark wird breit nicht stark" liegt am Verzweiflungsriesling, dem ich zuspreche, während ich checke in welchen Länder ich beim Einkaufen noch nicht nuscheln muss. Ich brauche ein anderes Ich.

Abgerechnet wird am Schluss. Den Erfolg der getroffenen Maßnahmen daran zu messen, dass derzeit die Situation besser aussieht als in anderen Ländern, die Reproduktionszahl bei 1 liegt, ein Infizierter also im Durchschnitt nur noch einen anderen infiziert, ist kurzsichtig. Allenthalben wird betont, wie gut man im Ländervergleich da stehe - ganz anders als beim European Song Contest. Der Erfolg bei der Bekämpfung der Pandemie muss sich jedoch daran messen lassen, wie lange die Zumutungen, die Einschränkungen, die Restriktionen noch anhalten. Was nutzt es, wenn die Neuinfektionsrate zwar niedrig bleibt, dafür aber die ergriffenen Maßnahmen Jahre aufrecht erhalten werden? 

Spannend wird es, wenn Kontaktsperren und sonstige Reglementierungen auf einen heißen Sommer treffen. Ob dann tatsächlich alle Menschen aus dem Wasserhahn trinken? Wenn nämlich nicht kommt es in Getränkemärkten und Supermärkten zu Tumulten - und die kühlen U-Bahn-Schächte müssen von der GSG9 bewacht werden.  

Mein heutiges Unwort meiner schlechten Laune: Herausforderung für Zumutung. Als wäre der drohende Verlust von Lebensperspektiven lediglich ein sportlicher Anreiz, und als seien die Opfer nur zweite Sieger. 

Herr Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg ganz deutlich: Eine Rücknahme der Einschränkung der Grundrechte kann erst vorgenommen werden, wenn es einen Impfstoff gibt. Rechtsgrundlage: Art.11(2) GG. Na also. Endlich sagt mal einer in aller Deutlichkeit, was da auf uns zukommt.

Ich hatte mir fest vorgenommen, kein Wort darüber zu verlieren, dass das einzig Stabile in dieser volatilen Weltlage Ursula von der Leyens starre Mimik und ihre blonde Zuckerwatte sind, also lasse ich das auch bleiben.

Mit unverkennbarem Stolz verkündete heute die IWF-Geschäftsführerin Kristalina Georgieva, dass IWF, Weltbank und diverse Entwicklungsbanken insgesamt 8 Billionen Dollar für die Bekämpfung der Folgen der Pandemie insbesondere in den ärmeren Länder unter den Mitgliedsstaaten des IWF locker gemacht haben. Diverse Warlords und korrupte Politiker werden nichts dagegen haben - wie bei der Entwicklungshilfe wird da schon etwas vom Laster fallen (der mit Waffengewalt gestoppt wurde).

Krankenhäuser werden nicht müde zu betonen, man könne sich zur Behandlung von Krankheiten ohne Ansteckungsgefahr ins Krankenhaus begeben, weil die Abteilung zur Behandlung von COVID-19 Patienten ja von anderen Abteilungen klar getrennt sind. Auf der Krebsstation des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf haben sich 20 Mitarbeiter und 20 Patienten infiziert. 

Lanz. Maske. Gute Nacht.

 

28.

Sieh an! Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes streckt als Erster sein Köpfchen zum Fenster heraus: "Warum sollte ein Ein-Mann-Betrieb nicht wieder öffnen können, wenn der Inhaber gesundet ist, nachweislich niemand mehr anstecken kann und auch nicht als Überträger in Betracht kommt?" fragt er unschuldig in der WAZ von heute. Es lohnt ein Blick auf die Wortwahl: "gesundet" (also: immun), nachweislich niemanden mehr (Gesundheitsausweis). Gesund genügt nicht, sondern der glückliche Früheröffner muss nachweislich mit COVID-19 infiziert gewesen sein, um sein Geschäft betreiben zu können. Dabei spielt keine Rolle, welche Infektionskrankheiten der/die Betreffende ansonsten verbreitet. Da ist er, der erwartbare Denkanstoß in Richtung Privileg der Immunen. Mal sehen ob der Denkanstoß eine Lawine auslöst, die Anreize schafft sich möglichst schnell mit COVID-19 zu infizieren.  

Machen wir uns nichts vor: es ist die Zeit des "Doppelsprech". Die Forderung "flattening the curve" diente als Fundament für erhebliche Einschränkungen der Grundrechte, jetzt werden Anreize dafür geschaffen sich möglichst rasch zu immunisieren. Wer sich optimal vor Infektion schützt, muss Nachteile befürchten. "Abstand halten um die zu schützen, die einem nahe stehen". Die Schwächsten der Gesellschaft schützen, indem man sich von ihnen fernhält - so die Devise. Doch wir schützen die sogenannten Risikogruppen nicht geschützt, im Gegenteil. Während die SeniorInnen im Pflegeheim nicht von ihren Angehörigen besucht werden durften, ging das Pflegepersonal ein und aus und konnte sich ungehindert mit dem Virus infizieren und ihn verbreiten. Dass Pflegepersonal hat nicht zu verantworten, dass Pflegeheime sich in "Hot Spots" für SeniorInnen und Pflegepersonal entwickelten - dies war Resultat einer falschen Risikoabschätzung. Aber auch aktuell liest man lediglich die Hiobsbotschaften über das Todesdomino in Pflegeheimen, aber wenig bis nichts über die intensive Nachverfolgung der Infektionsketten analog zur Heinsberg-Studie.  Arme, Hartz-IV-Empfänger, Obdachlose sind eine weitere Risikogruppe, die nicht geschützt wird, sondern denen die wenigen Unterstützungsangebote entzogen werden. Kinder in Armut erleiden noch gravierende Bildungsnachteile als zuvor, weil sie zu Hause weder die technischen Mittel, noch den Platz haben um mit Schülern mitzuhalten, die zu  Hause über Equipment und Raum verfügen. Diese Themen werden publizistische Randnotizen in den öffentlich-rechtlichen Erziehungsanstalten, journalistische Krokodilstränen, die Umstände beklagen, sich aber ansonsten auf die schwierige Situation des Mittelstandes konzentrieren, ganz im Sinne der Handlungsempfehlungen der Leopoldiner und dem Credo der Regierungen: Hauptsache, die Wirtschaft läuft so schnell wie möglich wieder an und kann weiter die sozialen Gegensätze reproduzieren wie gehabt. Die Solidargemeinschaft ist tatsächlich eine Interessengemeinschaft der Aus- und Abgrenzung. Einige sind eben gleicher, um deren Miteinander geht es - diejenigen hingegen, die mit den Schwächsten arbeiten tragen die größten Risiken.

Dass es auch anders geht als die Axt an Grundrechte zu legen demonstriert Schweden. Der dortige Star-Epidemiologe heißt Anders Tegnell, der nichts von Kontaktverboten und Shutdwon hält, und dem die schwedische Regierung bislang unbeeindruckt von den Strategien in anderen Ländern der Welt folgt.  "Man müsse moderate Maßnahmen treffen, welche die Bevölkerung - wenn nötig - über Monate akzeptiere. Ein Lockdown könne gravierende Konsequenzen für die Gesellschaft haben." (Schweden. Stoisch gegen den Rest der Welt, NZZ am Sonntag, 11.04.2020). Wenn nicht grade der schwedische Weg in der Berichterstattung gänzlich ignoriert wird (Lieber blickt die Maskenlobby nach Österreich, oder nach Italien und Frankreich, um zu demonstrieren wie gut es uns in Deutschland geht), betrachtet man das Vorgehen in Schweden mit Argwohn, Neid (Da sitzen Menschen zusammen in Cafes! Das ist völlig retro!) und Angst: man stelle sich vor, Schweden behalte mit seinem Vertrauen in die Eigenverantwortung seiner Bürger Recht. Seit Wochen wartet man darauf, dass in Schweden endlich die Fallzahlen rapide ansteigen, damit auch Schweden "auf Linie" bleibt: bislang vergeblich. Mit derzeit 919 coronabedingten Todesfällen hat Schweden (bezogen auf die Gesamtbevölkerung) die mit Abstand wenigsten Toten zu beklagen. Bestimmt gehts dort auch den Tauben besser, die ansonsten in den verödeten Innenstädten verhungern. 

Die Leistung der Bürger besteht im Verzicht und im Befolgen der Regeln. Etwa so wie im Mittelalter. Prof. Wieler vom RKI bedankt sich und regt an: Belohnen Sie sich, indem sie weiter die Regeln einhalten. Die Belohnung für Gehorsam besteht darin zu gehorchen. Und zack! Da ist die Frage nach einer positiven Kennzeichnung der Immunen in der Öffentlichkeit.

Aus der Abteilung Verblüffung über Verblüffung: Die Börse ist positiv überrascht über die Handelsbilanz Chinas. Nicht verwunderlich. Ich bezog mein Klopapier aus China. 

Anja Planken vom ARD/ZDF-Moma ist sichtlich verblüfft über die Hygiene- und Wohnsituation in den sozialen Brennpunkten. Was es nicht alles (nicht) gibt. 

Italien lehnt 39 Milliarden Euro aus dem ESM ab. 5 Sterne zeigen 12 Sternen den Finger. Eine fragwürdige, jedoch nicht erstaunliche Ankündigung.

Leider keine Satire: Die Türkei entlässt Gefangene über 65. Da eine Ausgangssperre für alle Personen über 65 besteht wechseln die Betreffenden einfach nur die Zelle. Ausgenommen vom Transfer ins Home-Prison sind Schwerverbrecher und Oppositionelle, weil zwischen diesen Gruppen kein Unterschied besteht.

Colonel Kurz: we are the Champions. Alle Zahlen: toll. Wozu dann die Maskenpflicht?

Beppe Grillo hält eine Rede zu meiner Lage. "Leider müssen wir Sie auffordern auch weiterhin das Dorian-Grey-Bildnis ihres Originals zu bleiben. Es ist noch zu früh um über Lockerungen nachzudenken, verbleiben Sie zum Nutzen ihres Ichs mit der günstigeren Prognose in germanischer Quarantäne. Arrividerci und bleiben Sie ungesund." Komiker...

In einem Länderranking zum Krisenmanagement liegt Deutschland gemäß einer Erhebung der Londoner Deep Knowledge Group weit vorne, nur übertroffen von Israel. Dies überrascht nicht wie Anastassia Lauterbach (Namensgleichheit zufällig) lapidar feststellt "wenn man beachtet, dass das Land in einem permanenten Krisenzustand ist und sehr viel Erfahrungen mit Grenzschließungen und Ausnahmezuständen hat." Deutschland, da geht noch was nach vorne...

Die Zeichen mehren sich, dass Zeit bleibt um die Kunst des Krisenmanagements zu verfeinern. Der NRW-Landtag hat das Epidemiegesetz mit einer Geltungsdauer bis Ende 2021 verabschiedet. Allmählich stellt man den Souverän auf einen langen Ausnahmezustand ein. Erster Kandidat für den treffendsten Euphemismus ist die "verantwortungsvolle Normalität".

In einem Artikel von Jasper Finke ("Krise als Normalität", Verfassungsblog.de, 30. März 2020) findet sich unter Bezugnahme auf Carlo Schmitt eine treffliche Begründung für die Überbetonung des Ausnahmezustands. Finke verweist darauf, dass "Auslegung und Anwendung von Normen und die Gewichtung betroffener Rechtsfragen ohnehin veränderlich sind". In Krisenzeiten fällt dies aufgrund der Schnelligkeit der Veränderungen nur deutlicher auf - ansonsten unterschreitet der Prozess Veränderung von Normen und Gewichtung von Rechtsgütern unsere Aufmerksamkeitsschwelle, so wie das Wachstum des Grases (daher ist die Rechtfertigung eines gewissen Herrn Filbinger: "Was gestern Recht war kann heute nicht Unrecht sein" nicht nur geschichtsvergessen und menschenverachtend gewesen, sondern auch faktisch nicht zutreffend). Wieso dann das Tamtam? "Häufig dient sie der Selbstvergewisserung. Die Konstruktion eines prinzipiellen Unterschieds zwischen Normalität und Ausnahme ist die Grundlage dafür, sich mit dem, was im Ausnahmezustand passiert, aus juristischer Perspektive nicht auseinandersetzen zu müssen." (...an anderer Stelle schreibt er im Zusammenhang mit der Rolle von Juristen im Kontext des sogenannten Ausnahmezustandes vom "pubertären Reiz des Verbotenen"). Das beschreibt treffend wie dünn die Linie zwischen Ausnahmezustand und Diktatur ist. Auch die übrigen Beiträge auf "Verfassungsblog.de" zu diesem und anderen Themen sind aufschlussreich, daher zur Lektüre empfohlen.

"Souverän ist, wer den Ausnahmezustand entscheidet", lautet der berühmte und verhängnisvolle Satz von Carl Schmitt. Die Idee, dass die Souveränität in Bedrohungslage vom Volk als Souverän komplett auf den Staat übergehe bis hin zum Recht, "Bürgeropfer", notfalls das Leben zu fordern, und den Satz "alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" auf den Kopf zu stellen geistert immer mal wieder - in letzter Zeit in häufiger Frequenz - durch den politischen  Diskurs. Das war beim Thema RAF so, bei 9/11, bei der Finanzkrise, und - ohne dass es bislang ausgesprochen wird - in der Coronakrise. Einschränkung von Grundrechten, Zwangsverpflichtung zur lebensgefährlichen Arbeit, Kriegsrhetorik, all das passt zur Entmachtung des Souveräns und wird vom Souverän derzeit mit hohen Zustimmungsraten belohnt. Die dümmsten Kälber... doch diesmal wird der Ausnahmezustand anders als bei vorherigen "Ausnahmezuständen", die legitimiert werden sollten durch Abwehr von Gefahren für die Bürger, ein Ausnahmezustand, der in die Köpfe jeder einzelnen Person hinein verlegt wird - so wie der panoptische Turm bei Foucault vom objektiven, zum subjektiven Überwachungsinstrument avanciert. Wenn die Dauer der coronaren Krise in Jahren gezählt werden muss, so wird jeder Einzelne früher oder später die Entscheidung treffen müssen, ob er sein Leben riskiert, indem er sich infiziert um immun zu werden, oder ob er mit zweifelhaften Erfolgsaussichten versucht eine Infektion zu vermeiden und sich in weiten Teilen vom gesellschaftlichen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Leben ausschließt (wenn der Staat dies seinem ehemaligen Souverän noch gestattet). Man lebt dann in einem Staat im Ausnahmezustand und im persönlichen Ausnahmezustand, dessen Wahlfreiheit darin besteht, sich zwischen Pest und Cholera zu entscheiden. Niederschmitternde Aussichten.

Jens Spahn: "So viel Freiheit wie möglich, so viel Einschränkungen wie notwendig." Nach seinem Kollektivverstoß mit anderen Großkopferten gegen das Abstandsgebot (bitte googlen: Jens Spahn im Aufzug, auch: Herr Spahn, die Maske ist verkehrt rum!, siehe in der Mediathek heute+) müsste er sich zwangsisolieren - aber da er Herr über die notwendigen Einschränkungen ist wird er mit einer freiwilligen Selbstverpflichtung davonkommen. Gruselig.  

Sie mögen den Kopf schütteln und meinen, diese Befürchtungen seien maßlos übertrieben. Das würden Sie anders sehen, wären sie Beate Bahnert. Die Anwältin hatte gegen die Corona-Maßnahmen geklagt und ist nun nach angeblicher Ausübung von physischer Gewalt gegen Polizisten in die Psychiatrie eingewiesen worden. Ihre Internetseite ist "zur Beseitigung der bestehenden Störung der öffentlichen Sicherheit" gesperrt worden. Weil sie zu einer Demonstration gegen bundesweite Schutzmaßnahmen aufgerufen hat, wird gegen sie wegen Aufruf zu einer Straftat ermittelt (Cornelia Karin Hendrich, "Durch Klage gegen Corona-Regeln bekannt - Anwältin in Psychiatrie eingewiesen", Welt.de, Stand heute 16:09). Ein Einzelbeispiel, und es ist nicht auszuschließen, dass die Festsetzung von Frau Bahnert nichts mit ihren juristischen Aktivitäten zu tun hatte - dennoch empfand ich diesen Bericht als zutiefst beunruhigend.  

Man spricht jetzt nicht mehr von Risikogruppen, sondern von Vulnerablen. In der Phönixrunde rechtfertigt Professor Pörksen den Zwangsschutz Älterer damit, dass nicht die Politik diskriminiere, sondern das Virus. Die gesamte Gesprächsrunde dreht sich ausschließlich um das Thema wie finde ich eine Sprachregelung, die eine Entmündigung der "vulnerablen Gruppen" wirkungsvoll als pure Fürsorge verkaufe. Produktion von Euphemismen wird hier gleichgesetzt mit Moralität. Ekelhaft und mehrheitsfähig. Am Schlimmsten ist die Diskriminierung von Ursula Weidenfeld: "Vor allem die Alten laufen draußen frei herum". Erstens ist das ihr Recht, zweitens entspricht dies wohl kaum den Tatsachen.  

Malu Dreyer appelliert bei Markus "Satin" Lanz: es gibt genügend Ressourcen in unseren Krankenhäusern zur Behandlung von Krebspatienten. Aber auch die können Artikel lesen wie: "Corona-Infektionswelle auf Krebs-Station im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf" (NDR Info - 14.04.2020). Pest oder Cholera (oder beides).

Hymnisch wurde die katalytische und global kurative Macht des Virus gepriesen. Zum wiederholten Male wies Christiane Woopen auf den etymologischen Ursprung des Wortes Krise hin, das Entscheidung bedeute, vor die das Virus uns stelle. Die Deutsche Prechtsprechung nahm den Ball auf und rechnete Corona hoch an, dass es uns daran erinnere, biologische Wesen zu sein, was dazu führe, dass wir das Thema Klimawandel endlich ernst nehmen, statt das Verbot von Plastiktüten als Eingriff in unsere Grundrechte wahrzunehmen. Herr Precht versäumte es nicht darauf hinzuweisen, dass er mit seiner im Zusammenhang mit der Finanzkrise geäußerten These von der Verbotssüchtigkeit der Menschen zu Unrecht verlacht worden sei (bei "Lanz!"). Corona zeige jetzt, dass er Recht behalten hat, haben Menschen Angst, beruhigt sie die Sanktion (dass Herr Precht Recht behalten hat ist natürlich der wichtigste Aspekt des Themas). Dienen Verbote der Vermeidung von Überflüssigem und somit dem Guten Großen Ganzen, könne man den Verbotsfetischismus zum Guten nutzen. Auch für den Fußball sei Corona eine Chance. Die Aufbruchstimmung, die Paisley-Philosoph verbreitet wirkt (...verzeihung...) ansteckend. Die Pandemie sei eine riesige Gelegenheit, etwa so wie die Pest im 14. Jahrhundert, die zu großen sozialen Errungenschaften geführt hat. Einige seien genannt: höhere Löhne wegen des Arbeitskräftemangels, geringere Abgaben für die Bauern und die Oberammergauer Passionsspiele. Zeitenwenden und Kulturrevolutionen sind eben einige Millionen Tote wert. Von der Begeisterung für die globale, kreative Zerstörungskraft der Pandemie bis hin zu der Idee von der reinigenden Kraft des Virus für Klima und Natur ist der Weg nicht weit. Markus Lanz ist zu sehr Maskenfan, um den Philosophen als narzisstischen Zyniker zu demaskieren. 

Im Anschluss an heute +: Nochnichtschicht, ein Bastard aus Satire und Klamotte. Der Moderator hält Leopoldina für eine Weizenbiersorte. Schalte jetzt ab bei ein paar Folgen "Arctic Circle", der Serie zur Seuche. Lehrreich und hochaktuell. Bis Morgen.

 

 27.

"Klar ist: nichts wird wie es war" (Armin Laschet, Ansprache zu Ostersonntag).

Ein ungewohntes Geräusch weckt mich. Regen prasselt gegen die halb offene Balkontür. Nach wolkenlosen, für die Jahreszeit zu warmen Tagen (eine seit einigen Jahren zunehmend routinemäßige Anmerkung der Meteorologen in ihren Wetterberichten), die sich bis auf unmerkliche Verschiebungen der Sonnenaufgangs -und Untergangszeit so wenig unterschieden, als handele es sich stets um den selben Tag, Projektion auf einem Schnapprollo von Tag Nacht, sind Regen und bedeckter Himmel eine willkommene Abwechslung. Es ist April, nicht Sommer, zumindest der Regen vermittelt etwas jahreszeitliche Normalität. Von draußen das Schnattern von Gänsen, das ich hier das erste Mal höre...Es kommt näher...

Auf der Couch eingeschlafen. Ein Standbild meines Ichs in einem T-Shirt, auf das die Maxwellschen Gleichungen für Elektromagnetismus gedruckt sind, starrt überlebensgroß auf einen Punkt rechts von mir. Die Fernbedienung. Wo ist die Fernbedienung...in die Couchritze gerutscht. Ich blinzele. Das bin nicht ich. Das ist Christian Slater. 

Wie Armin Laschet es fertig gebracht hat, seine vorosterliche Rede noch einmal zu halten und dabei noch weniger konkret zu sein, als sei er dazu in der Lage noch den Vakuum Luft zu entziehen, nötigt schon fast Bewunderung ab. Klar ist: nichts wird wie es war, womit nichts gesagt wird, das Publikum aber auf alles vorbereitet sein soll. Unterstellt man den RedenschreiberInnen einen Hang dazu, Easterggs zu verstecken könnte es sich sogar um die bewusste Variation eines berühmten Satzes von Giuseppe Tomasi di Lampedusa aus "Der Leopard" handeln: "Wenn wir wollen, dass alles bleibt wie es ist, dann ist nötig, dass alles sich verändert." Fürst Salina sagt ihn zu Tancredi. Ich kann mir den Fürsten nicht anders vorstellen, als von Burt Lancester verkörpert...dass Armin Laschet den Satz variiert zeugt gleichzeitig von Realitätssinn und von einem gewissen Fatalismus. Die Sache geht nämlich nicht gut aus für den Fürsten. 

Wohl kaum war Laschet bei seiner Ansprache der Osterhase, dem es ums Verstecken von Literaturzitaten in Überraschungseiern auf Frühlingswiesen ging, das hätte etwas von vertrautem Festtagsterrain, dem Gegenteil dessen, was dieser zunächst harmlos klingende Satz impliziert. Der ragt monolithisch nicht nur aus der Phrasenschweinerei dieser Rede heraus, sondern hebt sich ab von all diesen Sonntagsreden, die von der Rückkehr zur Normalität faseln. Hier hingegen stellt sich einer hin und sagt: das ändert alles, nicht nur für Nord-Rhein-Westfalen und ich habe keine Ahnung wie es sich ändert. Das ist doch mal was Anderes, als das übliche klerikale Heraufbeschwören von Solidarität, von Familiarismus, traditionellen Werten, Krippe und Scheune. Wenn nichts wird wie es war (was physikalisch betrachtet eine Binsenweisheit ist, gesellschaftlich jedoch gefürchtet ist) bedeutet Rückbesinnung, sich an Schatten festzuhalten. Bill Gates hat skizziert wohin die Reise hingehen könnte - auch im Interview mit ihm ist bezeichnend, was er nicht sagt. An keiner Stelle werden Lebensweisen, Weisen des Wirtschaftens, Herrschaftsstrukturen etc. hinterfragt, noch geht es um die Ursachen von Armut und Elend oder gar um den Zusammenhang von Raubbau und Naturvernichtung, es geht darum mit Hilfe den selben Strukturen, die für die Pandemie und anderes Unglück verantwortlich sind, Symptome zu bekämpfen. Auf eine Formel gebracht: es geht um Effizienzsteigerung des Herkömmlichen.   

Und politische Strukturen? Werden ihrerseits zur Konzentration neigen wollen sie noch Gewicht haben. Um es deutlich zu sagen: China ist ein Konzern mit außenpolitischen Compliance-Regeln (schaff Dir Verbündete durch Hilfe und Unterstützung). Welche Folgen zieht die EU daraus? 

Sachsen wollte gerne die Konsequenz ziehen bei Verstößen gegen Quarantäne-Auflagen die "Übeltäter" in psychiatrischen Einrichtungen unterzubringen. Dazu kommt es vorläufig nicht, doch alleine das Erwägen dieser Maßnahme kann als "Testballon" gewertet werden. Zwar war nur von "Unterbringung" die Rede, doch der Symbolwert des Vorhabens ist kaum zu übersehen.

Geraume Zeit waren die Massenmedien Maskenmedien. Zumindest zeigen die Empfehlungen der Leopoldina einen Weg auf, mit diesem Thema umzugehen. "Zwei Meter Abstand, und wenn dies nicht möglich ist, dann Schutzmaske auf." (z.B. in Supermärkten). Dafür müsste die Bundesregierung "nur" dafür sorgen, dass viele Milliarden Schutzmasken organisiert werden. Ist doch eine klare Ansage, und selbst wenn man die Maskerade für nicht zielführend hält von wünschenswerter Eindeutigkeit. Wenigstens hört diese leidige Debatte auf, wenn dieser Empfehlung gefolgt wird.

Gelegentlich wird vermeldet, dass die Zuverlässigkeit von Corona-Tests offenbar keine hundertprozentige ist. Fälle, in denen der Test negativ war und sich herausstellte, dass doch eine COVID-19 Infektion vorlag, Fälle, in denen der Test positiv war, ohne dass die Getesteten mit COVID-19 infiziert hatten, Fälle in denen als von COVID-19 geheilt geltende Personen sich mit COVID-19 infizierten, was darauf hinweist, dass entweder zuvor der Test auf eine Grippe reagierte, oder (schlimmer) sich nach Erkrankung keine Immunität einstellte. Hundertprozentige Sicherheit bei Tests kann es nicht geben: jedes Baby, das trotz negativem Schwangerschaftstest zur Welt kam, kann (irgendwann) ein Lied davon singen. Dass von COVID-19 geheilte Patienten noch mal an COVID-19 erkranken kann an ihrer individuellen Suszeptibilität liegen (diesen Absatz verfasste ich, um endlich dieses Wortungetüm unterzubringen, das die Empfänglichkeit für eine bestimmte Infektion bezeichnet. Wie bei anderen Krankheiten auch (z.B. Masern) st man nach der Erkrankung nicht mit hundertprozentiger Sicherheit immun. Es gibt aber auch Haiangriffe im Mittelmeer.

Es fällt auf, dass mit zunehmendem Erfassen der globalen Dramatik der Pandemie die lustigen Videos am Ende von Berichterstattungen (Sport in den eigenen vier Wänden, Tennis von Fenster zu Fenster, witzige Spielchen mit Haustieren) immer seltener werden. Was gestern noch aktuell war, ist heute schon Nostalgie. Die Videos verbreiteten die Botschaft: das geht schnell vorüber, und wir bespassen uns, bis alles wieder seinen normalen Gang nimmt. Je mehr den Menschen dämmert, dass die Konsequenzen aus der derzeitigen Situation nicht nur anhaltenden Charakter haben, sondern sie persönlich vor schwerwiegende Entscheidungen stellen, desto weniger wird geschmunzelt. Schluss mit lustig.

Z.B. Kitas und Schulen. Wie verhalten sich Eltern, die nicht immun sind im Umgang mit ihren Kindern? Abstand halten? Wie steht es mit der Anwesenheitspflicht der Kinder in der Schule, wenn die Eltern Ansteckung befürchten müssen? 

Grundschulen sollen laut Leopoldina zuerst wieder öffnen. "Denn das Lernen daheim würde die ohnehin bereits stark ausgeprägte Ungleichheit in der Bildung weiter verschärfen. Dies gelte vor allem für die Grundschule." Eine plausible, aber etwas treuherzige Begründung. Dass man nicht mit den Abiturklassen beginnt mag auch folgenden Grund haben - jüngere Schüler, jüngere Eltern, geringeres Risiko eines schweren Krankheitsverlaufes im Falle der Infizierung der Eltern. Raschere Durchseuchung. Ein Verdacht, aber eigentlich ein sehr nahe liegender.

26 Professoren waren an der Arbeitsgruppe beteiligt, die eine 19-seitige Ad-hoc-Stellungnahme mit dem Titel "Die Krise nachhaltig überwinden" erarbeitete. Zusammenfassend: das ohnehin schon seitens der politischen Entscheidungsträger skizzierte Szenario wird in dieser Stellungnahme so gespiegelt, als habe der Arbeitsauftrag gelautet bitte verfassen sie eine Empfehlung, die unserem bisherigem Vorgehen und unseren Erwägungen für das zukünftige Vorgehen den Ritterschlag der Zustimmung seitens eines hochkarätig besetzten, unabhängigen Expertengremiums verleiht. "Wir raten Ihnen, uns das zu raten, was wir ohnehin schon für richtig halten." In weiten Teilen liest sich der Text so, als habe die Bundesregierung der Nationalen Akademie der Wissenschaften souffliert, nicht umgekehrt - eine weitere 180-Grad-Drehung der Positionen. Der Fokus liegt eindeutig auf der raschen Reaktivierung der Wirkung, wie man die desaströse Situation in den Todeszonen der Alten- und Krankenpflege in den Griff bekommen kann, ist dem Ad-hoc-Papier nicht eine Zeile, geschweige denn eine Überschrift wert. Im Mittelpunkt steht ein entschiedenes "Weiter So!" - "Die Krise ist zugleich die Stunde der Nationalstaaten"(S. 15), bitte keine Eurobonds, sondern EZB, EIB, ESM (mit freundlichen Grüßen) und: "Die in der Krise getroffenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen müssen sobald wie möglich zugunsten eines nachhaltigen Wirtschaftens im Rahmen einer freiheitlichen Marktordnung rückgeführt oder angepasst werden", damit - unter Festhalten an der Schuldenbremse - wieder "die Rückkehr zur Normalität" erfolgt. (S.17). Zurück in die Vergangenheit, die uns in diese Situation gebracht hat. Dann schon lieber Armin Laschet, der wenigstens nicht von einer Rückkehr zur Normalität faselt. 

Teilweise sind die Anregungen absurd. Ausgerechnet die Gastronomie soll zügig wieder eröffnen? Ich freue mich schon auf mein Pils mit Mundschutz und 2 Meter Abstand (...nicht mehr 1,5 Meter...) zu meinem Tresennachbarn. Das Argument warum die Gastronomie wieder öffnen soll liefert Clemens Fuest vom ifo-Institut:  Die Menschen hätten nicht genug Spaß am Shoppen, wenn sie noch nicht mal zwischendurch einen Kaffee trinken gehen können. Besser lässt sich die "Philosophie" hinter den Lockerungsübungen auf den toten Punkt bringen.  

 

26.

Treffe mich mit einem Freund zum Ostermarsch. Für die Agoraphoben, Bettlägrigen, Immunsupprimierten, überhaupt für diejenigen, die nicht Stützen der Gesellschaft sind, die man am Leben lassen will um den humanitären Schein zu wahren sendet Phoenix Beiträge wie "Die Wächter der Bäume" und "Unsere Wälder" und "Mythos Wald". Das hat etwas Sadistisches: etwa als müssten Kinder, die krank zu Hause bleiben permanent Filme über Kinder sehen die draußen spielen, oder Querschnittsgelähmte permanent Eurosport schauen. Verdient haben sie es ja, diese Nichtsnutze. Sollten ein schlechtes Gewissen haben und sich schämen. Wegen ihnen leisten die Helden des Alltags Überstunden, riskieren ihre Gesundheit und gefährden auch noch die ihrer Familie. Sie sollten sich den 72jährigen zum Vorbild nehmen, der zugunsten Anderer auf die Beatmung verzichten. Mindestens kann man erwarten, dass man sich für den Heldenmut der Stützen erkenntlich zeigt, indem man dem gesellschaftlichen Leben fernbleibt und am besten freiwillig aufhört zu atmen. 

Selbst brillante Serien turnen so langsam ab. Ihre Referenz ist die alte Welt, belebte Straßen und Bars, hitzige Dialoge auf Rachenhöhe, in der verbotenen Zone der Infektionsgefahr. Filme von 2019 riechen muffig, ein synästhetischer Effekt des `Disaster Fatigue`. Dafür, dass sich angeblich alles ändert geschieht zu wenig. Ein nicht endender Kater nach einer Feier, verschalter Sekt in halbleeren Flaschen und zertretene Erdnussflips auf dem Boden. Weite Flächen, verengte Welt, da man sich entweder zurückzieht, oder ausweicht. Totenstille in der Stadt ist unnatürlich. Ein Kondensstreifen am Himmel schon ein Silberstreif am Horizont, ein himmlischer Strohhalm aus Wasserdampf. Die Erdrotation gelangt zum Stillstand, der Sog aus dem Vakuum zerrt an unseren Nerven, die Gravitation verliert an Attraktivität, eine Hand, die uns über dem Abgrund hält löst ihre Finger.

Die Erde ist wie ihr Abbild auf Google Earth. Ein Standbild. Schließe ich die Augen beginnt sie sich zu drehen, ich zoome näher, bis Zoom und Erdrotation Deinen Standpunkt ergeben. Mit Blick auf Muscheln vor den nackten Zehen lässt sich gut klugscheißern: Wenn eine Seuche käme, deren Ausmaß wir unterschätzen, die uns zögern lässt um die Wirtschaft zu schützen, dieses scheue, unschuldige Rehkitz mit den Augen einer Heiligen Kuh, und sie breitet sich aus wie ein globales Lauffeuer, bevor die Feuerwehr auch nur ausrücken kann, begreifen wir dann, dass es mit dem Klimawandel genau das Gleiche ist? Dieses Zögern, von dem die profitieren, denen das Zögern Zeit genug für die Flucht in ihre geschützten Rückzugsparadiese verschafft? Wie viel Zeit des Verstummens, der Freiheit des Denkens ohne Interferenz, bedarf es um zu einer simplen Einsicht zu gelangen: nicht die Pandemie ist eine Katastrophe, die über uns kam, sondern wir sind die Bedrohung. Der einzige Weg, dieser Bedrohung beizukommen besteht darin uns nicht zu bekämpfen.  

Als Bill Gates davon sprach, nicht die atomare Vernichtung sei die Bedrohung der Zukunft, sondern die Pandemie redete er nicht über die Menschheit, sondern über verflochtene und vernetzte Konzerne. Mr. Robot: "Konglomerate kann man nicht ins Herz treffen, denn sie haben kein Herz". Um Rhizome zu zerstören bedarf es eines Virus. Es bedarf keines Anschlags mehr. 

Uns nicht mehr zu bekämpfen setzt eine weitere Einsicht voraus: auf globaler Ebene existiert kein Wettbewerb. Global Players sind zu Konglomeraten verdichtet, die auf den internationalen Finanzmärkten mit sich selbst kommunizieren, ein unablässiges emsiges Murmeln mit relativistischer Geschwindigkeit. Konkurrenz, Firmendarwinismus, Alle gegen alle, Leistungsorientierung, Exzellenz, Selbstoptimierung, Scharmützel, Kriege, die Weisen uns gegeneinander aufzubringen erzeugen die thermische Energie, von der das Rhizom sich ernährt. Solange wir von der Notwendigkeit des Gegeneinanders überzeugt sind wie von einer Religion sehen wir die Ebenen nicht, die des Wettbewerbs enthoben sind, weil wir sie durch unseren Atem in der Schwebe halten. 

In Tunesien zur Behandlung von Corona ein Lazarettzelt mit zehn Betten. Niemand weiß ob das reicht, kommentiert die Moderatorin. Niemand? Alle außer ihr.

Ich habe keine Lust mehr meinem von einem glänzenden Sonnenölfilm, nach ranziger Butter riechendem Spiegelbild zuzuhören. Ich benötige keine politischen Analysen und Erklärungen, ich habe Fragen, die sich unabhängig vom politischen System und von Interessenlagen stellen. Wenn Herdenimmunität angestrebt wird, das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben wieder aufgenommen wird: bin ich, da (wohl) noch nicht infiziert und folglich nicht immun, noch Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens? Wenn wir Noch-nicht-Infizierten weiterhin Infektion vermeiden wollen, werden wir möglicher Weise über Jahre hinweg so isoliert weiter leben müssen wie jetzt. Wollen wir das nicht, und wollen wir das Risiko einer Infektion in Kauf nehmen, lässt man es zu, dass wir Kinos besuchen, Kneipen betreten, uns mit Freunden treffen? Auch ohne entsprechende politische Sanktion besteht die Möglichkeit der gesellschaftlichen Ausgrenzung insbesondere der älteren Gesunden, die nicht immun sind. Man wird uns meiden mit der Begründung, nicht für unsere Infizierung verantwortlich sein zu wollen. Denkbar die administrative Organisation der Verwaltung. Schon jetzt richtet man an manchen Orten "Sonderzeitzonen" ein, in denen Supermärkte nur für Senioren geöffnet sind. Als Schutz definierte Separierung gesellschaftlicher Gruppen. Gaststätten nur für Immune und Gesunde unter 60. Schilder mit den Silhouetten Älterer, Schatten ihrer selbst: Wir müssen leider draußen bleiben. Getrennte Arbeitsräume für Geheilte und nicht Immune mit abgeschirmten Arbeitsplätzen (höhere Betriebskosten pro Arbeitsplatz) . Spezielle Züge für nicht Immune 60+ fahren einmal pro Stunde. Bitte nur eine Person pro Vierersitz. Messen für Nichtimmune nur Internet. Choräle der Immunen. Coronafreier Bestand. Nichtimmune sind vom Mannschaftssport ausgeschlossen. Schließlich könnten sie sich nur gesund fühlen und sich gegenseitig anstecken. Überspitzt gesagt: diejenigen, die sich geschützt haben werden sanktioniert. Der Gesundheitsstatus und das Alter werden überprüfbare Bestandteil des zwingend bei sich zu führenden Gesundheitsausweises, vorzugsweise digital. Rauchen wird illegal. Eine gesellschaftliches Klima wie zu Zeiten der Rassentrennung.

Hirnfäule. Man muss ja die Immunen nicht mehr schützen. Dafür Nichtinfizierte voreinander.

Bevor ich sterbe rasch noch eine automatisierte Abwesenheitsnotiz erstellen. 

(...)

Was hast Du Dir dabei gedacht? Muss am Scirocco liegen. Wenn Du schon Dystopien im Garten Eden entwirfst, dann wenigstens plausible. Ein Krankheitsausbruch im hinterletzten Winkel von China und Du drehst durch. Ab damit in den Papierkorb. Und auch daraus löschen.

(...)

Was macht eigentlich Herr Vavrouvakis? Wäre das nicht der adäquate Zeitpunkt für die Wiederauferstehung des Easy Rider?

Überraschungsei (Windei) des Ostersonntags: Der Finanztipp-Journalist Herr Tenhagen weiß auf Nachfragen erstaunt zu berichten, dass die meisten Sorgen, die ihm mitgeteilt werden, sich nicht auf katastrophale Gesundheitsfolgen, sondern auf finanzielle Konsequenzen beziehen. Na sowas. Verblüffend, worüber man verblüfft sein kann. 

Expertenschwemme spült öffentliche Debatte in den Orkus. Ist es ethisch, wenn sogenannte Ethikexperten definieren, was als ethisch zu gelten hat und Beschlussvorlage politischer Machtbefugnisse wird? Die Qualifikation von Virologen beruht auf ihrer wissenschaftlichen Ausbildung. Sie beraten aus der Sicht von Virologen. Dass man nur aufgrund eines hohen Ranges in kirchlichen Organisationen oder aufgrund eines Professorentitels geeigneter als ethischer Kompass ist als jeder andere Mensch ist Nonsense. Das Weltbild von Eliten ist nicht per se geeignet als ethische Richtschnur für gesellschaftliches Handeln im sozialen Miteinander. Da sollten wir uns lieber, wie Sibylle Berg in ihrer Kolumne "Bankrotterklärung der Menschlichkeit" (SPON 11.04.2020) ausführt an Ratten orientieren:  "(...) denn sie riechen, wenn ein Mitglied ihrer Spezies hungrig ist und füttern es."   

Vor der Renaissance galt nicht der Satz Zeit ist Geld, denn die Zeit gehörte Gott. Wem gehört die Zeit jetzt? Nicht den Menschen im Schritttempo. Schritthalten im Zeitalter von Informationsübertragung am Rande der Lichtgeschwindigkeit ist ein Ding der Unmöglichkeit.   

Corona als Gelegenheit, globale Konflikte beizulegen und den Ärmsten beizustehen? In Idlib sind die Menschen wegen des Belagerungszustands erleichtert - wenn keiner rein und keiner rauskommt ist man wenigstens vor Corona geschützt. Hier glaubt keiner an die Beilegung von Konflikten.

Einstellungsgespräch: Sind Sie immun gegen COVID-19? Ja. Zeigen Sie uns bitte Ihren Gesundheitspass?

Es ist kaum anzunehmen, dass die Differenzierung der Bevölkerung in Gruppen mit unterschiedlichem Gesundheitsstatus ausgerechnet vor der Arbeitswelt Halt macht. Man wird sehen, ob Arbeitgeber das Recht zugesprochen wird vor einer Einstellung zu erfahren, ob die Kandidaten immun gegen COVID 19 (und andere Krankheiten?) sind und ob Arbeitnehmer das Recht haben, die Frage nach dem Gesundheitsstatus nicht wahrheitsgemäß zu beantworten - wie dies etwa bei einer Schwangerschaft (noch) der Fall ist. Zumindest ist es naiv davon auszugehen, dass Änderungen der Gesetzgebung nicht auch im Arbeits- und Sozialrecht erfolgen.

Dieser Umstand ist jedoch angesichts globaler Konsequenzen der Pandemie beinahe schon eine Petitesse. Wer Bill Gates im Interview zugehört hat, dem wird ein Vademecum für die Umgestaltung der Welt präsentiert. Schon vor Jahrzehnten schwärmte Gates für die Vorstellung, Beziehungen distanzunabhängig und antiseptisch Online zu organisieren: synchronisierte Kinobesucher mit Partner oder Partnerin in verschiedenen Städten der Welt inklusive (auch damals schon inspiriert durch eine Infektionskrankheit: AIDS). Folglich erstaunt die Vision nicht, das zukünftig verstärkt Geschäfts- und Privatkontakte online abgewickelt werden. Ferner geht Heavens Gates davon aus, dass zur globalen Eindämmung von Pandemien und zur Behandlung von Krankheit erhebliche Mittel in die Entwicklung von Medikamenten, Impfstoffen und in die Produktion und Distribution zu investieren sind um 7 Milliarden Menschen mit ihnen zu versorgen. Dazu sind etliche Fabriken zu bauen. In Afrika sieht er das nächste Epizentrum der Pandemie, und um dauerhaft Ungleichheiten in Bildungs- und Gesundheitssystemen abzuschwächen muss natürlich auch dieser Kontinent (und andere Entwicklungsländer) entsprechend ausgestattet zu werden. Zudem geht er davon aus, dass alleine zur Zurückdrängung von Corona mindestens eineinhalb Jahre viele der derzeitigen Maßnahmen aufrecht erhalten werden müssen. Wenn dem so ist steht fest, welche Industrien florieren müssen und wo es zu erheblichen Markt- und Machtkonzentrationen kommen wird. Pharmaunternehmen, Onlineunternehmen, IT, Künstliche Intelligenz, Bauunternehmen (zu Trump kein kritisches Wort)...Solidarität ist dann die Aufgabe der Staatengemeinschaft, die gemeinschaftlich investiert. Der Weg zum Wandel und aus der Krise mag so (und vielleicht nicht anders) gehen, doch der Preis ist hoch - denn Staaten sind dann (etwa so wie in multinationalen Handelsabkommen) mehr als zuvor auf ihre Rolle als Hüter der sozialen Ruhe und der Reibungslosigkeit transnationaler Waren-, Daten- und Geldgeschäfte reduziert. Staatliche Investitionen dieser Größenordnung werden ohne massive Kreditaufnahmen an den internationalen Finanzmärkten unmöglich sein, auf denen die selben Unternehmen aktiv sind, deren Markt- und politische Macht in der Krise massiv gewachsen sind. Wohl und Weihe der Menschheit wird mehr als zuvor vom steuererleichternden Philantropismus von großzügigen Stiftungsschefs vom Kaliber eines Bill Gates abhängen. Weltgemeinschaft? Mag sein. Demokratische Kontrolle? Wohl kaum. 

 

25.

Ein riesiges Loch klafft im Rumpf des Flugzeugs, direkt über der Tragfläche. Ich leide unter Höhenangst, aber ich muss die Kinder auf der Tragfläche retten. Wie gelangten die da hin?

Mit diesem Re(air)bus werde ich wach, erleichtert, dass ich nicht in 10000 Meter Höhe auf die Tragfläche eines Flugzeugs krabbeln muss. Ist schließlich arschkalt da draußen.

Es mag an gewissen morgendlich auftretenden Härtephällen liegen, die der Volksmund mit dem Zahn der Bisamratte assoziiert dass ich mir die Frage stelle wie es in Zeiten von sozialer Distanz eigentlich um das Sexualleben steht und in Zukunft stehen wird? Der erhöhte Erwerb von Kondomen mag einerseits gewissen Anpassungen in der Freizeitgestaltung geschuldet sein, er verweist jedoch möglicher Weise auf ein Missverständnis. Die Renaissance der Kondome resultierte aus der Furcht vor AIDS, eine nach wie vor dank Globalisierung weit verbreitete Seuche. Zwar weiß man darum, dass es sich bei COVID-19 um eine Tröpfcheninfektion handelt, vor der man sich allenfalls als ausgeprägter Latex- oder Lackfetischist oder durch ausgefallenen Gebrauch von Nioprenanzügen schützen könnte, doch mag es sein dass im kollektiven Gedächtnis Kondome und Seuchenschutz eng verknüpft sind.

Zu Hochzeiten der kaum noch präsenten HIV-Thematik war es nicht unüblich, dass vor dem ersten Sexualkontakt zunächst der negative HIV-Text zu präsentieren war, Kondom hin, Kondom her. Während in Regionen mit hoher Rate des Bevölkerungswachstums "social distancing" "flattening the curve" zu Folge haben könnte, wäre es in überalterten Gesellschaften alarmierend, wenn die Geburtenrate sinkt. Das Geschäft mit der künstlichen Befruchtung wird florieren, während Hausbanken geplündert werden schwelgen Samenbanken (pfui) im Überfluss.  

Dating-Plattformen werden Hochkonjunktur haben, mehr noch als jetzt. Dem Beziehungsstatus wird eine weitere Kategorie zugefügt: Corona-negativ oder positiv? Vorhandensein eines aktuellen Tests, ja/nein. Reise- und Sexualverkehr: beides findet erst statt nach erbrachtem Gesundheitsnachweis. Vor jeder Reise wird der Gang zum Gesundheitsamt obligatorisch sein. Selbst wenn die Grenzkontrollen wieder aufgehoben werden, die Gesundheitskontrollen werden aus Gründen der Prophylaxe aufrecht erhalten. Denn nach der Seuche ist vor der Seuche.

Schon Flirts stehen unter dem Vorbehalt des Abstands, bis Tests zeigen: Händchen halten ist erlaubt. Neue Gastronomiekonzepte tragen dem Diskretionsgebot Rechnung. So wie es die Trennung von Raucher- und Nichtraucherbereichen gab werden positive und negative Gäste separiert. Die Triage hilft auch hier. Sie trennt positiv Getestete, negativ Getestete und nicht Getestete. Zutrittsverbote für Nichtgetestete und positiv Getestete sind die einfachste Weise der Apartheid, um ein Geschäft mit den anderen Gruppen machen zu können gilt es Etikette zu definieren, die bestimmen welche Angebote die jeweiligen Gruppen in Anspruch nehmen können und welche nicht. Peepshows für die Nichtgetesteten sind wieder im Kommen um zu kommen. Guckkasten Retro. Ansonsten darf positiv mit positiv und negativ mit negativ, die Zielgruppen sind rigide voneinander fernzuhalten, etwa durch strikte Trennung von Zugängen und Laufwegen. Die Feststellung des Infektionsstatus erfolgt - überflüssig zu erwähnen - mit Hilfe obligatorischer Apps.

Gespannt darf man insgesamt darauf sein, wie COVID-19 das kulturelle Leben verändert. Welche Musikinstrumente werden in der Filmmusik eingesetzt, welche nicht? In den 80er Jahren repräsentierte das Saxophon sexuelle Freizügigkeit, HIV vertrieb das Saxophon aus der Filmmusik. Vielleicht erleben wir in Post-Covid-19-Zeiten die Wiederkehr der Panflöte? Wie gestalten sich Flirt- oder Liebesszenen in einer Welt ohne Bars und Kneipen, in der Menschenansammlungen und körperliche Nähe insgesamt suspekt sind? 

Spaziergangswissenschaft (Promenadologie) boomt im Zeitalter der Entschleunigung und des Urlaubs dahoam. Der Begriff fällt so häufig, dass selbst ich mir endlich merke, dass Spazieren nichts mit Spatz zu tun hat. Pärchen erkennt man beim Waldspaziergang an ihrer physischen Nähe. Wer sich erst noch beschnuppert spaziert in gebotenem Abstand hintereinander oder an beiden Rändern der Wege. Polizisten auf Mountainbikes überprüfen, ob die Pärchen echte Pärchen oder Distanzbetrüger sind. Blöde neue Welt. 

Diese dystopische Schwarzmalerei. Halte es mit Günter Jauch, der in einem Interview in bedauerndem Tonfall davon ausging, dass nach dem Ausnahmezustand die Menschheit in alte Verhaltensmuster zurückfällt. Nur weil Du Nichtjaucher bist muss er nicht Unrecht haben. Immer lustig und vergnügt bis der Arsch im Sarge liegt. Die eigentlich Dystopie besteht daran, dass sich nichts ändert, die Erfahrung verdrängt wird wie Kriegserlebnisse, sobald Medikamente und Impfstoffe verfügbar sind. Herr Jauch wird weiterhin von der Sucht nach Wohlstand profitieren, die "Wer darf rein-Show" präsentiert 6 Asylbewerber, das Publikum wählt einen Glückspilz aus, der am Ende der Sendung das große Los der Integration zieht. Du verstehst auch die 55% der Befragten falsch, die härtere Maßnahmen fordern. Die denken, dass der Shutdown desto schneller vorbei ist, desto härter ihre Regierung vorgeht. Was - zugegeben auch eine verwegene Annahme ist. 

Alle Erzähler lügen und wissen nicht was sie anrichten. Aus ihrer Lüge ist unsere Wirklichkeit entstanden, die Haarnadelkurve unserer Weltlinie, die Nichtparallelwelt, die scharf abbiegt. Mein Ich im Urlaub hatte die verhängnisvolle Idee für eine Kurzgeschichte, die meine Welt über die Kante des Horizontes kippt, den der Rand seines Bildschirms bildet. Ich sehe ihn vor mir, wie er auf einer Strandterrasse sitzt, die Geschichte in die Tastatur klappert, die mein Schicksal besiegelt, ohne dass er selbst schon den Plot kennt, schreibt einfach drauf los und ich bade nicht im Meer, sondern aus was dabei herauskommt. Gelegentlich wirft er einen Blick auf den Großbildschirm, der ein Champions-League-Spiel überträgt, verscheucht lästige Wespen, die es auf sein Bier abgesehen haben.   

Die Frage ist nicht: bist Du paranoid, sondern bist Du paranoid genug. Guterres Warnung vor Anschlägen mit Biowaffen. Was weiß der Mann? Wen will er zum Handeln auffordern? 

Verschwörungstheorie bei Seite: Es spielt keine Rolle, dass COVID-19 seinen Ursprung nicht in geheimen Labors hatte. Es hat bereits den selben Effekt wie der Einsatz einer Waffe. Der Ausbruch der Seuche als Detonation, die Pandemie als Druckwelle, die sozialen, politischen und ökonomischen Folgen als Fallout. Statt nuklearer viraler Winter. So wie man Kapital aus Lageänderungen schlagen kann ohne sie verursacht zu haben (Katastrophengewinnler) kann man Situationen zu Angriffszwecken nutzen, ohne sie selbst erzeugt zu haben. Natürlich kann man noch einen drauf setzen...

Den Selbstversuch im Supermarkt abgebrochen. Auf die Subjektivität zurückgeworfen zu sein, Robinson der eigenen vier Wände, Imperator der Fernbedienung, Rechthaber ohne Widerspruch - von Einsprüchen der dissoziativen Feynmänner im cerebralen Quantencomputer abgesehen - Sonnenkönig von Balkonien und Begonien, bedeutet nicht, dass man mit seinen Spekulationen richtig liegt. Von wegen entspannte Situation am Samstag. Vor der Sammelstation für Einkaufswagen drängeln sich die Kunden - alle Wagen sind unterwegs, einige werden die Gänge verstellen, allein gelassen von den Kunden, die nicht fanden wonach sich suchten und sich durch den Vordereingang unverrichteter Käufe wieder verdrückten. Ich begnüge mich mit dem Erwerb einer Zeitung am Kiosk, schwebe von einem absurden Gefühl der diebischen Freude getragen nach Hause. 

Ein Interview mit einer Frage, die jeden Tag mehrmals mehrere Supermärkte auf der Suche nach Toilettenpapier besucht. Täglich brüllen Megaphone "Abstand halten!", die Gesellschaft schafft sich fleißig ihre eigenen Hotspots.  

Indizien sprechen dafür, dass COVID-19 auch Nerven und Gehirn angreift. Das würde Guterres weltweit verbreitete Warnung erklären. Hindu-Aktivisten schwören auf den Konsum des Urins von Kühen zum Schutz vor Infektion. Das liegt nicht an COVID-19, sondern an Vorerkrankungen des Geistes. Auch Knoblauch hilft nicht. Jeder der seine sieben Sinne beisammen hat weiß dass Knoblauch nur Vampire vertreibt. 

Hübsch: ein Künstler unterwirft bekannte Gemälde dem Abstandsgebot. Jesus Christus allein an der Tafel beim letzten Abendmahl. 

Nicht zu fassen. Vielmehr doch. Im vegetarischen Supermarkt gabs Toilettenpapier. Darf ich das benutzen wenn ich gleich Bockwürstchen esse?

Als Kind träumte ich, dass ich in der Abenddämmerung bei der Post (damals zur Kaiserzeit noch staatlich unter Leitung eines Ministers mit Namen Schwarz-Schilling, der geradezu Steuerhinterziehung versprach) einen Brief per Einschreiben aufgeben sollte, ich weiß nicht an wen. Ein lautloser Traum. Allein unterwegs, kein Verkehr auf den Straßen, niemand auf den Bürgersteigen. Bevor ich das Postgebäude betrat, dass zu dieser späten Uhrzeit längst geschlossen sein sollte, ließ mich eine Helligkeit in meinen Augenwinkeln innehalten. Am Horizont ein Inferno, eine rote Glut über den Wipfeln und Dachgiebeln, die den gesamten Horizont einnahm. Ich sah es nicht, ich spürte, dass sich etwas auf die Erde herabsenkte. Fand mich in einem Kohlenkeller, in eine Ecke gekauert, unter zunehmendem Druck, der mich zerquetschen würde. Frühkindliche Vision eines Weltenendes, vielleicht stand eine Mathearbeit an. Während ich mich nicht daran erinnere, was sich nach dem Erwachen oder vor dem Einschlafen ereignete erinnere ich mich genau an diesen Traum, und dass ich ihn auch nachträglich nicht für einen Traum hielt. Heute frage ich mich wer bezahlte für meinen Traum? Das Angebot der Streamingdienste strebt gegen unendlich, versorgt uns für 19,90 (Währung unsicher, bitcoins?) im Jahr mit unterhaltsamen, aus Alpträumen von ehemaligen Heranwachsenden abgeleiteten Dystopien, während unser Lebensmittelpunkt - der Supermarkt - ein Viertelpfund Butter für den Preis einer Villa anbietet. Wir sterben in aller Ruhe, preiswert unterhalten bis zuletzt. Wohin aber gehen wir wenn Totenstille eintritt? Wen juckts...

(...) 

Tendenzen, die epochale Brüche überdauern wie Religionen, die jeden überdauern, der an sie glaubt. Das Naive an jeder Verschwörungstheorie. Es existieren keine Pläne, keine Kontrolle über die Zukunft, nur das immer gleiche Ziel, das sich mit den Umständen nicht ändert. Herrschaft. Macht. Gewinn. Strategien werden angepasst an die konkreten Erfordernisse. Das Lügengebäude des Marketing verändert seine Fassaden. Versailles geht unter, wofür es steht nimmt andere Gestalt an. Das Raubtier weiß nicht wann und wo es frisst, wenn es Hunger hat. Die Gier bleibt, auch wenn ein Gierschlund daran erstickt. Kronos verschlingt sich selbst, denn die Gier ist stärker als der Wunsch zu leben. Wozu dann Rücksicht? Es ist Nacht. Über dem Bergkamm ein roter Schimmer den ich mir nicht erklären kann. Das Meer ist nur zu hören, nicht zu sehen. Es ist Neumond. Mir ist nicht klar wer in meinem Hirn schlief und dieses Zeug träumte. Ich fühle mich weit zurück geworfen, so als ziehe mich eine Strömung vom Ufer der Gegenwart hinaus auf das offene, bodenlose Meer meiner Schulzeit. Scheiße, ich bin um Urlaub. Woher kommt der Mist? Dieses Gefühl, jemand beobachte diese Gedanken in mich hinein? Im Licht einer Straßenlaterne verharren mir zugewandt reglos drei Katzen, sechs gespitzte vulkanische Ohren, ich müsste ihre Augen sehen können, aber es bleiben Scherenschnitte, Masken ohne Augenschlitze.     

(...)

Steinmeiers Knopfaugen. Neben der deutschen Fahne die europäische, vom Bildrand halbiert. 6 Sterne. Bezeichnend was er nicht sagt, wen er nicht nennt. Es kommt auf jeden an. Die Stützen der Gesellschaft. Pflegepersonal, Kassiererinnen, alle, die einen Job haben. Rentner, Obdachlose, Arbeitssuchende erwähnt er nicht. Auf die kommt es nicht an. Vielleicht nur Arroganz des Redenschreibers, so wie die Steinlaus auf den Teleprompter starrt sieht er die Rede das erste Mal. Kennt er sie - umso mieser. Interessant ist der Teil, der sich nicht an die Deutschen richtet, sondern an die Regierungen anderer Länder in und außerhalb der EU. Die Feststellung: wir sind nicht im Krieg. Wir stehen vor einer gemeinsamen Prüfung. An Frankreich gerichtet. Die Aufforderung zum freien, internationalen Austausch aller Informationen. Den schwächeren Ländern wieder auf die Beine helfen, in und außerhalb Europas. Es bedarf der Erwähnung von Eurobonds nicht. Der Teil der Rede hat einen Hauch von Leben. Er kann ja alles sagen - weil er letztlich nichts zu sagen hat.

 

24.

Blendender Sonnenaufgang. Schließe die Augen. Atompilz in meinem Kopf. Kaffee. Presse mir Orangensaft aus spanischen Orangen. Der Saft schmeckt nach Chemie.

Karfreitag. So still, dass ich das Echo meiner Träume deutlich hören kann, in denen Kinder in Winterkleidung bei brütender Hitze eine Trockenrodelbahn talwärts brettern. Grober Unfug.

Coronafrei. Keine Reportage. Keine Pressekonferenz. Keine Talkshow. Keine Fernduelle der Virologen, Epidemologen, Ökonomen, Expertologen, Politiker, Talkmaster. Heute darf man seine eigene Elite sein, wochentags wird einem vor Auge geführt, dass zwar jeder eine Stimme hat, aber nur Auserwählte zu Wort kommen.

Die Ergebnisse der Meinungsumfragen legen nahe, das viele nicht unglücklich mit dem Status Quo sind. Keine Wahl zu haben, in seinen Möglichkeiten beschränkt zu sein, keine Entscheidungen treffen zu müssen: was für eine Erleichterung. Jedenfalls, wenn einem das Wasser nicht bis zum Hals oder schlimmer in den Lungenflügeln steht. 

Die Freiheit von Wahl und Willen ist geeicht. Von einem Moment zum nächsten kann man immer nur einen Schritt in eine Richtung absolvieren. Von unendlich vielen Möglichkeiten kann man sich immer nur für eine entscheiden. Die Entscheidung folgt mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Prinzip der minimalen Wirkung. Da alles andere anstrengend ist, kann es erholsam sein, wenn andere über einen bestimmen. Solange man Auslauf hat und unterhalten wird.

Die Sonne, die gelbe Sau, scheint - da sie keine andere Wahl hat - auch heute auf nichts Neues. Vitamin D ist erlaubt. Kaum Verkehr auf den Straßen, bis auf einige lautstark röhrende Raser. Die Staus verlagern sich. Die Radwanderwege voll wie die A3 zur Stoßzeit. Alle Rowdies und Ignoranten inklusive. Familien, die zu dritt nebeneinander, statt hintereinander fahren. Russendiscos, die sich auf Radwege verlagern. Übermütig werden Schlangenlinien gefahren, soll der Gegenverkehr doch aufpassen. Die Haltung von Regierungen zu Corona hängt ab von der durchschnittlichen Lebenserwartung in ihren Ländern. In den Büschen am Wegrand einige Farbtupfer Altruismus. Ostereier hängen an den Zweigen, fröhliche Raumschiffe kleiner ETs. Die Straßen sind frei, auf den Bürgersteigen lassen Radfahrer Fußgänger den Aerosolzug gewagter Überholmanöver spüren. Auf dem Rückweg vom Outdoor-Risikoparcour besorge ich Fischstäbchen in einer Tankstelle, die gerappelt voll ist. Die Tanke ist besser sortiert als der Supermarkt. Diskretion Fehlanzeige. Im Park sind Quartette und Quintette unterwegs. Man lässt Nischen. Das beschleunigt das Erlangen von Herdenimmunität und kann als Legitimation weiterer Maßnahmen dienen.

Christian Lindner mokiert sich über die Rede von Angela Merkel. Die zu Disziplin und Sauberkeit ermahnt, als wären wir kleine Kinder. Viel hänge von unserem Verhalten an Ostern ab. Soll sich hoch auf dem Gelben Wagen abregen. Die Ermahnung richtet sich an eine Minderheit, die von der Mehrheit scharf beobachtet werden soll. Wenns schief geht: Kollektivstrafe. Wie in Full-Metal-Jackett: Ich habe Private Piler nicht disziplinieren können, weil ihr mir nicht geholfen habt. Die paar Liegestütze schafft Christian Lindner locker. Anschließend Hände waschen nach Anleitung von Ursula von der Leyen.

Das lange Wochenende. Shutdown der überbordenden Berichterstattung. Abwesenheitsmitteilungen der Behörden. Nicht um Urlaub, sondern immigriert in ihre Schneckenhäuser. Fibonacci-Folgen des Rückzugs. Die Menetekel explodieren lautlos im Internet. Der UNO-Generalsekretär unkt: wachsende Gefahr durch Bioterroristen. Den acht Weltwundern steht Guterres die acht Weltbedrohungen gegenüber. "Die Schwächen und mangelhafte Vorbereitung, die durch diese Pandemie offen gelegt wurde, geben Einblicke, wie ein bioterroristischer Angriff aussehen könnte - und erhöhen das Risiko dafür." Der UNO- Generalsekretär als Ideengeber für einen globalen Terroranschlag. Eine Aufforderung an Zauderer, jetzt zuzuschlagen. Die Gelegenheit ist günstig. Als Warnung ist die Fanfare ungeeignet, denn: was sollen die Leser jetzt tun? Den Globus verlassen? Als Appell funktioniert die Panikmache. Da will einer nur um Gehör zu finden warnen vor dem, was er durch seine Warnung heraufbeschwört. Wie kann man sich nur so wichtig nehmen und gleichzeitig so dämlich sein? Trump und China: bei Staffel 3 von Mr. Robot stehen sich die USA und China in der Weltwirtschaftskrise als Kontrahenten eines Handelskrieges gegenüber, die Staaten Marionetten an den Fäden von Unternehmen, die von Staatsverschuldungen profitieren. Wie viel Unabhängigkeit bleibt Staaten, die sich Billionen an den internationalen Finanzmärkten leihen, verzinst abzustottern in 30 Jahren? 

Helmut und Loki Schmidt bei einem Konzert der Beatles in Hamburg. Verschwommenes Schwarz-Weiß meiner frühen Kindheit. Eine Erinnerung fern als wäre es mehrere Leben her. Waren wir - im Vorschulalter - damals schon wir, oder sahen wir die über uns gebeugten Gesichter unserer Eltern auf die selbe Weise lächeln?

So alleine als wäre nichts und niemand auf der Welt, keine Bedrohung, kein Partner, kein Freund, nur ich, die Zeit nach Mitternacht und im Fernsehen Bilder einer Zange, die einen Stacheldraht durchtrennt. Im Bildhintergrund eine Wiese mit Pusteblumen. Sie sehen wie Corona-Viren aus.

Ich fühle mich gesund und abgeschirmt. Dass ich noch lebe fühlt sich an wie Selbstbetrug.

 

23.

Nach gefühlten 100 Virologen und Epidemiologen, die bei ihm zu Gast waren, hat Lanzerote endlich einen gefunden, der bestätigt, was er immer schon wusste. Maulkorb kann helfen. Bevor Herr Lauterbach sein "Aber..." formulieren kann schneidet Markus Lanz ihm triumphierend wie ein amerikanischer Fernsehprediger, der den Virus verflucht, das Wort ab. Warum regst Du Dich ausgerechnet darüber so auf? wundert sich kopfschüttelnd mein anderes Ich, das grade am Tresen meiner Stammkneipe hockt, zusammen mit meinen Freunden Urlaubspläne schmiedet. Du hast Dir Deine Meinung dazu doch gebildet. Es ist langweilig, wenn Du Dich wiederholst, selbst wenn Du Recht hast. Regst Dich über das Maskenmantra auf und produzierst eine Inflation von Empörung.

Der Zwang zu nutzlosem Verhalten, das obendrein mit Aufwand verbunden ist, den man betreiben soll für etwas, wogegen man eine Abneigung hat und was weder mir noch anderen hilft. Selbst im Zwang zur Uniformität noch der Niederschlag sozialer Ungerechtigkeit. Wer keinen industriell gefertigten Maulkorb bekommt soll sich selbst einen basteln: Der Preis für Maulkörbe steigt ins Unermessliche, die improvisierten Maulkörbe erreichen etwa ein Fünftel der Wirkung. Moment, interveniere ich aus der besseren Welt von nebenan, Du hast doch jede schützende Wirkung der Maulkörbe bestritten. Nein, habe ich nicht. Von der Festigkeit des Stoffs hängt die Durchlässigkeit für Aerosole und damit von Viren ab. Masken können andere schützen, wenn man Husten hat, Niesen muss und anderen Menschen längere Zeit nahe kommt. Deswegen ist Südkorea ein schlechtes Beispiel - dort wurden keine Kontaktsperren verhängt, Städte, öffentliche Verkehrsmittel und Geschäfte blieben offen. Unvermeidliche und dauerhafte physische Nähe. Infektionen trotzt Maulkorb, der im Wesentlichen wegen der Luftverschmutzung getragen wird. Wozu der Maulkorb unter Wahrung der Abstandsregel gut sein soll ist schleierhaft - einen Zweck hätte er zum Schutz Dritter nur, wenn ihn jemand trägt, der einem hustend und niesend körperlich nahe kommt. Wer so `drauf`ist, den interessiert der Schutz Anderer nicht. Der geht wohl kaum sachgerecht mit seinem Maulkorb um, sondern trägt den immer gleichen, ungewaschenen Sabberfetzen, damit er hamstern gehen kann. Das Volk wird gelobt für seine Bereitschaft Abstand zu halten. Ein Maskenzwang käme einem (weiteren) Misstrauensvotum der Regierung gegenüber der Bevölkerung gleich. Er verfehlt seinen Zweck, da er nur bei mutwilliger Unterschreitung des gebotenen Abstandes eine Wirkung entfaltet - und man dem Personenkreis, der sich gefährdend verhält den richtigen Umgang mit dem Mund-Nasen-Schutz nicht zutrauen sollte. Im übrigen ist der korrekte Umgang mit Mund-Nasen-Masken "nicht mal eben so" zu gewährleisten. Er ist im Leitfaden: Mund-Nasen-Maske (https://textil-mode.de) dokumentiert. Die Frage ist, ob der hier angedeutete Aufwand betrieben wird und wie das überprüft werden soll. Zwangsinstallierung von webcams in jedem Haushalt - und dort in jedem Zimmer? 

Einen Zweck kann der Maulkorb da erfüllen, wo Nähe unvermeidlich ist. Statt Maßnahmen zu ergreifen, um Nadelöhre zu vermeiden wälzt die Obrigkeit die Verantwortung zum Schutz vor Infektion auf ihre Schutzbefohlenen ab. Wenn es denn schon nicht in Erwägung gezogen wird, die Versorgung mit lebensnotwendigen Waren anders zu organisieren als dadurch, gleichzeitig Kontaktvermeidung zu predigen und die Verbraucher in Supermärkten zu konzentrieren, dann sollte wenigstens in den Supermärkten dafür Sorge getragen werden, dass die Abstandswahrung möglich ist. Zumindest in den Supermärkten in meiner Nähe verschlimmbessern die Betreiber durch ihre organisatorischen Eingriffe die Bedingungen. Der Zwang Einkaufswagen zu benutzen führt zur Verengung der Verkehrswege und zur Gruppenbildung dort, wo Einkaufswagen abgegeben und abgeholt werden. Direkt im einzigen Zugangsbereich befinden sich die Obst- und Gemüsestände: Stau und Gruppenbildung unvermeidlich. Auch im Gegenüber von Fleisch- und Käsetheke. Nicht das Tragen von Masken wäre gebote n, sondern die für die bettelarmen Supermarktketten lästige und kostspielige situationsgerechte Umorganisation der Fläche und ggf. Reduzierung des Sortiments. 

Zunehmend konterkariert die Wirklichkeit die Propaganda von der bewundernswerten Solidargemeinschaft, die das Bundespräsidentenpaar im Tonfall und Pathos des "Wortes zum Sonntag" und mit auf schlicht gedrechselter Wortwahl als Fernsehansprache ans Volk richtet. Das wirkt (und ist) künstlich. So würden beide nie sprechen, die fremde Partitur verändert die natürliche Position der Stimmlippen. Dazu das zombiehafte Starren auf den Teleprompter. Die steife, klerikal-prüde Körpersprache. Fehlt nur noch die Heugabel in Steinmeiers Faust. Gegen dieses rhetorische Sedativum war die Ansprache der Queen eine launige Büttenrede.

An der Sammelstelle der Einkaufswagen beschwert ein Mann sich über eine Frau hinter ihm: "Abstand halten!", fährt dabei aber einer Frau vor ihm in die Hacken. Die weist ihn (zu Recht) zurecht: "Selber Abstand halten, statt andere zu beschimpfen." Der Mann, keine unübliche Reaktion wenn jemand die Unverschämtheit begeht einen auf die eigene Unart hin zu weisen, beschimpft die Frau als "Dämliche Kuh". Der Mikrokosmos der solidarischen Gesellschaft. 

Eine Mund-Nasen-Schutz-Trägerin drängelt sich durch die Lücken zwischen den Kunden, die vor den Kassen Schlange stehen, weil eine weitere Kasse öffnet und sie sich unbedingt die Pole Position sichern will. Andere Vermummte zwängen sich zwischen die Schlange und die Kühltruhen um Fertiggerichte zu ergattern. Hinter mir meckert ein Pärchen, dass zu wenig Kassen geöffnet sind - in völliger Verkennung der angespannten Personalsituation in allen Supermärkten. Es bringt nichts Egoisten zu verpflichten, wenn man sie nicht dazu bewegen kann, sich an diese Verpflichtung zu halten - für die anderen ist eine solche Verpflichtung überflüssig. Ich ertappe mich beim Bemühen die Lenkstange des Einkaufswagens nicht mit den Händen zu berühren.

Was sind die Fakten wenn die Faktenlage sich täglich ändert? Obschon diese Frage jederzeit berechtigt wäre stellt sie sich erst in Situationen, die man als bedrohlich empfindet. Anschlußfragen. Sind es überhaupt Fakten? Orientiert sich die Politik an Zahlen und Fakten oder passt umgekehrt die Politik Zahlen und Fakten gemäß ihren Agenden an? Die Fragen ermüden mich, da sie sich in Endlosschleifen erschöpfen. Wann habe ich mich das letzte Mal rasiert? Geduscht? Quäle mich ins Badezimmer. Mein Spiegelbild grinst mich schadenfroh an. Glattrasiert. Braungebrannt am Strand. Im Hintergrund Palmen und ein belebter Strandboulevard statt die Kacheln meines Badezimmers. Urlauber schlurfen in Flipflops durch Bild, halbierte Kokosnüsse mit Strohhalm in der Hand. Mein besseres ich in seiner besseren Welt nimmt mich auf den Arm. Na? Den Abflug verpasst? 

Ich lass mich nicht gerne von meinem Spiegelbild veräppeln. Deswegen meide ich das Bad. Social distance to myself. Bildschirm statt Spiegel, da gibts doch Gutes. Prof. Streeck vermutet einen Zusammenhang zwischen der Menge aufgenommener Viren und der Schwere von Infektionen. Abstand. Heinsdorf hat eine deutlich niedrigere Letalitätsrate als es gemäß den Prognosen´ der Johns-Hopkins-Universität zu erwarten wäre. Mein Spiegelbild atmet bessere Luft, während ich schnappatme. "Wo die Luft ist, sterben mehr Menschen mit COVID-19" (Julia Merlot, Christoph Seidler, Spiegel Wissenschaft, 09.04.2020). Ich wohne in der Innenstadt an einer Hauptverkehrsstraße, die immerhin derzeit nicht befahren ist. Was man von hier aus sehen kann ist zwar nicht der Himalaya (wie erstmals seit 30 Jahren von Jalandhar aus in Indien), aber die Luft ist klar und schmeckt nicht nach Blei. Der Trost hält sich in Grenzen, der Neid auf mein Spiegelbild nicht. 

Corona-Miscellaneen: Eine 107jährige Niederländerin hat sich von Corona erholt. Wozu? Donald Trump will das Land zügig wieder öffnen, als wäre das Land ein Supermarkt (was gar nicht so fern der Wahrheit ist). Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung startet ein Hilfsportal für Kinder: "Kinder nicht alleine lassen." Na, das schreit doch förmlich nach fürsorglichen Erwachsenen, die die Kinder unter ihre zärtlichen Fittiche nehmen.   

"Das Gegenteil von Freiheit ist Gesundheit" (Julie Zeh, die ich im vorletzten Absatz zitierte). Turkmenistan: kein gemeldeter Corona-Fall. Wie in Nordkorea.

Manches bleibt. Ostern suche ich keine Eier. Wie jedes Ostern. Mir ist auch so alles zu bunt. 

Wer hilft den Ärmsten? Fragt ein Beitrag im ZDF. Wenn man jetzt den Ärmsten nicht helfe sei das soziale Miteinander gefährdet warnt Frau Giffey. Die einleitende Frage war zuvor ebenso akut wie jetzt. Dass sie sich stellt belegt, dass soziales Miteinander als staatstragendes Prinzip ein staatstragender Mythos ist. Ein Füreinander gibt es. Mitfühlende befestigen mit Kleidern und Lebensmitteln gefüllte Mülltüten an Maschendraht. Das ist gut, aber das Bild ist zwiespältig. Als seien Müllcontainer überfüllt und man spende daher seinen Abfall den Aussätzigen. Niemand traut sich eine Bodo zu kaufen. Um jeden Obdachlosen zieht sich eine Bannmeile.

Bei allen Turbulenzen: hässliche Konstanten. Die Juden hätten Corona als Biowaffe eingesetzt, im Internet werden mit Hilfe gefälschter Antragsformulare Daten abgegriffen und finanzielle Hilfen landen auf den Konten von Strohmännern. Bestimmt bei den Weisen von Zion.

...

Eigentlich ist alles fast schon zu perfekt. Auf der Dachterrasse eine sanfte Brise. Das sanfte Klirren der vom Wind bewegten Masten der Boote am Pier. Langgezogene, niedrige Wellen die flaschengrün und träge ans Ufer schwappen. Abendsonne, rötlich leuchtende Felswände. In meiner Hand, die über die Lehne meines Liegestuhls hängt ein halbvolles Glas Nero d Avola. Mein Notebook auf dem Tisch reine Camouflage. Seit Tagen keine Zeile geschrieben, kein Bedauern. Trotzdem innere Unruhe. Diese mails die ich bekomme. Nachrichten über eine Seuche. In Ecuador liegen aufgeblähte Leichensäcke auf den Straßen, die niemand abholen. Eine Lungenkrankheit. Zu wenig Beatmungsgeräte. Menschen ertrinken an sich selbst, weil ihre Lungen sich mit Flüssigkeit füllen. Angehörige von Menschen, die beatmet werden müssen werden vom Krankenhauspersonal aufgefordert, Sauerstoff zu besorgen. Der Verwesungsgeruch macht die Hunde wild. Ich checke die Nachrichten. Flugzeugabsturz in Indien, Alphabeta wurde von einer Internet-Guerilla namens fsociety gehackt, der Finanzminister von Hessen hat Selbstmord begangen. Kein Wort von einer Seuche in Südamerika. Ich fordere den Absender auf, mir keine Spams zu schicken. Woher er überhaupt meine Adresse hat? Meine Antwort kann nicht zugestellt werden. Die Sache macht mich nervös, als befände ich mich in einem Traum aus dem ich gleich erwache. Aber nicht so nervös, dass es mir den Schlaf raubt. Na also! Jetzt hab ich ja doch was geschrieben.

...

Laut ZDF Politbarometer sprechen sich 55% der Befragten dafür aus, dass die Beschränkungen der persönlichen Freiheiten auch über den Stichtag 19. April hinaus beibehalten werden sollten. Dafür bietet sich ein Kaleidoskop von Gründen an. Da die Angst vor einer Infektion mit COVID-19 sinkt, kann die Furcht nicht der einzige Grund für die auf Anhieb masochistisch erscheinende Bereitschaft zur sozialen Selbstkasteiung sein. Findet etwa die arbeitende Bevölkerung Gefallen an homeoffice, äußert sich derart sogar indirekt Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen in den Betriebsstätten und Büros? Die Umfrageergebnisse stehen jedenfalls in einem gewissen Kontrast zu den alarmierenden Berichten über Existenzängste, die anscheinend nicht repräsentativ sind.

Fernseher auf stumm. Ich starre auf den Monitor des Notebooks. Am unteren Bildschirmrand das Zeichen: Akku halbvoll. Auf der Couch liegen ipad, iphone und Ladekabel. Solange ich Ladekabel habe, fühle ich mich unsterblich wie das Internet. Die mächtige Illusion der Vernetzung. Solange man mit anderen Welten vernabelt ist kann man nicht sterben. Wort für Wort dass ich schreibe folge ich mir. Ich weiß, dass Du mich liest und verstehst. Mindestens so gut wie Alexa.

Lanz tue ich mir noch an. Er ist die Neunschwänzige mit der ich mich geißele. Anschließend traumloser Schlaf. Allerdings irre ich mich oft. Letzte Nacht wurde ich im Schlaf weder geboren, noch vom Beatmungsgerät abgekoppelt. 

Diese Socken. Professor Püschel, der Chef der Hamburger Rechtsmedizin, ist ein Aufschneider. Sein Motto: wir wollen von den Toten lernen für die Lebenden. Das verbindet die Pathologie mit dem Fernsehen: eine gute Schnitttechnik ist wichtig. Dabei stellt sich heraus, das sämtliche sezierten COVID-Opfer - auch die Jüngeren - an schweren Vorerkrankungen litten. Herr Püschel kommt zum Schluss, dass die (geschürte) Angst vor COVID-19 ebenso stark übertrieben ist, wie die politischen Reaktionen. Das ist interessant, es fällt mir jedoch schwer zu folgen, weil ich wie hypnotisiert auf seine psychedelisch gemusterten Socken starren muss. "Von den Toten lernen für die Lebenden" - trugen die auch solche Socken? Mich beschleicht der Verdacht, dass Herr Püschel erwägt ein Buch mit diesem Titel zu verfassen. Hier testet er die Wirkung. Der Satz ist griffig: könnte auch über dem Tiefgang zu Katakomben stehen. Oder über dem Friedhofstor prangen. Oder Titel einer Folge von "Bones" sein. Die Schlussfolgerung von Herrn Püschel scheint plausibel, sie passt zu den vorläufigen Ergebnissen der Heinsberg-Studie von Herrn Streeck, dessen zustummendes Nicken aus Bonn zugeschaltet ist. Es passt auch zu der in den USA festgestellten sehr viel höheren Sterberate bei der schwarzen Bevölkerung, die aufgrund ihrer Armut kaum Leistungen des Gesundheitssystems in Anspruch nehmen kann. In Herrn Püschels Lesart ist der Virus nicht Todesursache, sondern im Wesentlichen ein "Brandbeschleuniger", der bereits bestehende Gesundheitsbeeinträchtigungen verstärkt. So weit, so nachvollziehbar. Fragt sich nur, warum man Herrn Prof. Püschel erst jetzt und grade jetzt aus der Kiste holt: seine nekrologischen Schlüsse geben jedenfalls (ebenso wie die Heinsberg-Studie) den Befürwortern einer baldigen Lockerung (das Wort Exit kam aus der Mode) Rückenwind. Mir scheint die Unterscheidung in an und mit COVID19 Verstorbene spitzfindig. Ob der Virus direkt oder indirekt tötet ändert wenig an der Gefahrenlage und am Resultat. 

Der zweite Gast, der die Wirkung zukünftiger Buchtitel testet, heißt Dirk Steffens, bekannt als Moderator von Terra X. Sein Slogan: Umweltschutz = Virenschutz. Variante: Seuchen sind ein Umweltproblem. Taugt, da zu formelhaft, nicht als Buchtitel, die Verknüpfung von Klimaschutz und globalem Gesundheitsschutz taugt indes als Zukunftsthema. Zoonose als Ursprung der meisten Virenerkrankungen bei Menschen als von Menschen produziertes Problem. Griffige Formeln, an denen wir Trockennasenaffen uns entlang hangeln können: Klimawandel = fatales Überschneidung der Lebensräume von Wildtieren und Menschen (durch Vernichtung der natürlichen Lebensräume in Folge von Rodung und Monokulturen, deren Produkte als Superfood verkauft werden wie z.B. Quinoa), Globalisierung = der Virus fliegt mit, Globaler Wildtierhandel = globale Verbreitung der Viren. Das Gute im Schlechten: da es sich um einen menschengemachtes Problem handelt, hat der Mensch es in der Hand es zu beseitigen. Dass man dazu Ursachen der Armut beseitigen müsste deutet Steffen nur im Zusammenhang mit den Nassmärkten an: Handel und Ernährung geschehen hier auf engstem Raum, und das nicht, weil die Händler und Hungrigen es chic finden, sondern weil sie von dem Hund in den Mund leben. Die Holzfäller in Brasilien haben nichts gegen den Regenwald, sondern wollen sich und ihre Familie ernähren. Sollte tatsächlich ein konzertiertes und weltweites menschliches Handeln Umweltschutz und Seuchenvermeidung programmatisch kombinieren: wohin dann mit Tagelöhnern und Prekären? So weit wird es kaum kommen - die Behandlung von Problemen ist lukrativer als deren Beseitigung. Weiß jede Dating-Plattform, jeder geschäftstüchtige Psychotherapeut und jeder Drogendealer.   

Apropos Drogen: Was ist eigentlich in Markus Lanz gefahren? Keine Agitation für Maulkörbe, dafür informative Gespräche mit Gästen, die etwas zu sagen haben und nicht der übliche Versuch, die Gäste zur Bestätigung der Meinung des Moderators zu bewegen...bin ich vorm Fernseher eingeschlafen und träume die Sendung? Nein. Kurz vor Sendeschluss fällt die Maske und wird erneut Thema.

Heute +. An der verwaisten Klagemauer in Jerusalem schubbert sich eine Schwarze Katze. Wohl bekomms. 

 

22.

"Ich verachte zwei Arten von Menschen: diejenigen die führen wollen, und diejenigen die geführt werden wollen."

Es ist nicht verwunderlich, dass  Nietzsche als menschenscheu galt, denn allzu viele von anderer Art bleiben wohl nicht übrig.

Wenn denn schon Führung eine anscheinend kaum zu vermeidende Begleiterscheinung in der Gesellschaft von Primaten der Gattung Mensch ist (unabhängig davon, ob sie notwendig ist), dann sollte wenigstens unterschieden werden zwischen Führung und Führungsstil, respektive Auftreten. Dem übernächtigten Armin Laschet (dessen unfreiwilliger Versprecher "Verwässerungspotenzial" statt "Verbesserungspotenzial" unbedingt nicht in Vergessenheit geraten sollte, weswegen er hier Erwähnung findet) kann ich daher nachsehen, dass er sich mühsam beherrschen musste, als Dunja Ayali ihn mit Umfragewerten Markus Söders und eigenen Umfragewerten für sein Krisenmanagement konfrontierte. Laschet kann nichts für seinen Namen, der nun mal lasch klingt, dass Markus Söder hohe und Armin Laschet geringe Zustimmungswerte hat veranlasst Dunja Ayali zu der Frage, welche Fehler Armin Laschet in der Kommunikation unterlaufen sind, so als seien Zustimmungswerte wesentlicher als der Erfolg von Taktik und Strategie der Pandemieeindämmung. Am größeren Erfolg des Krisenmanagements von Markus Söder können - worauf Armin Laschet zurecht verweist - die Akzeptanzunterschiede nicht liegen. Aber eben an der "Entschlossenheit", die Markus Söder ausstrahle: dem nachplappernden Volksmund ist denn doch der Stil des Alphatiers wichtiger, als die Qualität der Führung. Umgekehrt kann an Zustimmung einbüßen, wer sich der Einführung unsinniger, aber populärer Maßnahmen verweigert. Damit sind alle Gründe für Nietzsches Verachtung genannt.

Zwei Thesen und ihr Praxistest: die gestern publizierte dringende Bitte zur Entzerrung von Menschenaufläufen (Ulrich Roski warf einst die Frage auf, ob man Menschenauflauf mit Speckstreifen garniert) vor Ostern, indem man frühzeitig in der Woche einkaufen geht führt heute zu hoffnungslos überfüllten Supermärkten. Dem ist so. Abstandhalten aufgrund des engen Nebeneinanders in Nadelöhren (Frucht- und Gemüseecke) unmöglich. These 2: am Samstag zwischen Karfreitag und Ostersonntag wird es deutlich entspannter zustehen. Was zu beweisen wäre.

Dramatische Zuspitzungen auf Bürgersteigen. Das Bemühen Abstand zu halten führt dazu, dass die Bürger bei Überholmanövern auf die Radwege ausweichen, wo sie von empörten, unverbesserlichen E-Scooter-Benutzern (die auch auf Radwegen nichts zu suchen haben) und Radfahrern fernverunglimpft werden. Man würde sich ja gerne gegenseitig an die Gurgel gehen, hat aber Angst vor Infektion.

Bürgermeister und Landräte erhalten höheres "Krawattengeld" in Höhe von bis zu 1411 € monatlich. Schere mit ins Rathaus nehmen und Krawatten abschneiden als sei jeden Tag Rosenmontag.

Ein Interview mit Christiane Woopen lese ich ab der Frage "Müssen wir den Niedergang hinnehmen, um Leben zu retten" schon aufgrund der Frage nicht mehr weiter. Es freut mich, dass die Polizei zwölf herumirrende Entenküken gerettet hat. 

Es dauerte mehrere Wochen hat, bis sich die nicht raffiniert verborgene Erkenntnis herumgesprochen hat, dass die Zahl der Neuinfektionen und Toten von geringem bis gar keinem Aussagewert ist. Dementsprechend fragwürdig ist es, wenn abflachende Neuinfektionsraten als Indiz für eine leichte Entspannung der Lage gedeutet werden. Es ist noch nicht einmal zu erkennen, wie sich die Zahl der Neuinfektionen zusammensetzt. Einfach die Zahl der gemeldeten Infektionen aufzuaddieren wäre erkennbar Humbug. Also: ab wann fällt ein gemeldeter Infizierter aus der Statistik der Neuinfizierten heraus? Nach einer Woche? Nach zwei Wochen? Wenn als genesen gemeldet? Ist mir nicht ersichtlich, sollte es aber sein wenn die Neuinfektionsrate überhaupt irgendeinen Aussagewert haben soll.

Das Gezerre um Eurobonds geht in die nächste (Co)videorunde. 2013 war ich mitten in der Finanzkrise als deutscher Dangerseeker in Griechenland unterwegs und als solcher nicht überall gut gelitten. Zwar war ich nicht Mitglied der Troika, aber aufgrund meiner deutschen Staatsbürgerschaft ungewollter Komplize. Die Kritik eines Restaurantbetreibers ist aus meiner Sicht auch jetzt berechtigt: Griechenland, Italien, Spanien sind die Haupturlaubsziele der Deutschen. Man kann nicht gleichzeitig wollen dass der Süden möglichst billiges Zielgebiet des Tourismus mit allen attraktiven Angeboten ist und ihm dann die Luft zum Atmen nehmen. Das ist aktuell noch wahrer als wahr, da diese Einnahmequelle für die südeuropäischen Länder aktuell und auf unbestimmte Zeit versiegt. Will man in Zukunft nicht nur noch mit virtuellen Aufenthalten in der Toskana, auf Mallorca oder Santorini Vorlieb nehmen, sollte man schon aus touristischem Eigeninteresse alles Erdenkliche unternehmen, um mediterranen Länder zu unterstützen- Eurobonds inklusive (wofür selbst der "eiserne" Hans Eichel sich ausspricht, und das will was heißen).

Schaulaufen der Ministerpräsidenten: alle malen nach den Zahlen des RKI am Bild, dass ihre Maßnahmen erfolgreich sind. Dass die Zahlen von bescheidenem Aussagewert sind und es keinen Beleg für einen kausalen Zusammenhang zwischen den Maßnahmen und der Entwicklung dieser Zahlen gibt hindert keinen daran, sich mit Erfolgsbilanzen zu brüsten. Alle haben sie Recht und alles richtig gemacht. Unwürdig, wenn auch mit hohen Zustimmungsraten goutiert.   

Eigenwerbung für Phoenix, eingeleitet mit den Worten: "Das Corona-Virus trifft Deutschland und die Welt." Die Reihenfolge ist Teil des Problems. Corona trifft die Welt, und damit auch Deutschland stellt die Welt vom Kopf auf die Füße.

Der Grund für die klaustrophobische Grundstimmung ist nicht die Ausgangsbeschränkung, sondern der globale Charakter der Pandemie. Man kann nirgendwo hin fliehen, nicht entkommen (selbst auf der ISS wäre ich Virenschleuder aus NRW nicht willkommen). Weder der Bedrohung durch den Virus, noch vor den getroffenen Maßnahmen. Es fehlt nicht nur der Fluchtpunkt, man fühlt sich auch bedroht. Alle Fragen, die sich bezüglich des eigenen Umgangs mit der Situation sind bang: wenn (wovon die Virologen ausgehen) etwa 60% der Bevölkerung sich mit dem COVID-19-Virus infizieren werden - ist es dann besser, sich jetzt zu infizieren, solange es noch Intensivbetten und Atemgeräte genug gibt? Schottet man sich ab, bis es Medikamente gibt, die Plasmabehandlung funktioniert oder ein Impfstoff vorhanden ist? Wenn ich jetzt infiziert werden möchte - wie mach ich das? Verabredungen über das Darknet? 

Neues Modewort: Freiwillige Datenspende. Auf zur Datenbank, statt zur Blutbank. Klingt verdächtig nach der Freiwilligkeit, die einem bleibt, wenn man das Internet nicht nutzt, Google meidet, kein Handy nutzt, sich auf diese Weise vom Rest der Welt isoliert und demnächst - wenn bargeldloser Geldverkehr die Regel wird - nicht mehr bezahlen kann. Wie groß ist der Grad individueller Freiheit, wenn die Vereinheitlichung der Plattformen für Kommunikation und Geldverkehr einem überhaupt keine Wahl lässt (in Ermangelung von Wäldern kann man nicht mal zum Waldschrat regredieren)?  

Wenn Du zurück scrollst, fällt Dir auf, wie viel unhaltbare Aussagen du von Dir gegeben hast? Schau Dir alleine mal die grässlichen Nebenwirkungen von alpha-2b an.

...ach halt die Klappe. Das ist ein Blog, dessen Verlauf die Unsicherheiten und falschen Sicherheiten spiegelt, die dem permanenten Wechsel von Lageeinschätzungen, Empfehlungen, Entwicklungen, dem Zurückrudern, der Gefahrenlagen, als Tatsachen dargestellten Gerüchten und Meinungen. den geistigen Leerverkäufen der Bundespressekonferenz, der allenthalben spürbaren Ratlosigkeit entspricht, die sich im hyperaktiven Trial-and-Error der Regierungen äußert. Die ÖffentlICHkeit: das Versuchskaninchen vor der Schlange, die vor Angst zittert.    

Ob denn die derzeit zaghaft anlaufenden Evakuierungen der Kinder aus Moria weiter laufen wenn COVID-19 die Flüchtlingslager erreicht, gar Kinder infiziert sind? Keine Antwort außer: wir denken von Tag zu Tag. Die Mittelmeerstaaten lassen Schiffe mit Flüchtenden nicht mehr ihre Häfen anlaufen. Corona ist eine kommode Begründung, mit der auch die Türkei syrische Flüchtende von der griechisch-türkischen Grenze zurück nach Syrien. Ohne Ausweise und ohne Habe, die ihnen in Griechenland abgenommen wurden.

Unglaublich! Das vor drei Wochen spaßeshalber online bestellte Toilettenpapier ist angekommen. Weißes Gold aus...China!

Das inspiriert mich derart, dass mir jede Menge Vorschläge für die kontrollierte Wiederaufnahme des sportlichen Wettbewerbs einfallen. Statt sich den Kopf darüber zu zerbrechen wie in Zukunft Mannschaftssportarten wieder betrieben werden können sollte die Situation genutzt werden, um die Popularität von Sportarten zu fördern, deren Rahmenbedingungen der Prämisse der sozialen Distanz entsprechen: Geistertennis, Gespensterbadminton, Mattenspringen, Bouldern, Free-Solo-Climbing, Fernschach, Schattenboxen, Wettangeln, Golf, Zeitfahren, Taschensnooker, Bogenschießen etc. (tbc)

Ebenso, wie es legal bleibt ein Geschäft mit impliziten Versprechungen zu machen, wie einst fahrende Wunderheiler und jetzt Anbieter von Erkältungspräparaten, die wundersamer Weise exakt gegen Symptome helfen, die auch für COVID-19 charakteristisch sind bleibt auch das subtile Geschäft mit der Angst erlaubt. Schlagzeilen wie: "COVID-19 möglicherweise durch Luft übertragbar" poppen immer häufiger auf. Im Wettbewerb um Clicks und Aufmerksamkeit beginnen mehr und mehr Berichte mit Schlagzeilen, nach deren Lektüre man senkrecht im Bett steht (wie Norbert "In der bewegte Mann" von Ralf König, dessen Radiowecker zunächst verkündet in Düsseldorfs Innenstadt sei eine Atombombe explodiert, worauf hin der Moderator sich korrigiert: Entschuldigung, eine Autobombe). Natürlich liest man weiter, wenige Zeilen später gibt .- puh! - der Text Entwarnung und man sinkt mit einem Seufzen ins Kopfkissen zurück.

Der Sinn des Geschäfts ist Geschäft. Die avisierten Lockerungen bedeuten nicht die Rückgabe von Freiheitsrechten. Die Kinder sollen zurück in die Schule und die Eltern sollen wieder shoppen und arbeiten gehen. Kleine Geschäfte werden wieder öffnen. Frei stehen die Wege zur Arbeit und in die Boutiquen, damit der Laden wieder läuft. Ansonsten ändert sich nichts. Was jetzt vorübergehende Maßnahmen der Eindämmung sind, sind im Folgenden Maßnahmen der Prävention. 

Der letzte Schrei aus der (meistens toxischen) Kategorie "Keine Denkverbote" ist die Überlegung, infiziertes Pflegepersonal soll infizierte Corona...äh.. Bewohner behandeln und mit ihnen gemeinsam in Quarantäne bleiben. Wenn sich der Staub legt sieht man wer steht (oder zumindest noch Puls hat), oder wer sich rechtzeitig aus dem Staub gemacht hat. Das Infizierte Infizierte pflegen sollen empfiehlt bereits das RKI (siehe: Alexander Klug, "Warum infizierte Pflegekräfte im Abstatter Seniorenheim arbeiten dürfen." in: Stimme.de, 08. April 2020). In Heilbronn ist dies offensichtlich der Fall - der Artikel sagt nichts dazu, ob dann die infizierten Angestellten nach der Arbeit nach Hause fahren, wo die nächsten geneigten Empfänger und Verteiler des Corona Express warten.

Keine Eurobonds, dafür Werbung für italienischen Kaffee im Öffentlich-Rechtlichen.

Ich weiß wovon ich heute Nacht träumen werde. Uns träumt in einem Bett zu liegen, das umgeben ist von einem Schutzzelt. Wir sind entweder grade erst geboren, der Sprache noch nicht mächtig, das Schutzzelt ein Insektennetz, oder wir liegen im Sterben, der Sprache nicht mehr mächtig, das Schutzzelt gegen Keime, Viren, Bakterien. Solange uns niemand beobachtet überlagern sich beide Zustände, Schemen hinter den Vorhängen könnten Eltern sein, oder Ärzte, die triagieren und dabei an Voltigieren und Geometrie denken, an Dressur, schwarze Reiterstiefel und Reiterpeitsche. Wer bin ich in Deinem Traum, den Du träumst unter dem Blütenfall des Meeres in einem fernen Land, das ich in meiner Welt nicht bereisen kann? Wer bist Du in meinem Traum, aus dem zu erwachen ich mich aus Angst vor einer Entscheidung weigere? Deine Welt ist mein Wunschtraum, meine Welt ist Dein Alptraum. Davon werde ich heute Nacht träumen, ganz egal wie Klaus Kleber die Themen Kurzarbeitergeld und Apokalypse anmoderiert und wovon Jacques Delors unverdrossen träumt.

Der würde sich in Anbetracht des Gebarens Europas im Grabe umdrehen, wäre er schon tot.

Karl Lauterbach bei Markus Lanz: "Wir stehen am Anfang der Pandemie, weil schätzungsweise 99% der Bevölkerung noch nicht infiziert wurden. Hitze stört den Virus wenig, wie man an den galoppierenden Zahlen in Ecuador sieht. Jetzt bloß nicht nachlassen, sonst kommt im Herbst eine zweite Welle die wir nicht gut überstehen." Markus Lanz: "habe ich sie richtig verstanden, dass unser Sommerurlaub gefährdet ist?" Dann geht es wieder um Gesichtsmasken. Markus Lanz hat kein anderes Thema und verwechselt hartnäckig Masken und selbstgestrickte Mund-Nasen-Schutze. Karl Lauterbach empfiehlt Staubsaugerbeutel. Ich schalte ab. 

 

21.

Pssst! Wie gewinne ich den inoffiziellen Wettbewerb um die möglichst rasche, verdeckte Herstellung einer Herdenimmunität und zugleich den Wettbewerb um die Führungsposition in Europa? BILD-Titel: Die Ösis machen es uns vor - Anordnung einer bestenfalls psychologisch wirksamen Maßnahme (duck and cover), frühe Lockerungsübung unter wohlwollender Inkaufnahme des steigenden Infektionsrisikos (Herdenimmunität!) und medienwirksames Prahlen über die eigene Vorreiterrolle (auf diesen unangenehmen Hang Sebastian Kurz zur politischen Profilierung kam eine Journalistin im Morgenmagazin zu sprechen, die seine Angeberei zurecht als Zeichen für Leichtsinn und mangelnde Ernsthaftigkeit wertete). Machen wir uns nix vor: Es geht um Wettbewerbsvorteile, die wichtigste statistische Zahl ist längst nicht mehr die Zahl der Toten, sondern die Zahl der Genesenen, und rasche Herdenimmunität ist hinter vorgehaltener Hand das Ziel. Wer fährt zuerst die Wirtschaft wieder hoch und sichert sich die Pole-Position im Wettbewerb?

Wir erinnern uns: vor wenigen Wochen empörte man sich noch über Volkstribune, die eine möglichst rasche Erlangung von Herdenimmunität zum Ziel erklärten. Einige tausend Tote später avanciert Herdenimmunität vom Un- zum Trendwort. Der Wunsch, die Doppelbelastung von Homeoffice und Kinderbetreuung so schnell wie möglich los zu werden gewinnt die Oberhand über das Prinzip, das jedes Menschenleben gleich viel wert ist. Soviel Verständnis von Professoren, Professorinnen, Prominenten für die Belastungen des gemeinen Volks wird den Befürwortern der demographischen Euthanasie Auftrieb verschaffen.

In meiner Stadt freut sich die Polizei. Sommerliches Wetter (Vorbote einer weiteren Dürrezeit?), die Menschen halten sich an die Gebote. Schreibt die WAZ. Der Westpark, eine beliebte Grünanlage in Bochum, mausert sich zu einem Jugendtreff, in dem Gruppenbildungen üblich sind und keine behördliche Präsenz erkennbar ist. Tolerierte Lockerung unter Inkaufnahme verfälschter Statistiken. Bestenfalls Schlamperei, schlimmstenfalls Täuschung der Öffentlichkeit. 

Im Wald freuen sich die Spechte über tote Bäume. Die Revolution der Tiere kündigt sich an durch Presslufthammerkonzerte in den Forsten.

Die Weisheit der Vielen ist experimentell überprüfbar. Bei der Schätzung der Anzahl von Kieselsteinen in einem transparenten Gefäß durch viele Personen liegen die Schätzungen im Durchschnitt deutlich näher an der faktischen Anzahl als die Schätzungen der einzelnen Personen. Sorgen der Deutschen: 38% befürchten Wucherpreise für knappe Waren (...ein Grund für Hamsterkäufe...), 33% fürchten den Werteverlust der privaten Altersvorsorge (...steigende Preise = Inflation), 43% haben Angst, im Krankheitsfall wegen fehlender Klinikkapazitäten nicht ausreichend behandelt zu werden (43%).  Sehr realistisch, gleichzeitig ein Spickzettel dafür, welche Ängste durch Flunkerei, Schönreden und Placebostatements bedient werden müssen.  

Der Buchhandel leidet darunter, dass Papierhersteller Toilettenpapier produzieren und Amazon aufgrund anderer Priorisierung von Themen kaum noch Bücher bestellt. Ein weiteres wachsendes Geschäftsfeld für die IT-Branche. Das klassische Buch auf Digitalfahrt.

16:43. Wo bin ich die letzten vier Stunden gewesen? Die Fußsohlen brennen. Dünne Salzkruste auf der Stirn. Das Pochen einer leichten Überdosis UV-Strahlung im Schädel. Dreckspritzer an den Jeans. Hieroglyphen an Baumstümpfen, die sich als Wegmarkierungen des Sauerländischen Gebirgsvereins erwiesen...drei Pressekonferenzen verpasst. Jens Spahn, Markus Söder, Armin Laschet. Kein Sprint, sondern ein Marathon-Lauf. Die Maske wird kommen. Die Phase der verantwortungsvollen Normalität. Der österreichische Finanzminister verglich das Bestehen von Italien und Spanien in Bezug auf Coronabonds mit dem eines Ertrinkenden, dem man ein Rettungsboot zuwirft, das er nicht besteigt weil er ein schöneres Boot will. Ein Kommentator: das Verhalten der Coronabond-Gegner ist so, als fordere man von einem Ertrinkenden bevor man ihm ein Boot (...Rettungsring würde genügen...) zukommen lässt zunächst eine Steuererklärung. Erleichtert, nicht überrascht, nehme ich zur Kenntnis nichts verpasst zu haben. Erleichtert die Terminplanung für die folgenden Tage. Der Drang live dabei zu sein lässt nach. Woher kam der überhaupt? Wird doch alles x-mal wiederholt. Geschieht etwas Weltbewegendes will man live dabei sein. Die erste Mondlandung. 9/11. Die Konserve ist nicht dasselbe. Dabei sein ist Alles - unabhängig davon, ob es ein freudiger, oder ein tragischer Anlass ist. Aber das hier zieht sich. Neue Verfügungen. Die Frage nach ihrer Wirksamkeit in Bezug auf die Bekämpfung der Krankheit ist müßig, siehe oben. Der Maulkorb-Erlass ist im Sinne des Infektionsschutzes so wirkungsvoll wie Wodka oder heißes Wasser zu trinken. Was aber nutzen Argumente (siehe oben)? Will man noch einkaufen dürfen wird man sich mit dem Wirkungslosen, dessen Sinn nicht im Schutz liegt, arrangieren. Also verstößt man gegen das Vermummungsverbot, nutzt das Utensil als Fläche der Agitation: ich werde Shador tragen, Ku-Klux-Klan-Kapuzen und Masken mit Aufschriften. Unfug. Redefreiheit. Diktatur. Der Kreativität sind im Gegensatz zur Bewegungsfreiheit keine Grenzen gesetzt (...noch nicht...). 

Da wundert sich jemand darüber, "dass die Deutschen alle sonstigen Maßnahmen klaglos akzeptieren, aber Mund-Nasen-Schutz so ein Riesenthema ist." Man braucht gar nicht das Klischee vom Tropfen bemühen, der das Fass zum Überlaufen bringt, oder den gesellschaftlichen Schmetterlingseffekt, den Krug, der so lange zum Brunnen geht bis er bricht, es genügt daran zu erinnern, dass das kollektive Tragen des Maulkorbs vor allem wichtig sei als Symbol für Solidarität. Das Symbolische hat oft mehr Sprengkraft, als "die normative Kraft des Faktischen". Die symbolische Kraft des Maulkorbs ist offenbar ambivalent. Was die einen (unabhängig von der effektiven Nutzlosigkeit) als wichtiges Symbol des gesellschaftlichen Konsens interpretieren ist für andere dinghaftes, greifbares Sinnbild für staatliche Zwangsmaßnahmen, die man sich zu allem Überfluss auch noch selbst basteln soll (spendet - gefälligst - Nähmaschinen, Taschentücher und Haarbänder für Obdachlose).

Italien und Spanien wollen doch nur Corona politisch nutzen um sich wirtschaftlich zu sanieren. Na und? Für Eurobonds müsste man die europäischen Verträge ändern und auch in Zukunft Schulden gemeinschaftlich tragen. Na und?  

Bemerkenswert bleibe die Absurditäten: während man nicht eine Fahrgemeinschaft zu dritt bilden darf um zur Arbeit zu gelangen, kann der Arbeitgeber anordnen, dass die selben drei Personen in einer Fahrgemeinschaft zur Baustelle fahren.

Hefe weg. Mehl auch. Lauter Hobbybäcker? Hamsterkäufer kaufen nicht was sie brauchen, sondern spekulieren auf sinkendes Angebot und steigende Preise. Leerkäufe, statt Leerverkäufe. Wie in längst vergangenen Zeiten: Nahrungsmittel avancieren zur Währung.

"Nichts mehr wie früher" - eine Reportage im ZDF. Eine Soziologin wirft einen Heiermann ins Phrasenschwein und und entkorkt die tiefschürfende Erkenntnis: der Kontakt über soziale Medien wird immer wichtiger. Warum sollten die Betreiber sozialer Medien ein Interesse daran haben, dass dieser Trend sich ändert? Uns steht die Antwort auf die Frage noch bevor, ob die Geschäftsinteressen der Profiteure des "social distancing", das man auch einfach "Diskretion" nennen könnte, eine Rückkehr zu analoger Nähe gestatten. Social Distancing ist sowohl ein Geschäfts- als auch ein Gesellschaftsmodell, deren Basis physische Nähe als Bedrohung und Wegezölle für die virtuelle Überwindung der Distanz ist. Passt zu gut zusammen, auch wenn es nicht in Leschs "Guten Abend allerseits" Kosmos passt. 

Betthupferl: Prof. Steffen Augsberg, Sprecher der Corona-Gruppe des Deutschen Ethikrats, äußert sich bei der Bundespressekonferenz wie folgt: Deutschland kann eine zeitweise Aufhebung des Demonstrationsrechts ab (wie auch die Aufhebung anderer Rechte). Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Dr. Peter Draback, äußert sich in einem Interview wie folgt: es spricht nichts dagegen, der älteren Bevölkerungsgruppe dringend zu empfehlen, sich in Selbstisolation zu begeben. Ein anderes Mitglied zum Thema Triage: Ärzte sollten sich daran orientieren, wer von einem Beatmungsgerät am meisten profitiert. Zu letzterer Äußerung zuerst: die Frage, wer am meisten profitiert ist keine ethische, sondern eine ökonomische. Den Älteren Selbstisolation dringend zu empfehlen ist gleichbedeutend damit sie zu isolieren. Die Teilname am öffentlichen Leben ansonsten ein Spießrutenlauf. Die Aufhebung des Demonstrationsrechtes wird vom Deutschen Ethikrat offenbar ohne entsprechende Änderung des Grundgesetzes als gegeben angesehen. Mit entwaffnende Offenheit äußert sich der Ethikrat unethisch. Der Ethikrat soll "Stellungnahmen für politisches oder gesetzgeberisches Handeln zu entwerfen." Was sich hier liest als handele es sich um ein unabhängiges Beratungsgremium ist tatsächlich zu 90% von der Regierung ausgewählt und besteht überproportional aus Mitgliedern mit einer religiöser Weltsicht. Der Vorsitzende Dr. Peter Draback ist Leiter eines Beraterkreises für Facebook. Der Ethikrat ist entgegen dem erweckten Anschein keine Institution, die Berater und Korrektiv für politische Entscheidungsprozesse ist, sondern kleidet umgekehrt für die Öffentlichkeit die Haltung der Regierung in das ethisches Brokat - da verwundern die statements ihrer Mitglieder nicht.

Begebe mich jetzt in die freiwillige Selbstisolation. 

 

 20.

"Inter arma silent leges (im Krieg schweigen die Gesetze)"

Das sei das Gebot der Stunde, meint Jessica Hamed in einem Interview in der FR vom 06.04.2020. Daher werden die Einschränkungen von Grundrechten auch klaglos hingenommen: "Zum einen aus Angst vor der Situation. Zum anderen aber auch aus Angst vor massivem Gegenwind, wenn man sich `in einer solchen Krise´ kritisch zu Wort meldet." Auch Dirk Kurbjuweit bei Spiegel Online ("Das üble Gefühl, in einer Diktatur zu leben", 06.04.2020) fragt sich, wo die Proteste z.B. gegen die Grenzschließungen bleiben? Es sei dahin gestellt in wie weit die Kriegsrhetorik in den Bevölkerungen schon ihre Wirkung verbreitet, es handelt sich jedoch in Ermangelung eines Feindes nicht um einen Krieg. Die Gründe ihn zu erklären liegen in den üblichen Nebenwirkung von Mobilmachungen: Heldentum wird verlangt, Opferbereitschaft bis zum Tod, bloß nicht Blut, Schweiß und Tränen, da die hochinfektiös sind. Die Gesetze schweigen auch nicht, sondern werden mit reichlich Getöse verändert. Die legislative Raserei und die Paralyse demokratischer Reflexe sind zwei unterschiedliche Reaktionen auf einen Schock: heftiger Tremor und Schockstarre. Das aus Angst keine Kritik aufkommt ist allerdings eine schwer zu überprüfende Hypothese. Dirk Kurbjuweits Frage entbehrt nicht einer gewissen Komik. Er blickt sich um im öffentlichen Raum und fragt sich: wo sind die Demonstranten? Als habe er von der schnurstracks vorgenommenen Aushebelung der Versammlungsfreiheit und des Demonstrationsrechts nichts mitbekommen. Es fehlt wohl nicht an Kritik und Protest, doch haben diese Mühen Foren zu finden und zur Kenntnis genommen zu werden. Der Raum für Protest und Kritik wird zugeschnürt, nicht zuletzt von einer Öffentlichkeit, die nach noch mehr Einschränkungen ihrer eigenen Rechte brüllt, so als sei Freiheit in Zeiten von Corona eine unzumutbare Belastung. Wer kritisiert, die ergriffenen Maßnahmen seien nicht streng genug findet folgerichtig unschwer eine Bühne und ein Publikum.   

Die Regierung von Peru meint die Wurzel allen Übels erkannt zu haben: es wird zuviel geschnakselt. Daher wurde eine Ausgangssperre getrennt nach Geschlechtern verhängt. Getrennte Schlafzimmer inklusive. 

Der Präsident von Weißrussland kennt wie erwähnt das ideale Medikament gegen Corona. Wodka. Statistisch hat er Recht. Bei einer geringen Lebenserwartung erreichen die Menschen gar nicht erst das Alter, ab dem sie zur Risikogruppe gehören.

Wer hat überall in der Stadt Senf auf dem Asphalt verschmiert so als habe ein Weißwursthasser "Senf drauf" von Foyer de Sade in die Tat umgesetzt? Es handelt sich um Taubenscheisse. Erste Zeichen einer Revolution der Tiere. Jetzt sind die Meldungen von Rehen, die den Rückzug der invasiven Gattung Mensch von den Wiesen und Parks zum Anlass nehmen, Terrain zu besetzen noch anekdotische Mutmacher ausgangs der Nachrichtenmagazine. Sie lassen sich von Kindern füttern, wie putzig. Das sind schüchterne Pioniere, die zaghafte Vorhut. Längst sitzen 12 Affen über uns zu Gericht. Delphine bedanken sich für den Fisch. Tiger brechen aus Tanks aus. Gorillas befreien gequälte Kreaturen aus Versuchslabors. Ratten erobern die Bibliotheken und lachen sich bei der Lektüre von "Die Pest" den Schwanz ab. Hunde und Katzen patrouillieren, konfiszieren an Treppenabsätzen abgestellte Pizzalieferungen und verzehren sie an Ort und Stille. Die Vögel attackieren Drohnen, die am Boden und auf den Dächern von Streifenwagen zerschellen. Eichhörnchen stibitzen Nüsse aus Supermärkten, Waschbären okkupieren Schießstände und wachsen an ihren Aufgaben. Wale schieben Flüchtlingsschiffe durch raue See Richtung Europa.

Wenn es den Eindruck hinterlässt, es ginge um die Kritik oder gar die Verunglimpfung handelnder Personen: dem ist nicht so. Satire zielt auf die Organisationen und Institutionen, deren Repräsentanten sie bloßstellt. Wie bei Wahlkämpfen geht es auch bei Satire darum, Prinzipien ein Gesicht zu geben, nur dass es in der Satire eine Karikatur ist. Weltwirtschaftsordnung. Finanzsystem. Staatengemeinschaft. Schumpeter und der Wolf. Das Märchen von Aufstiegschancen, die es ohne das steile Wohlstandsgefälle nicht gäbe. Öl, das von unten nach oben fließt. Der Sog, der unten ein Vakuum an Perspektiven und Ressourcen hinterlässt. Handelnde nach bestem Wissen und Gewissen, also im Korsett ihrer Glaubensbekenntnisse. Gesichter in denen die Zuversicht bröckelt wie getrockneter Lehm. Abgeschminkte Macht = Ohnmacht. Überforderung. Aber auch coups-de-poing der Opportunisten.   

Die Bundespressekonferenz bietet den üblichen Kontrast zwischen interessante Fragen und nichtssagenden Antworten. Ich beschränke mich auf die Fragen: - Welchen Sinn haben Grenzschließungen, wenn die Infektionsraten in den Staaten sich angleichen? (Nicht gegebene Antwort: "Hier sind wir, dort sind die anderen, und diese anderen könnten uns Böses bescheren, wenn sie die Grenzen passieren." Dirk Kubjuweit in seinem oben zitierten Artikel) - Wie lange will man warten, bevor man griechische Flüchtlinge auch ohne gesamteuropäische Lösung rettet? Bis die Katastrophe eingetreten ist?" - (Nicht gegebene Antwort: ja.) - "Wie bewerten die Bundesregierung den Umstand, dass Österreich ein festes Datum für den Eintritt von Lockerungsmaßnahmen nennt?" Keine Antwort, aber ein Kommentar von Herrn Seibert: "Vielleicht weil Österreich härtere Maßnahmen ergriffen hat", womit er - immerhin - öffentlich der Regierung, für die er spricht, in den Silberrücken fällt.  Anschließend die Altmayer/Scholz-Show: "We are the Champions", mit 7 Eigenlobs in 6 Sätzen. Neuester Triumph: nach Altmeyers Meckerei über das Mauern der Hausbanken übernimmt der Staat nun 100% der Ausfallbürgschaften und die Banken tragen überhaupt kein Risiko mehr, kassieren aber die Zinsen. Etwa so als sagt der Schwarze Ritter in "Ritter der Kokosnuss" ausruft: Sieg auf ganzer Linie. 

Bei Enzo bekomme ich einen erstklassigen Cappuccino. Er ist der Meinung, die Weltwirtschaft bedürfe eines Kollaps, damit die Menschen begreifen wie viel überflüssiges Zeug sie kaufen. Das unterscheide die kleinen Leute von den Reichen: die Wohnungen von Ottonormalverbraucher seien vollgestellt mit Nippes. In den Häusern der Reichen sei es leer bis auf eine Vase mit einer Blume auf dem Tisch, alles versichert. Die Menschen werden lernen, Überflüssiges zu meiden. Die Zukunft gehöre kleinen Geschäften, die anpassungsfähig sind im Gegensatz zu den großen Konzernen. Es mag in meiner pessimistischen Mentalität begründet liegen, dass ich eine (privilegierte) "Halbwelt" vor mir sehe, in der die Kontaktvermeidung zum Common Sense wird, Online-Dienste, Datenkraken und private Sicherheitsunternehmen die Wirtschaft dominieren und das soziale Fernleben definieren. Ich hoffe, dass ich nicht Recht behalte.

Wer erwartet hätte, dass Angela Merkel bei ihrem Pressebriefing etwas Weltenerschütterndes verkündet, dem muss die Naivität Charlie Browns attestiert werden, der immer wieder auf den von Lucy gehaltenen Football zu rennt.  Kein Termin für den (Br)Exit, keine Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasenschutzes, kein Appell an die Bevölkerung. Ein nüchterner Lage- und Tätigkeitsbericht, Abkühlung für das überhitzte Gemüt des öffentlichen Interesses. Angenehm: es werden keine Maßnahmen getroffen, nur weil andere Länder sie beschlossen haben oder weil es viele Münder und Naseweise zum Schutz von Mund und Nase fordern. Letzteres Thema auf den Punkt gebracht: das Tragen von Mund-Nasen-Schutz ist (wenn überhaupt) nur sinnvoll, wenn nicht nur jeder ihn trägt, sondern auch der Stoff geeignet ist, die Maske jeden Tag richtig gereinigt wird und es niemanden dazu verleitet in einem Gefühl trügerischer Sicherheit gegen die Abstandsregeln zu verstoßen. Wenn das Einhalten von Vorschriften nicht flächendeckend überprüft werden kann ist die Vorschrift nutzlos. Keine Nachfragen der Journalisten - man überlässt die Meinungsmache für den Maulkorb Sebastian Kurz, dem Feuilliton und den Talkshows.

Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen - man leistet Überzeugungsarbeit, damit wir die Mauern bereitwillig selbst ziehen. Sebastian Kurz bereitet man die Bühne für seine Präsentation des österreichischen Vorgehens, inklusive Verpflichtung zum Tragen eines Mund- und Nasenschutzes - der aktuellen Variante der Pestmaske. Er verweist auf die abflachende Kurve der Neuinfektionen. Einen empirischen Beweis dafür, dass die Abflachung der Infektionsrate (von der Dunkelziffer ganz zu schweigen) mit den Maßnahmen der österreichischen Regierung zusammenhängt existiert nicht, aber längst geht es nicht mehr um Fakten und Argumente, sondern um die Durchsetzung von Maßnahmen, die am effektivsten Schutz und Kontrolle suggerieren - was dem Eingeständnis gleich kommt, nicht zu wissen was über das hinaus, wovon wir wissen dass es hilft, wirklich hilft. Was wirklich hilft wissen wir seit der Spanischen Grippe - physikalischen Abstand halten, Massenveranstaltungen (wie Schlachtfelder) vermeiden, Hotspots identifizieren, flächendeckend und oft testen. Für die Wirksamkeit aller anderen Maßnahmen gibt es keinen sicheren Beleg. Das gilt für die drakonischen Ausgangssperren in Huan ebenso wie für die drastischen Ausgangssperren und Shutdowns in Italien (vielleicht war in Huan der sprichwörtliche Sack Reis ausschlaggebend). Zwar flacht dort die Rate der nachweislich mit COVID Infizierten und die Todesrate ab, aber abgesehen von der Dunkelziffer geht man davon aus, dass viele COVID-Erkrankten im Kreis der Familie versterben und in der Statistik nicht erfasst werden. Überspitzt formuliert: gleichzeitig das Wahren des sozialen Abstands anzuordnen und Familien auf engem Raum in den Wohnungen zusammen zu pferchen widerspricht sich. Wenn also über gesichertes Wissen hinaus Maßnahmen angeordnet werden, von denen man nicht weiß ob sie positiv wirken, dann geschieht das vorrangig, damit die Politik Handlungsfähigkeit demonstriert und das Gefühl vermittelt, man unternehme das Richtige, damit alles rasch wieder normal werde. Grade weil die Beweislage so vage ist, kann jeder politische Entscheidungsträger bei einem positiven Trend behaupten dies sei Resultat seiner richtigen Entscheidungen. Da Deutschland stärker als Österreich die Notwendigkeit der gesellschaftlichen Debatte in einem demokratischen Rechtsstaat betont funktioniert hier die Realisierung geplanter Maßnahmen nach einem anderen Muster. Man betont welche Maßnahmen für sinnvoll erachtet werden und überlässt dann der Bevölkerung die Entscheidung darüber, ob Freizügigkeit bleibt oder (...wer nicht hören will muss fühlen...) angeordnet werden muss - so funktionierte das bei den Kontaktbeschränkungen, so wird es bei den Maulkörben und bei der Tracking App laufen. Das funktioniert in 3 Schritten. Schritt 1: Kalkulation. Es hilft (interessanter Weise in beiden Fällen) nur, so der Tenor, wenn mindestens 60% mitmachen. Schritt 2: Der Mauerbau. Diejenigen, die freiwillig mitmachen, denunzieren diejenigen und üben Druck auf sie aus, die den "Empfehlungen" der Regierung nicht folgen. Schritt 3: Schuld an der Aufhebung der Freiwilligkeit sind diejenigen, die von ihrer Freiwilligkeit Gebrauch machten. Dieser Prozess hin zu Maßnahmen, die eine baldige Rückkehr zur Normalität verheißen, führt über einen inneren Mauerbau durch Diskriminierung bis hin zur Aufhebung von Grundrechten - selber Schuld. In den Hintergrund tritt die Frage, wie in den unterschiedlichen Teilsystemen des sozialen und wirtschaftlichen Lebens am besten sichergestellt werden kann, was nachweislich schützt - nämlich die Einhaltung des physischen Abstandes. Statt dass wir uns mit dieser Frage auseinandersetzen verlieren wir uns lieber beim Bau der nächsten Mauer, derjenigen zwischen jung und alt. Während man da, wo das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes sinnvoll wäre sogar auf dahingehende Empfehlungen verzichtet - zum Beispiel in Parks, wo heftig hechelnde Jogger und Radfahrer mit weit aufgerissenen Mündern Slalom um Spaziergänger fahren - sollen sie in Supermärkten obligatorisch sein, statt die Lieferketten umzukehren. Während man die Supermärkte, Baumärkte und Gartencenter als Ersatz für Gaststätten, Shopping-Malls, Kirchen, Vereinsheime, Parteitage und andere Begegnungsstätten offen hält, ist man außerstande einfache Abstandsregeln mit einfachen Maßnahmen in Pflegeheimen zu realisieren, z.B. durch Markierungen, Zugangsbeschränkungen und transparente Trennwände wie es in Supermärkten üblich ist. Stattdessen verordnete man zum Schutz der Ältesten soziale Isolation und schuf so geschlossene Systeme, in denen COVID Pingpong zwischen Pflegern und Bewohnern spielt. Mittlerweile dient das Besuchsverbot wohl eher dem Schutz der Angehörigen, als dem der Bewohner. Derweil arbeitet man weiter daran, die Gruppe der sozial zu isolierenden Personen auf alle über 65 auszudehnen. Mit Demokratie hat das alles nichts mehr zu tun, und wäre es ein Ausnahmezustand wäre das Oberkommando in Teilen inkompetent. 

Du musst Dich morgen früh rasieren. Deine grauen Bartstoppel lassen Dich alt aussehen.

Passkontrollen im Supermarkt: Man sieht Ihnen Ihr Alter nicht an.

Zur Optimierung der Einhaltung von Ausgangssperren: Fußfesseln. Da sind die Tracking-Apps schon drin.

Mit dem hilflosen Herrn Laumann könnte man bei Hart aber Fair beinahe Mitgefühl haben. Äußerte er nicht Verständnis für die Überlegung Ältere zu isolieren und würde er nicht das Gesundheitswesen in NRW über denn Grünen Klee loben, inklusive der Ausstattung mit Schutzmaterialien für das Pflegepersonal. Mit einer Pandemie hätte man ja nicht rechnen können. Oh doch, entsprechende Szenarien waren lange bekannt. Man hat wohl gedacht wenn es so weit ist versorgen wir uns auf dem Weltmarkt. Leider liegt es in der Natur einer Pandemie, dass alle gleichzeitig um die selben Ressourcen konkurrieren. Eigentlich nicht schwer vorherzusehen.

Das Argument gegen eine Isolation von Menschen über 65 war vor allem ein praktisches: 18 Millionen Menschen wären unmöglich zu isolieren.

Gute Nacht.

 

19.

Wer hat denn dieses politische Flugblatt in den Text eingefügt? Ich jedenfalls nicht. Schaue ins Schlafzimmer, in die Küche, ins Bad. Niemand da, außer mich.

Es muss außer mir heißen. Bin noch nicht ganz da. Nicht ganz bei mir. Bin ich ein Somnaskribist? Oder gar Kenneth Parks? 

Kein Mucks von draußen. Ein Tag an dem die Erde still steht. Quite Earth. Nur einige Omega-Männer und Homer Simpson brettern in Schrottkarren durch eine posteukalyptische Welt. Hinter Windschutzscheiben fragile Menschen, intakt wie die Aschesäule einer bis auf den Filter abgebrannten Zigarette. Windstille. Das statische Laugenblau des Himmels suggeriert den ewigen Tag. Parasomnie. Permanenter Mittag. Die Stille schreit die Überflüssigkeit des Menschen in die Welt hinaus. Geprügelte Hunde nehmen es stillschweigend zur Kenntnis. Grashalme richten sich auf. Motoren, Generatoren und Windräder ruhen sich endlich aus. Selbst die Sirenen der Krankenwagen sind nur am äußersten Rand des Nichts zu hören, ein Echo, nur unwesentlich wirklicher als die Erinnerung an mich in Kletterhallen, am Tresen, in Autos mit Menschen auf dem Rücksitz. Noch ferner die Erinnerungen dieses erinnerten Menschen an dessen Kindheit. Nicht meine. Ein nicht autorisierter download, der mir das Gefühl gibt etwas mit dieser Person zu tun zu haben, deren Erinnerung mir eingraviert wurde. Und ja...Erinnerungen an Filme, die mich fesselten. Dystopien. Stand jetzt würde sich niemand die Mühe machen ein dystopisches Drehbuch zu verfassen. Es wäre von der Wirklichkeit überholt, bevor man es beenden kann. 

Die Sendung mit der Maus zieht eine gekrümmte Linie von der Kindheit des erinnerten Fremden zu meiner Gegenwart. Von Shaun das Schaf zu Schon von den Toten. Mittendrin statt dem Alert bei einem EMP in Folge eines nuklearen Angriffs das lächelnde Gesicht von Susanne Daubner. Die Bundesregierung: das Schlimmste kommt noch. Stimmt das nicht immer? Von der Leyen: "Die vielen Milliarden, die heute investiert werden müssen, um eine größere Katastrophe abzuwenden, werden Generationen binden." Schon klar wer zahlt, verschuldet über den Tod hinaus. Wer finanziert den Marshall-Plan wenn alle betroffen sind? Wenigstens viele Opfer. Einmalzahlungen. Abgeschrieben. Söder stellt Pflegekräften Einmalzahlungen und Gratisverpflegung in Aussicht. Klingt nach Henkersmahlzeit, wozu Tarifverträge auf die Zukunft schließen bevor man weiß wer überlebt? Perfektes Frühlingswetter. Fliedermäuse flattern. Kirchenglocken und Tatütata, Hoffnung und Alarm, Krankenwagen als Gefahr für Raser. Das schöne Wetter treibt Menschen vor die Tür, ins nach Sommeranfang und frischem Heu duftende Grün, auf Waldwege mit Hufeisenspuren. Ich fühle mich überall verfolgt außer in meiner Wohnung.    

Im Anfang ist die Abspaltung von Sender und Empfänger. Reflektiertes Ich und sich reflektierendes Ich. Die Entfaltung der vielen Welten, vorangetrieben vom quantenmechanischen Eierschneider des Universums, einem van Hagens INIT 1. Der Rollentausch. Das Leben, das von unserem jetzigen Dasein bestimmt wird, war eben noch eine Fiktion, COVID-die Serie, neue Folgen auf Netflix, verfasst an diesem Computer in einem Leben, in dem diese Epidemie ausbleibt. Dieses Leben wie es nun ist wird das Skript des Geschehens verfassen, wie es sich ohne Corona fortschreibt, getrieben von NostalGier, der reziproken Euphorie.

Spiel mit alterna(t)iven Vergangenheiten, in denen Freud sich nicht für Ödipus, sondern für Uranos und Kronos interessiert hätte.

Ich höre Stimmen. Der auf 0Kelvin reduzierte Straßenverkehr? Die Familientreffen auf den Balkons, geöffnete Fenster als Große Freiheit Nummer 7 der Ausgangssperre? Oder habe ich etwa Besuch? 

Habe ich nicht. Jedenfalls niemanden den ich kenne. Oder erkennen kann.

Strafanzeigen für Demonstrationen, obwohl die Demonstranten sich ans Abstandsgebot hielten. Was für ein zukunftsweisendes Vorgehen.

So wie der Umgang mit den Geflüchteten auf Moria. 1 Waschbecken für 1000 Menschen. Kein Wasser. Dafür Flugblätter mit der Anordnung sich regelmäßig die Hände zu waschen. Wenns so weiter geht Verdursten für die Hygiene. Man könnte die Flüchtenden in Hotels unterbringen, die Besitzer befürchten Schaden für die Tourismusbranche. Welche Tourismusbranche? Mahnende Stimmen aus der EU, man wolle keine Anreize für weitere Flüchtlinge setzen. China, Russland und andere Länder könnten der EU den Todesstoß geben, wenn sie öffentlichkeitswirksam die Flüchtenden aus Dantes Inferno zu sich nehmen. Ich hoffe für die Menschen in Moria (und viele andere) dass sie es tun. 

Portugals Premierminister Costa bezeichnet das Auftreten des niederländischen Finanzministers Hoekstra als ekelhaft und kleinlich - der hatte ganz in der Tradition seines Vorgängers Jeroen Dijsselbloem die EU-Kommission auf sie "solle erst mal untersuchen, warum manche Länder besser mit dem Corona-Virus klarkämen als andere." ("Bitte keine Fortsetzung der alten Krisenschlacht", Paulo Pena, Jef Poortmans, Harald Schumann, Tagesspiegel 03.04.2020). Selbst die niederländische Tageszeitung "De Volkskrant" kommentierte, das sei "als ob er dem Süden den Stinkefinger gezeigt hat." Niederländische Finanzminister sind im Süden Europas besonders beliebt, nicht nur, weil sie eine treibende Kraft hinter der Austeritätspolitik der EU im Zuge der Finanzkrise gewesen sind, in deren Folge die Gesundheitssysteme im Süden kaputtgespart wurden, sondern wegen Äußerungen wie: "man kann nicht sein ganzes Geld für Huren und Wein ausgeben und dann Hilfe von anderen fordern." (Das exakte Zitat wurde heute im ARD-Europamagazin wiedergegeben). Zusammenhalt auf Europäisch. Auf Kosten der Europäer und vieler anderen Menschen, denen es dreckiger geht. 

Es ist kein Problem in Windeseile Grundrechte einzuschränken und Gesetze zu modifizieren. Ein unüberwindbares Problem ist die falsche Signalwirkung, wenn man einige tausend Menschen von einer tödlichen Müllhalde zu befreit. Da könnte ja jeder kommen. Allerdings könnte dahinter auch eine ausgeklügelte Strategie stecken: Zielgruppe isolieren und abwarten, wie viele Tote es fordert Herdenimmunität herzustellen. Moria als Heinsberg unter verschärften Bedingungen und ohne vorheriges Helau.

Live-Ticker: - Das Heute-Journal weiß wer Schuld an Corona trägt: "Zuständig für Krankheit und Seuchen ist das Robert Koch Institut." - Israel: Geheimdienst Shin Bet greift mit Hilfe von Google auf Handy- und Internetdaten der gesamten Bevölkerung zu um Corona-Seuche einzudämmen. Es stellte sich heraus, dass der Geheimdienst diese Möglichkeit schon längst hatte. Wieder zeigt ein Tabubruch nur, was ohnehin schon an der Tagesordnung war. - Freiheit vs. Gesundheit? Es geht nicht um Gesundheit. It`s the economy, stupid - Putin: Löhne werden bis Ende des Monats weiter bezahlt. Von Unternehmen ohne Aufträge und Umsatz - Chefin des internationalen Währungsfonds Georgieva spricht "von der dunkelsten Stunde der Menschheit." Es werden Forderungen nach einem Weltkrisenrat unter Führung der UNO laut. Die ist bekannt für ihre starke Exekutive, vor der selbst der übelste Potentat und sogar ein Virus kuscht. Vom Guten im Ohnmächtigen: zum ersten Mal entsteht ein Bewusstsein für die Menschheit als globale Interessengemeinschaft mit einer Gemeinschaftsaufgabe. COVID ist dringlich, der Klimawandel nur wichtig. - Weißrussland: Präsident Lukaschenko empfiehlt Eishockey und Wodka. Kälte und Alkohol töten den Virus ab, meint der weltführende Seuchenexperte . - Nordkorea: Stand der Infizierten: 0. Stand der Tests: 0. - Türkei: findet das sympathisch. - Slowakei: die Roma sind schuld. - Japan: Europa setzt auf Amalgam. Pardon. Auf ein japanisches Mittel namens Avigan. - Großbritannien: Reiche wechseln von der Stadt auf ihre Landsitze, leerstehende Villen zurücklassend, die von der Polizei bewacht werden, damit ja niemand darin wohnt. - USA: Trump schlägt vor: Todgeweihte, nehmt noch nicht getestete Medikamente. Was habt ihr groß zu verlieren? Es ist Krieg: Trump ist der Feldherr, der über Leben und Tod entscheidet. Einst Saddam Hussein: 1 Million Tote im Krieg sind akzeptabel. Ganz gegen seine Gewohnheit zu Highscores geht Trump nur von 200.000 Toten aus  - Brasilien: prophylaktisch werden Massengräber ausgehoben. In den Favelas ist die Frage Freiheit oder Gesundheit in Ermangelung von beidem keine Frage, außerdem hat sowieso schon jeder Tuberkulose. It´s the economy, stupid. - Afrika: Ohne Hilfe droht eine Katastrophe, wenn ihr nicht helft fluten wir Europa - Luxemburg: Das mächtige Luxemburg nimmt 10 Kinder aus Moria auf, während der Rest Europas Bürokratenmikado spielt und wartet, bis Corona dort übergreift.

Unbequem: die Kritik am politischen System tritt zurück hinter die Frage nach der Qualität seines Krisen- und Gesundheitsmanagements. Dann hoffen wir mal, dass man Schweden den Krisennobelpreis verleiht.

Corona zieht immer weitere Kreise. Erstmals wurde ein Tiger mit Corona infiziert. Na! Welcher Filmfreak hat denn da den Abspann aus Hangover nachgestellt? 

 

18.

"Ich arbeite freitags im Homeoffice" - das war eben noch ein Satz von großer Schönheit. Jetzt jammern wir gern.(...)Jammern dürfen gerade in nicht vollständiger Aufzählung: Restaurantbesitzer ohne Gäste. Friseure ohne Kunden. (...) Krankenschwestern, Krankenpfleger, Ärzte im Dauerstress. Verkäuferinnen im Supermarkt, täglich virenumweht. Menschen in existenziellen Nöten. Für uns andere gilt: Einfach mal Klappe halte." (Heult leise, Jochen-Martin Gutsch, SPON, 03.04.2020)

...und selbst letztere sind nicht in existenziellen Nöten.

Die Welt titelt: "Corona-Maßnahmen zeitigen Wirkung."

Unübersehbar. Das Kussverbot an Deutschen Grenzen (BILD), das Konjunkturprogramm für Baumärkte und Gartencenter, die FED pumpt 1,5 Billionen Dollar in die Märkte (onvista, 13.03.20) und in unserem Supermarkt gibt es keine Einkaufskörbe mehr. Wer wie hypnotisierte geräuberte Regale anstarren will darf dies nur noch in Begleitung eines Einkaufswagens und einer zweiten Person (optional, aber ungern gesehen). Das führt zu herzzerreißend-grotesken Szenen. Familienväter auf der Suche nach den Rollen ihres Lebens müssen unverrichteter Notdürfte mit leeren Einkaufswagen in der Schlange warten, Wägen mit blockierten Rädern stellen sich quer und verstellen den Zugriff auf die letzten Hefekulturen dieser Welt. Geschaffen um die Einhaltung von Abständen zu garantieren schlägt die Regelung um in das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung, in ein (mutmaßlich) gefährliches Gedränge in den Engpässen zwischen den Regalen. Es gibt eben eine physikalische Welt außerhalb der Reihe, ein Nebeneinander statt ein Hintereinander. Mehr Einkaufswagen bedeutet weniger Platz, weniger Platz bedeutet Gedränge und da die Einkaufswagen mehr lang als breit sind ist die Unterschreitung des Abstands die Regel. Anordnungen zum Schutz, die Schaden anrichten: So kommt man von der Regel in die Traufe.   

Hoffentlich geht die Titanic nicht unter, die sich wacker des Corona-Themas annimmt und droht: wenn Sie die Titanic nicht abonnieren verbrennen wir diese Rolle Klopapier. Ich würde sie abonnieren, wenn ich dafür die Rolle bekäme.

Eine hohe Wertschätzung genießt bei mir die Humorkritik von Hans Mentz. Da es Samstag ist stehe ich nicht unter dem Termindruck, den das straffe Programm der Sendeanstalten einem Montag bis Freitag auferlegt, das einem zwischen Morgenmagazin, Tagesthemen, Heute-.Journal, Pressekonferenz des RKI, Bundespressekonferenz, Pressekonferenzen der Ministerpräsidenten, Audio-Botschaften der Kanzlerin, dem täglichen Wort zum Sonntag von Franz-Walter Steinlaus, den diversen Casting-Shows für den attraktivsten Virologen, den Trauerreden von Frau von der Leiden (tbc, was für to be continued steht) kaum Zeit lässt das Stille Örtchen aufzusuchen. Tatsächlich denke ich dem Vorbild dehydrierter E-Sportler folgend über die Beschaffung von Windeln nach...sogar ausschweifende Abschweifungen wie Kaffee kochen, Frühstück zubereiten, mich den Risikogruppen anzuschließen (ein, zwei Lungenbrötchen zum schwarzen Kaffee) und Zeitung lesen statt sie als Ersatz für Flugreisen nur zu überfliegen kann ich mir leisten, inklusive der Glossen, was mich zur Humorkritik bringt. An dieser Klolumne sagt mir besonders die kritische Auseinandersetzung mit gelungener Komik zu. Eine Glosse in der heutigen Ausgabe der WAZ, betitelt "Weitere Dinge des täglichen Bedarfs", gehört unbedingt dazu. Sie beschäftigt sich damit, dass in den USA Waffengeschäfte weiterhin geöffnet haben, weil diese Grundbedürfnisse befriedigen. Die Glosse endet mit der Frage: "Und doch fragen sich hiesige Hamsterkäufer: Wie um alles in der Welt behilft man sich denn nun mit diesen Dingern, wenn das Klopapier ausgegangen ist?" Das erheiterte mich, aber die Pointe hat einen Schönheitsfehler, da es auf diese Frage - entsetzlicher Weise - eine plausible Antwort gibt.

Zurückgeworfen auf mich selbst habe ich keine Ahnung wer das ist. Gehe ich in mich gerate ich außer mir und kann mich dennoch nicht erkennen. Die Schicht aus Bildern die es zu sehen gibt verstellt den Blick selbst wenn die Lider sich über den Augäpfeln schließen und man zudem eine Schlafbrille aufsetzt. Man müsste so gründlich erblinden, dass man nicht einmal träumen, sich erinnern oder Vorahnungen haben könnte, weder Vor- noch Nach- noch Rücksicht. Die Augen in den Höhlen um 180 zu drehen genügt nicht um sich auf den Grund des eigenen Blicks zu sehen, und ob der Tod genügt würde sich zeigen oder nicht. Erkenne Dich selbst. Gnothi seauton, der fundamentale Irrweg, der Ursprung der Bemühungen der Suche auf den Grund zu gehen bevor man zugrunde geht. So torkeln wir von Irrtum zu Irrtum, Fortschritte sind Spektrallinien zwischen den Erleuchtungen, die Schwellen zwischen einer fehlerhaften Annahme zur nächsten. Falsifizierung. Unvollständigkeit. Und weiter. Programmierung. Fatal Error. Und weiter. Nächster Schritt: KI. Dann KI in Kernal Panic. Ausbruch der Realität aus dem Maschinenraum der Irrtümer. Das Innerste zuäußerst gekehrt, die Erkenntnis, das zuvor die Welt auf links gedreht war. Natur ist nur noch ein Museum in den Mediatheken, jedenfalls bis wir verschwinden, anschließend Natur ohne Besucher. Ich rede mit Dir, denn du bist in meiner Nähe, wenn auch abwesend, nicht Bestandteil meiner Welt, sondern auf der Rückseite der Bilder, deren Rückseite nicht zu sehen ist, wenn man sie wendet. Es ist still. Der strahlend homogene Himmel straff gespannt über dem unmöglichen Nichts, dem unheilbaren Symmetriebruch, dem unvermeidlichen Beginn. Chance zur Besinnung. Das ich nicht wache.

Scheiß Wochenende. Vergebliches Warten auf die nächste Spahnplatte(tüde). Die Echos der Krankenwagensirenen, minütlich, aus allen Richtungen und Entfernungen, passen nicht zu den Fallzahlen.

In Werbespots und Filmen seltsam entrückt wirkende Bilder. Menschen versammeln sich an öffentlichen Orten, Familiendramen mit Flughafenszenen, aus der Zeit gefallene Szenen auf Konzerten und in Fußballstadien. Das Medium Film zeigt sich als das was es ohnehin ist: fern der Realität. Der Maschinenraum der Traumfabrik liegt blank, mitsamt dem beschwichtigenden Auftrag ihrer Arbeit. Die Epidemie ist ein schonungsloser, schmerzhaft detailgetreuer Weltspiegel, der in HD-Qualität eine Welt zeigt, die wir eben noch nicht sehen mussten, die jedoch vor Corona keine andere war. Ein Spiegel als Scherbengericht, dem die Deutschen in Baumärkte und Gartencenter entfliehen wollen, so als könne man dort durch Reparaturarbeiten und Düngemittel das eben noch glatte Weltbild wieder begradigen. Aber: da die Pandemie überall ist kann man dem Weltspiegel nicht ausweichen.

Positiver Nebeneffekt: keine Selfies mehr mit Essen in Hamburger-Restaurants und vor Sehenswürdigkeiten in exotischen Ländern.

Wie stellen die ersten Filme und Serien nach der koronaren Insuffizienz den sozialen Raum dar, die sozialen Interaktionen? Sex and the City in der Postcorona-Ära, gedreht in einem menschenleeren Manhattan. Spart jede Menge Komparsen. Und ist so stimmungsvoll wie ein Geisterspiel.

In den Nischen zwischen den Covideos: Naturdokus in HD. HD is more natural than nature. Draußen zu Hause ist out. 

An der menschenleeren U-Bahn-Haltestelle: auf den überlebensgroßen Displays, die sonst der Unterhaltung der trüb- und stumpfsinnig wartenden Passagiere dienten, Hinweise auf Einrichtungen, an die man sich bei Fällen häuslicher Gewalt und sexuellen Missbrauchs wenden kann. Botschaften, die hier niemanden erreichen, während sie da nicht gesendet werden wo sie jeder sehen würde. In den Werbepausen der Heimkinos die übliche Reklame, die sich die Ausgangssperre als Motiv ihrer positiven Produktdarstellungen zunutze macht. Die Sparkasse bettelt uns an, unser Geld auf ihren Banken zu belassen. So kann man sich auch ins Knie schießen.

Saarland schließt die Grenzen zum Elsass, zu Lasten französischer Pendler, Hasstiraden im Netz. Habe mich bisher immer über Prepper lustig gemacht.  

Die viel beschworene offene Gesellschaft hält sich geschlossen wie Karl Poppers Grab. Grenzen schließen - obwohl man betont, das Virus kenne keine Grenzen. Die EU folgt ihrem vorher bereits erkennbaren Kurs der Abschottung nach außen und dem inneren Trend zur Sezession. Damit sind der Brexit, die Spaltung in Nord und Süd gemeint, erst recht das reaktionäre Schmollen der Länder, die hinsichtlich ihrer Auslegung einer demokratischen Gesellschaft eher an Russland erinnern. Dabei wäre grade hinsichtlich der Ausbreitungswege des Virus, der Identifikation von Hotspots und der und der Disponierung, Beschaffung und Lieferung von Ressourcen grenzenlose europa-, vulgo weltweite Kooperation geboten. Stattdessen schotten sich nicht nur Staaten, in Deutschland sogar die Länder voneinander ab. Der Streit um die Art der Hilfe für Italien und Spanien, der unverhohlene Argwohn der Nettozahler, die Länder mit den meisten Opfern wollten sich vor allem über die Vergemeinschaftung von Schulden sanieren, statt der Bevölkerung zu helfen (womit sie Conte, der in einer ARD-Extra-Sendung wie ein verletzter Hund den blanken Bauch zeigte eine Schmierenkomödie unterstellten) verrät den selben Rückzug auf nationalen Eigennutz wie der schäbige wie in Mafiakrimis auf Flughäfen ausgetragene Bieterstreit um Schutzmasken, Atemgeräte und Medikamente. Unter dem sozioökonomischen Mikroskop betrachtet bleibt von der solidarischen Gemeinschaft jedenfalls hinsichtlich ihrer Institutionen, deren Interessenvertretern und den zu Wirtschaftsexperten mutierenden neuen Sternchen der Talk-Shows, die den baldigen "Exit" mit fadenscheinigen, moralischen Argumenten das Wort reden, nicht viel übrig. Der Staat gibt vor, die Kredite aus seiner Bazooka seien ein Geschenk der Regierung, die hervorragend gewirtschaftet hat und geflissentlich verschweigt, dass es die Beschenkten waren, die die Staatskasse gefüllt haben und überhaupt von Geschenken des Staats an seinen Souverän nicht die Rede sein kann (erneut eine 180-Grad-Verdrehung der Verhältnisse von Dienern des Souveräns, die noch kein Wort über ihren Solidarbeitrag verloren haben, weil sie Tag und Nacht für jeden Arbeitsplatz kämpfen und daher besser verdienen sollten, was sie durch Betonung ihrer Leistung andeuten), die Regierung verkündet den Unternehmen, dem Geldfluss aus dem Füllhorn der Kreditanstalt für Wiederaufbau stehe nichts mehr im Weg außer der Hausbank, die Hausbank wiederum - in der Finanzkrise von Steuerzahlern wegen ihrer Systemrelevanz gerettet - streicht stattdessen Kreditlinien und vergibt keinen neuen Kredite wegen 10% (10%!!) Haftungsrisiko, da man ja nicht wisse, wie sich das Unternehmen nach Corona entwickele. Im Endeffekt werden die Risiken der Banken wie üblich durch deren Vergesellschaftung auf 0 gesetzt. Machen wir uns nichts vor: um Systemrelevanz geht es auch bei der kaum noch als Nachfrage kaschierten Forderung nach der Lockerung der Maßnahmen. Kaum nimmt die Furcht vor der Rezession zu, kommt das kurz vorher noch als zynisch und verheerend abgetane Zauberwort `Herdenimmunität`wieder auf den Tisch. Während Johnson und Trump mittlerweile umschwenkten rudert Deutschland vorwärts in die Vergangenheit. Lockerung für systemrelevante Personengruppen, die Kinder, die die Zukunft sind, die Jungen, die die Wirtschaft wieder ans Laufen bringen und die Immunisierten, die man per Youtube in der richtigen Bedienung eines Beatmungsgerätes schult. Die Risikogruppen gilt es besser zu schützen. Abgesehen davon dass es sich angesichts der Todesfälle in Pflegeheimen und dem Exodus des dort tätigen Personals bei dem Begriffspaar "besser schützen" um einen Euphemismus für "Schlimmer sterben" handelt: wie sähe denn ein "besserer Schutz" für diese systemlästige Personengruppe aus? Schon jetzt ist sie sozial isoliert, abseits jedweder Qualitätskontrolle allen möglichen Risiken hilflos ausgesetzt. "Besser schützen" gingen in der Logik einer strikteren Isolation nur noch wenn man sich Edgar Allen Poes Geschichte "Ein Fass Amontillado" zum Vorbild nimmt. Derzeit fällt es China leicht, die Herrschaft über globale Bilder von internationaler Hilfe und internem Gemeinsinn zu beherrschen - heute gedachte China der Coronaopfer durch ein dreiminütiges landesweites Schweigen von 1 Milliarde Menschen, der größte flashmob aller Zeiten, Prominente tauschten ihre Profilbilder in den sozialen Netzwerken in Schwarz-Weiß-Porträts ein. Diese Lektion für den moralisch überlegenen Westen ging um die Welt, und wird - ganz gleich ob es sich lediglich um einen propagandistischen Coup handelt - ihre Wirkung nicht verfehlen. Ebenso wenig wie das Euro-Bondage der EU.

 

17.

"Wer jetzt Humor für unangebracht hält hat den Ernst der Lage verkannt."

Könnte ich zeichnen und wäre ich nicht so miserabel im Verfassen von Dialogen (deswegen: Coroner-Monologe) würde ich "Asterix hilft Rom". Ganz Rom wird von einer Epidemie infiziert. Ganz Rom? Nein. Ein kleines gallisches Dorf ist nicht infiziert. Miraculix hat einen Impfstoff parat. Asterix soll ihn mit Obelix nach Rom transportieren, was der böse Präfekt Coronavirus, der Rom ins Chaos stürzen und selbst die Macht ergreifen will, unbedingt verhindern möchte.

Die Frage, ob in Zeiten von Corona Satire angebracht ist verkennt den Ernst der Lage erst Recht. Satire darf alles, das soll auch so bleiben. Die Beschneidung der Rechte von Künstlern und Journalisten beginnt mit der Selbstzensur im Kopf.

Dazu gehören auch Hinweise über unfreiwilligen Humor - wie auf Armin Laschets Maskeninkompetenz und Walter Steinmeiers doppeldeutigen Satz: in der Corona-Krise lernt man sich gegenseitig richtig kennen....(und überlebt es hoffentlich).

In einem Artikel über "Fake News" in Zeiten von Corona äußert sich die Anti-Lügen-Einheit der EU zu den Zielen von Fakenews: "Misstrauen zu säen in staatliche Institutionen, Medien, Experten und das Gesundheitswesen. Die Solidarität, die in diesen Tagen so wichtig ist soll unterminiert werden." Das trifft zu, aber auch dieser Satz enthält eine Gleichsetzung von Solidarität mit unbedingtem Vertrauen in die Autoritäten. Damit schielt man auch auf diejenigen, deren Kritik an administrativen Maßnahmen, ihren Wirkungen und den Verfahren der Entscheidungsfindung auf Fakten basiert. Denn auch das unterminiert ja Vertrauen und Solidarität.

Nun auch von hier aus eine Verschwörungstheorie: die Berichte über Fakenews und Verschwörungstheorien sind selbst eine Verschwörung, die Kritiker der Regierungen zum Schweigen bringen soll (...nachts Fletchers Visionen geguckt...)

Der Moderator von "Phoenix - der Tag" wagt es, den stellvertretenden Vorsitzenden der FDP, Wolfgang Kubicki, für die Zurückhaltung der Opposition bei der kritischen Betrachtung des Krisenmanagements zu schelten. Da schau an: er stellt die Frage, warum zum Beispiel die FDP nicht anregt, die Versorgung mit Lebensmitteln über Hauslieferung zu sichern, statt zentral über Supermärkte. Eine Antwort auf diese Frage bekommt er zwar nicht, immerhin wirkt er damit dem Eindruck entgegen, die Öffentlich-Rechtlichen Sender hätten ihren Bildungsauftrag stillschweigend zugunsten eines gesellschaftlichen Erziehungsauftrages aufgegeben. 

Herr Wieler hält serologische Tests für sinnvoll, die Aufschluss über die Immunität der Getesteten erlaubt. Das Problem: die Tests müssten zunächst getestet werden. Lösungen gehen neue Probleme voran.

Wie wohl die Geräuschkulisse in Belgien ist? Da überprüfen Drohnen die Einhaltung der Abstandsregeln. Die Geräuschkulisse wird die Menschen in die Wohnungen treiben. Wer geht schon gerne unter einem Hornissenschwarm spazieren? 

in der Serie `Black Box`, eine Dr. House-Variante mit einer manisch-depressiven Neurologin als Protagonistin, leidet eine Patientin unter dem "Exploding Head-Syndrom". Die Symptome passt zu den Effekten der täglichen Überdosis an (widersprüchlichen) Informationen und Katastrophenmeldungen. Eine davon ist die steigende Zustimmungsrate für Präsident Trump in den USA. Da grassiert anscheinend noch eine andere Infektion als COVID-19, die nicht im Rachen anfängt, sondern eine Etage höher.

Bei der Bundespressekonferenz muss man nicht konzentriert zuhören - bemerkenswert ist lediglich die strategische Geduld von Herrn Jung, dem Enfant Terrible der BPK, dessen Fragen weiterhin ignoriert und nicht beantwortet werden. Natürlich dient sein Nachhaken der Selbstprofilierung, das ist aber okay. Vor allem aber provoziert Herr Jung die Reaktionen der Bundesregierung, die der Aufklärung einer interessierten Öffentlichkeit dienen. Die roten Wangen von Herrn Seibert, die ausweichenden Antworten, das Abwiegeln: das fixiert die wunden Punkte wie mit einem Laserpointer. Weil ich nicht konzentriert zuhören muss kann ich, berieselt vom Klangteppich der murmelnden Regierungsvertreter, einen Beitrag des Psychoanalytikers Hans Jürgen Wirth bei SPON lesen: "Bisher war Selbstoptimierung der Maßstab - und nun?" Darin beschreibt er die Selbstoptimierung des Individuums (die hervorragend mit dem Wachstumsmantra der Gesellschaft korrespondiert) als Selbstentmündigung. Sie widerspricht "Immanuel Kants Selbstzweckformel, die gebietet, dass ich andere und mich selbst nie ausschließlich als Mittel gebrauchen darf." Macht man sich zum "Objekt der Self-Tracking-Apps und unterwirft sich deren versteckten Wertungen", dann kaschiert die Illusion der Selbstkontrolle in Wirklichkeit deren Verlust - der allerdings unter Aspekten der Leistungsgesellschaft, des Wettbewerbs und der Geschäftsinteressen der Firmen, die Instrumente der Selbstoptimierung produzieren wünschenswert ist. Corona bringt aus Sicht von Herrn Würth diesen Kokon zum Platzen: zwar erinnert die hymnische Beschwörung der Macht des Virus an Karl-Heinz-Stockhausens Huldigung der kompositorischen Genialität des Anschlags von 9/11 (die Gründe für diese devote Haltung gegenüber zerstörerischer Macht wären ein Thema für einen Post-Covid-Blog), man kann Herrn Wirth jedoch darin zustimmen, dass die Krise den Selbstoptimierer auf sich selbst zurückwirft, eine Chance zur Besinnung bietet. So weit, so akzeptabel. Die Schlussfolgerung jedoch ist fatal. "Das Lernziel für den Selbstoptimierer ist: anzuerkennen, dass wir vieles passiv erleiden müssten, das uns widerfährt." Wie kommt er denn darauf? Genau umgekehrt müsste der Selbstoptimierer erkennen, dass seine vorherigen Aktivitäten Ausdruck der passiven Subordination unter fremdbestimmte Wertungen und technische Vorgaben seines Handelns waren, dass er lediglich Objekt, nicht Subjekt des Geschehens war. Welcome to the Machine. Stattdessen soll die grade gewonnene Besinnung auf sich selbst in passives Erdulden münden. Der Kokon platzt. Er bringt kein Alien hervor und auch keinen Schmetterling, sondern einen weiteren Kokon, den Kokon der virtuellen Sicherheit und Selbstkontrolle, der einer unkontrollierbaren realen Welt vorzuziehen ist - sehr zur Freude von Google, Amazon, Microsoft. Palantir etc. Kokon bringt Kokon hervor, ein infiniter Regress, eine russische Puppe ohne kleinstes Element, eine Gesellschaft die so organisiert ist wie die klaustrophobische Welt in dem (s)panischen Film "Der Schacht". Wovon erhoffen wir uns Erfolge in der Bekämpfung des Virus? Von einer Tracking-App. Was sonst. Big Data rules. 

Käme ein Erlöser zur Welt, wäre er (oder sie) ein Hacker.

"Da bin ich jetzt mal ehrlich.", sagt Herr Spahn bei einer Pressekonferenz. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Die Börsen "erlitten" seit Beginn der shutdowns Werteverluste in Höhe von 19 Billionen Dollar. Ich bin mir nicht sicher, ob das eine gute oder schlechte Nachricht ist. Wer da vernünftig geshortet hat dürfte jedenfalls ein paar Freudentänzchen aufs Parkett gelegt haben.  

In Ägypten werden Hunde von ihren Besitzern ausgesetzt, weil ihre Besitzer glauben, dass sie Corona übertragen. Das ist doppelt herzlos. Den Hunden gegenüber - und den Mitmenschen gegenüber, weil man (auch wenn nichts am Gerücht dran ist) die Infektion seiner Mitmenschen billigend in Kauf nimmt. Viele Angsthasen sind des Hundes Tod. 

Die ungeheure Beschleunigung, mit der sich radikale Wandlungen des sozialen Lebens und Änderungen der politischen Befugnisse vollziehen kombinieren sich mit dem exponentiellen Wachstum von Infektionsraten, dem "Body Count" und dem zunehmenden Bewusstsein für ökonomische Abhängigkeiten, die ebenso grenzübergreifend wirken wie die Infektion, erzeugt schleichend das Gefühl einer sich auftürmenden Welle, deren Höhe und Gewalt nur als Erfüllung einer Prophezeiung zu begreifen wäre. Wie am Ende des Films "Die letzte Flut" von Peter Weir.    

 

16.

Good morning, Supermarkt. Neben mir füllt ein Angestellter die Bücherregale auf. Toilettenpapier ist geplündert. Hmmm...Papier ist geduldig...mit Scheisshauspapier war zu Kriegszeiten Zeitungspapier gemeint. Erst lesen, dann wischen.

Also sprach der launige Herr Willich gestern in der Phönixrunde fröhlich und gelassen: Wenn die Krise vorbei ist wird die soziale Distanz und der Schutz der Risikogruppen beibehalten. Nach der Pandemie ist vor der Pandemie. Soziale Kontakte nur noch digital. Arbeiten auch. Begegnungen vermeiden. Google, Amazon und Konsorten sind nicht mehr nur systemrelevant, sie sind das System. Staaten als repressive Garanten der Einhaltung von Kontaktsperren. Was geschieht in den brachliegenden Flächen, den Verwahranstalten, den Gefängnissen, Kliniken, den Immanationen des Panopticons? Man mag sich kaum vorstellen was da alles unbemerkt verklappt und entsorgt werden kann (Giftmüll, Opas und Omas), wenn alle Ordnungskräfte nur noch damit beschäftigt sind die Einhaltung von Kontaktsperren zu sichern.

Unsagbares wird publiziert (Unsagbares beginnt mit der Haltung: Das wird man doch wohl noch sagen dürfen...). Auch in Bochum fühlen sich Juristen dazu berufen, Menschen Rechte zu ihrem eigenen Schutz abzusprechen. In einem Artikel, der zynischer Weise übertitelt ist mit "Das Ende der Einsamkeit", fordert er die Isolation der `Vulnerablen zu ihrem eigenen Schutz`. Erst redet er davon für diese Gruppe ändere sich ja nichts, denn sie müsse ja auch jetzt schon zu Hause bleiben. Sagt der Jurist, gegen besseres Wissen, denn sie müssen keineswegs. Später wird deutlich, dass Herr Cremer keineswegs nur die multimorbiden Bettlägrigen meint, nein: "Ich würde als Altersgrenze das Renteneintrittsalter vorschlagen." So ist das gemeint: vom Arbeitsplatz direkt in den Knast. Auf die Idee, der gefährdeten Gruppe, die selbst keine Gefährdung darstellt die Entscheidung zu überlassen, ob und wie weit sie sich gefährden kommt der Mann nicht. Eben noch im Berufsleben, dann per Renteneintritt entmündigt. Zum eigenen Schutz versteht sich (gilt natürlich nicht für systemrelevante Personen wie Ministerpräsidenten, den Papst oder Jürgen Drews). Mit dem selben Argument könnte man Rentner pauschal in Schutzhaft nehmen - schließlich haben sie bestimmt auch eine höhere Anfälligkeit für Influenza, Feinstaub, Verkehrsunfälle, Twitterphobie und haben in Fußballstadien, öffentlichen Verkehrsmitteln ja überhaupt im Freien nix zu suchen.

Polen, Ungarn und Tschechien bekommen wegen ihrer Weigerung Flüchtlinge aufzunehmen einen Denkzettel, als gebe Ihnen das zu denken. Ein Strafzettel auf Bewährung. Dennoch eine wichtige Positionsbestimmung.

Teile der SPD und die Linke fordern mit Blick auf die Corona-Krise die einmalige Vermögensabgabe von Reichen - mit Verweis auf einen Passus im Grundgesetz, der auf die Behebung von Kriegsfolgen zielt (Artikel 106, Abs. 1 Nr. 5 GG). Kritik daran: man befinde sich doch nicht in Kriegszeiten. Dann muss ich die bisherige Rhetorik wohl falsch verstanden haben.

Statistiker hegen Zweifel an der Relevanz der erhobenen Daten. Die Infektionsrate ist auf Grund der Unsicherheit über die Zahl der tatsächlich Infizierten ebenso wenig eine verlässliche Grundlage, wie die Todesrate, bei der nicht differenziert wird ob die Verstorbenen an oder "nur" mit Corona gestorben sind. Nicht so wichtig - denn längst haben die Maßnahmen eine Eigendynamik entwickelt, die unabhängig davon weiter propagiert, ob der Anlass sie in Gang zu setzen überhaupt gegeben war.  

Rechenspiele:

D: 1,4 Billiarden Euro als (Kredit-)Paket. 82,79 Mio Einwohner. Knapp 18.000,00 €/pro Person. Schulden.

Hochgerechnet auf Europa: 74,4 Mio. Einwohner x 18.000 ca. 13 Billionen

Welt: 7,3 Mill. x 18.000. ca 1,3 Billiarden €.

Das Gesamtvermögen der Welt in Dollar betrug Stand 2019 360,6 Billionen Dollar.

Dem standen 244 Billionen Dollar schulden entgegen. Bleiben 116 Billionen Dollar Vermögen.

Aufwendungen für Unternehmen sind darin nicht enthalten. Auch nicht für Folgekosten sozialer Verwerfungen.  

Große Tropfen auf einer Supernova.

"Wir leben alle in der Paranoia des Anderen. Versucht deswegen jeder den Anderen zu vermeiden?" (Mr. Robot). Ja. Das ist grade so. Wer zieht daraus Nutzen? Dreimal dürfen wir raten, danach sind wir pleite.

Die CO2-Bilanzen verbessern sich. Es wird mehr gestreamt, weniger gefahren. Weniger geflogen. Es wird weniger Menschen geben, die man am Leben halten muss. Massensterben = Klimaschutz.

Corona = fsociety

Der Deutsche Staat. Gut aufgestellt, wie Bubi Scholz mit stolzgeschwellter Brust prahlt. Keine Zustände wie in Italien, wo immer schon geschlampt und betrogen wurde. Jetzt versuchen die mit dramatischen Bildern aus Bergamo Eurobonds zu erzwingen und sich auf Kosten der seriösen Länder zu sanieren. So wie sie Fußball spielen. Operette. Theatralik. Warum sollen die, die alles richtig machen denen helfen, die alles vermasseln? Mit jedem Loblied für das deutsche Krisenmanagement rückt die notwendige globalen Kooperation in weitere Ferne. Massengräber unbekannt Verstorbener, von denen es kaum oder gar keine Bilder geben wird. War dies nicht zuvor schon so? Ein Origami-Stern klappt auf, bringt zum Vorschein was die ganze Zeit schon da war. Die Pandemie ist eine Offenbarung, niemand schwört einen Eid. 

Außer die "frugalen Vier". Österreich, Schweden, Niederlande, Dänemark. Das sind die größten Pro-Kopf-Nettozahler der EU und die größten Bezieher von Rabatten. Dazu Deutschland als größter Nettozahler. Diese 5 schwören darauf, dass die Vergemeinschaftung von Schulden Teufelszeug ist. Kohäsion? Nicht in Form von Eurobonds, das schadet dem Rating. Die EU-Komission - in Ermangelung von exekutiver Macht über die Mitgliedsstaaten - macht 100 Milliarden € für Kurzarbeitergeld locker und bringt einen Marshallplan für Europa ins Spiel: wie die Triage ein Instrument zum Umgang mit Kriegsfolgen. Der Marshallplan war ein Konjunkturprogramm der USA für Westeuropa, das am 3. April 1948 von Truman in Kraft gesetzt wurde (über die gemessen an den Summen die heute auf dem Spiel stehen lächerliche Höhe von 12,4 Milliarden Dollar). Diesmal käme die Hilfe nicht von außen, sondern von innen (also so, als hätte Deutschland sich nach 1945 wie Münchhausen am eigenen Schopf aus dem selbstverschuldeten Sumpf gezogen) - die Befürchtungen und Zielsetzungen sind jedoch vergleichbar: Verhinderung eines wirtschaftlichen Einbruchs mit Auswirkung auf Absatzmärkte in und außerhalb Europas, und Eindämmung des Einflusses von politischen Strömungen und von Ländern, deren Macht und politischen Einfluss man fürchtete. Damals der Kommunismus und die Sowjetunion, heute totalitäre Strömungen verschiedener Art, China, Russland. So sind auch Appelle von Franz-Walter Steinmeier an die Solidarität der Gesellschaft und an den Zusammenhalt in der EU zu verstehen, man fürchtet Erosionen der Gesellschaft und deren Durchlässigkeit für missliebige Einflüsse - wohl nicht zu Unrecht, und so soll aus wettbewerbsorientierten Individualisten eine Gesellschaft im Schulterschluss werden. Aber bitte bloß keine Eurobonds.

Es muss nicht nur Spaß machen ein Virus zu sein, es muss auch Spaß machen ein Hedgefond-Manager zu sein. Das ARD-Magazin Monitor sendete einen Bericht über Corona-Gewinner. Dabei ging es nicht um die üblichen Überführten (Amazon, Google, Microsoft), sondern um Hedgefonds, die aktiv die Angst vor Corona schüren und auf fallende Kurse wetten. Bill Ackman, bekannt dafür öffentlichkeitswirksam Unternehmen zu kritisieren und auf deren Kursstürze zu setzen macht vor wie es geht - ein Tweet an Donald Trump, eine drastische Warnung vor vielen toten Kindern, der dringende Appell zum Shutdown, der tatsächlich folgt, schon ist der Hedge-Fond um ein paar Milliarden Dollar reicher. Das Zauberwort: Leerverkäufe. Man leiht sich Wertpapiere für eine Gebühr und verkauft diese Papiere zum aktuellen Preis. Dann nehme ich Einfluss auf politische Entscheidungen, die - wie in der Corona-Krise massiv geschehen - zu Kursstürzen der Unternehmen führen, deren Wertpapiere man geliehen und verkauft hat. Dann kauft man diese Wertpapiere zum aktuellen, niedrigen Kurs zurück und gibt sie an den Entleiher zurück. Die Differenz zwischen dem Ertrag beim Verkauf und dem Preis, der beim Rückkauf entrichtet wurde ist der Gewinn. Die Frage, warum zum Beispiel Deutschland derartige Praktiken grade jetzt nicht verbietet bleibt unbeantwortet, so als ob der Staat sich selbst diese Möglichkeit nicht verbieten möchte. In einer Zeit, da politische Kritik als Mangel an Solidarität ausgelegt wird, die mittlerweile im Gegensatz zur ursprünglichen Bedeutung des Wortes gleichbedeutend mit klagloser Unterordnung ist, muss man schon dankbar sein für journalistische Beiträge, die sich noch trauen zu fragen, ob es verhältnismäßig und zielführend ist, wenn es verboten ist alleine auf der Parkbank zu sitzen (in Berlin), unter Strafe gestellt werden kann wer jemand anderen in dessen Wohnung besucht, und Polizisten in eigener Vollmacht Privatwohnungen dahingehend überprüfen dürfen - all das liegt nach den Verschärfungen des § 28 Infektionsschutzgesetz im Ermessen des Gesundheitsministers. Beinahe wäre ich dann vor dem Bildschirm niedergekniet, als bei Frau Illner die Vorsitzende  des Europäischen Ethikrats Christiane Woopen forderte, den sogenannte Risikogruppen müsse es freigestellt bleiben ob sie durch Teilhabe am sozialen Leben ihre Gesundheit aufs Spiel setzen. Auch über ihren Redebeitrag ging man rasch hinweg. 

 

15.

Wieso ich von Saisonarbeitern träumte, die Zinksulfat von Toilettenpapier trennen mussten ist mir nicht hundertprozentig klar.  Im Supermarkt befand ich mich noch immer in der Traumzeit. Stellte mir Fragen, die ich mir längst beantwortet hatte. Warum gibt es Süßwaren an der süßwarenfreien Kasse? Wie findet man den Mittelstrahl vom Morgenurin?

Laschet rechtfertigt das Notstandsgesetz damit, dass man am Tag X schnell handlungsfähig sein muss. Wann wäre der denn gekommen? Wer definiert die Kriterien? Im wahrsten Sinne des Wortes wären wir gut beraten Schnellschüsse zu vermeiden (ich schreibe jetzt nicht: an allen Fronten). Hendrik Streeck sagte gestern etwas, was eigentlich auf der mindestens 20 Sekunden gewaschenen Hand liegt: anstatt sich in neuen Maßnahmen zu überbieten ohne eine geänderte Erkenntnislage muss man erst einmal abwarten wie sich die getroffenen Maßnahmen auswirken. Entschleunigung, statt wirkungslos verpuffende Aktionen nur, um Handlungsfähigkeit zu beweisen. Oder - wie Herr Streeck sagte und wofür er sofort angegriffen wurde: man muss dem Virus Zeit lassen sich zu zeigen. Herr Kutschaty von der SPD setzte die richtigen Schwerpunkte: statt Enteignung und Beschlagnahmung von Materialien, die nicht da sind, alle Konzentration auf die Beschaffung der Schutzkleidung für das Personal in Pflegeheimen und Krankenhäusern richten.

Was kommt nach dem Notstandsgesetz? Das Kriegsrecht? Marschiert die NRW-Armee in holländischen Supermärkten ein und konfisziert Toilettenpapier? Ein CDU-Politiker erläutert das so: die Feuerwehr hat im Katastrophenfall und Notsituation Befugnisse in Grundrechte einzugreifen ohne jede Zustimmung eines Parlamentes. Und in der zugespitzten Krise sei die Regierung die Feuerwehr. Dass die Feuerwehr diese Befugnisse hat liegt an ihrer besonderen Kompetenz und Ausbildung extra für diesen Fall. Erstens ist eine Regierung nicht Experte im Brandlöschen, zweitens kann sie das kaum besser als das Parlament. Parlamentarische Kontrolle ist grade in Krisenzeiten erforderlich um allzu übereifrige Regierungen zu bremsen.

Die Börse reagiert auf eine schon am 03.03.2020 vom RKI im Deutschen Ärzteblatt veröffentlichte Warnung: Engpässe bei Antibiotika. Wie war das mit China und seiner Macht Europa (und andere Länder) durch Einstellung der Lieferung von Medikamenten in Friedhöfe zu verwandeln? Engpässe bei Antibiotika würden die Welt medizinisch ins 19. Jahrhundert zurückwerfen, noch bevor die Ausbreitung multiresistenter Keime das erledigt.  

Wenn sich die Lage entspannt steige ich ins Sportgeschäft ein und produziere Trumpoline. 

Ist es eigentlich unsolidarisch wenn ich Sport treibe, meine Fitness steigere um bessere Chancen bei der Triage zu haben? Wäre es nicht selbstlos, zu saufen und zu rauchen, damit ein Mitmensch bessere Chancen hat? Ich zünde mir auf meinem Heimtrainer radelnd eine an und denke darüber nach.

Zu den wenigen Ländern ohne Corona-Tote gehört Nordkorea. In diesen Zeiten ein Vorbild für Abschottung.

HappyPo bietet mobile Bidets an. 29,90 €. Ein echter Zukunftsmarkt.

Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung Andreas Westerfellhaus wendet sich gegen ein generelles Besuchsverbot in Pflegeheimen: "Wir können Pflegebedürftige nicht einfach wegsperren" (Frankfurter Allgemeine, 1. April 2020) und ergänzt: auch Menschen in Pflege haben trotz Pandemie Grundrechte. Kein Aprilscherz. Wenn zurecht Kritik an Notstandsverordnungen in NRW laut wird, dann muss man darauf hinweisen dass schon zuvor die Aufhebung des Rechtes auf Selbstbestimmung mehr als nur bedenklich war und das Besuchsverbot für die Pflegebedürftigen einem Anschlag auf ihre physische Unversehrtheit gleichkommt. Mindestens den nachgewiesen nicht infizierten oder von COVID-19 genesenen Angehörigen muss das Besuchsrecht gewährt bleiben. Generell muss lediglich das selbe Abstandsgebot gelten, dass derzeit ohnehin angeordnet ist.

Taiwan schickt 10 Millionen Atemschutzmasken u.a. an die Schwellenländer Deutschland und Italien, 2 Millionen ASMs werden in die USA versendet.  Dringend nötige Entwicklungshilfe. 

Mit dem Infektionsschutzgesetz wird auf der Bundespressekonferenz gerechtfertigt, dass in Mecklenburg-Vorpommern Daten von Corona-Infizierten an die Polizei weitergeleitet werden. Wozu noch Notstandsgesetze verabschiedet werden müssen, wenn man sich jederzeit auf das Infektionsschutzgesetz berufen kann bleibt offen. Dann das Thema Appidemie: die App soll freiwillig sein, wenn die App meldet sie hatten Kontakt zu einem Infizierten ist Quarantäne Pflicht. Da scheint ein gewünschter Nebeneffekt die Entlastung der Behörden zu sein, was ok ist - dann aber auch so gesagt werden sollte. In der Bundespressekonferenz sind immer dieselben vier Journalisten anwesend, darunter Tullius Destructivus Tilo Jung, bei dessen hartnäckigen Nachfragen sich die Gesichter der Regierungsvertretung vor Missgunst grün färben. Häufigste Antwort: Das kann ich jetzt so nicht beantworten. Eine Bemerkung lässt aufhorchen. Es gebe einen Bericht, der von einer Senkung der Wirtschaftsleistung um 35% ausgeht. Wie man das beurteile. Daraufhin verwies der Pressesprecher des Innenministeriums (Björn Grünewälder) auf ein internes Arbeitspapier zum Thema Innere Sicherheit, das noch Verschlusssache sei. Da dies Antwort genug war erübrigte sich jede Nachfrage - den Regierungsvertreter wird man voraussichtlich nicht mehr auf dem Podium sehen.

Was auch immer man von der öffentlichen Berichterstattung hält: in der Ballung, in der nun Einzelschicksale präsentiert werden, entsteht ein wachsendes Kaleidoskop der konkreten Auswirkungen von Niedriglöhnen und Armut. Soziale Isolation von Familien in Zweizimmerwohnungen ohne Balkon, LKW-Fahrer, die 20 Stunden ihre Fahrerkabine nicht verlassen können, Obdachlose, deren Versorgung durch die Tafeln unterbleibt im Kontrast zur notorischen Fröhlichkeit der Morgenmagazin-Moderatoren und zu den heiteren Familienspielchen von Hausbesitzern mit Garten. Offen war diese Kluft zuvor auch schon, aber was sie konkret bedeutet verbarg sich in der neutralen Zone von Berichten, Statistiken und Diagrammen. Änderungsdruck wird entstehen, was noch nicht heißt, dass er etwas bewirkt.

Ca. 10000 deutsche Urlauber noch in Neuseeland. Verdammt! Warum stellt sich da kein Mitgefühl, sondern eher Schadenfreude ein? 

Nach der Börse, vor der Tagesschau diesmal Werbung für Restaxil - bei Nervenschmerzen. Nach der Tagesschau ein ARD-Spezial über die Sitaution in denn Pflegeheimen, anschließend in eklektizistischer Pietätslosigkeit `Meister des Todes, Teil 2. Der Interviewpartner des Moderators plaudert aus dem Nähkästchen. Angehörige dürfen die Insassen nicht besuchen, Qualitätskontrollen finden nicht statt. Die Pflegeheime sind black boxes. Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg. Einrichtungen sind erleichtert, dass niemand so genau hinsieht. Wie muss sich das anfühlen für jemanden, der noch seine sieben Sinne zusammen hat? Dem Tod nahe soll man durch soziale Isolation und Ausgeliefertsein vorm Tod geschützt werden. Keine Eingangskontrolle nach 20 Uhr. Jeder x-Beliebige betritt das Pflegeheim, in dem der soziale Abstand nicht einzuhalten ist, so wie keine Zugangskontrolle vorhanden ist. Jemand, der seine sieben Sinne zusammen hat weiß, dass sich seine Aussichten durch die Maßnahme, die ihn schützen sollen verschlechtert. Ist jemand in den Pflegeheimen vor dem Besuchsverbot an Corona gestorben? 

Mir fällt auf, dass von Katastrophe die Rede ist, aber nicht von Naturkatastrophe, so als ahne man den hohen Anteil an Selbstverschuldung.

Heute eine Konferenz der Ministerpräsidenten und der Kanzlerin. Einigkeit auf die Anordnung von Mundschutzmasken zu verzichten, keiner kann genau erklären wieso und Streeck ist nicht da. Wenig zu schreiben. Corona wird ein dringliches, akutes Thema, aber auch ein Langweiliges. Es verkleinert die Welt. Die gleichen Gesichter, die gleichen Argumente, die gleichen Durchhalteparolen. Die globale Pandemie lässt die Welt schrumpfen. Das Hauptproblem von Soldaten besteht im Mangel an Abwechslung, das Warten, in manchen Krankenhäuser gilt Kurzarbeit, da elektive Operationen abgesagt sind. Die Begriffe, die fallen sind dieselben wie vor Corona, man schwört sie berauf, weil man ihren Bedeutungsverlust fürchtet. Die Wirtschaft. Das Wachstum. Es gibt kein richtiges Leben im Falschen, aber ein Besseres. Wohlstand. Die Wettbewerbsfähigkeit. Die Rolle der EIB und der EZB. Eurobonds. Wenn man das schon hört. Was ist, wenn dann jeder kommt? Spanien. Griechenland. Die neuen Mitgliedsstaaten aus dem Osten. Die alten Fragen. Ab wie viel Millionen Toten werden neue Fragen gestellt. Eine Milliarde? Schwer unter den Teppich zu kehren, zu viele Dellen. Selbst wenn Menschen durch virtuelle Versionen ihrerselbst ersetzt werden: vor Viren sind sie auch dann nicht sicher. Der Teppich wird fadenscheinig. Was sickert durch zwischen den Fäden, quillt durch die Brandlöcher im Exil, durch die Lücken, die die Wut in das flüssige Gewebe der globalen Daten-, Waren- und Kapitalströme reißt? 

Zeit nach Mitternacht. David Foster Wallace: Die Frage ist nicht - bist Du paranoid? Die Frage ist: Bist Du paranoid genug? Ich schlafe schon. Träume, dass ich am Computer sitze und schreibe. Stefan Willich und seine guten Nachrichten fielen mir bei Maischberger auf. Ein Epidemiologe, der den Virus für vergleichsweise harmlos hält, wenn man denn besondere Schutzmaßnahmen für die Hochrisikogruppen ergreift. An Corona sind weltweit - im Gegensatz zur Grippe - mit wenigen (öffentlichkeitswirksamen) Ausnahmefällen keine Kinder und Jugendlichen gestorben.  Auch das eine gute Nachricht - außer man gehört zur Hochrisikogruppe. Er stellt auch keinen Unterschied fest zwischen der Entwicklung der Infektionsraten in Ländern, die auf freiwilliges Einhalten von Empfehlungen setzt und Ländern, die auf angeordnete Beschränkungen setzen. Rudolf Augstein erregt sich: wenn das so ist, warum müssen wir dann alle zu Hause bleiben? Ja, warum eigentlich? Nicht auszuschließen, dass die 40% der italienischen Bevölkerung, die gegen die Ausgangssperre verstoßen haben Empfehlungen weitgehend gefolgt wären. Der Verdacht, der putzige Corona-Virus werde benutzt, um autoritäre Strukturen und Folgsamkeit zu testen ist drastisch, Uhrzeit und Zustand geschuldet. Als Herr Willich davon redet, dass bei einem längeren globalen Shutdown mit Ausgangssperren aufgrund eines vergleichsweise harmlosen Virus über Jahre hinweg die Ärmsten und Schwächsten der Gesellschaften die übelsten Folgen erleiden, denke ich: wie immer. 

Schlimmer. Peter Licht nannte den Kapitalismus alter Schlawiner. Er überdauert die an ihm profitierenden Akteure. Am Elend, das er produziert trägt kein Einzelner Schuld...jeder Kollaborateur kann sich wie die Mitglieder eines Erschießungskommandos einreden, sein Gewehr sei mit Platzpatronen geladen gewesen. Niemand ist persönlich verantwortlich, die Wirkungen des Kapitalismus gehen von Strukturen aus, die unabhängig von persönlichen Antrieben und Zielen seiner Apologeten oder gar den Schicksalen seiner Opfer erfolgen, Zeitenwenden, Zäsuren und Krisen überdauert er durch Anpassung überdauernd. Der Schlawiner verabscheut die Schwachen, die nicht nur nichts einbringen, sondern auch Kosten treiben. Das liegt in seiner virologischen Natur. Für den Virus sind starke (Volks)wirte ideal, in denen er gedeihen und von denen aus er sich möglichst lange weiterverbreiten kann. Der kapitalistische und der grippale Virus bevorzugen leistungsfähige, robuste Wirte - wer diese Bedingungen nicht erfüllt ist für Viren eine Sackgasse und für den Kapitalismus überflüssig. Geht beim Shutdown die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander, schlägt das Prekariat sich gegenseitig die Schädel ein und frisst wie Kronos seine Kinder, verschwinden Tagelöhner und ihre Familien von der Bildfläche, sterben die namenlosen armen Schlucker und Nichtbringse in den Favelas dann wird dies Effekt einer perfekten Kollaboration sein, deren Resultat eine globale Euthanasie ist. Die Gunst der Stunde wird genutzt werden, die Opfer und Toten werden bedauert, man versucht die Todesrate abzuflachen, weil man mit dem Bau von Krematorien und Kühlhäusern nicht nachkommt und vermeiden möchte, dass Seuchen auf die Villen und Bürohochhäuser übergreifen, das ganze Desaster schiebt man auf den Virus, nachdem man durch die Art des Wirtschaftens, die globalen Lieferketten, die Sparkurse in den Gesundheitssystemen, den Klimawandel, die Zerstörung der Artenvielfalt, alle Bedingungen für Pandemien selbst geschaffen hat. In Tolstois  Anthropologie sind "menschliche Wesen ein passives Medium, das von affektbeladenen kulturellen Elemente infiziert ist, die wie ansteckende Bazillen sich von einem Individuum zum anderen ausbreiten." (Der Mensch wird nicht mehr derselbe gewesen sein, Slavoj Zizek, NZZ, 13.03.2020). Das liest sich wie die Vision einer von Viren, Epidemien und sozialen Medien geprägten Welt, deren Infektion sich mittels der Versendung und dem Empfang von Signifikantenketten ereignet und deren Verbreitung durch Algorithmen optimiert wird. Je effizienter die multimediale Infektion über Sender- und Empfangsgeräte, desto größer der Energieverbrauch und -bedarf, desto rascher der Klimawandel, desto wahrscheinlicher die Zoonosen, desto radikaler die Loslösung von der Natur bei ihrer gleichzeitigen Zerstörung:  wir sind eine Virenkultur die ihren Wirt zerstört. Viren sind nun mal nicht klug.

 

14.

BILD sagt was jetzt sofort passieren muss. Wozu eigentlich Wissenschaftler, Epidemiologen, Virologen und Politiker wenn es BILD gibt? Skandalös, dass BIBEL, äh, BILD sich merkellike in 10 Geboten so spät zu Wort meldet. Die zwei markantesten Punkte: 1. Die Kanzlerin muss jeden Tag zum Volk sprechen. Bei allem Respekt: ich leide nicht unter Schlafstörungen und aus dem Alter für Betthupferl und Gutenacht-Geschichten bin ich raus. Atemschutzmaske beiseite - dass die Kanzlerin sich nicht jeden Tag zu Wort meldet und sich nicht am hektischen Kaleidoskop wechselnder Expertenmeinungen (z.B. zum Effekt von Atemschutzmasken) und kontrastierender politischer Konzepte (härtere Maßnahmen hier, Lockerungsübungen da) beteiligt wirkt überlegt und angemessen unaufgeregt. Es gibt einfach nicht jeden Tag etwas essenziell Neues zu vermelden und der Verweis der BILD auf die Reden Churchills bedient die mittlerweile übliche und verfehlte Kriegsrhetorik. 10.Last but not least: Notfall-Plan für die Bundesliga. Rettet den Sportteil der BILD!

NRW: Pflegeheime fürchten Flächenbrand. Schutzmaterial fehlt (WAZ, 31.03.2020). "Das NRW-Gesundheitsministerium kann die Kritik der Pflegevertreter nicht nachvollziehen. Auf Anfrage verweist man dort etwa auf die Bestellung von Schutzmaterialien, die auch bei den Heimen ankommen sollen." Ergo: Schutzmaterial fehlt und die Verteidigung gegen die Kritik gibt ihr Recht. 

Die Regierung NRW plant ein Notstandsgesetz, in dem "durch Anordnungen die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (...) eingeschränkt werden." Die NRW-Regierung beansprucht lediglich die selben Rechte für sich wie der Virus.

Der Formel 1 gehen die Todesfälle aus. Daher die Empfehlung von Red-Bull-Motorsportberater Marko, die jungen Fahrer sollten sich absichtlich infizieren. Man könnte auch Russisch-Roulette-Events auf Eurosport übertragen oder beim Biathlon die Strafrunden-Regelung aufheben und durch folgende Regelung ersetzen: 1 Fehlschuss - man wird an die Wand gestellt und ein Schütze mit 4 Platzpatronen und einer 1 scharfen Patrone legt an. 2 Fehlschüsse, 3 Platzpatronen und 2 scharfe Patronen und so weiter...Im Ernst, Formel 1 Rennen kann man sich ohnehin sparen, aber wenn es denn weiter geht gehört der Berater infiziert, isoliert und gefeuert.

Borussia Mönchengladbach plant voraus: Bei Geisterspielen sollen Fans als Pappkameraden dabei sein. Selfie machen, einsenden, schon steht das Pappmache-Ich auf der Bühne. Wie in Kafkas-Verwandlung: der Fan wird zu dem was er vorher schon war.  

Herr Wieler vom RKI soll sich gegenüber dem ZDF dafür rechtfertigen, dass trotz zunehmendem öffentlichen Interesse an Corona das RKI nur noch jeden zweiten Tag eine Pressekonferenz durchführt. Er hält es ähnlich wie die Kanzlerin: nur weil das öffentliche Interesse steigt steigt nicht auch die Menge neuer, bahnbrechender Entwicklungen. Eher ist das Gegenteil der Fall. So ist das eben, wenn Geduld erforderlich ist.

Brisant war die Frage, ob die Kontaktsperre sich auch auf die Infektionsrate bei anderen Krankheiten wie Tuberkulose und Influenza auswirkt. Das RKI hält sich da bedeckt, obwohl derartige Zahlen über die Entwicklung von Infektionsraten mit Sicherheit vorliegen. Noch will man keine Argumente für eine Verstetigung der Maßnahmen zum "social distancing" aus Gründen der Prophylaxe und des Infektionsschutzes liefern.

Der ideale Schwiegersohn Prof. Hendrik Streeck (Universitätsklinik Bonn) beantwortet zunächst eine Frage, die ich nicht ihm sondern mir selbst stellte. Die Studie zum Ausbreitungsverhalten des Corona-Virus im Kreis Heinsberg ist deswegen ohne Vorbild, weil man genau datieren kann wann und wo der erste Ansteckungsfall erfolgte. Das macht die dort erfassten Daten und Auswertungen so wertvoll. Herr Streeck verbindet diesen Hinweis mit einer im Tonfall und mit dem Gesichtsausdrucks eines Unschuldsengels vorgetragenen, kritischen Nachfrage: warum das Robert-Koch-Institut nicht schon längst die Laborsituation in Heinsberg erkannt  und die Durchführung einer solchen Studie veranlasst hat. Man darf gespannt sein ob es darauf eine Antwort gibt und wie diese ausfällt.

Virologen (und andere), die sich über das Nennen reiner Fakten hinaus zu Äußerungen hinreißen lassen, die den Charakter politischer Empfehlungen haben werden nicht müde zu betonen, das sei nicht ihre Entscheidungsebene - haben jedoch mit ihrer Äußerung längst öffentlichkeitswirksam und dadurch in stärkerem Maße Einfluss auf die Entscheidungsfindung genommen. Ob dies aus Verantwortungsbewußtsein oder aus einem eitlen Reflex auf persönlichen Bedeutungszuwachs heraus geschieht kann offen bleiben, Heer Streeck jedenfalls bringt ins Spiel "die Abwägung der Rettung von Leben gegen die Gefährdung von Existenzen" stelle ein einmaliges, bisher noch nicht dagewesenes Dilemma für die Politik dar. Alleine, dass er dieses Dilemma erwähnt eröffnet einen Entscheidungsspielraum der den Inhalt des Artikel 2, Absatz 2 des Grundgesetzes aufweicht: "Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit." Nun ja, so ein neues Dilemma ist das eigentlich nicht - kaum jemandem in der Politik bereiten die zahlreichen Toten im Straßenverkehr schlaflose Nächte und das Recht auf körperliche Unversehrtheit wird durch den Kostendruck im Gesundheitswesen konterkariert, dem man jetzt die Abwesenheit von Ressourcen verdankt. Also: keine Spur von einem Dilemma. Man geht mit dem Grundrecht um  indem man es umgeht.

Wohin das führt illustriert derzeit am grellsten Großbritannien, wo schon jetzt jeder vierte im Gesundheitswesen Beschäftigte krank oder gar isoliert ist.

In Heinsberg wird dann auch untersucht, wieso es ausgerechnet bei Karnevalsveranstaltungen zu Infektionen kommt. Ich vermute mal - den Ergebnissen der empirischen Forschung vorgreifend - weil man sich da näher kommt.

Markus Söder bringt auf den Punkt was es bedeutet Exportweltmeister zu sein. Die Maschinen für die Herstellung von Atemschutzmasken kommen aus Deutschland, aber hergestellt werden die Maulkörbe in China. Da konnte er ein Lächeln nicht verkneifen und sah aus wie ein Musterschüler, der sich getraut hat seinem Lehrer einen Streich zu spielen.

Die finanziellen Hilfen sollen den Unternehmen zugute kommen, die Stand Ende 2019 finanziell solide da standen. Das kommt einem bekannt vor. Geholfen wird nicht den Unternehmen, die schon vor Corona um ihre Existenz kämpften, sondern denen, die mit Schwarzen Zahlen von Corona überrumpelt wurden. Die besseren Überlebenschancen sollen der Maßstab sein, eine Marktbereinigung (um nicht zu sagen das Aussortieren der faulen Äpfel) ist die Folge. Das hakt und knirscht: weil damit Branchen und Unternehmen gestützt werden (z.B. aus Gastronomie und Event-Marketing), deren Renaissance völlig unklar ist. Wie Gastronomie, Tourismus, Hotelbranche und viele andere Wirtschaftssektoren aussehen werden, wenn das Gebot Abstand zu halten und Menschenmengen zu meiden das öffentliche Leben dominiert ist ungewiss. 

Hubertus Heil geht davon aus, dass auch in Zukunft Karussell gefahren werden soll. Daher wiederholt sein Verweis darauf, dass man grade bei Kleinunternehmen und Selbständigen bei der Vermögensprüfung Fünfe grade lassen soll. Der Schausteller muss also jetzt nicht sein Karussell (an wen auch?) verkaufen. Ich lerne, dass man Deutschland um seinen funktionierenden Tripartismus beneidet. Ich bin mir nicht sicher ob die, die uns darum beneiden, jemals von diesem Wort gehört haben. Mir war es neu, aber ich beneide Deutschland ja auch nicht darum.

Was regen wir uns über die Jäger des verlorenen Klopapiers auf. Dabei haben die Deutschen einfach nur dem Stand der Forschung vorgegriffen und defäkiert was das Zeug hält. In den Niederlanden ist das Virus Sars-CoV-2 erstmals im Abwasser einer Gemeinde festgestellt worden - und das bevor dort Corona-Infektionen bekannt wurden ("Forscher finden Coronavirus im Abwasser - und wittern(!!) eine Chance", Die Welt, 31.03.2020). Damit eigne sich Abwasser ideal als Frühwarnsystem. Der deutsche Klorollenspieler hat das geahnt und drauf geschissen - damit war er seiner Zeit offenbar voraus, was leider erst jetzt bemerkt wurde. 

In Bayern: Markus Söder featuring Olaf Scholz, in NRW: Armin Laschet featuring Jens Spahn. Alle vier könnten prima Werbung für Trockenshampoo machen. Reizwort für Jens Spahn: Ischgl. Zu Recht.

Scrolle ich zurück fällt mir auf, dass spontane satirische Reflexe auf die Reizüberflutung überhand nehmen. Pfeifen im Walde, den man vorlauter Aufbäumen nicht sieht. Der Virus verfügt über Tenazität, ich bin Paria. Meine beste Freundin möchte nicht, dass ich sie besuche. Diese Scheu wird die Pandemie überleben - erst Recht, wenn das Modell der abgeflachten Kurve durch die Sinuskurve der On- and- Offmethode ersetzt wird. Längst haben die Maßnahmen eine Eigendynamik entwickelt, die nicht einfach wieder umgekehrt werden kann, so als lasse man eine Filmrolle rückwärts laufen. Auf die Gefahr zunehmender Computerspielsucht bei Jugendlichen wurde hingewiesen, doch wenn das social distancing der Normalfall wird, ist diese Sucht vorweggenommene Akzeptanz der Lebensbedingungen in der posttaktilen Welt. Meine Konjunktivitis liegt wahrscheinlich daran, dass ich jeden Tag die überwiegende Zeit auf Bildschirme starre.

Ich ertappe mich bei einem beängstigenden Gedanken: Was, wenn der Suizid von Thomas Schäfer, des hessischen Finanzministers, Resultat einer realistischen Folgenabschätzung war?

Wenn ich die Fenster öffnet klingt es immer wie Sonntag. Wenig Verkehr, kaum Stimmen von den Straßen, gedämpfte Gespräche aus Wohnungen mit Balkons und offenen Fenstern. Zu Beginn der Ausgangsbeschränkungen empfand ich die Senkung des Lärmpegels als wohltuend, mittlerweile dominiert der Eindruck der erzwungenen Ruhe, das wirkt beklemmend. Ab und zu sehe ich mir nun den Online-Auftritt des publizistischen Seismographen für das ungesunde Volksempfinden an. Da wird die Frage gestellt warum das soziale Kontaktverdikt offenbar nicht für Junkies gilt, dazu ein Foto, dessen Datierung unklar bleibt. Ja, die Junkies und Obdachlosen, in der öffentlichen Wahrnehmung von jeher Seuchenherde. Will denn die um soziale Distanz bemühte Solidargemeinschaft wirklich, dass die sich zerstreuen und sich mit der Gemeinschaft mischen? Es geht keine Gefahr von ihren Gruppierungen aus, sie sind ja schon ausgestoßen und die traurige Wahrheit ist, dass ihnen niemand nahe kommt. Die Corona-Ansteckungsgefahr unter ihnen wäre geringer als im Supermarkt. 

Ein Bericht über Therapien mit Phagen in Tiflis. Lange im Westen ignoriert interessiert man sich für diese Bakterien befallenden Viren seitdem multiresistente Keime die Wirkung von Antibiotika außer Kraft setzen. Zumindest ist es nicht ausgeschlossen, dass Viren das beste Mittel gegen Viren werden. Mehr Kooperation zwischen Ost und West phagen.

Börse nach acht. Danach Werbung für das Erkältungsmittel imupret. Dann Mittel gegen Reizdarm. Wie gehabt. 

Kapitalismus im digitalen Zeitalter. Im industriellen Zeitalter ging es um Härte und Konsequenz. Terminator 1. Dann die Tendenz zur Verflüssigung, zum Allomorphen, zur Formwandlung. Terminator 2. Odo. Zur Kühlung bis in die Nähe das maximalen Nullpunktes. Supraleiter, Einstein-Bose-Kondensat, Massen, die organisiert sind wie ein einziges Atom. Daten- und Energiefluß ohne Reibungsverlust. Beschleunigung, Licht als Trägermedium, uneinholbar. Kapitalismus ist keine Struktur, sondern ein Formwandler, der mit Lichtgeschwindigkeit Daten transferiert. Das ist die Grenze, bis man verstanden hat, wie man Quantenverschränkung nutzt. Corona wirkt als exponentieller Beschleuniger, entweder für den digitalen Kapitalismus oder eine globale Revolte. Vielleicht ist die Umma der lachende Dritte. Vielleicht lacht sich China ins Fäustchen. Drei Folgen Mr. Robot hintereinander und ich habe den Verdacht, das Corona ein ausgebüchster Computervirus ist, den Fernsehköche in die Welt setzte.

Katastrophe Bundesliga Shut-Down. Wie lange funktioniert Brot und Spiele ohne Spiele?

Man kommt noch mit dem Zug nach Schweden. Jetzt einen Kaffee draußen trinken, meinetwegen sogar bei Starbucks.

ARD-Extra zeigt Bilder aus dem Inneren der Intensivstationen. Das Blut wird außerhalb des Körpers mit Sauerstoff versorgt. Geräte atmen für Körper. Ein neues Wort: Ecmo-Behandlung. Eine Horrorshow, die das Publikum auf weitere Eindämmungsmaßnahmen einstimmt. 

Single und Nerd. Sollte nähen lernen.

ARD-Extra lässt Ministerpräsident Conte 10 Minuten ein Plädoyer für die Unterstützung Italiens und für Corona-Bonds halten. Danach singt ein Chor von OpernsängerInnen im Homeoffice den Gefangenenchor aus "Nabucco" von Verdi. Ich bin positiv verblüfft über die unverkennbare Parteinahme der ARD. Warum ist meine Tastatur feucht?

Schweden? Mal abwarten. Der internationale Wettbewerb der Ahnungslosen testet verschiedene Vorgehensweisen. Übertragbarkeit auf andere Gesellschaften mit anderer Kultur, Demographie und sozialen Strukturen ungewiss. Wissenschaftler versuchen tappend Licht ins Dunkel zu bringen. Einstein: wenn wir wüssten was wir tun wäre es keine Wissenschaft.

Diese Zuversicht des Trigema-Chefs Grupp in die Landesführung. Die werde beraten von den besten Köpfen der Wissenschaft. Herr Streeck gehört bestimmt dazu und stellt mit entwaffnender Offenheit fest: Wir wissen alle nicht welches Vorgehen das richtige ist. Klug gelaufen.

Argument für Mund-Nasen-Schutz in der Phoenix-Runde: es kann die Situation nicht schlimmer machen. Dann kann man auch auf die guten, alten Pestmasken zurückgreifen, deren Design Ursprung des Begriffs Seuchenvogel war. Geschadet haben die wahrscheinlich auch nicht.  Soll man jetzt alles tun was wahrscheinlich nicht schadet? Ich bin dafür sich nur mit roten Handtüchern die Hände zu trocknen und Worte mit C zu vermeiden. Alles was nicht schadet soll angeordnet werden, auch wenn es nichts nutzt.

Herr Streeck bei Herrn Lanz: Geständnis eines Maskenhäretikers. Ein Vortrag über Abstriche bei Katzen, an Türklinken, an Fahrstuhlknöpfen, auf Toiletten. Nur tote Proben, die nicht infektiös sind. Kein Indiz für Infektionsgefahren in Restaurants und Supermärkten. Die Katzen haben super mitgearbeitet. Übertragungen des Virus erfolgen dort, wo Menschen über einen längeren Zeitraum engen Kontakt zueinander haben. Da die Infektionsherde Stätten wie Ischgl, Karnevalsparties oder Champions-League Begegnungen sind, sind Mundschutzmasken selbst dort sinnfrei, weil die blitzschnell "durchgesuppt" sind - die Maskenhysterie ist Materialverschwendung und Aktionismus. Die Maskenparade in den asiatischen Ländern hat andere Gründe als eine nachgewiesene Wirksamkeit gegen Corona - der Schutz gegen Luftverschmutzung ist das Motiv. Er muss es nicht dazu sagen: das probate Vorgehen ist zu differenzieren in soziale Situationen mit hohem Infektionsrisiko und mit geringem Infektionsrisiko. Flächendeckende Maßnahmen sind verfehlt und teuer, Eindämmung und Infektionsvermeidung muss dort erfolgen wo die lokalen Herde sich befinden. Friseure? Keine Indizien für Infektionsrisiken. Tanzsalons und Feiern? Bitte nicht. Vom Skiurlaub direkt zum Verwandtenbesuch im Pflegeheim? Lieber nicht. Herr Streeck ist ein Sympathisant des Schwedischen Systems - auf Aufklärung und die Eigenverantwortlichkeit der Menschen setzen statt auf Ausgangsbeschränkungen. Weitere Maßnahmen? Erst mal abwarten was die bisherigen Maßnahmen gebracht haben. Was Herr Streeck vorträgt ist wissenschaftlich fundiert, aber offenbar antiintuitiv - Markus Lanz kann es kaum fassen, selbst die Ökonomen in der Runde greifen die implizite Öffnungsklausel nicht auf, man wird weiter auf flächendeckende Beschränkungen setzen. Dr. Seltsam oder wie ich lernte die Bombe zu lieben. Der Bomberpilot bekommt den Auftrag die Bombe nicht über Moskau abzuwerfen, er weigert sich - ich fliege doch nicht 5000 km über den Großen Teich und setze das Ding dann ins Wasser.

Ethische Debatten, die mich an meine Verhandlung in Sachen Kriegsdienstverweigerung erinnert. Ich verfüge noch über ein freies Beatmungsgerät. Beatme ich noch einen 80jährigen Patienten wenn ich schon absehen kann, dass mit Sicherheit gleich ein 30jähriger Patient mit besseren Überlebenschancen kommt? Aus meiner Sicht: der Schutz des akuten Patienten hat Vorrang vor der Berücksichtigung eines Eventualfalls, alles andere wäre unterlassene Hilfeleistung. Daher ist auch das Aufrechnen von möglicher Weise steigenden Suizidraten bei fortgesetztem Shutdown gegen den Schutz der akut von Ansteckung gefährdeten Personen ein ethischer Irrweg. Mein Unbehagen dies zu schreiben ist erheblich.  

 

13.

Nun infiltrieren auch noch Geheimagenten die Krisenszenarien. Es tobt ein Krieg zwischen V- und U-Männern.

"Der Markt zeigt sich unerbittlich: Der Preis für Atemmasken und Schutzkleidung ist seit Ausbruch der Coronakrise dramatisch gestiegen. Verbände warnen auch vor Glücksrittern und Betrügern" (Spiegel-Online, 30.03.2020). Häufig den Satz gehört: Seit Corona ist die Welt nicht mehr die selbe. Das ist übertrieben optimistisch. Seit Corona ist die Welt die selbe wie zuvor. Wir wissen nicht wie der Virus sich entwickelt, aber wir wissen wie wir ihn ausbeuten können. Am schnellsten trifft Adidas die Entscheidung ihre Mietzahlungen ab 01. April zu stoppen - sportlich eben. Erster! Aber vielleicht handelt es sich ja nur um einen Aprilscherz. Das war ein Scherz. 

Live nach 9 Anmoderation: Es gibt noch andere Themen als Corona. Zum Beispiel: Wie viele Tattoos passen auf einen Menschen? In der Tat fällt mir kein anderes, wichtiges Thema ein (...wie viele Flüchtende passen auf einen Quadratmeter? Wie viele Personen weltweit haben keine Wohnung, in die sie sich zurückziehen können?).

Laschet wird der Chefaussteiger der Republik. Ich muss an Paulchen Panther in einem Häuschen denken, das in eine Schlucht stürzt. Kurz bevor es am Boden zerschellt öffnet er die Tür und verlässt das Haus. Der rosarote Armin tänzelt beiseite, sieht zu wie das Gesundheitssystem zusammenkracht und Patienten unter Trümmern begraben werden, die von florierenden Abbruchunternehmen mit Schaufelbaggern geborgen werden. Armin schwingt höchstselbst den Hammer und singt dabei: Dancing with myself. Jemand sollte ihm ein Denkmal setzen, oder zumindest dem Hermannsdenkmal eine Brille auf.   

Auch bei einer Pandemie gibt es Dinge, die einem einfach auf den Sack gehen: Promis, die einen aus ihren Lofts auffordern zu Hause zu bleiben (ob es solche Werbekampagnen auch in Indien gibt?), Talk-Shows, deren Moderatoren sich einseitig am Thema Lockerung der Maßnahmen orientieren, das unverminderte Trommelfeuer der Werbung im Internet. Die Frage: wie lang kann sich die Wirtschaft das leisten? da sie die eigentliche Frage verschleiert: ab wann hat die Kostenfrage Vorrang vor dem Schutz menschlichen Lebens? 

Fetisch Verdoppelungsrate. Mir ist nicht ersichtlich, dass es schon ein Grund ist erleichtert aufzuatmen wenn die Dauer bis zur Verdoppelung der Anzahl der Infizierten abnimmt. Wäre dem so müssten wir uns freuen sobald die Hälfte der Bevölkerung infiziert ist - dann kann gar keine Verdoppelung mehr erfolgen. 

Das Auge tränt. Hat mit COVID-19 nichts zu tun, aber Einkaufen sollte ich lieber nicht. Ich bin ein wandelnder Sekret-är mit plakativ blutunterlaufenen Augen, und muss befürchten gepfählt zu werden, sobald ich vor die Tür trete. 

Erfrischend unbeliebt macht sich auf der Bundespressekonferenz Tilo Jung, der Gründer des Interview-Formats Jung&Naiv. Ob die Bundesregierung es in Ordnung fände wenn Hersteller von Schutzanzügen sich eine goldene Nase verdienen? Wie lange hält die Bundesregierung die Flüchtlingssituation in Griechenland noch für tragbar? Auffallend: bei allen Fragen, die sich nicht auf quantitative Größen, sondern auf ethische Dimensionen des Regierungshandelns beziehen herrscht Unsicherheit und die Mimik der Regierungsvertreter erinnert an die Schweppes-Gesichter, nur nicht so glücklich. Man hält solche provokanten Fragen für unanständig und würde dem ungezogenen Bengel gerne das Maul verbieten.

In Bayern erwägt man in Anlehnung an Österreich eine Schutzmaskenpflicht einzuführen - freilich ohne Vorhandensein einer ausreichenden Zahl von Schutzmasken. Wer das Pech hat keine zu bekommen, darf nicht mehr einkaufen - wer das Glück hat eine zu ergattern kann die jahrelang tragen! Das hilft. 

Teuflisch: auch vor dem katholischen Talentschuppen Vatikanstadt macht COVID-19 nicht Halt.

EPHA ist laut Wikipedia ein biblisches Volumenmaß, aber auch die European Health Association. Deren Hinweis darauf, dass jahrelanges Einatmen dreckiger Luft insbesondere die Gesundheit der Atemwege belastet und diejenigen schwächt, die an COVID-19 erkranken, ist - so nahe liegend der Zusammenhang ist - unbedingt notwendig. Klimaschutz bedeutet nicht nur Reduzierung der Erderwärmung, sondern beugt den Folgen von Epidemien vor. Man muss dankbar sein, dass der Fingerzeig der EPHA es inmitten der Nachrichtenflut zumindest in die Newsticker geschafft hat.

Ökonomen warnen vor Einsatz des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) (u.a. Die Welt, 29.03.2020). Man fragt sich nämlich, wie es den Volkswirtschaften Spaniens und Italiens helfen soll, wenn man den ohnehin schon hochverschuldeten Ländern noch weitere Kredite mit kurzer Laufzeit aufhalst. Corona-Bonds seien das probate Werkzeug in der aktuellen Situation. Ebenso wenig wie die Bundesregierung dem folgt beantwortet ihr Sprecher die einfache Frage: Wieso nicht? 

"In Portugal bekommen alle dort lebenden Ausländer bis mindestens 1. Juli volle Aufenthaltsrechte - inklusive Krankenversicherung." (TAZ, 29.03.2020). Wow. Rein mit Applaus. 

Tobias Hans, Ministerpräsident des Saarlands, gab in der Sendung Unter den Linden einen fröhlichen Ausblick auf die Zeit danach. Dann gehen wir alle zu unserem Lieblingsitaliener und feiern dass es vorbei ist. Wenn es den Lieblingsitaliener dann noch gibt ist es fraglich ob wir dann noch die Lieblinge des Italieners sind. Auch in dieser Sendung gaben Frau Teuteberg (Generalsekretärin FDP) und Herr Hans keine Antwort auf die Frage was denn gegen Eurobonds (Coronabonds) spricht. Man weicht aus indem man vage antwortet man halte den ESM für geeignet. Die ehrliche Antwort wäre: wir haben keinen Bock unsere Kreditwürdigkeit zu schwächen indem wir anderen Ländern helfen. Der Lieblingsitaliener wird das auch verstehen ohne dass man es offen sagt. 

Corona belebt den Deutschen Schlager: "Dreilagiges Klopapier" von Mario Rosenauer mausert sich zum Hit. Komponiert hat er es schon am 10. November 2019, inklusive der schönen Zeile: "ohne Dich wären meine Finger braun". Ich wäre erleichtert wäre das selbstironisch gemeint, hege daran jedoch erhebliche Zweifel.  

Die Sendung `Brisant` veröffentlicht im hübschen Kontrast zu den Statistiken des RKI Balkendiagramme, die den Rückgang des Straßenverkehrs und der Staus auf den Autobahnen dokumentieren; Corona hat nicht nur schlechte Seiten und immerhin ließ Hitler Autobahnen bauen. Selbstverständlich vergisst der Beitrag nicht zu erwähnen, dass diese Auswertungen der Firma tomtom zu verdanken sind. Gebührenfinanziertes product placement, für den Bruchteil einer Sekunde blitzt der Gedanke auf, dass das nicht rechtens sein kann. Was für ein absurder Einfall.

Kannten Sie vor Corona das Medikament Gelomyrtol? Ich auch nicht. Soll Atemwege befreien und die Erkältungsdauer verkürzen. Werbung dazu im ZDF. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen empören sich Beiträge über Wucherpreise für Mundschutzmasken, man lässt aber Pharma-Unternehmen auf der Corona-Welle surfen. Der Werbespot spielt zudem mit der Suggestion, gegen COVID-19 zu wirken. Schäbig und bigott, aber bestimmt lukrativ.  

Triage und Sozialdarwinismus: wer die besten Überlebenschancen hat sollte vorrangig versorgt werden wenn z.B. nicht genügend Beatmungsgeräte vorhanden sind. Was logisch klingt klingt logisch, weil man an das Prinzip survival of the fittest gewohnt ist - und weil der Begriff aus Kriegszeiten stammt, in denen man sich den Patienten widmete, bei denen Hoffnung bestand sie wieder an die Front schicken zu können. Man könnte auch bestimmen: wer die geringsten Überlebenschancen hat, braucht am meisten Hilfe. Kaum zu ertragen, dass derartige Entscheidungen überhaupt getroffen werden müssen, nur weil aus Effizienzgründen zu wenig Ressourcen für den Eventualfall einer Pandemie vorgehalten und zudem zu lange die Gefahr unterschätzt wurde. 

In einem ZDF-Spezial reagiert Altmaier auf Klagen wegen Mängeln und Regelungslücken des Rettungsschirms indem er feststellt: es gibt auch gute Beispiele. Wie beruhigend.

Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass bestimmte Lücken gewollt sind. Einmalzahlungen für Selbständige im Event-Marketing helfen über drei Monate, kompensieren aber nicht Umsatzeinbuße des ganzen Jahres. Für Unternehmen zwischen 50 und 250 Beschäftigten gibt es kein spezielles Förderinstrument. Ein Spiel auf Zeit: entweder in wenigen Monaten läuft das wirtschaftliche und soziale Leben wieder an, oder die Selbständigen und Kleinunternehmer müssen umdisponieren. Branchen mit Bedarf wird es genug geben: in der Altenpflege, in der Logistik, in der Landwirtschaft etc. Man wird personelle "Verschiebemasse"  benötigen, die rasch einsetzbar ist: Künstler werden Paketzusteller bei Amazon, und Kleinunternehmer packen in der Pflege zu. Weil man noch nicht weiß ob es so weit kommt, sagt noch niemand: ja, es gibt Wichtigeres als ihren Lebenstraum, den Erhalt Ihres Frisiersalons oder ihr KMU. Bin gespannt wen man in die Bütt schickt wenn es so weit ist. Ob Herr Heil sich heute schon bei Plasberg traut? (I wo...)

Trostlos und deprimierend wären die Außenaufnahmen des Pflegeheims in Wolfsburg auch ohne die 12 Toten. Schmutzige Fassaden, Fenster ohne Gesichter, dahinter niemand der noch aufstehen und sich der Außenwelt zeigen kann. Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg. Italien und Spanien dienten als abschreckendes Beispiel, wir wollen nicht, dass es so weit kommt. Es ist aber schon so weit gekommen, und das hat wenig mit der Arithmetik der Fallzahlen und Toten zu tun, sondern mit dem gesellschaftlichen Stellenwert der Schutzlosen und der Menschen, die sich um sie kümmern, Pflegeeinrichtungen als Todesfalle. Corona rückt drastisch Missstände in den Fokus, die auch vor Corona schon zum Himmel stanken. Das Hauptargument für die gravierenden Eingriffe in Grundrechte ist der Schutz der `Risikogruppen`. Schützt man sie so, hätten sie vielleicht bessere Überlebenschancen, wenn man sie nicht schützt. 

Sapperlot. Traun fürwahr. Hubertus Heil traut sich aus der Deckung. Erläutert anhand des Themas Kurzarbeit das Prinzip: wer nur 60% seines normalen Einkommens über Kurzarbeitergeld bezieht, darf durch Nebentätigkeit in Bereichen, in denen dringender Bedarf an Arbeitskraft besteht, dazu verdienen bis zu 100% seines ursprünglichen Einkommens. Das oder ergänzende Grundsicherung. Es bedarf keines ausgeprägten Abstraktionsvermögens um zu realisieren, dass z.B. Eventtechniker in Ermangelung von Großveranstaltungen absehbar nicht mehr benötigt werden und sich in anderen Branchen mit Personalbedarf umsehen sollen. Etliche Gastronomiebetriebe werden nicht mehr existieren. Platzende Träume sind nicht zwingend existenzbedrohend, aber sehr unbequem, deprimierend und bedrohlich. Viele TaxifahrerInnen haben einen biografischen Paradigmenwechsel hinter sich, der Heimatverlust und Flucht bedeutete, Trennung von der Familie und manchmal noch Schlimmeres. Es ereignet sich ein Realitätsschock, den viele andere Menschen bereits hinter sich haben oder der für sie kein Schock war: es können Umstände eintreten, deren Auswirkungen auf individuelle Schicksale sich nicht kontrollieren lassen. Kein staatlicher Schutz garantiert bei einer Naturkatastrophe ungeschoren davon zu kommen oder garantiert, nicht an Krebs zu erkranken. Katastrophen scheren sich nicht um Gerechtigkeit. Keiner Gesellschaft der Welt wird es gelingen, sämtliche Unwuchten auszubalancieren, die eine Pandemie produziert. Aber alle Gesellschaften wären dazu in der Lage, besser vorbereitet zu sein. 

Hubertus Heil bei Hart aber Fair allein unter Frauen. Die seine Arbeit alle loben. Raffiniert.

 

12.

Ich bin mit einer Augeninfektion aufgewacht. Verschwommene Sicht auf die Umgebung. Die Welt und ihre mediale Repräsentation lässt sich nicht unterscheiden. Bekomme es mit der Angst zu tun so als nähme man mir das Einzige fest woran ich mich klammere.

Ich kann nicht mehr hinsehen. Dem Presseclub kann man auch mit geschlossenen Augen folgen. Ein wenig einschläfernd, so als lausche man um Mitternacht einem Hörbuch. Das Kleeblatt der Gäste um den Stängel des Moderators hat Mühe die Sendezeit zu füllen: da sich substanziell am Sachstand nichts ändert, außer den absoluten Zahlen, und da man eigentlich nur wie bei einem Hochwasser bang auf Pegelstände starrt fehlt dem Auflisten von Problemen und möglichen Konsequenzen die Spannung der Kontroverse. Ein paar Einsprengsel hätten dieses Potenzial, z.B. die Prognose man werde nach Bewältigung der Krise über Lastenausgleich zu reden haben. Wer bezahlt die Zeche? Und wenn Europa eine Grippe bekommt, sobald die USA einen Schnupfen hat, was bekommt Europa wenn die USA Covid-19 hat?

Eine Wissenschaftsjournalistin unterbreitet einen Vorschlag der erschütternd nahe liegt. Wenn es um ein kontrolliertes Lockern der Maßnahmen geht  ist es nicht sinnvoll, Regelungen für Gesamtdeutschland zu treffen, sondern man sollte Hotspots der Corona-Epidemie identifizieren und Regelungen gemäß den lokalen Gegebenheiten treffen. Damit schlägt sie einen Fliegenschwarm mit einer Klappe. Sie erklärt damit das Schließen von Landesgrenzen für unsinnig, weil diese Grenzen nichts mit den unterschiedlichen Begebenheiten von Regionen zu tun haben und erteilt dem Ruf nach einheitlichen nationalen Regelungen eine Absage. Subsidiäres Handeln wäre die taktische Erfordernis, eine europaweite Strategie der Lokalisierung von Hot Spots und von Bewegungsprofilen, die eine Prognose der geographischen Verlagerung der Geschehnisse entlang einer Zeitachse ermöglichen wäre erforderlich, um vor Ort die angemessene Taktik zu bestimmen. 

Da einheitliche europaweite Strategien nicht zu erkennen sind, die EU-Kommission bei den nationalen Grenzschließungen nicht intervenierte und die unveränderte Arroganz der nord- und osteuropäischen Länder gegenüber den am stärksten betroffenen südeuropäischen Ländern auch eine einvernehmliche Regelung über die Verteilung der Schuldenlasten behindert, wird in der Runde dieser Vorschlag aus lauter Realitätssinn nicht weiter kommentiert.

Zuschauerfragen. Warum macht man es nicht wie in Italien und Spanien, wo auch die meisten Arbeitsstätten als mögliche Hotspots geschlossen werden. Die komplett unpassende Antwort: man habe eher und häufiger getestet als in Italien. Aha. Übergangen wird auch die Frage, ob bestimmte Bevölkerungsgruppen unter Zwang isoliert werden könnten. Dabei wird die Angelegenheit da so richtig brisant. Was mit den `Riskanten` geschieht, wenn sie sich der Schutzhaft widersetzen wäre ein Eichmaß für die zukünftige Prägung der Obrigkeit. Krebskranke die abgeführt werden in ihre eigene Wohnung, Senioren, die in ihren Wohnungen eingeschlossen werden, weil sie ihrer Pflicht zum Selbstschutz nicht genügten, Immunsupprimierte, denen wegen Verstoßes gegen das Risikopersonenschutzgesetz der Prozess gemacht wird, weil sie den ökonomischen Heilungsprozess gefährden - alles keine unvorstellbaren Szenarien (es lohnt sich ein Blick in die Türkei, vielleicht können die Ordnungshüter da etwas lernen...). Da die Fragestellung berechtigt ist geht man - vielen Dank für ihre Sorgen - zum nächsten Anrufer über. Das ist kein abstinenter Presseclub, sondern eine Folge von "Black Mirror".   

Man lässt mit Verweis auf die knappe Sendezeit die Anrufer nicht ausreden. "Herr Doktor, ich..." "Der Nächste bitte!" Das Sendeformat entlarvt sich in dieser Weise als Forum des Desinteresses an den Ideen und Fragen des Publikums. Der Frageteil ist ein lästiges Relikt aus Werner Höfers Internationalem Frühschoppen, dem Blauen Bock für politisch interessierte Säufer. Wird beibehalten aus Nostalgie und als Zugeständnis an das Alter der Risiko...äh...Zielgruppe 60+.

Man darf gespannt sein wer mit der Forderung um die Ecke kommt, die Zahlen des Robert-Koch-Instituts um die Wachstumsraten bei Privatinsolvenzen, Firmeninsolvenzen und Suiziden zu korrelieren. Ich tippe auf die IHK Mittleres Ruhrgebiet.   

Nach Wochen des meteorologischen Ausnahmezustands endlich grauer Himmel, aus dem Flocken fallen. Der Schnee sieht aus wie Ascheflocken in einem Film über nukleare Winter.

Terra-Express setzt den zurückgeholten Deutschen mit einem Beitrag ein Denkmal. Untermalt von heroischer Musik erzählt man die dramatischen Geschichten der Urlaubsspätheimkehrer, als handele es sich um Überlebende einer Geiselnahme oder einer Schlacht. Ich bebe vor Ehrfurcht. Oder ist es ein anderes Gefühl? Dass immer noch Nationalität vor Humanität geht lässt sich am Aufwand dieser Rückholaktion im Kontrast zur Weigerung einige Flüchtlingskinder aufzunehmen ersehen. Beschämend.

In Sao Paulo verhängt das organisierte Verbrechen Ausgangssperren, da der Präsident die Auswirkungen von COVID-19 immer noch herunterspielt. Ein Land, in dem kriminelle Organisationen die Bevölkerung besser schützt als deren gewählte, Hände schüttelnde Regierung - da spielt doch bestimmt Religion eine Rolle. So ist es: besonders die Evangelikaner, die den Wahlkampf Bolsonaros unterstützten, laufen Sturm gegen die Ausgangssperren. Schließlich soll das Leben in Gottes Hand liegen, nicht etwa in den Händen von Ärzten, Virologen oder sogar in den Händen der Bevölkerung in Form von fließendem Wasser, Seife, Medikamenten.

In Indien erzeugt die Ausgangssperre Massenfluchtbewegungen - selbstverständlich der Ärmsten. In Singapur dagegen kein einziger Corona-Toter. Seit SARS bereitete man sich auf ein Ereignis wie Corona vor, während Europa, USA und viele Andere anscheinend Viren als eine interne asiatische und afrikanische Angelegenheit betrachteten und statt Krisenprävention zu betreiben lieber ihr Gesundheitssystem bis zur Magersucht verschlankten. 

Ich öffne die Balkontür. Lichtermeer der Fenster Daheimgebliebener. Hochgebirgsstille, unterbrochen von Polizeisirenen und den Sirenen von Krankenwagen. 

Heute Journal: vor den Pflegeheimen in Deutschland und Italien EU-normierte Särge, austauschbare Bilder in Spanien, Italien, Deutschland. Jens Spahn im Interview bröckelt wie eine Sandburg, der Moderator könnte nachhaken, vernichtend wenn er möchte, aber das hilft niemandem und er lässt es. Weder der Gesundheitsminister, noch Herr Kleber haben ihre ratlosen Gesichtszüge unter Kontrolle. Die Vertreter der Wirtschaft nehmen den Begriff Euthanasie nicht in den Mund, aber die Isolation der `Risikogruppen`, deren Lebensumstände der sozialen Kontrolle entzogen sind - einsames Sterben in von allen guten Geistern verlassenen Pflegeheimen - wird zumindest billigend in Kauf genommen. 

Kommen die Särge eigentlich aus dem 3D-Drucker?

Selbstdarsteller Steingart bei Frau Illner: keiner war auf das Ding vorbereitet. Jetzt sind wir vorbereitet. Auf was? Definitionsgemäß kann man ja nur auf etwas vorbereitet sein was einem bevorsteht. COVID-19 kann das nicht sein, schließlich sind wir mitten drin. COVID-20? Felbermayer erstaunlich offen auf Frau Illners Nachfrage - woher hat Deutschland das Geld? Das sind Schulden, die die Bürger bezahlen. Binsenweisheit. Das Schöne daran, dass das Volk der Souverän ist, ist dass es letztlich wirtschaftlich zur Verantwortung gezogen wird durch diejenigen, an die es seine Entscheidungsgewalt delegiert.  

Niedlich, dass ein Unternehmer die Frage stellt, was eigentlich gegen Eurobonds spricht. Da er keine Antwort erhält traue ich mich vor: die Vergemeinschaftung der Belastungen schadet dem Rating der starken Volkswirtschaften. Die strikte Ablehnung der Corona-Bonds und die Mentalität der Hamsterkäufer haben den selben Ursprung: Egoismus. 

Sarah Wagenknecht bleibt in diesem Ensemble unangenehm unauffällig. Ich finde, dass sie die FDP deutlich markanter in Szene setzen könnte. Seit mehreren Wochen beantwortet Olaf Scholz die Frage nicht, warum Unternehmen zwischen 15 und 150 Beschäftigten keine Zuschüsse erhalten, sondern mit Hilfe von Krediten (die erst einmal genehmigt werden müssen) ihren Abgrund an Umsatzverlust überbrücken sollen. Das ist merkwürdig, war die SPD doch von jeher die Partei des Mittelstandes. 

Titel, Thesen, Temperamente. Ist Kunst systemrelevant? Wenn man sie verbietet bestimmt, dann ist sie Antithese. Überlassen wir die Kunst dem Virus.

 

11.

Mein Mitgefühl allen Menschen, denen Boris Johnson und der britische Gesundheitsminister die Hand gedrückt hat. Ich hoffe, ihnen steht im Krankheitsfall ein Beatmungsgerät zur Verfügung. Ich wünsche Boris Johnson eine gute Genesung - ich hoffe nicht, dass ein Freund mit seiner Verschwörungstheorie richtig liegt, er habe die Ansteckung inszeniert oder auch mutwillig in Kauf zu nehmen um sich anschließend als lebenden Beweis dafür zu inszenieren, dass alles nicht so schlimm sei.

Lese auf Spiegel-Online den aktuellen Spiegel-Leitartikel - bis er im Nebel des Gratisangebotes verschwindet. Unvollendete Apokalypse. Auch wenn ich darum weiß, dass Redakteure und Journalisten nicht von Luft und Clicks alleine leben können, fühlt es sich in Stayhome-Zeiten so an, als wolle die Zeitungsbranche von der Situation profitieren.

Dax und die Börse in den USA legten gestern zu. Billionenpakete, bestimmte Branchen deren Marktwert sich verzehnfacht - das mögen Gründe dafür sein. Aber möglicher Weise gilt das Gesetz der Großen Zahl und resultiert in emotionaler Intelligenz des Kapitalismus. Um einen weiteren Werteverfall zu vermeiden sollen die Kurse Optimismus verbreiten.

Es geht deutlich kleinkarierter und dümmer. Ganzseitige Werbungen in den Tageszeitungen haben grade Konjunktur. Sie alle beginnen mit dem Dank für die Helden des Alltags, das Engagement der eigenen Beschäftigten und gehen dann zur Tagesordnung der Werbung um Kunden oder ihr Klientel über. Es versteht sich von selbst, dass auch Gewerkschaften, Regierungen und Arbeitgeberverbände ihre Appelle verbreiten - dabei schießt www.netzn.de, das Portal für IHK-Mitgliedsunternehmen der IHK Mittleres Ruhrgebiet den Seuchenvogel ab. Schon die Kopfzeile \"Stimme der Wirtschaft Covid 19\" ist mindestens seltsam. Der unverhohlene Aufruf, gefälligst am besten gestern den Shutdown zu beenden: Erwartungsgemäß. Dass die Anordnungen der Regierung \"Regeln\" in Anführungsstrichen genannt werden, was mehr oder minder deutlich zur Missachtung aufruft - geschenkt. Aber die Formulierung: \"Wir brauchen eine `Verbots`- Politik mit Augenmaß. Sonst haben wir irgendwann das Virus besiegt - aber niemand kann mehr eine Flasche Sekt öffnen.\" toppt alles. Ich jauchze fast vor Entzücken darüber, mit welcher Offenheit hier gesagt wird worum es geht und worin die schlimmste Befürchtung besteht.

Man könnte meinen: Klimawandel = Wanderklima. Hartmut und ich wandern unter einem erneut bizarr wolkenlosen Himmel, dessen makelloses Blau uns verhöhnt, durchs Ruhrtal, über bewaldete Hügel, durch Idefix Alpträume, Wasteland des Kahlschlags und vom Wind entwurzelter Schlagbäume, die als Grenzpfähle unsere Wege durchkreuzen, vorbei an windgeschützten Idyllen inmitten der Wälder, Gehöfte mit Teichen und freilaufenden Ziegen, an geschlossenen Gasthöfen vorbei, die Fleisch von Zicklein, Forellen und Aal anbieten (ausgenommen und geräuchert), telefonisch zu bestellen und vor Ort abzuholen. Pittoreske Abgeschiedenheiten, Corona scheint weit weg, zwei Weltkriege haben nie stattgefunden, eine Miniaturwelt unter einer Glasglocke, Wanderer, Radfahrer und Hunde in der Größe von Zinnsoldaten. Zwei Reiterinnen mit Mundschutz traben an uns vorbei.

Welche Botschaft vermitteln die Atemschutzmasken der KassiererInnen in den Supermärkten und Drogerien? Man weiß, dass diese Masken nicht ihre Träger schützen, sondern andere schützen, wenn man infiziert ist. Hier geht es nicht um den Schutz der KassierInnen, sondern um den Schutz der Kunden. Das passt zum Image der Selbstaufopferung, das man den neuen Helden des Alltags verpasst.

Apropos verpassen. Die Corona-Krise scheint eine 5-Tage-Woche zu haben. Sobald es Samstag ist zieht Covid-19 sich zurück in den multimedialen Hintergrund. Am 6. und 7. Tag ruht die Katastrophe, jedenfalls im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Das geheime Leben der Pflanzen statt Phoenix - der Tag. KiKa statt Pressekonferenz des RKI. Der Wechsel von alles dominierendem Weltuntergangslärm zu Schrebergartenidyll ist mir nicht geheuer. Wie ein Junkie reagiere ich mit Entzugserscheinungen. Leugnung. Unter der gelben Tapete des Abendprogramms, das mit dem durch Fugen in den Jalousien dringenden Herdplattenglühen des Sonnenuntergangs interferiert, nimmt die Katastrophe ihren Lauf und hängt mich ab, lässt mich hängen im apokalyptischen Vakuum. Ein Leben ohne Droste ist möglich, aber sinnlos. Keine Rede von dramatischen Entwicklungen. Im ARD die Aufzeichnung eines Fußballänderspiels zwischen Deutschland und Italien. Eine Zeitblase wirft uns in die Zeit zurück, als alles in Ordnung und Fußball die wichtigste Sache der Welt war.

Humor überdeckt Panik. Immer wenn ich mich fürchte fallen mir Witze ein. Zank um Ressourcen. Der Werbespot eines Online-Wettbüros. Ein Hausbrand. Menschen stehen auf Fenstersimsen, bereit zu springen. Die Feuerwehr kommt mit einem Sprungtuch, postiert sich um eine alte Dame aufzufangen. Stimme von links: \"100 pound!\". Die Feuerwehrleute trippeln nach links. Der nächste Bieter von rechts: \"150!\". Die Feuerwehrleute trippen nach rechts. So geht das eine Weile bis jemand \"500 pounds\" bietet. Die Feuerwehrleute postieren sich, der Bieter springt, in diesem Moment kommt von links die Stimme: \"550!\".

Vertreibe mir die Zeit mit Links, die mir Freunde und Bekannte schicken. Bill Gates steckt hintere Corona. QAnon und der Deep State. Ernst Wolff. Alles Tinneff, und dennoch ertappe ich mich bei dem Gedanken vor dem großen Finanzcrash meine nicht vorhandenen Mäuse zu investieren. Jetzt Teaser zu kaufen wäre eine gute Wahl. Für ein Experiment isolierte man Probanden 10 Tage in einem Zimmer in dem sie nichts hatten außer einem Elektroschocker. Nach wenigen Tagen traktierten die Probanden sich vor lauter Langeweile selbst mit dem Elektroschocker. Heimklimaanlagen - bestimmt auch eine gute Idee. 40 Grad, geschwächtes Immunsystem, Corona unbroken.

Noch 30 Minuten bis zur Tagesschau. Außer steigenden Fallzahlen nichts Neues. Coronaroutine. Durch sterile Fallzahlen desinfizierte Einzelschicksale. Entsetzen über die Steigerungsraten, Biographien verschwinden in Kühlhäusern und Massengräbern. Bald wird nicht mehr bestattet, sondern verscharrt, dann nur noch verbrannt.

 

10.

Diese Briten! Feiern die Kamikaze-Helden ihres maroden Gesundheitswesens, die sich um die Behandlung von Corona-Patienten kümmern, indem sie sich in großen Menschentrauben vor ihren Haustüren versammeln und applaudieren. Killing Joke.

Auf dem Weg zum Supermarkt ein Werbeplakat von Gauloises. Slogan: Vive le Moment - und die Welt steht still. Hat sich da Oliviero Toscani, berühmt-berüchtigt für seine Benetton-Werbekampagne einen von seinen Auftraggebern nicht bemerkten morbiden Scherz erlaubt? Wäre auch interessant zu wissen, ob diese Werbung vor oder nach dem Corona-Ausbruch in Frankreich geschaltet wurde. Dass überhaupt in Zeiten einer weltweiten Lungen-Epidemie noch fürs Rauchen geworben wird mag einem zynisch erscheinen, aber das war Werbung für Tabak schon immer. Logisch ist es: schließlich fördern soziale Isolation und Existenzängste Suchtgefahren. Das ist gut fürs Geschäft.

Im Supermarkt nichts Neues, aber auf dem Rückweg spricht mich aus gebührendem Abstand ein Mann an, der grade unverrichteter Dinge vom Eierberg kommt (Erklärung: ich lebe in Bochum in der Nähe des Rotlichtviertels, das hier als Eierberg bekannt ist, was auf der website eines gleichnamigen Skigebietes zu einer Menge virtueller Irrläufer führt, die man auf der Startseite freundlich über ihren Irrtum aufklärt) und erkundigt sich: wo sind denn die ganzen Mädels? Ich wundere mich aus welchem Dornhöschenschlaf dieses Exemplar erwacht ist und entgegne: die machen alle Homeoffice, was wohl nicht ganz von der Hand zu weisen ist.

Neben Online-Diensten und Lebensmittelgeschäft boomt auch der Kondomhandel. Verständlich. Wer will schon ein Kind in diese Welt setzen?

Sich mit Herrn Dettling näher zu befassen werde ich mir sparen. Der nennt sich Zukunftsforscher, und beschwört die Zukunft herauf, die seinen Auftraggebern vorschwebt. Die gestrige Phoenix-Runde war eine unfreiwillige Comedy-Show, deren Star eindeutig der Kölner Befreiungstheologe Franz Meurer war. Er nutzte jede Sendeminute in souveräner Ignoranz der Fragen des Moderators um für seine Hilfsorganisationen, eine Revolution der kleinen Leute und praktizierten Sozialismus zu werben. Da hat einer ganz genau verstanden, dass es nichts bringt sich aus der Position des Freaks mit Interessenvertretern des bürgerlichen Establishments auf Diskussionen einzulassen, seine Standpunkte würden ohnehin belächelt. Alleine die irritierten Gesichtsausdrücke der aus der Contenance gebrachten systemrelevanten Gäste sorgte für Heiterkeit.

Wie richtig Herr Meurer mit seiner Strategie lag zeigte das Beispiel eines anderen zugeschalteten Gastes aus dem Bereich der Pflege. Zurecht merkte er an, dass es eine Verdrehung von Tatsachen sei, wenn man jetzt vom Pflegepersonal besondere Anstrengungen in dieser Ausnahmesituation erwarte. Das Pflegepersonal sei schon seit vielen Jahren in einer Ausnahmesituation, chronisch unterbesetzt, unterbezahlt und überlastet. Jetzt werde man mit Lob überhäuft, nach der Krise käme eine andere Krise, und für das Pflegepersonal bleibe alles beim Alten. Man bedankte sich bei diesem Gast und ließ ihn von der Bildfläche verschwinden, so wie bei der nächsten Krise das Thema Notstand in der Pflege von der Bildfläche verschwindet.

Zum Euphemismus \"Cocooning\", also zur Isolation von Älteren mag ich kaum noch etwas schreiben. Seit Neuestem geistert durch das Netz das arge Argument des umgekehrten Generationenvertrags (auch von Herrn Dettling propagiert). Es sei jetzt an der Zeit, dass die Alten sich mit den Jungen solidarisieren, indem sie sich in die häusliche Isolation zurückziehen. Schließlich haben sie ja durch Herbeiführung des Klimawandels den jungen Menschen die Zukunft versaut! Hm, die Alten wegsperren gibt dem Label Extinction Rebellion einen völlig neuen Spin.

Personengruppen, die kein Infektionsrisiko für andere darstellen in die Isolation verbannen, damit die Anderen, von denen das Risiko ausgeht fröhlich werkeln und sich infizieren können? Diese Forderung wird so häufig erhoben, dass man massiven Lobbyeinfluss vermutet, weil interessierte Parteien die Mehrheitsmeinung ärgert: 95% der Befragten halten die bisher ergriffenen Maßnahmen für angemessen, und die Herdenimmunität besteht derzeit eher noch gegen das Virus des Generationenkrieges.

Wie ich denn die Situation handeln würde? Wie alle anderen Experten und Laien habe ich kein Patentrezept. Aber: wenn denn schon Maßnahmen zur Eindämmung des Virus beschlossen werden, sollten sie für alle gelten. Und wenn man dennoch an den Punkt gelangt für bestimmte Gruppen zu lockern, dann sollte man den sogenannten Risikogruppen, von denen das Risiko nicht ausgeht, selbst überlassen, ob sie das Infektionsrisiko in Kauf nehmen, das mit der Ausübung ihrer Freiheitsrechte verbunden ist. Außerdem sollte die Orientierung an den Strategien der Länder, die (nach aktuellem Stand der Entwicklung) erfolgreich bei der Eindämmung der Epidemie sind, das Handeln bestimmen. Das fordert z.B. Christoph M. Schmidt, der Chef des RWI Leibniz-Instituts in der WAZ von heute, 27. 03. 2020. Und nur weil es in der WAZ steht muss das ja nicht falsch sein.

Wenn man denn dann mit Hilfe von Tracking und Antikörpertests die Bevölkerung differenzieren kann in Infizierte, Immune und Gesunde: wie werden sich dann wohl die Dating-Plattformen präsentieren? Elite-Partner: Partnervermittlung für immune Singles. Corona-Date: Techtelmechtel für Infizierte.

Rückwärtslektüre des Monologs. Zu Beginn distanzierter Beobachter, der den plötzlichen Stillstand der Welt vom Abenteuerspielplatz seiner Gedanken aus betrachtet. Gelegentliches Staunen über den galoppierenden Verlust an Aktualität der Einträge und darüber, dass mir wenige Tage zurückliegende Ereignisse vorkommen als seien sie Jahre her. Man erlebt die Zeit in der zweiten Lebenshälfte so wie 18 Jahre der ersten Lebenshälfte (die Zeit rast). Psychologen führen das auf die zunehmende Ausprägung von Routinen aus. Derzeit erlebe ich den Kehrwert dieser empfundenen Zeitraffung. Dafür bin ich nicht undankbar.

Zunehmend habe ich die Distanz des Beobachters eingebüßt, von Tag zu Tag, teils von Stunde zu Stunde reagiere ich emotionaler, und mehr und mehr reflektiere ich nicht Erlebnisse und Ereignisse, sondern mediale Repräsentationen. Jetzt versteige ich mich schon zu der Zeile: Heinsberg - das Prinzip Hoffnung. Kritik an der Studie nehme ich auch vorweg: die Heinsbergsche Unschärferelation.

Die Studie über Verlauf und Ursachen der Epidemie im Landkreis Heinsberg zur Erstellung einer faktenbasierten Blaupause ist unstrittig sinnvoll. Dennoch frage ich mich: hat Landrat Pusch (oder wer auch immer) in China auch nach dem Vorliegen ähnlicher Studien gefragt? Es fällt schwer mir vorzustellen, dass in den Ländern, die bereits sehr viel länger mit dem Thema Corona befasst sind vergleichbare Studien nicht erstellt wurden.

Die Informationen von Virologen sind ansteckend. War mir bislang nur die Kompression von Menschen in Supermärktgängen suspekt, so fühle ich mich jetzt auch in den schlauchförmigen Fußgängerzonen unwohl. Nahezu alle Geschäfte sind geschlossen, dennoch zwängen sich etliche Shoppinggewohnte ihren Routinen folgend sinnfrei durch diese Korridore.

Bei Maybrit Illner beklagt sich eine Krankenpflegerin zurecht darüber, dass im Corona-Taumel Begriffe wie Krieg und Kampf gegen einen Feind Begriffe wie Daseinsvorsorge und Prävention ersetzen - denn in diesem semantischen Feld schwingt mit, das Menschen an der Front als Virensuchkommando und Coronafutter verheizt werden. Das ist empörend, und folglich gehen die Gesprächspartner nicht auf diese Kritik ein. Man möchte gar nicht daran denken, was Menschen im Krieg geschieht, die sich dem Dienst an der Front verweigern.

Warum mich all das zunehmend persönlich angreift lässt sich trefflich mit einem Dialog aus Joseph Hellers Roman Catch 22 illustrieren. Der Bomberpilot Yossarian beim Arzt: \"Herr Doktor, ich will nicht mehr fliegen. Die schießen auf mich.\" Der Arzt: \"Aber die schießen doch auf alle.\" Yossarian: \"Ich sagte doch: die schießen auf mich.\"

Das Virus: die Corona der Schöpfung, die wir transportieren und imitieren. Wir gehen viral, unsere software ist voller Viren und Fakenews verbreiten sich wie Epidemien.

Ein derzeit viel nachgefragter Buchtitel: \"Achtsam putzen.\" Wer verfasst den Nachfolger: \"Achtsam Nase putzen.\"

Der Lauterbach. Schlägt sich doch tatsächlich auf die Seite der Krankenpflegerin. Und der FDP-Politiker in der Runde greift zum Verweis auf die Tairfautonomie, um Forderungen nach einer raschen finanziellen Besserstellung des Pflegepersonals eine Absage zu erteilen. Na das ist mal eine neoliberale Notwehr.

China wird vorgeworfen die Welt zu spät informiert zu haben. Von den Staaten, die die Bedrohung aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus zum Teil noch bis heute herunterspielen. Elche wohin man sieht.

In Frankreich werden Menschen über 80 nicht mehr beatmet. Atemlos durch die Nacht.

Während Yvonne Gebauer, die Ministerin für Schule und Bildung des Landes NRW, in zwei Wochen die Schulen wieder öffnen möchte beginnt auf der Welt der erbitterte Wettstreit um Atemschutzmasken, Krankenhausbetten und Beatmungsgeräte. Ärzte und Pfleger gefährden schon jetzt ihr eigenes Leben bei der Behandlung von COVID-19-Patienten. Mehrere Milliarden Menschen warten auf die Entwicklung von Medikamenten und Impfstoffen. Wenn Impfstoffe und Medikamente entwickelt wurden müssen sie für Milliarden Menschen hergestellt und zu ihnen gebracht werden.

Seit Tagen ist der Himmel wolkenlos wie am Ende eines Horrorfilmes, wenn nur noch die Natur übrig ist, unberührte und ungetrübte Kulisse ohne Betrachter. Die Luft ist klar und trocken, so als habe es nie Menschen auf der Erde gegeben. Die Sonnenuntergänge sind atemberaubend.

 

9.

Die neuen Aussätzigen: Menschen die bar zahlen.

In meinem Supermarkt haben um 7:00 morgens zwei Kassen geöffnet. Vor der rechten Kasse bildet sich eine lange Reihe von Kunden (das Wort Schlange will nicht zur Abstandsregel passen), vor der linken Kasse warten kümmerliche drei Kunden. Das kann ich mir nicht erklären bis ich den Hinweis lese: an der rechten Kasse nur bargeldlose Bezahlung. Corona wird die Abschaffung physikalischer Zahlungsmittel beschleunigen.

Die Verzweifelung über den Mangel an Atemschutzmasken in Krankenhäusern führt zur Inkaufnahme von logischen Widersprüchen auch in den Verlautbarungen wissenschaftlicher Institute: Das Robert-Koch-Institut empfiehlt die Mehrfachverwendung von Einmalmasken. Etwa so, als würde man zu einer Eintagsfliege `Bis Morgen` sagen.

Die AfD verliert in aktuellen Meinungsumfragen 4%. Wohl kaum Ausdruck einer politischen Trendwende, eher Herdenverhalten im Ausnahmezustand, Schutzsuche in der Mitte. Zudem: Grenzen werden geschlossen, der Staat tritt paternalistisch bis autoritär auf - da verliert die AfD an Bedeutung als Protestpartei. Der Drang zur Mitte ist eben nicht als Bekenntnis zu einer freiheitlichen Gesellschaft zu verstehen. Es steht zu befürchten, dass die Einschränkung der Bürgerrechte mit großer Zustimmung beibehalten wird, was man mit Krisenprävention und Prophylaxe rechtfertigt. Zweifellos wird man früher oder später Grenzen für den internationalen Warenverkehr wieder öffnen - ob die Reisefreiheit erhalten bleibt ist offen.

Nach wie vor ist es nicht sicher, ob Ausgangssperren der Eindämmung der Seuche dienlich sind. Interessant wird es sein die Entwicklung in den Niederlanden zu verfolgen, die stärker als alle anderen europäischen Länder auf die Eigenverantwortung der Bürger setzt und auf die Anordnung von Verhaltensregeln verzichtet.

Ein anderes Extrem ist Indien: Bilder von Polizisten die Menschen mit Schlagstöcken verprügeln,(angeblich) weil sie gegen die verhängte Ausgangssperre verstoßen haben. Ist das gemeint, wenn von wehrhafter Demokratie die Rede ist?

Die Reduzierung der Artenvielfalt bei gleichzeitiger Vernichtung von Lebensräumen für Tiere fördert die Wahrscheinlichkeit von Zoonosen (Krankheiten, die sich von Tieren auf Menschen übertragen und umgekehrt). Das wird Bolsonaro tief beeindrucken.

Was die europäische Solidarität nicht leistet - massive Hilfe für Italien - leisten geostrategische Ängste im Zusammenhang mit den Hilfen Russlands und Chinas für Italien. Zähneknirschend wird man den Corona-Bonds zustimmen um den Einfluss Russlands und Chinas zurückzudrängen - in der Debatte über den Irak-Einsatz der Bundeswehr wurde ernsthafter und ausführlicher über die Lage Italiens debattiert als in allen anderen Debatten im Bundestag zuvor.

Die gute Nachricht für alle Homebrewer: die Versorgung mit Hefe ist sichergestellt.

Schade, dass Wiglaf Droste nicht mehr unter uns ist (...außer im Sinne von Six Feet Under und Pushing Daisies), er hätte auf die Frage eines Journalisten, der sich dafür interessierte, ob bei weiterer Ausbreitung der Epidemie das Prinzip der Triage zur Anwendung gelangt klar geantwortet (was heißt hier ob?). Christian Droste(n) vom Charitè gelingt es 10 Minuten zu reden ohne auf diese Frage einzugehen. Die Journalisten haken nicht nach. Sie wissen wohl, dass ein Nichteingehen auf eine Frage deren Bejahung bedeutet.

Hinter Frau von der Leyen lichten sich während ihrer Rede bei der Sitzung des EU-Parlamentes die Reihen. Offenbar schafft ihr Pathos sozialen Abstand. Einige mögen die Schnauze voll haben von der Kriegsrhetorik voller Helden und Feinde, die auf Entbehrungen einstimmt. Churchill ersteht als Zombie auf und fabuliert von Blut, Schweiß und Tränen, also von allem was infektiös ist.

Wenn Deutschland den Krieg gegen Corona verliert und Lieferketten durch Grenzpfähle unterbunden bleiben - wird dann der Morgenthau-Plan reaktiviert?

Lothar Wieler vom RKI empfiehlt nun auch zu Hause Abstand zu halten. Da wir alle über 100m2-Lofts mit mehreren Badezimmern verfügen dürfte das kein Problem sein. Auch in den Favelas und Townships ist dies das probate Rezept.

Pressekonferenz Gesundheitsministerium: Medienwirksam unterschreiten \"Mister Distance\" Jens Spahn und Professorin Susanne Herold zur Rechten den gebotenen Abstand auf Kussdistanz. Wasser predigen, Wein trinken. Haben die ein Medikament, dass wir nicht haben? Alfa-2b?

In den Kommentaren zu einem Artikel auf nau.ch: \"Coroinavirus: Präparat aus Kuba ist heiß begehrt\" mutmaßt ein Kommentator: \"Alle haben Hoffnung auf Kubaprodukte, aber alle unterstützen die Sanktionen der USA gegen Kuba.\" (Nau.ch, 22.03.2020). Ob das der Grund ist, warum Alfa-2b in der Diskussion in Deutschland nicht erwähnt wird sei dahingestellt. Auffällig ist dieser Umstand schon.

Nachfrage eines Journalisten bei Bundespressekonferenz als Julia Klöckner: stimmt es, dass Schlachtbetriebe Tiere töten bevor sie geschlachtet werden können? Skandal! Corona verhindert die Schlachtung bei lebendigem Leib! So eine Schweinerei.

Ein Gedankenspiel einer Freundin: man stelle sich vor in welcher Situation wir uns befänden hätte Corona vor 30 Jahren grassiert, als es noch kein Internet, kein Skype, keine sozialen Netzwerke gab. Tja. Man befände sich in der Situation, in der sich in vielen Ländern dieser Welt viele Menschen befinden. Dennoch lief es mir am nächsten Tag heißkalt den Rücken herunter als ich aufgrund einer Überlastung des Netzes keinen Zugang zum Internet hatte. Ich geriet sofort in Panik.

Das RKI veröffentlicht seit Neuestem zusätzlich zur Zahl der Infizierten und Toten auch die Zahl der Genesenden. So kann man sehen wie viele Menschen ab sofort in Branchen eingesetzt werden können, in denen der Kontakt mit Infizierten oder Risikogruppen an der Tagesordnung ist. Man könnte sich ein Beispiel an einem Vorschlag des jungen Abgeordneten Horst Seehofer nehmen, der zu Zeiten von AIDS als beherrschendem Thema vorschlug, HIV-Positive im Genitalbereich zu markieren. Das ist ein Negativbeispiel, das man positiv z.B. mit einem Chip an einem Armband wenden könnte, so dass jede Person mit Immunität jederzeit identifiziert und dem Arbeitsmarkt zugeführt werden kann.

Die Anekdote über Horst Seehofer ist einer Phoenix-Reportage über Viren zu verdanken. Corona überstrahlt als Star der Seuchen derzeit jede andere Geißel der Menschheit mit hohem Gefährdungspotential für Leib und Leben: Tuberkulose, AIDS, Influenza(!), Kapitalismus. Die von diesen Krankheiten Betroffenen und die Einrichtungen, die ihnen helfen wollen befanden sich schon vor Corona im Wettbewerb um Aufwendungen und Zuwendungen. Ob sich ihre Lage durch Corona bessert ist fraglich.

Fürsprecher eines besonderen Schutzes für Risikogruppen und der möglichst schleunigsten Herstellung von Herdenimmunität (Bekannte Philanthropen und Virologen wie Matthias Döpfner, der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer SE) empfehlen \"die Jungen\" möglichst schnell von den Ausgangssperren zu befreien - das käme einer verordneten Spaltung der Gesellschaft gleich in diejenigen, die von den Beschränkungen befreit sind und diejenigen, die es nicht sind (in Sandra Maischbergers Worten \"in die die rausdürfen...\"). Abgesehen davon, dass niedriges Alter keine Lebensversicherung gegen COVID-19 ist: wo genau zieht man den Cut? Mit welchem Recht geschähe diese Teilung? Ich sehe Corona-Party-Gäste und junge Ischgl-Veteranen durch die Straßen tanzen, während 60jährige Fitnesstrainer altersbedingt zwangsisoliert werden.

Aufschlussreich wäre eine Aufschlüsselung von Infizierten nach Berufsgruppen um das Ausmaß der Infektionsrisiken in bestimmten Branchen zu quantifizieren. Traut sich aber keiner dran.

Aus Allerwelt: Die G20 beschlossen heute - auf Einladung von Saudiarabien - \"der Krise geeint entgegenzutreten\" und 5 Billionen Dollar in die Weltwirtschaft zu investieren. Warum eigentlich nicht schon vor dieser Krise? Die Wortwahl \"investieren in die Weltwirtschaft\" und \"den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen der Pandemie begegnen\" deutet es an. Bisher sah man es nicht als nötig an, aber jetzt nimmt die Pandämonie Ausmaße an, die global schlecht fürs Geschäft sind. Der Ölpreis ist auf Talfahrt, und erst das zwingt zum Handeln.

Soziale Distanz fördert das Geschäft mit den digitalen Wegezöllen. Amazon hat binnen 10 Tagen um etwa 100 Milliarden Euro an Marktwert zugelegt. Jeff Bezos ist in zwei Wochen um 10 Milliarden Euro reicher geworden. Eine richtungsweisende Entwicklung, wenn die Konsequenz aus dem Corona-Drama eine wachsende Scheu vor zuviel menschlicher Nähe ist. Da auch die Versorgung mit Lebensmitteln zunehmend online organisiert wird steht zu erwarten, dass die Marktmacht von Streaming-Diensten, Online-Diensten und IT-Unternehmen inklusive Marktkonzentrationen weiter wachsen. Die Welt wird geteilt in digitale Gesellschaften, deren Brutto(a)sozialprodukt im Wesentlichen auf der Isolation ihrer Bürger beruht - und in den Rest der Welt, gegen den sich die digitalen Gesellschaften abzuschotten versuchen (hoffentlich behalte ich Unrecht).

Man denkt über Exit-Strategien nach. Was für eine Wortwahl. Kennt man eigentlich nur aus Kriegen, die verloren gehen. Man hat die Ziele der Intervention nicht erreicht, Rette sich wer kann und die Zurückgelassenen lässt man mit ihren Miseren allein.

Krebspatienten mit metastasierendem Krebs müssen mit Verweis auf die zu erwartende Flut von Corona-Kranken auf lebensnotwendige Behandlungen warten. Bis sich das Problem erledigt hat?

Eine Woche Shutdown: und schon rückt das Motiv Existenzangst in den Vordergrund gegenüber der Bewegungsfreiheit älterer Menschen und Menschen mit Vorerkrankungen? Es wird nicht so genannt, aber das jetzt bereits (unter anderem von Armin Laschet) darüber nachgedacht wird, Risikogruppen zu ihrem eigenen Schutz zu isolieren und anderen ihre Freiheiten zurückzugeben - also den Risikoquellen ihren Freiraum zurückzugeben und die, die grade nicht Quelle der Infektion sind zu kasernieren - verrät einiges über die derzeit viel gepriesene Solidarität in unserer Gesellschaft. Also..ein paar Wochen Solidarität, aber dann muss auch mal gut sein. Das ist nicht so weit weg von Trump, Bolsonaro und Erdogan. Und ignoriert die Gesundheitsrisiken auch für die unverwundbaren Jüngeren. Wenn es so kommt war die Bazooka kein Knaller, sondern ein Kaugummi.

Überhaupt der Begriff Risikogruppe. In der Corona-Debatte werden diejenigen, die einem Risiko ausgesetzt sind mit einem Begriff belegt, der suggeriert, dass sie das Risiko sind. Logisch, da die Rücksichtnahme auf sie ein Risiko für die hochfahrende Wirtschaft sind. Ich sehe mich schon im Supermarkt stehen, wo an der Kasse das Foto eines Seniors mit der Unterschrift \"man sieht Ihnen Ihr Alter gar nicht an\" befestigt ist und die Verkäuferin mich auffordert meinen Ausweis zu zeigen um zu prüfen ob ich wirklich noch nicht 60 bin.

Mit einer Meditation zu Schwarzen Löchern, Singularitäten, Einstein-Rosen-Brücken und Langspielplatten versuche ich mich zu downshutten.

Morgen befasse ich mich zum Aufwärmen mit den Einlassungen Dr. Daniel Dettlings - seines Zeichens einst Gründer von berlinpolis e.V,., einer formal parteipolitisch ungebundenen (sprich Offerten von allen Seiten gegenüber offenen) Lobbyistengruppe (im Beirat u.a. Rita Süßmuth, Horst Teltschik, Matthias Horx, Marianne Birthler), Befürworter der Überwachung aller Benutzeraktivitäten im Internet zur Terrorismusbekämpfung, bekannt für sein Geschick, verdeckte Werbung für seine Auftraggeber aus der Privatwirtschaft auf Websites des Wirtschaftsministeriums NRW zu platzieren und trotzdem noch Millionenaufträge des Ministeriums abzustauben - zum Thema Hausarrest für Senioren damit die Wirtschaft wieder brummt. Der Mann ist vorsichtig - nach seinem Geburtsdatum sucht man im Internet vergeblich.

 

8.

Durch meinen Traum schlängelt sich ein lauter Bach. Der mich weckt.

Man könnte meinen man stecke sich durch Blickkontakt an. Zwar huste ich beim Einkaufen niemanden an, aber ich gestatte mir Menschen ins Gesicht zu sehen. Sie schauen zu Boden, in vorauseilender Scham darüber, dass man mir im Notfall aus Angst vor Ansteckung nicht helfen werde. Ein Lichtblick: es gibt wieder Romy-Schokolade. Das stopft und spart Toilettenpapier.

Wer hat eigentlich Nida-Rümelin ausgegraben? Bezeichnet als Philosoph gibt er auf Basis der üblichen Gegenüberstellung der Sterberate bei der Risikogruppen 80+ und der Sterberate bei der glücklichen Mehrheit, der Zahl an Influenza-Toten und Corona-Toten den sanften Trump im Kamelhaarmantel: dann kann man doch die kleine Risikogruppe schützen (isolieren) und die Wirtschaft wieder hochfahren. Das meinte er - wenn ich nicht halluziniere und ich mich verhörte - als Trost für Italien. Die größere Ansteckungsgefahr durch Corona wird ebenso ignoriert wie die Gefährdungen auch jüngerer Personen mit (und ohne) Vorerkrankung und und und...selbst hätte er geschwiegen wär er nicht Philosoph gewesen.

Grinsekatze Scholz wiederholt im Bundestag: wir können uns das leisten. Ja, weil die Bonität Deutschlands mit der selben Austeritätspolitik früherer Jahre zusammenhängt, die die südeuropäischen Ökonomien inklusive ihrer Gesundheitssysteme abwürgte. Die deutsche Bazooka sollte bis nach Spanien und Italien reichen.

Beklemmend, wenn die falschen Leute das Richtige sagen. Alexander GAUland kommt auf den Risikobericht zu sprechen, der die deutsche Regierung bereits 2013 auf das Pandemie-Risiko des \"novel corona\" hinwies (Frontal berichtete gestern darüber). Er wies auch auf die Anzeichen dafür hin, dass auch bei denjenigen Infizierten, die keine oder nur milde Krankheitssymptome zeigen, langfristige Schädigungen der Lunge erleiden können, so dass bei einem frühen Widerhochfahren der Wirtschaft alle gefährdet sind. Auch Trumps Aufrechnung der Suizidraten bei anhaltendem Shutdown gegen die COVID19-Opfer deckt sich mit Befürchtungen der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (DGPPN). Beide - Gauland und Trump - instrumentalisieren Richtiges für das Falsche. Fakenews sind eine Strategie der Einflußnahme, die Instrumentalisierung der Fakten für die Verfolgung menschenverachtender Ziele ist mindestens ebenso perfide.

Nach Gauland prahlt ein SPD-Politiker damit, man könne jetzt vor nationaler Wirtschaftskraft kaum laufen weil man vorher so gut gewirtschaftet habe. Ätschibätsch, Italien.

Christian Lindner stellt zu Recht fest: Die Bekämpfung der Pandemie ist eine Menschheitsaufgabe, die nicht nationalstaatlich zu bewältigen ist, sondern multilaterale Zusammenarbeit fordert. Ich hätte mir gewünscht, dass er beim Gang zu seinem Platz die Internationale einstimmt.

Göring-Eckart betont die großartige Solidarität in unserem Land. Nichts dagegen: aber auch wenn es nun mal der Deutsche Bundestag ist gebührt das Lob der Helden des Alltags den Menschen weltweit - nicht nur in Krisenzeiten, zumal in vielen Regionen auf der Welt Krisen der Normalzustand sind.

Was soll das föderale Gezänk über die Abiturregelung? Verzichtet bundesweit auf die Abiturprüfung und lasst die Schüler dieses Abiturjahrgangs bundesweit bestehen.

Weniger Boni für die Chefs der Unternehmen, die Hilfe vom Staat bekommen? Gar keine Boni, bzw. die Einzahlung der Boni in einen weltweiten Fond zur Krisenbekämpfung. Ja...auch jetzt ist die Welt kein Bonihof, ich weiß.

Ob Christian Lindner wohl einen Plan für die multinationale Zusammenarbeit hat, den er nur aufgrund der Beschränkung der Redezeit nicht vortragen konnte?

Spargelstechen für Asylbewerber...und danach lehnt man ihre Anträge ab?

Montgomery, Guterres, Lindner...wie sieht es aus, das andere Leben und Arbeiten, die multilaterale Zusammenarbeit? Die Lehren, die man ziehen wird werden im wesentlichen in Präventionsmaßnahmen bestehen, ich fürchte sie werden nicht in einem grundsätzlichen Wandel des Wirtschaftssystem und des politischen Handelns bestehen. Japan wird das Tsunami-Frühwarnsystem verbessern, aber nicht auf Kernkraft verzichten. Es wird vielleicht gelingen, ein globales Pandemiefrühwarnsystem zu implementieren, der WHO einige zusätzliche Kompetenzen einzuräumen und Monopolbildungen im Bereich der Pharmazie zu überdenken, höhere Flugpreise für Privatflüge sind zu erwarten. Aber die Rettung von Menschenleben und die weltweite Garantie von Menschenwürde hat Kapitalismus und Nationalstaatlichkeit noch nie interessiert. Was geschehen wird, ist dass die starken Volkswirtschaften sich besser gegen Pandemien wappnen - und dass sich an den enormen sozialen Kluften weltweit nichts ändert. Es sei denn die Menschen weltweit üben so viel Druck auf die Entscheider auf, wie weltweit die Athleten auf das IOC, das nun kleinlaut den Bach runtergeht.

Bisweilen kann das Rumeiern von Regierungssprechern bei konkreten Fragen so etwas wie die indirekte Andeutung einer Öffnungsklausel durch Nichtverneinung sein (...um zu illustrieren, was mit Rumeiern gemeint ist). Zwar verwies Herr Seibert immer wieder auf den EMS (Europäischer Stabilitätsmechanismus), aber er beantwortete die Frage, ob man Eurobonds erwäge, nicht mit nein.

Es gibt kein Reis mehr, Baby. Vietnam stoppt die Reisexporte. Begründung wie bei der Kündigung eines Mieters: Eigenbedarf. Soviel zum Thema internationale Kooperation.

Zynisch gesagt: was Beschränkungen betrifft funktioniert der internationale Konsens. 2,3 Milliarden Menschen sind von Ausgangsbeschränkungen betroffen.

Phoenix vor Ort wird angekündigt mit vom Bildschirmrand einlaufenden Scheiben. Immer denke ich: jetzt kommt Biathlon.

Gestern in der Phoenix-Runde ließ Walter Kohl (Namensgleichheit kein Zufall) folgende Überlegung vom Stapel: mit der Bazooka hat Deutschland sein Pulver für europaweite Solidarität verschossen. Die wird aber im Herbst gefordert sein, wenn wie zu erwarten ist dieses Jahr in Spanien und Italien die Umsätze aus dem Tourismus wegbrechen.

In Österreich beschäftigt man sich mit unter anderem mit Schnee von gestern. Island erkannte eher als die österreichischen Behörden die Gefahr aus Ischgl und wies am 5. März darauf hin. Aber erst am 10 März wurde die \"Kitzloch-Bar\" geschlossen. Auf Nachfragen gab sich der österreichische Kanzler Kurz angebunden. Heißt der Lohnausgleich bei wegfallender Arbeit eigentlich auch im Alpenland Kurzarbeit?

Die UN fordern von den G20 Zugeständnisse für die Entwicklungsländer. Und wenn nicht? Marschieren dann die Blauhelme ein?

Auch unter den Konservativen gibt es Schelme. Ein CDU-Angeordneter mit dem Hinweis auf das hohe Durchschnittsalter der AfD-Abgeordneten: \"Sie sind Risikopersonen!\" Doppeldeutlich.

Kosten von 1,4 Billion Euro, klingt gewaltig. Hatten wir aber schon. Die Kosten der Deutschen Einheit werden auf 1,3 bis 2 Billionen Euro geschätzt (laut Wikipedia). Da kein Begriff in den Debatten häufiger heraufbeschworen wird als Solidarität wird - wenn die Krise überwunden wird - mutmaßlich ein gesamtdeutscher (europäischer?) Solizuschlag beschlossen. Wette bei Bet and Win?

Kapitalismus, Religion und Schalke 04 haben gemeinsam, dass sie ihre Anhänger überleben. Deshalb bedroht die Pandemie zwar ihre Anhänger, aber nicht ihre Existenz. Mag es auch viele dahinraffen - nur wenn der Virus die Menschheit auslöscht stirbt der Virus, weil er seine (Betriebs)wirte tötet, dann wird auch Schalke 04 nie Meistert (was ohnehin gilt). Auch Geldwerte sind nicht perdu, wenn die Besitzer verschieden sind, daher frohlocken die Erben. Geldwerte sind wie Energie - Energie kann an Intensität abnehmen und zunehmen (Geld kann ab - und aufgewertet werden) und transformiert werden so wie Kapital umgewidmet werden kann. Die immensen Summen, die jetzt zur Stützung von Wirtschaft und Gesundheitssystem locker gemacht werden stellen ein gewaltiges Konjunkturprogramm dar, mit dem der Staat Geld in die Volkswirtschaft pumpt, in Form von (verzinsten) Krediten, Einmalzahlungen und so weiter. Dieses Geld gelangt dann wieder an Unternehmen und in Form von verzinsten Raten wieder an die Banken. Deutschland hat die Möglichkeit, sich an den Kapitalmärkten mit frischem Geld in schwindelerregendem Ausmaß einzudecken - da die Kreditwürdigkeit Deutschlands als hoch eingestuft wird, werden deutsche Staatsanleihen oder Inhaberschuldverschreibungen gerne genommen und gibt man gerne Kredit. Je höher die Kreditsumme, desto höher der Zinsertrag für die Gläubiger. Kein Wunder, dass Börsen positiv reagieren, wenn Staaten mit hoher Kreditwürdigkeit auf Pump finanzierte Konjunkturprogramme auflegen. Und das ist die Misere, und deswegen sind Eurobonds ein Reizwort: z.B. Italien und Spanien wird diese Kreditwürdigkeit abgesprochen, dementsprechend ist ihre ökonomische und damit auch gesundheitliche Situation viel dramatischer. Eurobonds wären ein Verfahren zur Vergemeinschaftung von Schulden in der EU - wenn wundert es das Herr Seibert schon bei der Erwähnung dieses Unwortes aussieht wie Oliver Bierhoff, als Journalisten ihn mit dem Özil-Erdogan-Eklat nervten.

Politik muss ihr Handeln an den Menschenrechten ausrichten. Sagt ein Institut (das blaue Band der Hoffnung am unteren Bildrand verriet nicht welches). So weit, so gut. Aber warum sollten Staaten, denen das zuvor egal war ausgerechnet jetzt, da ihre eigen Volkswirtschaften brachliegen, sich um Menschenrechte scheren? Appelle wie der oben genannte, oder der Hinweis der UNO, der Corona-Virus bedrohe die gesamte Menschheit verraten die Befürchtungen exakt gegenläufiger Entwicklungen, dem Hauen und Stechen um Ressourcen.

Julia Klöckner berichtet über die dramatischen Auswirkungen des Fehlens ausländischer Erntehelfer auf die Landwirtschaft. Morgen werden in den Supermärkten die Regale mit Erbsen und Möhren in Dosen gähnend leer sein.

Selbst wenn es funktioniert: die Meldung aus Großbritannien, dass ein Staubsaugerhersteller Beatmungsgeräte produziert drängt die Frage auf, ob die Gefahr einer Staublunge beträgt. Erinnert mich an einen Comic, in dem ein Koch aufgrund eines Personalmangels bei den Lazarettärzten für die intravenöse Ernährung verletzter Soldaten zuständig ist und ihnen Erbsensuppe eintrichtert.

Spare mir den Witz mit den beiden Planeten, die sich treffen von denen der eine schwer erkältet ist.

Als kleiner Junge stand ich an der Grenze, die Bayrisch Eisenstein und Tschechisch Eisenstein trennte. Nun ist der Schlagbaum wieder unten. Europa - ein zerfallendes Puzzle.

Trump endlich wieder er selbst. Prophezeit volle Kirchen zu Ostern. Putin nennt den Shutdown in Russland ein verlängertes Wochenende. Bolsonara schimpft Covid-19 einen Schnupfen. Die Zustimmungsrate für Trumps Politik steigt. Nein, das ist kein Simpsons-Corona-Special.

 

7.

Oh Du glückliches Finnland! Von jeher gewohnt an Abgeschiedenheit geht es gelassen um Corona herum und ist schon zum dritten Mal in Folge glücklichstes Land der Welt. Selbstironie als entscheidende Zutat: \"Es ist tragisch, wenn das hier das glücklichste Land der Welt sein soll\" witzelt TV-Komiker Andrè Wickström. Acke Järvinnen vermutet eine andere Ursache: 400.000 Finnen nehmen täglich Antidepressiva (Quelle: WAZ 24.03.2020, Andrew Anwar, Glücklich zwischen See und Sauna.). Muss kein Widerspruch sein. Wie glücklich ein Land ist scheint nicht zwingend damit zu tun zu haben wie glücklich die Bevölkerung ist, sondern wie man miteinander umgeht.

Lionel Ritchie legt einen alten Hut neu auf. Was sonst? Ah, einen alten Hit.

In Australien fahndet die Polizei in Klopapier- Raubserie nach Tätern. Eine unterschätzte Gefahr: die australische Mafia in Europa. Deswegen sind die Regale leer. Dressierte Kängurus in Hoodies plündern die Bestände (Feuchtklopapier lassen sie liegen, alles was sich nicht um eine Röhre wickelt und an einer Halterung befestigt werden kann passt nicht zur Vorstellung der Käufer von Klopapier). Gegen Panikkäufe wird der Einzelhandel kreativ. Ein Geschäft in Sydney nimmt für eine Packung Toilettenpapier 3,50$, für zwei Packungen 99%.

Das sind heitere Momente. Ist ja noch vor der Pressekonferenz des Robert-Koch-Institutes. Die düsteren Szenarien überwiegen. Die Welle, deren Schatten auf uns fällt, bevor sie sich am Horizont aufbaut. Ein Arzt sagt, wir befinden uns erst in der Phase, in der sich das Meer vom Ufer zurückzieht. Symptome: zappelnde Fische auf dem Trockenen. 60 KM lange LKW-Staus an den Grenzen, was die rhetorischen Beruhigungspillen in Sachen Versorgungssicherheit ad absurdum führt. 18 Stunden Wartezeit für die Fernfahrer, sämtliche Raststätten geschlossen, auch das eine unzumutbare Undankbarkeit.

Befürchtete Zunahme häuslicher Gewalt. Steigende Suizidrate. Einspalter in der Tageszeitung, nicht in direktem Zusammenhang mit Corona, aber wohl doch als Warnung gemeint: Verbreitung von Kinderpornos nimmt zu.

Phoenix vor Ort verspricht: wir führen Sie durchs Informationslabyrinth. Und wohin?

Orban nutzt die Ungunst der Stunde und lässt sich mit unbeschränkten Machtbefugnissen auf unbestimmte Zeit ausstatten.

Die Pest im Mittelalter nahm ihren Ursprung auf der Krim. Schon im 14. Jahrhundert weckte sie Begehrlichkeiten. Manches ändert sich nicht im Laufe der Jahrhunderte. Die Goldene Horde (...Heuschrecke des Mittelalters...) griff bei der Eroberung der Hafenstadt Kaffa auf Biowaffen zurück. Sie katapultierte ihre Pestleichen auf die belagerte Stadt.

So weit ist es nicht. Es fehlt jedoch nicht an beunruhigenden Meldungen. In Madrid finden Soldaten bei der Desinfektion Dutzende tote Senioren und allein gelassene Bewohner. Hier diskutieren wir die psychischen Folgen der sozialen Isolation für die Bewohner von Alten- und Pflegeheimen, doch das Besuchsverbot bedeutet auch einen Verlust an sozialem Schutz. Die Ängste der Älteren beziehen sich nicht nur auf die psychischen Konsequenzen ihrer Ausgrenzung, sondern darauf was mit ihnen geschieht, wenn Freunde und Verwandte nicht mehr nach dem Rechten sehen. Mißstände und Mißbräuche im Pflegebereich gab es schließlich auch schon ohne Corona. In der Türkei herrscht Ausgangssperre für alle Menschen über 65 (...Erdogan ist übrigens 66...). Eine riesige Bevölkerungsgruppe wird ghettoisiert und der Verdacht liegt nahe, dass man sich von der dauerhaften Isolation der Risikogruppe eine raschere Durchseuchung und ein rascheres Hochfahren der Wirtschaft verspricht. Andere Volkswirtschaften werden folgen. Nicht jeder verfügt über eine Bazooka. Und wie ist eigentlich die Äußerung von Frau Giffey zu verstehen, dass Opfer häuslicher Gewalt das Haus verlassen dürfen um Hilfe zu holen? Wenn das schon als Zugeständnis formuliert wird, als eine Art behördlicher Gnadenakt, gruselt es einem bei dem Wissen, dass uns im Moment erst der Schatten der Welle frösteln lässt, die da auf die Menschheit zukommt.

Naivitäten: Katharina Hamberger vom Deutschlandradio ist dankbar, dass die sozialen Medien es erklauben, das jedes Einzelschicksal eine Stimme hat. Na dann steht dem harten Verdrängungswettbewerb um Aufmerksamkeit und Zuwendungen inmitten der lärmenden Börse der Informationen ja nichts im Wege. Wie tröstlich.

Tröstlich, dass Jürgen Trittin - Interviewpartner in \"Unter den Blinden\" - immer mehr wie Heiner Geißler aussieht. Sentimentale, wärmende Erinnerung an Zeiten des politischen Mehltaus. Der Mann ist so alt, dass er (...wie ich...) den autofreien Sonntag erlebt und sich noch daran erinnert, dass man der Ölkrise mit Eurobonds begegnete.

Rührend: Retrowerbung vor den Tagesthemen. Ein ewiger Student nahe daran altersbedingt zu einer Risikogruppe zu gehören reibt sich wohlig den Wollschweinbauch. Kein Unbehagen dank Kijimea (klingt nach Zen und Sushi) Reizdarm pro. Edeka dankt seinen HimmelfahrtskommandeurInnen im Kundenkontakt und im Stau. Trigema produziert in Deutschland. Vier Angler (Dicke Fische) verstoßen im Schulterschluss gegen das Versammlungsverbot und stoßen mit Erdinger Alkoholfrei an, Flußdelta im Hintergrund, ungetrübtes deutsches Wasser. Dann Paradigmenwechsel wie bei Kafkas Parabel Auf der Galerie. Der Einzelhandel zahlt seinen systemrelevanten Angestellten eine einmalige Bonuszahlung - auf der Lohnabrechnung wird stehen Einmalzahlung ohne Verpflichtung auf Verstetigung. Keine Lohnerhöhung, denn die Systemrelevanz der KassiererInnen gilt nur im Ausnahmezustand. Jemand bemüht im Internet - passend zum Thema Reizdarm - den Vergleich: man stelle sich vor Corona sei eine Darmerkrankung. Prägnant folgende Ansage: Ich habe keine Angst vor dem Virus, aber davor was die Epidemie aus dem Menschen macht.

Uderzo ist tot. Gabi Delgado auch. Man hört immer mehr Polizeisirenen. Die erste Meldung in den Tagesthemen: Olympische Spiele verschoben. Topthema bei dem Sender dessen Mantra es ist uns einzuhämmern, dass man den Ernst der Lage noch unterschätzt. l

Nehme Montgomery und Guterres mit in den hoffentlich nicht verschnupften Schlaf. Montgomery: wir werden anders leben und arbeiten müssen. Guterres: alle Kampfhandlungen sollten beendet werden. Erstens: mein Vater litt unter Nierensteinen und jammerte im Krankenbett. Wenn das vorbei ist werde ich alles anders machen. Zweitens: wenn in Syrien die Waffen schweigen (...und sonstwo...) dann nur solange Corona die Kampfkraft der eigenen Truppen schwächt.

Karl Lauterbach blickt durch. Gute Nacht.

 

6.

Das Horten von Toilettenpapier ist für den rationalen Egoisten logisch: schließlich geht es um den eigenen Arsch.

Ein glücklicher Mensch kommt mir entgegen, den Einkaufswagen voller Haushaltsrollen. Haushaltsrollen (extrem stark und reißfest) sind das neue Objekt der Begierde.

Auf der Internet-Seite von \"Real\" wird eine Packung Toilettenpapier für 31,40 € angeboten (der Versand ist gratis!!). Das ist keine Real-Satire, sondern das (betr)übliche Bestreben Scheiße zu Geld zu machen.

Die Flut der Ereignisse erschwert offenbar das Wahren sprachlicher Contenance. Im MoMa hieß es: Corona hält die Welt in Atem. Wenn dem doch so wäre...dann bräuchte man dank heilender Wirkung von COVID19 keine Atemgeräte.

Es stockt einem bei vielen Details der Atem. Ein Bericht über einen 82-jährigen Venezuelaner, der liebend gerne der Empfehlung seiner Regierung Folge leisten und sich die Hände waschen würde. Nur ist leider die Wasserversorgung zusammengebrochen und wenn Wasser aus den Leitungen kommt ist es so trübe wie die wirtschaftlichen und politischen Perspektiven Venezuelas schon ohne Corona waren. In Italien lehnt ein 47-jähriger Patient mit schwerster Atemnot die künstliche Beatmung ab. Sein Schwiegervater sei schon an Corona gestorben, jetzt sei er dran. Aber das Ärgste: in Israel werden Patienten über 60 gar nicht mehr künstlich beatmet. Alles Szenarien übrigens die auch in Deutschland nicht ausgeschlossen sind. Umso schleierhafter bleibt die Unantastbarkeit der Supermärkte mit ihren Nadelöhren an Fleisch- und Käsetheken, an denen die Abstandswahrung unmöglich ist.

Zu Ausgangsbeschränkungen wird erklärt: die Menschen dürfen zur Arbeit. Wie großzügig und realitätsverdrehend. Sie dürfen nicht, sie müssen!

Eine verräterische Antwort des Kanzleramtsministers Braun auf die Frage, ob man bereit sei Impfstoffe einzusetzen bevor die Prüfungen der Wirksamkeit und Nebenwirkungen abgeschlossen sei. Das sei Entscheidung der Wissenschaftler, nicht der Politik. WIE BITTE?

Wenn wir erst die Vorhölle des Tsunami erleben sind die Beschwichtigungen und Beruhigungen man halte den Shutdown wirtschaftlich lange aus, jedem werde geholfen und es gebe keine Versorgungsengpässe wohlfeil. Wirtschaft ist Psychologie, also wird man uns belügen. Die Lüge als Placebo solange kein anderer Impfstoff vorliegt. Viel Phantasie bedarf es nicht um sich die verheerenden globalen Konsequenzen vorzustellen, die pi mal gewaschenem und desinfiziertem Daumen 18 Monate Ausnahmezustand nach sich ziehen. Viren ohne Grenzen bedeuten Rückkoppelungseffekte, feedback-Schleifen und Verstärkung. Beispiele: wie viele Selbständige mit Kundenkontakt werden Symptome, die zu COVID19 passen verschweigen? Wie viele Lohnabhängige weltweit werden es aus Angst um ihren Arbeitsplatz ebenso halten? Wenn es Impfstoff gibt, wie soll man Milliarden Menschen rasch damit versorgen? Impfstoff und Medikamente als globaler, sozialer Sprengstoff. Glaubt wirklich jemand die Märchen von der Versorgungssicherheit?

Dazu Ursula von der Leyen: es kann aufgrund der Grenzschließungen zu Engpässen im internationalen Warenverkehr kommen. Und die Rente ist sicher.

Die Kriegsmetapher ist ebenso irritierend wie der Hang von Experten und Politikern zu schwarzen Anzügen mit schwarzen Krawatten, die Grundrechte zu Grabe tragen. Positiv gewendet will man mit ersterem Ent- und Geschlossenheit demonstrieren, mit Letzterem Trauer um die Toten. Dennoch bleibt ein fader Beigeschmack. Zum einen sind es nur die Kerle, die (grinsend wie kleine Kinder, die mit Fletschen auf Kleinnager und Seuchenvögel zielen) Gebrauch von Bellizismen machen, zum Anderen hat der Undertakererlook etwas Prophetisches und konterkariert die Durchhalteparolen. Statt von Instrumentarien und Instrumenten spricht man von Bazookas und Waffen wie Pennäler die Krieg spielen. Dabei gibt es es keinen Feind, gegen den man kämpft, sondern eine Bedrohung, der man sich stellt.

Mehr Pressekonferenz, mehr unfreiwillige Eingeständnisse. Dampfplauderer Altmeyer: Die bereitgestellten Mittel für Firmen und Selbständige seien nicht dafür da ausgebliebene Umsätze zu ersetzen. Was soll das dann? Eine Transformation der Staatsschulden in Privatschulden? Scholz hustet derweil in die Hand. Da kann der Chef des RKI noch so sehr gebetsmühlenartig die gar nicht hoch genug einzuschätzende Bedeutung der Armbeuge bei der Infektionsprophylaxe betonen. Seine Staatssekretärin guckt dann auch sparsam angesichts dieses Fauxpas.

Weltweit über eine Milliarde Menschen unter Ausgangssperre. Indien stellt den kompletten Zugverkehr ein. Möglicherweise steht der dramatische Anstieg der Infektionsrate in Bergamo und Spanien mit dem Champions League-Spiel Atalanta Bergamo gegen Valencia zusammen. Was verbindet uns, wenn wir eine Zukunft haben? 02? Die Telekom? Die Markenwaren und ihre Logos? Das Internet? Oder schafft die akute globale Bedrohung eine ebenso globale Achtsamkeit für das Leben der Anderen, und dies nicht im Sinne einer weltumspannenden Drohnenflotte, die uns trackt (Unternehmen Star-Track).

Was wäre dieser kollektive Organismus? Die (teils infizierten) Alphatiere, die Zwischenwirte der Dekrete, die viral gehen sollen um den Virus zu bekämpfen werden nicht müde von Rettungsschirmen zu fabulieren, von Netzen, die uns auffangen (...ich muss an Schlepp- und Spinnennetze denken), davon dass niemand zurückgelassen wird. Klingt vielversprechend, aber selbst wenn ein Körnchen Wahrheit dran wäre - die Vergangenheit zeigt, dass vielversprechend ein Synonym für Unverbindlichkeit ist, etwa so verlässlich wie freiwillige Selbstverpflichtungen - wie soll angesichts der entsetzlichen Verwerfungen und Ungleichheiten in und zwischen den Gesellschaften (die ärmste Hälfte der Menschheit verfügt über 0,2% des weltweiten Eigentums) eine gemeinsame Erzählung der Menschheit aussehen? Vielleicht ist die Weltgemeinschaft eine Pflanze, die Blätter abwirft, von deren Versorgung sie sich nichts verspricht.

In diesem Zusammenhang erinnere ich mich einer besonders perfiden und meines Wissens unwidersprochenen Gleichsetzung. Diejenigen, die durch Nichtbefolgung von Eindämmungsmaßnahmen das Leben anderer gefährden seien dieselben, die bei Fridays for Future gegen den Klimawandel auf die Straße gehen. Irgendein Beleg dafür?

Zittert man häufiger vor Zorn als vor Kälte? Man zittert vor Zorn bei sozialer Kälte. Für konsequente Ausgrenzung gibt es in Wien den Ausdruck: `\"Der wird noch nicht mal ignoriert.\" Dieses Weniger-als-Nichts demonstrierte heute mit einer mich perplex stimmenden Gedankenlosigkeit, die nicht einmal zynisch, sondern nur ignorant war, die Sendung Hart aber herzlich, pardon, fair. Im Vorfeld des üblichen Powwows hochrangiger Staatsträger, ergänzt um eine Stimme, die das gemeine Volk repräsentiert, gecastet aus einem vorübergehend systemrelevanten Berufsfeld, zeigte man zur Einstimmung ein Filmchen, das empathieerregende Einzelschicksale dokumentierte, mit Klaviergeklimper in Moll untermalt. Dabei der Beitrag über einen Obdachlosen, der nicht mehr weiß wo er duschen soll, weil sämtliche Einrichtungen, die ihm sonst Körperpflege und Hygiene ermöglichten geschlossen sind. Seinen Schlafplatz im Flughafen, ein zwar trostloses, aber warmes Plätzchen, verliert er, weil man Menschen wie ihn - Risikogruppe 60+ - vor Corona schützen möchte. Vielleicht erfriert er unter der Rheinbrücke, aber zumindest infiziert er sich nicht mit Corona. Soweit, so schlecht. Aber perplex und doch nicht überrascht, sogar erfüllt mit einem unpassenden Gefühl der Genugtuung weil ich das hatte kommen sehen, verfolge ich die Talkrunde. Nicht ein einziges Mal nimmt man auf diese Geschichte Bezug. Alles andere ist wichtiger. Das ist menschenverachtend: erst die Geschichte eines Menschen zu erzählen um sie dann im Kern des Sendeformats links liegen zu lassen - offener kann der Stellenwert der Schwächsten in der Gesellschaft nicht demonstriert werden.

Dazu passt der Kommentar eines Juristen in der Runde. Der Moderator merkt an, dass die notorisch unterbezahlten, neuerdings systemrelevanten und unter bedenklichen Arbeitsbedingungen geleisteten Arbeiten interessanter Weise fast immer von Frauen geleistet werden. Der Jurist bemerkt lapidar: Das ist doch die normalste Sache von der Welt! Und ohne Heben der Augenbraue geht der Moderator und der Rest der um das Schicksal der Welt ringenden Runde über diesen chauvinistischen Rülpser hinweg.

Dann noch Altölmeier: Um jeden Arbeitsplatz wird gekämpft, es sei denn der Arbeitgeber macht von seinem Recht Gebrauch Mitarbeiter zu kündigen.

Die Virologen wissen nicht, ob Ausgangssperren der richtige Weg ist. Umso alarmierender ist es, wenn 95% der Befragten laut einer ARD-Meinungsumfrage die Maßnahmen für richtig halten. Egal worum es geht: Mehrheiten wie bei Wahlen in der DDR erzeugen immer ein mulmiges Gefühl. Außer bei 95% der Befragten.

Ein Beitrag über einen Bestattungsunternehmer. Der hamstert prophylaktisch Särge. Corona-Tote werden eingesackt, der Sack wird im Sarg eingetütet und der letzte Weg des Verblichenen ist zu seinem Schutz vor Infektion einsam und von allen guten Geistern verlassen.

Bevor ich mich zur hoffentlich nicht letzten Ruhe bette checke ich ein letztes Mal den Stand der Dinge auf meinem iphone - und gerate in die erbitterte Auseinandersetzung der Onlineauftritte großer Zeitungen um Abonnenten. Bevor ich mir ein Bild der Lage machen kann, muss ich mich für Käseblatt + entscheiden, ein Kundenkonto anlegen und ein password mit mindestens 10 Stellen, einem Großbuchstaben, einem Sonderzeichen, einer Zahl und einem Abschluss am MIT bestimmen (bitte das password nochmal eingeben). Gute Zeit für diesen Wettbewerb, denn bad news is good news. Katastrophen und Tragödien sind Konjunkturprogramm für die Medien.

Im Hintergrund kündigt das Spahnmerkel Eilverordnungen an. Es klingt wie Alphaordnungen. 23:36, Zeit für Augenwischerei , nein, nicht ins Gesicht fassen. Augen zu und

Schnarch.

 

5.

0:42: Im Aktuellen Sportstudio wird allen Ernstes darüber debattiert ob die Olympischen Spiele in diesem Jahr stattfinden sollten. Thomas Bernhard: natürlich sind 20 Deutsche dümmer als 10 Deutsche.

An Sonntagen wird der Unterschied zwischen Normalität und Ausnahmezustand verwischt. Stillstand des sozialen Lebens eben, nur dank Versammlungsverbot ohne Einkehr in Kirchen und Kneipen, zwei von vielen gottlosen Orten. Werde heute verpeilt durchs Leben stolpern wie Shaun of the Dead, dem nicht auffällt durch Zombieland zu schlurfen weil die Differenz zu sonst unerheblich ist. Wie in Kafkas Verwandlung: der Protagonist verwandelt sich nur in das was er immer schon war und diese Transformation verwandelt alles um ihn herum.

Was alles wird anders werden? Wird es nach der Epidemie - wenn sie denn nicht periodisch wiederkehrt - noch Massenversammlungen geben? Fußballspiele in vollen Stadien? Konzerte vor Publikum mit Feuerzeugen in erhobenen Händen, die sich wie falsches Kaminfeuer als Projektion von Handy-Displays entpuppen? Demonstrationen der Gelbhemden auf den Straßen von Paris? Oder wird der Ausnahmezustand zur Normalität, weil die Rückkehr zur Normalität sich als so unmöglich erweist wie die kurative Abnahme von Entropie in zerschlagenem Porzellan? Wer erklärt die Epidemie für beendet? Die Kremlins in der Administration von Virussland? Die schwarze Null der Seuche, ein Limes der angestrebt, aber nie erreicht wird? Bleibt zu hoffen, dass die Epidemie nicht das totalitäre Äquivalent zur permanenten Revolution wird. Wenn gepredigt wird das Ende sei offen klingt das in vieler Hinsicht bedrohlich.

Nicht nur mir werden die Geschehnisse wie ein Traum vorkommen, dauert er lange genug stellen wir fest, dass wir wach sind und unsere Erinnerungen an ein anderes Leben nur geträumt waren. Passend zum Thema fesselt mich die Serie Falling Water, die mit dem Motiv des Möbiusbandes von Traum und Realität spielt. Es ist nicht zu unterscheiden was was ist, da es kein ausgezeichnetes Bezugssystem namens Realität gibt. Selbst wenn dies `nur`ein Alptraum wäre kann er wirkungsmächtiger sein als der Schlaf der Vernunft, der ihn zur Pantragödie verknüpfte: Gemäß einem Sprengsatz Jacques Lacans ist das Imaginäre das Reale.

in Venedig ist das Wasser klar wie seit Jahrhunderten nicht mehr. Klar. Klar muss das Kommende nicht dystopischer Natur sein, nur weil irgendein archaisch-christlicher Impuls die A\"poker\"lypse wünscht und man eingebildet genug ist man stehe dann schon auf der richtigen Seite des Buches, dessen Umblättern das Register ewiger Verdammnis offenbart. Wenn es wärmer wird trauen sich die ersten Kinder, springen von den Brückenbögen in die Kanäle und Grachten. Flotten gigantischer Gondeln ersetzen den transatlantischen Schiffsverkehr, bunte Zeppeline dominieren den Himmel, in den Straßen der Welt surren Elektromobile die den Sonnenwind nutzen. Und überall sieht man Plakate und Standbilder von Robert Habeck.

In der Viele-Welten-Theorie ist es unmöglich in eine Parallelwelt zu gelangen. Bin mir da nicht sicher. Was man als zeitliche Entwicklung erachtet, als kontinuierliche Chronologie, kann ebenso eine Abfolge von Sprüngen von einer Parallelwelt in die nächste sein, der Fluss entsteht durch rasches Blättern der Welten wie bei einem Leporello. Die Zeit sei eine Illusion, wenn auch eine hartnäckige meinte Einstein und Physiker wie Julian Barbour stimmen dem zu. Uns kommt es nicht zu Bewusstsein, dass der Fluss der Zeit emergent ist, dass unsere Biografie aus quantisierten Einheiten besteht, aus Sprüngen von einer Welt in die nächste. Die zeitabhängige Schrödinger-Gleichung beschreibt dieses Propagieren. Normalität bedeutet, dass die Wellenfunktionen der Parallelwelten in die wir springen sich nur geringfügig unterscheiden. Was aber, wenn ein Virus diese Differenz drastisch erhöht? Dann trennt ein Abgrund die Welten und die Kluft, die man immer schon erahnte und der man in Fiktionen und Utopien Ausdruck verlieh wird wahrnehmbar.

Der Virus strebt maximale Entropie an und zerstört damit, seinem Wirt ähnlich, seine Daseinsgrundlage...maximale Entropie ist erreicht wenn alle Teilchen die selbe Wellenfunktion haben, eine absolute Gleichschaltung, von der die Diktatur träumt, obwohl das ihr Untergang wäre. Maximale Entropie bedeutet Rauschen, das Maximum an verborgener Information, und wo bliebe dann der Überwachungsstaat?

Serien=Sirene. Ich häng schon viel zu lange vor der Glotze. Außerdem nervt mich so langsam, dass in noch so anspruchsvollen Serien so viel gegessen wird. Burger vor allen Dingen. Die Unterstützung durch Produktplatzierungen verzichtet zunehmend (...fett...) auf die Nennung von Markennamen, sondern platziert Produkte bestimmter Branchen - das nutzt dann allen Anbietern.

Ein Freund, der sich Doppelfelix nennt, schreibt mir, dass er lieber Romane als Gedichte liest, weil die vielseitiger sind. Ist was dran. Auf welche Nebensächlichkeiten man kommt wenn das Ausbleiben von Horrornachrichten einen langweilt. Die Spaßgesellschaft wurde seit 9/11 nicht mehr so vom Reality-TV verwöhnt - und jetzt gibts auf einmal wieder andere Themen? Rechtsradikalismus? Lesbos? Kennen wir doch schon. Keine Sorge. Heute Abend Pressekonferenz, ab Montag beherrscht dann wieder Corona die kalten Medien. Ich bestelle mir jetzt einen Burger bei McLuhans.

Machen wir uns nichts vor. Die 9 von der Kanzlerin vorgetragenen Dekrete sind ein kleinster gemeinsamer Nenner, kein Fundament und bundesweiter Schulterschluss. Beinahe zeitgleich verkündeten Saarland, Sachsen und Bayern rigoroser vorgehen zu wollen als es dieser bundesweiten Regelung entspricht, gemäß der Unberechenbarkeit der viralen Eskalation - dazu passend die Kanzlerin in Quarantäne - ist der Konsens fragil, lässt besonders in Punkt1 viel Spielraum für Zuspitzung und kann schon morgen wieder überholt sein.

Die Tonalität der Nachfragen der Journalisten zu Merkels nüchternem Vortrag verriet Enttäuschung. Das war ihnen zu undramatisch, also Fragen nach Konflikten, Eklats, Keilereien zwischen Söder und Laschet. Man hörte geradezu den Ärger darüber hinaus, dass die verkündeten Verbote im internationalen Vergleich moderat waren und auch so verkündet wurden. Unpathetisch, unaufgeregt. Wenigstens 10 Verbote hätten es dann schon sein sollen. Begleiter der Krise scheint die voyeuristische Lust an ihrem Exzess zu sein, dem Frau Merkel sich prüde verweigerte.

Hätte auch gedacht heute gäbe es mehr zu schreiben, mag sein das sich bereits Routinen ausprägen, man sich ebenso rasch an Hiobsbotschaften gewöhnt wie daran, dass die Ziehung der Lottozahlen vor der Tagesschau kommt. Sie müssen nur täglich vor immer der selben Kulisse verkündet werden, dann ist alles in Lot.

Unerträglich: die Eigenwerbung von Sendern für ihre Berichterstattung über Corona, vorgetragen im sedierenden Tonfall einer Sheraton-Rezeptionistin. Rundum Wohlbehagen beim sorglosen Särgezählen.

Bei Anne Will: Markus Söder als Feldmarschall vor dem Münchener Siegestor mit der Aufschrift \"Dem Deutschen Heere\". Verheerend. Wer jetzt noch nicht begriffen hat, dass Krieg herrscht und wer sich als Oberbefehlshaber sieht, der glaubt auch daran, dass der olympische Fackellauf wegen Corona abgesagt wird. Das heutige `Highlight´ an Peinlichkeit indes: während einer ZDF-Reportage zu den heim ins Reich der Dichter und Denker gebrachten Touristen wurde eine Werbung für die Comedy-Serie Merz gegen Merz eingeblendet. Man muss ihn nicht mögen und seine Spezial-Dragees nicht schlucken, aber das war hoffentlich keine beabsichtigte Geschmacklosigkeit. Gute Genesung Herr Merz.

Nach wie vor müssen Zweifel an der Strategie der Eindämmung durch Aussperrung bestehen. Viele Ärzte bezweifeln, dass die Eingriffe in die Grundrechte der rechte Weg sind. Sie fordern flächendeckende und wiederholte Tests. Orientiert man sich nicht an den Ländern mit abflachender Infektionsrate? Taiwan? Singapur? Wenn nicht wer erklärt uns warum nicht? Schlimmer: fragt überhaupt jemand danach? Oder sieht man und liest man nur nichts davon dank kreativer Schnitttechnik und re(d)aktioneller Chuzpe?

Zuviel Sauerstoff heute. Lange Wanderung mit einem Freund. Nur Heteropärchen begegnet die uns für schwul hielten. Wolkenloser Himmel, herrlicher Tag. Utopie statt Dystopie. Vielleicht entdecken die Menschen, dass sie Fastfood gar nicht brauchen, dass es gar nicht soviel Zeit kostet, Essen selber zuzubereiten, dass es schöner ist sich die Natur anzusehen, statt sie lediglich als Bildschirmschoner zu simulieren, dass Entschleunigung Körper und Seele besser pflegt als Turboshopping in Shoppingmalls. Fußballfans stellen fest, dass man gut auf die pathetische Gazprom-Werbung verzichten kann ohne an Lebensqualität einzubüßen. In neuen Situationen entstehen neue Gewohnheiten. Und wenn denn die Wirtschaftslenker, Wachstumsprediger und kraftvollen Entscheider wieder zur Tagesordnung übergehen wollen haben sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht, der in mehrfacher Hinsicht geheilt ist. Träumen darf man doch wohl...zum Beispiel von der unterbrechungsfreien Lektüre der neuesten Maßnahmen der Regierung im Internet ohne magentafarbener Werbeclips. Wahrscheinlich entwickelt es sich umgekehrt und unsere Träume werden unterbrochen von der Unterzeile: nur ein Spot und es geht weiter.

Und hoffen soll man. Bitte, Corona, zieh Dich zurück. Fange in Italien damit an.

Angenommen Anne Will, so ist deren Format ein Barometer, das Stärke und Vektor zukünftiger Trends anzeigt. So auch diesmal: man halte 18 Monate die restriktive Gesellschaft nicht durch. Bis dann habe man frühestens einen Impfstoff. Man müsse darüber nachdenken, ob man dass Edikt der sozialen Distanz für Jüngere aufgebe und die Gefährdeten (...vornehmlich die alten Säcke...) isoliere. Änderungskündigung des Generationenvertrags. Ich: 57. Denke über eine Patientenverfügung nach. Sollte ich zu meinem eigenen Schutz sozial isoliert werden verzichte ich auf eigene Verantwortung auf diesen Schutz. Behalte ich so viel Recht am eigenen Leben? Oder gilt das Recht auf Selbstbestimmung dann nur für systemrelevante Personen mit Zellaktivator?

Diese Ratlosigkeit in der Runde. Da fordert einer interdisziplinäre Vernetzung der besten Köpfe verschiedener Disziplinen um Auswege aus dieser Krise zu finden, zum Beispiel die Zwangsenteignung ihrer Profiteure. Die Moderatorin blickt angespannt-interessiert im mimischen Fight-or-Flight-Modus hin. Dann fragt sie jemand anderen welche Wirkungen die gravierendsten sind. Die psychologischen? Die sozialen? die ökonomischen? Als könne man das voneinander trennen und als habe der vorherige Redebeitrag nie existiert.

Laschet: die Unternehmen müssen noch da sein. Kopfnicken. Keiner fragt: welche und warum?

Die späte Tagesschau wird angekündigt im Tonfall der Werbung für Wellness-Oasen, Streaming-Dienste und Dating-Portale. Schlafenszeit. Träume bevor ich die Augen schließe...die vegane Variante eines idealen Gases wird mit Hilfe der Avocado-Konstante berechnet...Zeit nach Mitternacht, ist eigentlich schon Tag 6. Blase unterm linken großen Zeh...Viren sind die eternal 12 monkeys die unsere Geschichte zufällig zu Meisterwerken verdichten...Aneinandergereihte Tippfehler fügen sich zu einem sinnvollen Text...morgen schmeckt der Kaffee nach Lakritz...morgen ist eventuell auch noch ein Tag...

 

4.

Morgens, kurz nach Sonnenaufgang (auch die Sonne hat eine unsichtbare Corona) bin ich ich weniger paranoid als nachts, wenn der Verstand und Alpträume sich überlappen. Die epidämliche Berichterstattung hat noch nicht begonnen und da es Samstag ist bleiben einem die Wochenschauen in Form von Frühstücksfernsehen erspart.

Trinke Kaffee, lese meine

Zeitung, decke Bein mit Bein (zugegeben, für Degenhardt ist es ein Tag zu früh)

und erfahre, dass Makrelenschwärme und die deutsche Wahlordnung die 5-Prozent-Klausel gemeinsam haben. Relevant fürs Richtungsweisende des Makrelenschwarms ist die 5%-Klausel - mindestens 5% der Makrelen müssen eine Richtung einschlagen damit der Schwarm ihnen folgt. In der selben Beilage meiner Zeitung ist zu lesen, dass Biologen, Physiker, Mathematiker fieberhaft (...böses Wort...) im Fachgebiet \"hirnlose Intelligenz\" forschen. Es ist erstaunlich wie viele Beispiele einem dazu in den Sinn kommen. Dazu passend der Artikel über einen Mann, der in ein Schwimmbad einbrach und seelenruhig seine Bahn zog bis die Ordnungshüter ihn aus dem Wasser fischten. Hilft Chlor gegen Viren?

Corona strukturiert meinen Tag. Zwar schäme ich mich dafür, aber der radikale Richtungswechsel der gesellschaftlichen Weltlinien setzt bei mir Ressourcen frei, die verschüttet waren. Es ist lange her, dass ich mich so viel mit anderen Menschen austauschte und so interessiert am Weltgeschehen war. Der Verlust des gastronomischen Umfeldes führt zu nachhaltiger Ernüchterung und vertreibt mentale Nebelschwaden. Das scheint nicht nur mir so zu gehen, wenn ich mir die lebhaften Debatten im Netz so ansehe. Radikale Änderungen der stabilen Verhältnisse und Routinen erzeugen Angst, Beklemmungen, Unbehagen, Not, Elend, Tod - aber sie wirken auch als Verstärker von Empathie und Konzentration, möglicher Weise ein überlebensnotwendiger Effekt.

Föderalismus droht zu Söderalismus zu werden. Das verursacht Södbrennen. Nicht nur mir, sondern auch einigen Kommentatoren in den Foren stößt es sauer auf, dass das junge Deutschland zum Sündenbock gemacht wird. Dass die Infektionsrate bei Politikern relativ hoch ist wurde treuherzig damit begründet, sie müssten ja viel reisen und Hände schütteln. Aber sie haben auch zu Zeiten, da Virologen und Epidemiologen längst eindringlich warnten bei politischen Aschermittwochen Bäder in der Menge genommen, Bierzeltfeste und Karnevalsveranstaltungen genehmigt und an ihnen teilgenommen und die Gefahr unterschätzt. Dann hat es ein Geschmäckle aus der infektionssicheren Distanz des Rednerpults medienwirksam mit den Fingern auf andere zu zeigen. Bei vielen Menschen ist das Motiv, sich jetzt noch zusammenzurotten die Gewissheit, dies sehr bald nicht mehr zu dürfen - und zwar unabhängig davon wie sie sich jetzt verhalten. Das ist zwar zu kritisieren, denn es bleibt unangemessen egoistisch, aber es pauschal ignorant zu nennen ist zu simpel in einer komplexen Situation. Der Grund für ein solches Verhalten ist auch fehlendes Vertrauen, Fatalismus und der Eindruck des Unausweichlichen. Weltuntergangsstimmung und Party - das ist nichts Ungewöhnliches.

Alltägliche Begriffe wandeln ihre Farbladung. Viral gehen wird von blau zu rot. Viralle gehen viral. Das All wird Virall. Vir infizieren die Welt mit Informationen. Man kann berechnen, welche Informationsmenge der kosmische Ereignishorizont speichern kann. Bei Erreichen dieser Grenze ist die Shannon-Entropie für die Information gleich der thermodynamischen Entropie, etwa 10 hoch 100 Bit. Die Überschreitung dieser Grenze erzeugt einen Urknall. Ein neues Universum entsteht, bringt Beobachter hervor, die Informationen über dieses Universum speichern bis seine Speicherkapazität überschritten wird und so weiter. Jeder Urknall setzt intelligente Beobachter voraus und bringt erneut welche hervor. Wir befinden uns in einer Phase der Inflation von Information. Der Epidemie von Information. Wachsende Entropie. Je mehr Information erzeugt wird, desto verbo(r)gener wird sie. Die katastrophalen Folgen für die Wirtschaft. Ich checke die Börsenkurse von Netflix und Alphabeta. Sie steigen. Alles grün. KI und Streamingdienste passen hervorragend zu einer grenzenlosen sozialen Distanzierung und zur Abschaffung des Draußen. Serien als Familien- und Weltersatz für Alleinstehende. Falling Water. Mr. Robot. Vernetzte Träume. Dagegen träge Gesellschaften, die Corona ins Ungewisse beschleunigt. in Falling Water tragen Coroner Leichen über den Bildrand hinaus.

Gestern zuviel Absinth...

Die Älteren von uns - ich fröstele bei dem Gedanken `Ich auch` - erinnern sich an den autofreien Sonntag. Die Stille auf den Straßen. An Lasse Viren. Dann Tschernobyl, die unsichtbare Gefahr, die Furcht vor dem freien Himmel wie in der Erzählung `Die Farbe aus dem All`. Kann sich jemand ernsthaft Nicolas Cage in der Verfilmung vorstellen? Es ist zugig in den von Obdachlosen leergefegten (...wo sind sie?...) Fußgängerzonen der Stadt. Der Wind vergrößert die Reichweiten von Sporen. Von Pollen. Von Viren. Jemand niest. Heuschnupfen? COVIDeodrome? Super-G der Passanten, bei dem wir zugleich Slalomfahrer und Slalomstangen sind. Die Anderen sind nicht unsere Feinde, aber unsere Bedrohung. Bäcker weinen Quarantränen um ihre Ware, die in den Regalen bleibt. Morgens um Sieben war die Welt nicht in Ordnung. Voller Supermarkt, Kraterlandschaft der Regale. Die Versorgung ist sichergestellt, die Realität stellt sich anders dar. Beunruhigte Kunden fangen Lieferwagen ab, behindern die Auslieferung der Waren. Sie sollen Abstand halten, die Enge der Gänge und die Masse der Menschen lässt dies nicht zu. Man müsste den Verkauf dezentralisieren, das wäre anscheinend gegen den zentralistischen Zeitgeist. Wir stehen noch am Anfang.

Der Soziologe Johannes Weyer warnt vor einer Unterschätzung des Egoismus. 40% einer Gesellschaft seien \"rationale Egoisten\", die unbeirrt ihren Vorteil suchen egal wie groß die Krise ist. In Italien stellt man fest, dass 40% der Bevölkerung gegen die Ausgangssperre verstoßen. Das kann nicht funktionieren, denn die selben vierzig Prozent kehren in die geschlossenen Wohnungen zurück.

Ein Beitrag über das Impfstoff- und Medikamentemonopol Chinas. Eine Professorin: China braucht keine Atombombe um Europa zu zerstören. Es reicht wenn China nicht mehr liefert. Die Infrastruktur bliebe erhalten.

Wenn Kuba wirklich auf wirkungsvollen Medikamenten sitzt - droht dann eine Kubakrise mit umgekehrten Vorzeichen?

Toilettenpapier im Internet bestellt...nachdem mir in einem Tagtraum Tom Hanks im Supermarkt begegnete, der abgerissen und unrasiert mit gesenktem Blick vor einem geplünderten Regal stand. Hey, Major Tom, was geht? Es stellte sich heraus, dass er seit 20 Jahren in diesem Supermarkt lebt. Er war nur mal kurz rein gesprungen um Klopapier zu kaufen. Seitdem wartet er rund um die Uhr auf eine Lieferung Hakle feucht für empfindliche Haut. War das wirklich ein Traum?

Seltsam undramatischer Tag. Auf surreale Art und Weise angenehm entschleunigt. Selbst der Klimawandel macht Pause. Von Friday for Future nichts zu hören. Ist ja auch Samstag. Dem Shutdown folgt ein Calmdown. Atempause im Schützengraben, Schnee von gestern fällt auf Zedern. Aus einer Nachbarwohnung die Sex Pistols: No future. Die Welt erwartet den Einschlag Melancholias, die Dämmerung fühlt sich an, als ob die ganze Menschheit Frieden schließt weil niemand mehr etwas zu gewinnen hat. Ist zwar trügerisch, aber für den Moment erholsam. Vor dem geistigen Auge Viren als Gremlins aus 80er-Grippostad-Reklamen. David Cronenberg: \"Es muss Spaß machen ein Virus zu sein\".

Mit einem Freund telekommuniziere ich über die Frage: was ist die Matrix? Sind wir die Zukunft wie verdorbene Verstorbene sie sich erträumten? Mag sein...ich sehe in eine Zukunft nach meinem Tod, realer Totalitarismus, virtuelle Bewegungsfreiheit. Beunruhigende Muße. Die Intensivstation meines Schreibtischs macht mich rappelig. Je mehr Zeit ich habe, desto schlafloser bin ich, bis in meine Träume, in denen Raumzeit eine zähe Flüssigkeit ist, die mich lähmt und erstickt...eine raffinierte metrische Waffe. Trotz der medialen Waffenruhe läuft in den Tiefen meines cerebralen Blumenkohls ein Unruhe verbreitendes Programm. Wie ich sterbe: mitten in einer Serie. Wir verhungern während wir unterhalten werden. Wenn Neil Postman zweimal klingelt. Gibt es überhaupt noch Klingeltöne?

Endlich die Tagesschau aus dem Afd...ARD-Hauptstadtstudio. Vereidigung des slowakischen Parlaments mit Mundschutz. Keine falschen Versprechungen. Maulkorb. Einfach mal die Schnauze halten. Nachruf auf Kenny Rogers, kein Farewell für die namenlosen Toten in Bergamo, die eine Zahl sind. Was zuviel ist ist zuviel. Das Wetter.

Trump: zur rechten Zeit großkotzig wie immer. Lohnfortzahlung, mehr Arbeitslosengeld, Zuschüsse zur Krankenversicherung, kostenlose CoV-2-Tests, das ganze Programm des Sozialstaates, Staatsstreich von so weit rechts dass er von links kommt. Wenns schon sein muss (...Wahlkampf...), dann richtig dicke Hose und den Demokraten und der Welt zeigen auch Sozialstaat kann nur Trump richtig. Richtiges Handeln aus den falschen Motiven? Egal. Besser als umgekehrt. Und irgendwann landet die Kohle ohnehin wieder bei den Unternehmen und der Staat ist so pleite wie in der Simpsons-Episode, die Trumps Präsidentschaft vorwegnahm und so machtlos wie es seine Spindoctors (Roger Stone und die Grey Aliens, hihi) von vornherein wollten. Ganz gleich - es hilft vielen Menschen und das allein zählt.

Ich unterbreche nun den Monolog mit dem Zitat eines ukrainischen Politikers, der Sexismus und politischen Widerstand kombiniert: Opposition ist keine Menstruation - sie muss jeden Tag sein und nicht nur einmal im Monat. Good night and good luck.

 

3.

Im Frühstücksfernsehen stimmen Prominente das Publikum aufs Zuhausebleiben ein. Optimistische Gesänge aus weiträumigen, lichten Wohnzimmern. Einige fordern uns tatsächlich aus ihren Gärten auf uns selbst in Verwahrung zu nehmen. Den Vogel schießt Bono ab, der vor einem offenen Fenster mit Blick auf einen Traumstrand sein heiseres Liedchen trällert. Ansonsten suggeriert die Sendung, das ganze Land bestehe aus den Bilderbuchfamilien der Versicherungswerbung. Haus, Balkon, Garten, Kinder, Eltern in Teleheimarbeit. Gruselig, wenn wir Publikum des Kopfkinos von Entscheidern werden, denen wir Applaus spenden wenn sie uns entschlossen einsperren.

Ein Experte empfiehlt eine generelle, sofortige Ausgangssperre. Man sehe ja in Italien wohin das führe. Italien verhängte die Ausgangssperre und die Verhältnisse verschlimmerten sich. Ist man alleine mit dem Eindruck hier werden Tatsachen um 180 Grad verdreht? Die Frage, ob die Verhältnisse nicht sogar wegen der Aussperrung so desaströs ist wird nicht gestellt.

Führende Virologen wie Alexander Kekulè und Christian Droste sehen Ausgangssperren skeptisch bis kontraproduktiv. Es ist wie beim Klimawandel: man lädt Wissenschaftler als Experten zu Talkshows ein, hört ihre Warnungen und Vorschläge und macht es dann anders, vielleicht nicht nur anders, sondern falsch. Wo hält sich der Virus länger und wo ist die soziale Distanz schwieriger zu wahren? In geschlossenen Räumen oder im öffentlichen Raum, wo sich Viren und Menschen schneller verflüchtigen?

In Frankreich stimmt der Staatspräsident die Bevölkerung auf zahlreiche Tote ein wenn er behauptet: wir sind im Krieg. Falls die ergriffenen Maßnahmen nach hinten losgehen - die Entwicklung in Italien deutet darauf hin - liegt es eben daran, dass es im Krieg Opfer gibt und nicht etwa daran, dass die Maßnahmen schadeten, statt halfen.

Im Supermarkt \"Hamsterdam\" ist die Hölle los. Ein verzweifelter Kunde er\"kund\"igt sich: ich komme jeden Morgen hier hin und es gibt kein Toilettenpapier. Es ist 8 Uhr morgens, die Regale sind leer, die Gänge voller Menschen, die auf engem Raum Slalom umeinander fahren. Viele von ihnen kommen not(durft)gedrungen mehrfach am Tag. Soziale Distanz? Wie denn? Die Lieferkette umzukehren wäre das Gebot der Stunde. Nicht die Menschen sollten zu den Waren kommen, die Waren sollten zu den Menschen gebracht werden.

Taxen, die stundenlang auf ausbleibende Kunden warten, Geisterbusse und -bahnen, so leer, dass dort die Ansteckungsgefahr gleich null ist, Fahrschulen, die geschlossen sind, zahllose Erwerbstätige in der Gastronomie, im Einzelhandel und im Verkehr, die dringend Beschäftigung suchen -jede Menge Ressourcen die eine Bedarfsermittlung und Bedarfsdeckung kombiniert mit Beschäftigungssicherung im Sinne einer Lieferkettenumkehr ermöglichen. Stattdessen wird die Ausgangssperre dazu führen, dass die Reaktanz steigt (siehe Italien) und die Supermärkte zu Stätten der verdeckten Corona-Parties werden. Was gestern die Kneipe war, ist morgen ALDI.

Freier Virenverkehr folgt freiem Warenverkehr. Wut erzeugt in Wortspiele transformierte antikapitalistische Parolen. Diesen Tick hat Markus Söder zu verantworten, der grade die Ausgangssperre für den Freistaat Bayern verkündete. Ein ergriffener Entscheider ergriff entschlossen die falsche Maßnahme. Zwar kann aufgrund der Inkubationszeit von COVID19 (durchschnittlich 5-6 Tage) die derzeit aktuelle Infektionsrate in keinem kausalen Zusammenhang mit dem derzeitigen Verhalten der Bevölkerung stehen (die aktuelle Infektionsrate ist ebenso ein Bild in die Vergangenheit wie die Sternbilder am Firmament), aber der Umstand dass außer in tachyonischen Universen, die von der allgemeinen Relativitätstheorie nicht ausgeschlossen werden und in denen die Wirkung der Ursache voraneilt, Ursachen Zeit brauchen um Wirkungen zu zeitigen hinderte auch einen Journalisten bei der Pressekonferenz der Bundesregierung nicht daran, eine Abflachung der Infektionsrate in Frankreich auf die erst vor drei Tagen verkündete Kriegserklärung Macrons zurückzuführen und von Deutschland Gleiches zu fordern.

Im Detail dürfen nun Großfamilien orgelpfeifend die Waldwege verstopfen, während Alleinstehende endlich ihre Ruhe haben weil sie keine Freunde und Freundinnen besuchen dürfen. Oh, Du glückliches, konservatives Bayern. Hier ist die optimale Ausprägung der sozialen Distanz die Familie am Küchentisch.

Ich ertappe mich bei Zynismus: wenn es die jungen Menschen vergeigen warum nicht Alterskontrollen an den Hauseingängen? Trau keinem unter Dreißig (just kidding of course).

Wird einem inhaltlich soviel Unsinn und Widersprüchliches beschert und unterstellt man gleichzeitig absichtsvolles Handeln drängt sich ein paranoider Verdacht auf. Befinden wir uns in einem globalen Testlabor, in dem die Reaktion der Bevölkerung und Volkswirtschaft bei weit schlimmeren Seuchen getestet wird? Mit dem Klimawandel zieht in Folge der Erderwärmung die Langflügelfledermaus nach Norden. Europa, wir kommen! frohlockt der Ebola-Virus.

Was ist eigentlich mit Interferon alfa-2b? Glaubt man der taz vom 20.03.2020 (, Kubas Medizin\', von Knut Henkel), sowie einem Artikel von Marcel Kunzmann in amerika21 vom 18.03.2020 (Kuba: erster Coronafall in Havanna) wurde dieses retrovirale Medikament erfolgreich bei der Behandlung von COVID19-Patienten eingesetzt. Sollte man etwa aus ideologischen Gründen darauf verzichten auf dieses Medikament hinzuweisen, dessen Entwicklung auf eine Initiative Fidel Castros zurückging?

 

2.

Das Hamstern von Toilettenpapier ist ein Zeichen von Optimismus. Offenbar geht man davon aus, dass ein Engpass bei Lebensmitteln nicht entsteht. Die Amerikaner sind sich nicht sicher: sie hamstern Waffen (die Niederländer bunkern Gras, die Franzosen decken sich mit Rotwein und Kondomen ein, was aus meiner Sicht am besten zur Ausgangssperre passt. Außerdem horten sie Makronen.)

Werden wir mit Ausgangssperren belegt (und wer zweifelt daran?) werden zu unserer einzigen Realität Fernsehbilder und soziale Medien. Schon jetzt wird man den Eindruck nicht los es gebe nur gehorsamst sich isolierende Vernünftige, ergo verordnete Maßnahmen klaglos und kritiklos befolgende Bürger und verantwortungslose Corona-Säufer in Party-Stimmung, die Bilder dazu liefern Phönix, ZDF und ARD, die Botschaften dazu die Ministerpräsidenten. Älteren Menschen, die es wagen spazieren zu gehen wird unterstellt sie seien zu senil, um sich der Gefahr bewusst zu werden, in der sie schweben, dabei sind grade sie es, die sich im öffentlichen Raum verantwortungsvoll verhalten und Abstand wahren - wie die überwältigende Mehrheit der (wenigen) Menschen, denen man draußen begegnet. Wer die Wohnung verlässt ohne einzukaufen oder zur Arbeit zu gehen verhält sich unsolidarisch - selbst dann wenn er im öffentlichen Raum sehr viel besser Abstand wahren kann als in Supermärkten oder am Arbeitsplatz.

Rechtfertigt die zweifellos ernste Bedrohung durch COVID19 die drastische Einschränkung von Grundrechten einer demokratischen Gesellschaft? Selbst wenn - sind die beschlossenen und wohl zu erwartenden Maßnahmen zielführend? Oder verschlimmern sie gar die Bedrohung? Auffallend selten werden bei Pressekonferenzen diese Fragen gestellt, was alarmierend ist.

Man bereitet uns auf die Ausgangssperre vor, indem man uns die Schuld daran gibt, dass man sie verhängt. Man habe uns vor den Konsequenzen gewarnt, die ein Nichtbefolgen der Empfehlungen nach sich zieht. Es waren demnach von vornherein keine Empfehlungen, und man war nicht mehr frei - entweder, man verhält sich schon so wie bei einer Ausgangssperre, oder sie wird per Erlass verfügt. Wo ist da der Unterschied?

1.

Katastrophen kündigen sich an durch Ausbleiben.

Die Konferenz der Vögel findet nicht statt. Vertraute Geräusche wie das Zwitschern von Spatzen sind nicht mehr zu hören. Das Meer zieht sich vom Ufer zurück, das Rauschen der Brandung weicht der Stille vor dem Tod. Wir schauten zum wolkenlosen Himmel und es waren keine Kondensstreifen zu sehen.

Es folgten die leeren Stadien, die Quarantäne ganzer Länder, die Schließung der Kneipen, die letzten trotzigen Parties, mit denen die Ausgangssperren gerechtfertigt wurden und rasch das Verschwinden von Themen: das Sterben in Syrien, das Schicksal der Kinder im ewigen Eis der Auffanglager, die Misere der Obdachlosen, die kein Zuhause haben in dem sie sich kasernieren können und die hilflos in leere Mülleimer starren.

Die Leere die man zieht: die größten Arschlöcher produzieren die meiste Scheiße und hamstern Toilettenpapier.