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100 Seiten Einsamkeit

"Sich die Hände in Unschuld waschen schützt nicht vor Ansteckung."

 

...weiter gehts mit `Das Jahr des Ochsen`....

 

 

31. Dezember

Es ist der frühe Morgen des letzten Tages im Jahr. Voller Spannung und aufgeregt warte ich auf die Öffnung des Supermarktes und die letzte Neujahrsansprache der Kanzlerin, deren Text bereits vorab veröffentlicht wurde. Welche Rede hätte sie wohl ohne Corona gehalten? Erinnern wir uns zunächst an ihre prophetischen Worte zum Ende des Jahres 2019, die ähnlich zutreffend die Zukunft beschrieben wie das Geschwafel ihres Vorgängers über die blühenden Landschaften im Osten: 

„Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger,

heute Abend stehen wir nicht nur am Beginn eines neuen Jahres, sondern auch eines neuen Jahrzehnts. Ich bin überzeugt: Wir haben gute Gründe, zuversichtlich zu sein, dass die in wenigen Stunden beginnenden 20er Jahre des 21. Jahrhunderts gute Jahre werden können (…).“

(Neujahrsansprache von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel am 31. Dezember 2019)

...und nun die Neujahrsansprache zum 31.12.2020 von Angela Merkel ohne Pandemie, dafür mit ganz gewöhnlichen Katastrophen: 

`Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger

Wir alle stehen am Ende dieses Jahres noch immer unter dem Eindruck der schrecklichen Ereignisse bei den olympischen Sommerspielen in Tokyo. Der Giftgasanschlag, der tausende Zuschauer und zahlreiche Athleten das Leben kostete, ist nicht das erste Attentat, welches das friedliche Zusammenkommen von Völkern aus aller Welt bei olympischen Spielen zum Anlass nimmt, um unter den Augen der entsetzen Weltöffentlichkeit einen Exzess von Terror und Gewalt anzurichten. Doch die Dimension dieses Anschlages nahm ein für uns alle bislang unvorstellbares Ausmaß an, das selbst die fürchterlichen Anschläge auf die Twin Towers in New York in den Schatten stellt. Es ist jedoch nicht nur das Ausmaß des Anschlages, das uns entsetzt, sondern auch die Art und Weise seiner Durchführung. Nicht nur die Zerstörung von Leben war das Ziel der Attentäter, sondern ein möglichst qualvoller Tod der Opfer, und nicht nur das – auch ein langes Leiden der Überlebenden. Noch heute steht die Zahl der Opfer nicht fest. Viele in Mitleidenschaft gezogene Überlebende sind noch jetzt in ärztlicher Behandlung, für zu viele von ihnen und für ihre Angehörigen ist immer noch ungewiss ob und wenn ja in welcher Verfassung sie je wieder ins Leben zurückkehren.

Die geopolitischen Folgen dieses Angriffes auf die Menschlichkeit und auf das friedliche Zusammenleben der Völkergemeinschaft sind unabsehbar. Bedauerlicher Weise hat der Anschlag weltweit das Vertrauen in die Möglichkeit eines friedlichen Miteinanders der Kulturen und Völker dieser Welt nachhaltig erschüttert und das politische Klima zwischen Akteuren der Weltpolitik vergiftet, deren Kooperation auch bei der nach wie vor nicht abgeschlossenen Aufklärung der Hintergründe dieses abscheulichen Verbrechens dringend erforderlich wäre.

Leider stehen die Zeichen für eine Verbesserung der Verhältnisse zwischen den mächtigen Nationen dieser Welt nicht gut. Das brutale Vorgehen der chinesischen Regierung gegen die friedlichen Demonstranten in Hongkong mit zahlreichen Toten hat zu einer Verschärfung der ohnehin belasteten Beziehungen zwischen den USA und China geführt. Die Atommächte Russland und Nordkorea haben auf den Hinweis des wiedergewählten US-Präsidenten Trump, Langstreckenraketen mit Atomsprengköpfen seien nun auch auf Peking gerichtet, scharf reagiert. Man sei sich einig, China im Falle einer Aggression der USA mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu unterstützen. Seit der Kuba-Krise stand die Welt nicht mehr so nahe am Rande einer atomaren Auseinandersetzung.

Mit Sorge blicken wir auch in den Nahen Osten und die arabische Welt. Auch wenn die Beweislage für einen islamistischen Hintergrund der Anschläge in Tokyo nach wie vor erschreckend dünn ist und auch viele Muslime zu den Opfern der Anschläge gehören, erwiesen sich alle Aufrufe zur Besonnenheit als vergebens. Auch als Resultat zahlloser Bekennerschreiben aus dem Umfeld des islamischen Staates und der Taliban, deren logistische Fähigkeit zur Planung und Durchführung eines Attentates dieser Größenordnung von den meisten Terrorismusexperten angezweifelt wird kam es zu zahlreichen Raketenangriffen seitens der USA und Israel auf Ziele in Afghanistan, im Jemen, im Iran, im Irak und in Syrien. Umgekehrt stehen uns allen noch die Bilder der schlimmen Massaker an christlichen Minderheiten in den genannten Ländern und der zahlreichen Toten und Verletzten bei Anschlägen gegen amerikanische Botschaften auch in Europa vor Augen.  

Liebe Mitbürger und MitbürgerInnen, auch in Deutschland kam es zu brutalen Übergriffen auf Unterkünfte von Asylbewerbern, auf Moscheen und Minarette mit einer dreistelligen Zahl an Opfern. Gleiches gilt, und dies ist für Deutschland besonders beschämend, für Synagogen. Auch der Anschlag auf die Redaktion des Satire-Magazins Titanic hat uns alle bis ins Mark erschüttert. Mein Appell an Sie: lassen Sie sich nicht von Vorurteilen und Vorverurteilungen blenden. Helfen Sie mit unsere muslimischen und jüdischen Mitbürger ebenso zu schützen, wie diejenigen die unter gefährlichsten Umständen zu uns gekommen sind, weil sie unsere Hilfe suchen und hoffen, an einem Ort eine Heimat zu finden, an dem sie nicht von Krieg, Verfolgung, Hunger und Krankheit bedroht sind. Wirken sie mäßigend auf all diejenigen ein, die Sympathie für völkische Ideen hegen und der Propaganda und Volksverhetzung antisemitischer und fremdenfeindlicher Hetzer auf den Leim gehen. Sie kennen mich – ich hänge nicht an der Macht. Die wachsende Zustimmung für rechte Populisten in Europa und insbesondere für die AfD in Deutschland beunruhigt mich nicht aus machtpolitischen Gründen, sondern aus Sorge um unsere Demokratie. 2021 wird auch ein Jahr, in dem es darum geht, um die Demokratie zu kämpfen, nicht nur in Deutschland, sondern in Europa und der ganzen Welt.

Deutschland soll ein weltoffenes Land bleiben, eingebunden in die Wertegemeinschaft der Europäischen Union, die geforderter als je zuvor und gefährdeter als je zuvor ist. Eine gemeinsame europäische Außen- und Sicherheitspolitik ist angesichts der brandgefährlichen weltpolitischen Lage wichtiger denn je. Die Ankündigung des US-Präsidenten, den Austritt aus der NATO zu forcieren, wenn Deutschland nicht auf das Projekt Northstream2 verzichtet ist ernst zu nehmen. Wollen wir uns nicht dauerhaft erpressbar durch unseren ehemaligen Bündnispartner machen müssen wir – auch aus Gründen der Versorgungssicherheit – auf unsere staatliche Souveränität bestehen. Das bedeutet jedoch auch, dass wir in Fragen der Verteidigung und des Schutzes unserer Außengrenzen europäische Lösungen finden müssen – auch wenn weitere Länder einen Austritt aus der EU in Erwägung ziehen. Weltoffenheit und das Eintreten für Freiheit und Menschenrechte bedeutet aber auch, dass wir nicht länger dem Elend der Flüchtlinge tatenlos zusehen können. Spätestens die Brandkatastrophe auf Samos mit tausenden Toten und zahllosen Verletzten hat gezeigt, es ist Zeit massiv zu helfen ungeachtet der Frage ob alle anderen Europäischen Staaten mitziehen.

Als wären all diese verheerenden Entwicklungen nicht genug wurden Europa und auch Deutschland in diesem Sommer von zwei beispiellosen Hitzewellen getroffen, die zweite davon beunruhigender Weise im November mit Temperaturen bis zu 38 Grad. 10000de von Menschen fielen allein in Deutschland diesen Hitzewellen zum Opfer. Zahllose Waldbrände und die anhaltende Dürre vernichteten Tausende Hektar Wald. Die Ernteausfälle erreichen historische Dimensionen. Erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik war die Versorgung mit Wasser und Lebensmitteln nicht durchgehend im ganzen Bundesgebiet gewährleistet. Es ist umso beunruhigender, dass in anderen Ländern der EU die Entwicklung noch dramatischer war. Allein die Verachtfachung der Suizidrate unter den griechischen und italienischen Olivenbauern spricht Bände. Auch die leeren Regale im Weinhandel sprechen für sich.

Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen, trotz aller anderen Gefahrenherde einer Welt im Aufruhr erweist sich der Klimawandel als die akute Bedrohung für das Leib und Leben aller im 21. Jahrhundert, der wir uns mit aller Kraft entgegenstemmen müssen. Grade wenn Länder wie die USA sich aus internationalen Klimaschutzabkommen zurückziehen und die Gefahren des Klimawandels leugnen sollte Deutschland mit seiner Wirtschaftskraft, mit seinen innovativen Unternehmen, unter Einbeziehung der klugen Köpfe und engagierten Mitstreiter aus der Klimabewegung eine Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz einnehmen. Der Ausbau der blauen Wasserstoffenergie wird von dieser Regierung massiv vorangetrieben. Bei allen Katastrophen und allem Unglück, das uns dieses Jahr begleitet hat, ist festzustellen, dass 2020 wirtschaftlich ein gutes Jahr war. Der Export brummt, die Steuereinnahmen waren höher als erwartet, so dass viel Spielraum für Investitionen in klimafreundliche Technologien besteht. Investitionen in Technologie allein werden jedoch nicht reichen, um die bereits bestehenden negativen Folgen des Klimawandels zu bekämpfen. Ich meine damit nicht nur das Schmelzen der Polkappen und den Anstieg des Meeresspiegels durch die Erderwärmung. Ich meine auch Gefahren, die aus der zunehmenden Verdrängung von Tieren aus ihren natürlichen, angestammten Lebensräumen resultieren. Die Bill Gates-Stiftung hat eindringlich davor gewarnt, dieses Jahrzehnt könne das Jahrzehnt der Pandemien werden, wenn die Welt nichts dagegen unternimmt, dass Tiere mit für den Menschen gefährlichen Viren in immer engeren Kontakt zu uns kommen, weil ihnen durch Rodung und durch Veränderung der klimatischen Gegebenheiten ihr Habitat abhandenkommt. Klimaschutz und Atemschutz gehören zusammen – denn nicht immer werden wir das Glück haben, Ausbrüche wie den des SARS-COV2-Virus in China im Dezember 2019 rechtzeitig zu bemerken und einzudämmen. Umso mehr begrüße ich den Beschluss der Bundesregierung, in einer engen public private partnership mit der Bill- und Melinda-Gates Stiftung bei der Entwicklung von Impfstoffen für die ganze Welt zusammen zu arbeiten. Es sind eben nicht alle US-Amerikaner Leugner der Klimagefahren.

Liebe Mitbürger und Mitbürgerinnen, bei allen Hiobsbotschaften und Herausforderungen bleibe ich gleichwohl zuversichtlich und optimistisch. Die ungebrochene Konsumlaune der Deutschen zeigt, dass die allermeisten Deutschen diesen Optimismus teilen. Die hohe Spendenbereitschaft in diesem Jahr zeugt von der bemerkelswerten moralischen Qualität und Hilfsbereitschaft unserer Bevölkerung. Und gestatten Sie mir die Bemerkung: man muss nicht extrem wählen um unseren Ärmsten zu helfen.

Lassen Sie uns mit frischem Elan und hohem Anspruch auch in 2021 daran arbeiten, dass es Deutschland, Europa, der Welt besser geht und unsere Kinder eine gute Zukunft haben.

Wir schaffen das!

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und Ihren Familien ein gesundes, frohes und gesegnetes Jahr 2021. `

 

Der mainstream macht Pause, keine Morgenmagazine, phoenix ist nicht vor Ort. Da kann man sich die Zeit bis Mitternacht, in der es die Deutschen Silvesterprepper mit rechtzeitig vor dem Verkaufsverbot für Böller und Feuerwerkskörper in Atombunkern angelegten Vorräten von Knallkörpern krachen lassen, wie nie zuvor - wie bei Marihuana: der Handel ist verboten, der Verbrauch ist geduldet -, mit der Lektüren von Texten aus einigen (gemessen an der journalistischen Einbahnstraße der Öffentlich-Rechtlichen) abwegigen Quellen vertreiben. Gelegentlich auf Abwege zu geraten erweitert das Blickfeld. Zwar riskiert man damit, das Schlamassel in dem wir uns befinden im vollen Ausmaß zu sehen, aber immerhin kann man dann rechthaberisch fluchend den Bach runtergehen.

Suitbert Cechura stellt bei Telepolis in seinem Artikel `Seien Sie doch bitte vernünftig` die rhetorische Frage warum - wenn denn Frau Merkels Diktum vom 06.12.2020 im Tagesspiegel zutrifft: `Jeder Kontakt, der nicht stattfindet, ist gut für die Bekämpfung der Pandemie`- die Börse offen bleibt? `Sie trägt nichts zur Versorgung der Bevölkerung bei.` Die Antwort drängt sich auf: die Börse wird nicht geschlossen weil das schlecht für die Börse wäre.

Cechuras Kapitalismuskritik wird vielfältig kommentiert, ignoriert, relativiert und so weiter. Hohen Unterhaltungswert hat der Kommentar `Kalte Lötstelle im System`, der sich gegen die Tyrannei absoluter (Todes- und Infektions)zahlen wendet, die aus Sicht des Verfassers in Ermangelung einer Vergleichsgrundlage keinen Aussagewert haben , dafür jedoch eine hohe Schockwirkung haben. Um Zahlen bewerten zu können muss man sie - entgegen einer Aussage aus Cechuras Artikel zur `Relativierung von Gefahren` - relativieren, statt dem Absolutismus der hohen Zahl und der Steigerungsraten zu huldigen, die sich in Balkendiagrammen niederschlagen, die als tägliche Parade der Grabsteine und Gefallenen des virologischen Kriegs das MorgenGrauen bescheren. Man könnte, aber..."Man kann die Gesamtsterbezahlen der Virensaison vergleichen mit den Gesamtsterbezahlen der Virensaisons früherer Jahre`(...) `Zwar erlaubt dieser Vergleich keine coronaspezifischen Aussagen (...) aber an welchem der zahlreichen Grippeviren gestorben wurde, ist für die Einschätzung der epidemischen Situation und der Notwendigkeit, deshalb die Welt und unser Leben zu zerstören, schließlich egal und die Coronatoten, die es ja immer schon gab, sind in allen Gesamtsterbezahlen enthalten." Zieht man solche Vergleiche nicht, so der Verfasser, dann erfolgt dieses Unterlassen vorsätzlich. Nicht eine objektive Gefahren- und Folgeabschätzung steht im Fokus, sondern: "Terrorismus (also systematisches Verbreiten von Angst)`. Die Botschaft: `Habt Angst! Legt die ganze Welt in Schutt und Asche! Knebelt die Kinder! Hört auf zu atmen! Ein Ermächtigungsgesetz muss her! Wenn Kinder mit anderen Kindern spielen, töten sie ihre Oma. Lasst euch ein größtenteils ungetestetes Geheimserum in euren Körper spritzen! Datenschutz ist asozialer Egoismus! Sichtbar lächeln ist asozialer Egoismus! Lebensfreude ist asozialer Egoismus! Atmet statt freier Luft eure eigenen gerade eben ausgeatmeten Abgase wieder ein, aber durch eine schwülwarme Petrischale voller Bazillen, Viren und Pilzsporen hindurch! Wegen Gesundheitsvorsorge!" Warum betone ich den Unterhaltungswert statt die Qualität der Argumente?  Unterhaltsam ist, wie hier exemplarisch Sachargumente in den Dienst des gängigen im Furor der Empörung vorgetragenen Verschwörungsnarrativs gestellt werden. Der Autor kann oder mag nicht an sich halten und stellt bedenkenswerte Argumente in den Dienst eines Weltbildes, das er auch ohne diese Argumente hätte - das erinnert so an die AfD, dass es Realsatire ist. Gleichwohl: seine Feststellung, dass grade der Verzicht auf Relativierung als bewusste Unterschlagung gedeutet werden kann ist ebenso wenig pauschal von der Hand zu weisen, wie die Kapitalismuskritik von Cechura. Wenn Texte und Kommentare dieser Art dennoch wenig mehr als Unterhaltungswert haben liegt es daran, dass sie sich in ihrem aufklärerischen Pathos erschöpfen ohne dabei etwas zum Vorschein zu bringen, was nicht bereits vor der Pandemie galt: Kapitalismus tötet? Ja. Regierungen unterschlagen Fakten? Ja. Herauszuarbeiten was spezifisch an der aktuellen Situation ist und welche revolutionären Anforderungen sie stellt würde diese Artikel über das Niveau nuhrartiger Klugscheißerei hervorheben, die sich im Grunde nur darüber beklagt, dass der Alltag für die Systemkritiker derzeit so unbequem ist.  

Neu ist die Wettbewerbssituation zwischen dem Staatskapitalismus in einer Diktatur und der Allianz von Marktwirtschaft und Demokratie. Die Pandemie hat die Kräfteverhältnisse verschoben, weil der Wettbewerbserfolg in einer Währung gemessen wird, die Kurssprünge vergleichbar dem Börsenkurs von Lieferdiensten und Pharmaunternehmen verzeichnet: Schutz der Bevölkerung vor Infektion. Glaubt man Jakob Simmaneks Essay `Die kleine Antwort führt oft ins große Unglück`(ZEIT online, 30. 12. 2020) erweisen sich die europäischen Demokratien als nicht krisentauglich, denn: `Europa wollte trotz Pandemie auf nichts verzichten.` und betreibe `eine Politik, die Extremes unter allen Umständen vermeiden will`- wie etwa einen strikten lockdown für ganz Europa, den Einsatz von tracking-apps und Selbsttests etc. Man weigere sich das Ausmaß der Krise zu akzeptieren, sowohl in der Politik, als auch in der Gesellschaft und folgerichtig verweigere man sich der Einsicht in die Notwendigkeit radikaler Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Für Simmanek stehe Deutschland (stellvertretend für Europa) vor folgender (Wähler)entscheidung: `Entweder Deutschland entscheidet sich frank und frei - als offen zynisches Gemeinwesen - gegen den Schutz und für das Risiko. Oder Wählerinnen und Wähler formulieren auch vor dem Hintergrund individueller Covid-Erfahrungen der Politik gegenüber den klaren Anspruch, dass es ihr Job ist, das Realwerden existenzieller Krisen zu verhindern - on diese nun ihren Ausdruck in überfüllten Intensivstationen, traumatisierten Pflegern und Zehntausenden Toten finden, oder in einem Planeten, der in hohem Maße lebensfeindlich ist.` Abgesehen davon, dass eine solche Wählerentscheidung derzeit nicht ansteht, verkennt Simmanek, dass die von ihm gestellte Gretchenfrage längst beantwortet ist. Die Entscheidung für ein zynisches Gemeinwesen ist längst gefallen, schon lange vor der Pandemie. Schon vor der Pandemie waren die Schwächsten in der Gesellschaft am schlechtesten geschützt, hatte man das Gesundheitswesen kaputt gespart und die immer weiter auseinandergehende Wohlstandsschere akzeptiert und Krokodilstränen wegen menschenunwürdiger Lebensumstände von Flüchtlingen geweint. Womit wir einverstanden sind - die hohen Zustimmungsrasten für die derzeitige Krisenpolitik zeigen es - ist mit nach wie vor steigenden Opferzahlen in den Alten- und Pflegeheimen, mit dem unzureichenden Schutz der Vulnerablen und mit der Aufrechterhaltung weiter Teile des Arbeitslebens unter Inkaufnahme von Infektionsketten und Toden. Das ist der lange Marsch Europas durch die Pandemie: wir akzeptieren für das hohe Ziel der Aufrechterhaltung der Funktions- und Wettbewerbsfähigkeit von Demokratie und Marktwirtschaft höhere Todes- und Infektionszahlen. Hier erfolgt eine Umkehr der Vorgehensweisen: die Inkaufnahme von Opfern in der eigenen Bevölkerung für das unbeirrte Verfolgen des richtigen Wegs war bislang Kennzeichen von Diktaturen, nun sind es die Demokratien, die hohe Opferzahlen tolerieren als wollten sie auf diese Art und Weise die neue Währung `Infektionsschutz` durch eine Inflation von Toten und Moribunden entwerten. Die Bevölkerung macht mit, befolgt aus Bequemlichkeit mehr oder weniger die halbherzigen Corona-Regeln und wartet ab, wie der Impfstoff einschlägt, die große Ausrede dafür, alles beim Alten zu belassen und weiter so zu wirtschaften, wie bisher, inklusive der fortschreitenden Digitalisierung, die menschliche Arbeitskraft weiter verbilligt und früher oder später als Heilsbringer gegen den Klimawandel abgefeiert wird wie ein wirkungsloses, aber lukratives Wundermittel. 

Zu den Narrativen, die gleich einem Magnetfeld Gesellschaften in Hinsicht auf Grundannahmen polarisieren gehört es, man müsse in einer freien Gesellschaften Widersprüche aushalten, es gebe nicht nur Schwarz und Weiß, sondern auch Grau. Auf diese Weise erklärt man den Nebel zur Normalität, die Auflösung von Gegensätzen für müßig, Ungerechtigkeiten als hinzunehmende Konsequenz aus Widersprüchen, sich um Klarheit zu bemühen für Zeitverschwendung  und die Analyse gesellschaftlicher Zusammenhänge für überflüssig. Die Wissenschaft möge sich auf technische Verwertbarkeit konzentrieren, für das Verständnis sozialer und ökonomischer Zusammenhänge genügen Binsenweisheiten.

In letzterem unterscheiden sich Massengesellschaften gleich welcher Regierungsform nur marginal: Sie lassen sich mit einfachen Mitteln polarisieren, da sie im Gegensatz zu Individuen nicht komplex sind und Menschenmassen weder über ein Bewusstsein, noch eine ethische Dimension verfügen. In Ermangelung einer feststellbaren Identität, eines Bewusstseins, das Entscheidungen trifft ist die Masse so schuldunfähig wie Sand am Meer. Der Unfähigkeit zur Schuld entspricht die Unfähigkeit zur Verantwortung: dementsprechend irreführend ist es vom Willen des Volkes und der Entscheidung der Wähler zu sprechen, als kämen Volk und Wählerschaft in einer Demokratie Eigenschaften einer vernunftbegabten und entscheidungsfähigen Person zu. Der Souverän entscheidet unbewusst, frei von jeder Verantwortung, da er in Ermangelung eines Verantwortungsbewusstseins nicht zur Verantwortung gezogen werden kann.    

 

30. Dezember

Es steigen die Todeszahlen und die Lautstärke der anschwellenden Sündenbocksgesänge. Als neuestes Mitglied im Ensemble der Sündenböcke begrüßen wir die Wintertouristen, die Hänge herunterrodeln, Loipen bevölkern und mit Schneebällen soziale Distanz überbrücken - die Pistensäue als COVID-Säue sind die neueste Facette in einem schiefen Gesamtbild des Privatverhaltens unverantwortlicher Rüpel als alleinige Ursache vierstelliger Todeszahlen pro Tag. Es gehört zu den Widersprüchen, die wir aushalten sollen, dass man die Tagestouristen medienwirksam brandmarkt, die Daheimkinder jedoch ungeniert, ungestraft und fernab jeder Kritik auf allen Sportkanälen mit Werbung für Skiurlaube im Trentin traktieren darf. Den Menschen Tag für Tag Köder unter die Näschen zu reiben um sich anschließend darüber zu beklagen, wenn die Köder geschluckt werden ist wohlfeil. Denjenigen, die erlaubten Freizeitaktivitäten an der frischen Luft nachgehen sei gewünscht: Ski, Stau und Rodel gut. 

Bigotterie und Verdrängung sind unsere Weise der Resilienz gegen lästigen moralischen Druck, den das Not und Elend Dritter ausübt. Während in Deutschland über Privilegien für Geimpfte debattiert wird und man sich an dem unverantwortlichen Verhalten einiger Schneeulen abarbeitet, besteht der Wintersport der AbschreckungsgEiseln in den Flüchtlingscamps in Bosnien und Griechenland im Kampf ums buchstäblich nackte Überleben. Die Prioritäten sind klar: uns ist die Rückkehr in ein normales Leben deutlich wichtiger, als andere vorm Erfrieren zu bewahren, die froh wären überhaupt ein Leben zu haben und sicher bereitwillig ihr Leben ohne Obdach bei Minusgraden gegen unsere beheizte Depression eintauschen würden. Diese Prioritäten äußern sich unter anderem in den Themen der Umfragen. Die Frage: `Wären sie dafür, dass Deutschland alleine 10000 Flüchtlinge aufnimmt?`: Fehlanzeige bei Allensbach, Infratest/Dimap und Co, vielleicht auch, weil man die Umfrageergebnisse fürchtet, vor allem jedoch wohl wegen fehlendem öffentlichen Interesse. Statt uns mit Menschen zu identifizieren, die unserer Hilfe bedürfen, identifizieren wir uns lieber mit Sportlern und beschäftigen uns mit deren Erfolgen und Debakeln. 2200 Tote vor den Kanaren bringen uns nicht um den Schlaf - die vergebenen Matchdarts von Gabriel Clemens sind eine Tragödie, die uns nachts von geflügelten Impfspritzen träumen läßt.

   

29. Dezember

Das Impfen bereitet Kopfschmerzen noch bevor man geimpft wurde. Gravierende Nebenwirkung des triefenden Impfpathos, das aus allen Kanälen sickert. 

Krisengewinner der Woche: Kontaktlinsenhersteller. Zahllose Brillenträger steigen auf Kontaktlinsen um, weil beim Maskentragen unweigerlich die Brillengläser beschlagen. 

Hier eine Liste der Dinge, die einen nicht überraschen. 1. Von der Senkung der Mehrwertsteuer profitierten vor allem Großunternehmen wie amazon, während sie für den Einzelhandel zu zusätzlichen Belastungen führte, die aufgrund der mangelnden Konsum- und Shoppingbereitschaft der Kunden, denen die Senkung der Mehrwertsteuer ebenfalls keinen nennenswerten Vorteil verschaffte, nicht kompensiert werden konnten. 2. Michael Müller, regierender Oberbürgermeister von Berlin, behauptet man sei in der Pandemie mit dem Fahren auf Sicht gut gefahren. Fehlt noch, dass Herr Scheuer behauptet, man sei bisher beim Thema Maut gut gefahren. 3. Nach Coronaleugnern und Party-Jugendlichen steht der nächste Sündenbock bereits fest: Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen. Es sei, so Müller, nicht einsehbar, wenn einige wenige Impfgegner verhindern, dass die große Mehrheit der Impfwilligen wieder ein normales Leben führen. Spätestens, wenn der Impfstoff für alle zur Verfügung steht, wird die Herdenimmunität zur nationalen Pflicht. Falls der Gesetzgeber nicht die Impfpflicht beschließt wird genügen, dass Arbeitgeber auf die Impfung der Beschäftigten bestehen, ohne dass der Gesetzgeber sie darin hindert. Deutschland - ein Land der kleinen Nadelstiche.

Kneipensterben, Niedergang des Einzelhandels und der Kultur, Verödung der Innenstädte: Basis der Transformation zu einer sprunghaft verbesserten Volksgesundheit. Statt zu saufen, zu rauchen oder sich intellektuell selbst zu befriedigen soll das Volk Sport treiben. Die Innenstädte - ohnehin schon trostlos und hässlich - sollen veröden, damit man sie begrünen kann. An die Stelle der Geschäfte, Kneipen und Theater rücken Sportstätten, in denen genug Platz ist, um sich auf Abstand zu optimieren. Selbstverständlich sind dort Ausgabe und Ausschank alkoholischer Getränke verboten. Kulturelle Angebote werden virtuell unterbreitet, Einkäufe erledigt man online. Die Lebenserwartung steigt, das kulturelle und intellektuelle Niveau sinkt. 

Liebäugelt man mit der Transformation von Spaß- zu Gesundheitsgesellschaften muss man es mit der Bewältigung der Pandemie nicht übermäßig eilig haben. Je länger sie dauert, desto nachhaltiger gewöhnen sich die Menschen an den sozialen Abstand, das Joggen auf den Bürgersteigen, das tägliche sich Abstrampeln im Homeoffice, auf Heimtrainern, auf Radwegen um künstliche Seen wo einst Kohlehalden waren, an Masken, regelmäßige Impfungen, das Desinfizieren von Einkaufswagen, an einen auf Hygiene, Fitness und Vorsorge getrimmten Alltag. Schon bald wird man Kneipen, Theater und Demonstrationen nicht mehr vermissen. Es beginnt die Ära der Hypochondrie, das eingeseifte Zeitalter des Waschzwangs.

Die große Impfung beginnt, die große Schrumpfung der Welt hält an. Ein Thema, zwei Vehaltensregeln (Abstand, Kontaktbeschränkung), vier Gebote (AHA+L), vier Wände, ein Gemütszustand (Unbehagen). Zwei Fragen. Wie lange noch und was dann? 

 

28. Dezember

05:30. Morgenmagazin von ARD/ZDF. Sämtliche Moderatoren kündigen an: Wir lassen uns impfen. Es beginnt ein Jahr des gebührenfinanzierten Impfotainments in der öffentlich-rechtlichen Impfrastruktur. Wir sind nicht nur Sündenböcke für die Folgen der miesen Coronapolitik, wir berappen auch für die Öffentlich-Rechtliche Indoktrination. Wenn auch nicht ganz so viel wie geplant.   

Erinnern Sie sich? Zu Beginn der Pandemie wurde mitgeteilt: es darf keinen zweiten lockdown geben...einen zweiten lockdown können wir uns nicht leisten...das Schlimmste wäre ein Auf-und Ab von Infektionswellen und lockdown...es wird keine Impfpflicht geben. Geschwätz von gestern. Längst leistet man sich zweite lockdowns, Kanzler Kurz in Österreich rechnet bereits mit weiteren Infektionswellen und lockdowns, das was nicht sein sollte gerät zur Standardmethode, zwar hat niemand die Absicht eine Impfpflicht anzuordnen, aber mittlerweile schränkt der Impferator Jens Spahn ein: solange nicht alle geimpft werden können sind Privilegien für Geimpfte kein Thema. Wie kann sich - was vor Monaten ein NoGo war - zur Standardprozedur mausern? Man hat nun genügend Erfahrungen mit den Reaktionen der Bevölkerung gesammelt. Die Zustimmungsraten signalisieren, dass weite Teile der Bevölkerung die Richtungswechsel stur nachvollziehen ohne dass es zu nennenswerten Unruhen kommt. Also kann man auch weiterhin Großbetriebe arbeiten lassen, Infektionsherde in Kauf nehmen, die Alten sterben lassen, den Einzelhandel und die Gastronomie auch, die Kultur sowieso. Für die globale Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft sind lokale Geschäfte und Kneipen ohne Bedeutung. Im Gegensatz zu Konzernen können sie jederzeit rasch wiedereröffnet werden - wenn auch nicht von den selben Betreibern, die mittlerweile Hartz IV beziehen oder Essen und Viren frei Haus liefern.  NRW-Unternehmenspräsident Arnst G. Kirchhoff fasst zusammen worum es geht: `Die Industrie läuft ja Gott sei Dank.` Und die - nicht die Eckkneipe - entscheidet darüber, ob Burgerking weiter Peking sticht. 

Neue Disziplin im Rattenrennen: Vorabdiskriminierung. Noch sind die Rötungen an der Einstichstelle bei den ersten Gepieksten nicht abgeklungen, da wird schon lebhaft über Privilegien für die Geimpften debattiert. Wie Juristen anmerken, ist diese Debatte akademischer Natur - das Antidiskrimierungsgesetz greife lediglich bei Diskrimierung aufgrund von Rasse, Geschlecht und Religion. Diskrminierung wegen des Impfstatus geht in Ordnung. Man kann darauf wetten, dass der Gesetzgeber sich davor hütet, daran - was er könnte - etwas zu ändern. 

 

27. Dezember

Nicht einmal einen bequemen Suizid gestattet die pandemische Lage. Im Vergleich zu 2019 ist die Zahl der Selbstmorde rückläufig. Dies liegt vermutlich, so das Deutsche Ärzteblatt, nicht daran, dass home-office und sozialer Abstand dem Seelenheil förderlich sind, sondern daran, dass die Bedingungen für den Vollzug des finalen Aktes vergleichsweise unkomfortabel sind: `Dazu komme, dass während des allgemeinen Stillstands weniger Suizidmittel zur Verfügung gestanden hätten. Zum Beispiel seien weniger Züge gefahren und öffentliche Gebäude seien geschlossen gewesen.`(aerzteblatt.de, 8. Oktober 2020). Selbst der Freitod wird also durch die Freiheitsbeschränkungen in Mitleidenschaft gezogen.  

Nikolaus Blome wundert sich in seiner Kolumne `Miese Corona-Politik - Und wir Sündenböcke sagen auch noch Danke` (SPON; 21.12.2020) kopfschüttelnd darüber, wie gut die Strategie funktioniert, für die Folgen einer verfehlten Corona-Politik die von ihnen Betroffenen selbst verantwortlich zu machen: `Bei Corona machen die Politiker zusehends Fehler - aber die Bürger verantwortlich. Und die bedanken sich mit Zustimmung. Krass.` Nicht alles, was man bedauern mag ist verwunderlich. Honoriert wird mehrheitlich die Entschlossenheit eines Auftretens und die Entschiedenheit des Vortrags, nicht die Qualität der Entscheidungen und ihre Folgen; deswegen könnte (Könnjunktiv)  Armin Laschet so viel richtig machen wie er will und Jens Spahn oder Markus Söder können so viel falsch machen wie sie wollen - der Königspfad zur Akzeptanz ist ein konsequentes Vorgehen, auch wenn es in den Abgrund führt. Die Mehrheit wird in diesem Fall einer imaginierten Minderheit die Schuld geben, die dem Weg ins Desaster nicht folgen will. 

Betrachtet man Massengesellschaften als Aggregatszustand der conditio humana, so gleicht eine Massengesellschaft am ehesten Plasma: leitfähig und stark beiéinflussbar. Was Magnetfelder und Elektrizität bei physikaklischem Plasma leistet, leisten Propaganda, Webung und Agitation in Massengesellschaften. Lenkung, Beeinflussung, Polarisierung. Dabei hängt die Lenkungswirkung von der Stärke und Dauerhaftigkeit ab, mit der Kräfte entlang einer bestimmten Richtung wirken. Medien entsprechen den Magnetfeldern, deren Ausrichtung den Vektor bestimmt, der das Plasma orientiert. Auch das heißt: das Medium ist die Botschaft, der Inhalt ist variabel. Vom Inhalt hängt die Stärke der Wirkung nicht ab, er definiert als Code lediglich die Richtung der Wirkung. Soll das Plasma sich in eine bestimmte Richtung bewegen gilt: Wiederhole die immer gleiche Message auf allen Kanälen.

 

 

26. Dezember

Als Kinder haben wir noch gelacht über unsere grotesken Bilder in Zerrspiegeln, schnitten feixend Grimassen, haben uns ein wenig gegruselt. Nun sind wir Zerrspiegelbilder unserer selbst geworden. Wir blicken aus der Zerrspiegelwelt heraus neidisch zurück auf ein verblassendes Leben, das jenseits von uns weitergeht als wäre nichts geschehen.

Willkommen im impfernalischen, impfantilen, impfertinenten, impfamen, desimpformativen Zeitalter. Es lebe der Impferialismus.   

 

25. Dezember

Wachgeworden aus einem melodramatischen Traum, in dem ich Oliver Hardy war, der seine Frau und Stan Laurel verlassen und eine neue Familie gegründet hat. Reumütig, von Schuldgefühlen, Gewissensbissen und Heimweh geplagt und abgemagert verlässt er Heiligabend das Haus um seine alte Familie und Stan Laurel zu suchen und macht sich auf Richtung Antarktis. Vor innerer Kälte zitternd schrecke ich hoch und mache mich umgehend daran die Heizkörper zu entlüften. 

Beflügelt durch den - in der Wirklichkeit noch zu beweisenden - Erfolg bei der Entwicklung von Impfstoffen dank Pharmakonzernen, privaten und stattlichem Kapital setzen Konzerne ihren schon zuvor eingeschlagenen Weg fort, sich als religiöse Erst- und Letztinstanzen zu inszenieren. Dazu stellen Konzerne wie Google `Chief Innovation Evangelists` ein, die das Welterlösungsprofil der Konzerne schärfen sollen. Der Trend zum Heilsversprechen als Marketing-Strategie, von der Corporate Identity hin zur Sekte wird zusammengefasst als `purpose`. Jedes Unternehmen, dass in der ersten Liga spielen möchte muss sich selbst erhöhen durch ein großspuriges Versprechen an die Welt, denn, so der Chef des Kunststoffherstellers Covestro: `Ohne Purpose wären wir nur ein Chemieunternehmen`. Man wäre also nur das was man ist, und das ist zu wenig: `Wer international oben mitspielen will, muss die Welt retten` (Fabian Frese von der Werbeagentur Kolle Rebbe). Die Kirchen werden zunehmend unruhig. Nicht so sehr weil die Konzerne das klerikale Geschäftsmodell kopieren (Beute Sie aus und verspreche Erlösung von dem Leid, das Du selbst erzeugst), sondern weil sie den Religionen das Monopol auf Unsterblichkeit streitig machen: `Unternehmen wie Google und facebook forschen längst an der Verlängerung des Lebens in Richtung Unsterblichkeit.`(...) `Der Unternehmer Diamanidis würde selbst gerne 700 Jahre alt werden und sieht in der Langlebigkeit fast nur Vorteile - etwa den größten globalen Wirtschaftsboom aller Zeiten.` Beinahe ein wenig beruhigend, dass es den Managern selbst bei der Unsterblichkeit tatsächlich nur ums Geschäft geht (Quelle: David Böcking, `Glaube, Liebe, Umsatz`, SPON, 24.12.2020). Wer denkt, Diamanidis Utopie sei schrulliges Alleinstellungsmerkmal eines Exzentrikers, der lese das Buch von Ray Kurzweil `The Singularity is near`. 

Die Endlösung der Erlösungsfrage besteht für Tech-Konzerne nicht in der Rettung des Weltklimas, in der Beseitigung von Armut und Seuchen oder in der Verschrottung von Massenvernichtungswaffen, sondern in `Dataism`- in der `Überzeugung, dass sich mithilfe enormer Datenmengen nahezu jedes Problem lösen lässt - auch der Tod.` (ebd.) Mag auch der Planet vor die längst ausgerotteten Hunde gehen, solange der Mensch, das Leben, die Bank als jederzeit reproduzierbarer und auslesbarer Datensatz in der Cloud zwischengespeichert ist, kann einem die Apokalypse egal sein. Auch für die Erde wird es (Douglas Adams sah diese Entwicklung voraus, hielt sie aber nur für einen seiner Scherze) digitale, um die Fehler des Originals bereinigte Kopien geben, die durch regelmäßige Updates optimiert werden. Der Weltuntergang wäre aus der Google-Perspektive lediglich die überfällige Beseitigung der analogen Fehlerquellen. Wem diese Utopie entfernt geläufig erscheint mag im Religionsunterricht aufgepasst haben. Erinnert schon das Konzept der `Cloud` an den Himmel und das Versprechen der Unsterblichkeit in diesem (...wenn man denn brav war und treuer google-Kunde ist), so ist die Idee der Transformation des Menschen zu jederzeit reproduzierbaren und optimierbaren Skripten offensichtlich der Johannes-Offenbarung entlehnt: `Die Erde und der Himmel verschwinden. Das Buch des Lebens wird aufgeschlagen. Wer nicht im Buch des Lebens verzeichnet ist`(keine Sicherungskopie von sich in der Cloud gespeichert hat...) `wird in den Feuersee geworfen. Der Tod und sein Reich werden in den Feuersee geworfen. `(Johannes-Offenbarung, 20,11-15). Man kann sich denken, worin die größte Gefahr für das Big-Data-Elysium besteht: in einem Virus. 

Klassische Weltreligionen und Konzerne stehen in Konkurrenz zueinander. Während Christentum und Islam ihre gebeutelten Anhänger auf ein besseres Jenseits nach dem Tod vertrösten, arbeiten Konzerne mit enormem Aufwand an der Verdiesseitigung des süßen Jenseits - natürlich bleibt die Unsterblichkeit den zahlungskräftigen Kunden und den Hohepriestern der Konzerne vorbehalten. Das spiegelt lediglich die ohnehin schon bestehenden Diskrepanzen hinsichtlich der Lebenswartung wieder, die maßgeblich vom ökonomischen und sozialem Status abhängt. Um sich den zu erwartenden Unruhen zu entziehen, wird man dafür Sorge tragen Server extraterrestrisch zu positionieren, im Orbit, auf dem Mond, auf dem Mars. Elon Musks Raketen sind Fluchthelfer. Es versteht sich, dass für hartgesottene Pfaffen dieser Plan von der Abschaffung des Jenseits Teufelszeug ist. Verdiesseitigung das Jenseits, das ist wie Wasser, das von oben nach unten fließt Satans Werk. Was bedeutet schließlich Branding anderes als das Zeichen des Tiers? Aber, hey, if you cant beat them join them. Der eine oder andere Kinderfreund wird schon als CEE (Chief Executive Evangelist) in einem Tech-Konzern sein auskömmliches Einkommen finden. 

Ein weiteres Stratagem, das klerikale und kapitalistische Werbekampagnen verbindet ist der Verzicht auf Lüge. Das Erfolgsrezept von Werbung besteht nicht in der Lüge, sondern in der Übertreibung. Die Kirche lügt nicht, wenn sie ein besseres Leben im Jenseits verspricht, schließlich lässt sich ihre Behauptung nicht widerlegen. Ebenso wenig lügt Werbung, wenn sie die Segnungen von Produkten und Leistungen anpreist, sie übertreibt. Religionen und Werbeagenturen loten die Abgründe von Verlogenheit und Scheinheiligkeit aus, die weit mehr Spielräume eröffnen als glatte Lügen und Falschaussagen. Man muss nicht die blanke Unwahrheit sagen um Menschen hinters Licht zu führen. Dass jeder es schaffen kann ist nicht gelogen. Der Satz trifft keine Aussage über Wahrscheinlichkeiten.  

Auch die politisch Verantwortlichen greifen gerne zurück auf religiös inspirierte Strategien. Lag früher das Leiden der Menschheit an Sittenverfall, Verdorbenheit und Gottlosigkeit einiger Ketzer und Häretiker, liegt es nun an Impfgegnern und allen Kritikern von Maßnahmen der Exekutive, die unter dem Sammelbergriff `Corona-Leugner` der medialen Verdammnis anheim fallen.  

 

 

24. Dezember

Zu Heiligabend gibt es nichts Schnöderes und Phantasieloseres als Geldgeschenke. Der für seine Einfühlsamkeit und Sensibilität bekannte Verkehrtminister Scheuer verschickte daher Plätzchen an das Personal des Klinikums Passau, ein großzügiges Dankeschön für ein paar Überstunden, Triagen, das Eintüten der Verblichenen und als nette Risikozulage. Das undankbare Personal ließ die Plätzchen empört zurückgehen. Da hatte man sich doch tatsächlich Geld gewünscht.

Man beginnt alles mit dem lockdown in Beziehung zu setzen, auch die Inhalte von Filmen. Midnight Sky, ein dystopisches Rührstück, erzählt die Geschichte Augustines, des letzten Überlebenden einer globalen Klimakatastrophe, der auf einer Wetterstation in der Antarktis versucht Funkverbindung zu einer Mission aufzunehmen, die von einem von ihm entdeckten habitablen Jupitermond zur Erde zurückkehrt. Er will sie - bevor ihn selbst eine tödliche Krankheit dahinrafft - zur Umkehr bewegen. Einsamkeit, Verlassenheit und feindliche Umgebung wohin man blickt. Jemand stirbt bei einem Außeneinsatz im luftleeren Raum. Große Teile des Filmes befassen sich mit dem Überwinden von Funkstille zwischen weit voneinander entfernten Menschen, die Inseln sind. So fühlt man sich. Man sendet Funksignale ins Rauschen, ansonsten ist man mit sich alleine. Statt des Visiers eines Helmes klappe ich die Kapuze meines Hoodies hoch, begebe mich nach draußen in eine menschenleere, feindliche Umgebung um leichte Drogen und Getränke zu besorgen. 

Süchtig nach Seuche bin ich auf Nachrichten- und Talkshowentzug. Streiche ein e, suche die Seuche bei den Bezahlsendern. Fündig werde ich bei amazon prime. Dokuserie `Bild.Macht.Deutschland`. Das Corona-Jahr 2020, wie die BILD-Redaktion sie erlebte und erleben ließ. Kein Heroin, aber immerhin Methadon. Der interessanteste Rückblick des Jahres.

Ich liebe Geisterspiele - man hört Anweisungen von der Trainerbank, die wüsten Beleidigungen der Spieler, die Dialoge zwischen Schiedsrichtern und Schwalbenkönigen. Fußball unzensiert, direkt, ohne störende Fangesänge. Kann ruhig so bleiben.

Dass die Hardliner in Großbritannien selbst angesichts der dramatischen Lage der britischen Bevölkerung für den harten Brexit sind verwundert nicht, geht doch in der derzeitigen pandemischen Situation die Schere zwischen dem Vermögen einiger Superreicher und dem Rest der Bevölkerung noch weiter auseinander als zuvor. Eine weitere Verschärfung der volkswirtschaftlichen Lage wird die Angst um den Verlust des Arbeitsplatzes weiter erhöhen, Gewerkschaftspositionen weiter schwächen und Lohnkosten weiter senken. Goldgräberstimmung bei denjenigen, denen auf ihren Zweitwohnsitzen in der Karibik COVID gepflegt am Arsch vorbeigeht. Dass insgesamt derzeit die Börsenkurse steigen hat weniger mit der Hoffnung auf den Impfstoff zu tun, sondern mit der Erwartung höherer Gewinne mit niedrigerem Personaleinsatz durch weitere Digitalisierung und sinkende Lohnkosten. Ernsthafter Politischer Widerstand ist weit und breit nicht in Sicht, die Straße fällt als Bühne für organisierte Bewegungen auf unabsehbare Zeit aus, zudem treibt die Pandemie den Trend zur Vereinzelung weiter voran, den Digitalisierung und Globalisierung ohnehin schon forcieren. Social Distance beherrschte schon vor Corona die sozialen Medien, die zu Foren individueller Empörung und Stänkerei wurden: Shitstorms sind keine politische Bewegung, das world wide web ist ein Blitzableiter, an dem sich Wut und Zorn entladen bevor sie zu einer politischen Kraft akkumulieren. Auseinandersetzung bedeutet in den unsozialen Netzwerken, bei hatebook und Zwitter, sich auseinander zu setzen, statt im Diskurs Lösungen und gemeinsame Nenner herauszuarbeiten.  Eine perfekte Welt für Geldaristokratie und deren politische Vasallen: Pandemie und Internet befördern soziale Distanz, Solidarität wird umgedeutet in das Voneinander Fernhalten, Teilen und Herrschen funktioniert als Zerstreuen und Herrschen, das Kapital kann sich dann auch noch durch Finanzierung der Impfstoffe als Heilsbringer aufspielen, dessen Impfmäzenatentum Kritiker verstummen lässt. Auch in Zukunft wird das Gesundheitswesen privatisiert bleiben und werden Bildungseinrichtungen abhängig von privatem Kapital sein, das Schulen und Universitäten zu Kaderschmieden umfunktioniert, in denen menschliche Destillate herausgefiltert werden, die strategische Positionen innerhalb der Gesellschaft ideologisch konform besetzen: Richter, Staatsanwälte, Politiker, Wissenschaftler etc. Zudem noch die Billionen, die zu Lasten kommender Generationen staatlich locker gemacht werden und den hermetischen Zyklus von Kapital auf den Finanzmärkten weiter speisen. Grandiose Zukunftsaussichten, Kriege nicht ausgeschlossen. Wut und Entbehrungen der Minderbemittelten werden sich einfache Feindbilder suchen, denn - wie Neurowissenschaftler es ausdrücken - das Gehirn vermeidet Anstrengungen. Fremdenhass ist einfach und unmittelbar in Aktion umzumünzen, Nationalismus hat eine größere identitätsstiftende Breitenwirkung als der Windmühlenkampf gegen Armut, Ungerechtigkeit und deren Ursprünge und Profiteure.   

Dass die EU alles in die Waagschale wirft, um Großbritannien keine Zugeständnisse machen zu müssen ist evident. Kommen die Briten zu gut bei den Verhandlungen weg, kann man den Laden dicht machen: davor jedoch hätten selbst die Kapitalisten Respekt. Dann nämlich könnten China den Laden für einen Apple und nen ipad kaufen. Wer nach Gründen sucht, warum staatlich wenig bis gar nichts für Obdachlose, Hilflose, Arme, Prekäre und sie unterstützende Hilfsorganisationen investiert wird, dafür aber Konzerne wie die Lufthansa, die ihr Personal abbauen, mit Milliardenbeträgen gepimpt werden, der wird fündig bei der vor Jahrzehnten politisch inkorrekt so bezeichneten `Gelben Gefahr` und der `Gewollten Armut`. Kein Wunder, dass Wuhan feiert (siehe WAZ von heute: `Wuhan feiert wieder` von Sebastian Kretschmer).  

Folgende rhetorische Frage von `Epilog` aus dem Tagesschau-Forum verdient es hervorgehoben zu werden, weil sie eine treffende Antwort auf die Frage gibt, warum Solidarität gewünscht wird, aber Polarisierung der Gesellschaft die Realität ist: `Wundert es wirklich jemanden, dass in einem Jahr mit buchstäblicher Berührungslosigkeit auch die innere Berührungslosigkeit zunahm und Feindseligkeiten ausbrachen, die mit dem Rückzug in die eigene Blase noch stärker wurden`? Nein, das sollte einen nicht wundern. Wie der Kommentar treffend bemerkt entstand die soziale Entkoppelung nicht durch Corona, sie nimmt lediglich zusätzlich an Fahrt auf. 

 

23. Dezember

Im MoMa beklagt sich eine Unternehmer, der Feuerwerkskörper verkauft, man sei vom Böllerverbot überrascht, kalt erwischt, überrumpelt worden. Entweder (wenig wahrscheinlich) der Mann hat bis eben noch in der Parallelwelt gelebt, in der mein glückliches Ich ein Leben führt, in dem Corona nur der Markenname diverser Staubsauger ist und man es an Silvester ordentlich krachen lässt, oder (sehr wahrscheinlich) da heult jemand Krokodilstränen, der den entgangenen Umsatz 2:1 ersetzt bekommen möchte. Dabei trägt er so operettenhaft dick auf wie der Abwehrspieler eines Bundesligaclubs, der den gefoulten Angreifer mit dem offenen Schienbeinbruch überhaupt nicht berührt haben will.

Corona beflügelt die kriminelle Phantasie. Jetzt, wo alle zu Hause bleiben, floriert der Online-Diebstahl namens Phishing. Von diversen gehackten Privatnummern aus werden per Bot virtuelle Telefonnummern angewählt (man beruft sich dabei auf das Wählrecht). Ein Rückruf bestätigt, dass die Telefonnummern ist und verschafft den Phishern Zugang zu den Handydaten des Rückrufers. Dagegen hilft laut Auskunft einer Technikhotline nur ein neues Handy mit einer neuen Telefonnummer. Nichts einfacher als das. Einfach kurz beim T-Shop reinhuschen...äh...ach so...

Auch die Krankenhäuser lassen sich nicht lumpen, was die Geschäftstüchtigkeit in schweren Zeiten betrifft. Offenbar übertreiben es diverse Krankenhäuser bei den Angaben dazu, wie viele Intensivbetten sie noch zur Verfügung haben. Immerhin kann man pro bereitgestelltem Intensivbett mit 50.000 € stattlicher Förderung rechnen. Auch in einem kranken System kann man sich gesundstoßen.   

Kriminalität die nur auf Profit aus ist wenig ambitioniert. Der eigentliche Reiz des kriminellen Handelns besteht grade in Zeiten rigoroser Freiheitsbeschränkungen im Ausleben des Freiheitsdranges. Da man ein Schisser ist begnügt man sich mit geringfügigen Ordnungswidrigkeiten und überquert ab und zu bei Rot eine Straße. 

 

22. Dezember

"Es ist nicht so, dass man das Haus nicht verlassen darf. Es wird einem lediglich davon abgeraten. Man weiß ja nicht, welche Krankheiten die Mistviecher übertragen. Zu früh, das zu sagen. Habe aber sowieso kein Interesse an Stippvisiten, nach denen man aussieht als hätte man die Beulenpest. Die Schwärme sind so dicht und allgegenwärtig, dass die Sonnenuntergänge die Schönheit von Bildstörung haben, ein schwarzes Hintergrundrauschen, das sich in den Vordergrund drängt. Man hört es die ganze Zeit, Tag und Nacht, wie einen eingeschalteten Fernseher auf minimaler Lautstärke, ein altes Gerät auf Röhrenbasis, das zwischen den Frequenzen die kosmische Hintergrundstrahlung wiedergibt. Ein Geräusch wie ein sehr ferner Wasserfall oder unaufhörlich rieselnder Sand in der Uhr des Lebens. Könnte wirklich Fernsehen, habe aber keine Lust dazu. Ich durchstöbere das Regal mit Büchern, die Gäste aus aller Welt hier hinterließen. Darunter ein neu aussehendes, deutsches Taschenbuch. Wolfgang Komm, Der Idiot des Hauses, nie gehört, ist ja auch kein Hörbuch. Die Geschichte eines Mannes, der beschließt sein Haus nicht mehr zu verlassen. Wie passend. Ich kann gar nicht mehr aufhören zu lesen, merke nicht dass ich über der Lektüre wegdämmere, unmerklich die Grenze überschreite ab der Lesen zu Leben wird."

Die Infektionszahlen steigen, das Virus mutiert, Professor Wieler bleibt sich treu, die Frisur felsenfest wie nach einer Rosskur mit Dreiwettertaft, die Stimme brüchig wie AHA und jäh, die Appelle dringlicher. Kontakte reduzieren, auf Abstand gehen in der Hausgemeinschaft, Weihnachten in der Blase, und innerhalb der Blase auf Distanz. Die Supermärkte füllen sich im selben (Kon)Takt wie die Intensivbetten, den Alten- und Pflegeheimen gehen Personal und Leichensäcke aus. Die Dramatik der Mahnungen lässt sich nicht mehr steigern, deren Wirksamkeit auch nicht. Auf der Pressekonferenz des RKI werden eher bange, als kritische Nachfragen gestellt. Wieso steigen trotz lockdown light und nun lockdown strong nach wie vor die Infektionszahlen und die Inzidenz insbesondere in Alten- und Pflegeheimen? Hilft der Impfstoff auch bei mutierten Varianten? Professor Wieler ist ehrlich genug um einzuräumen letzteres sei nicht ausgeschlossen und er fügt hinzu, dass mit der Weiterverbreitungsrate sich auch die Mutationsrate  beschleunigt erhöht. Auf ersteres antwortet er nicht, da er die Antwort nicht kennt und wiederholt seine Appelle. Ob dies nutzt ist zweifelhaft. Kurz vor Weihnachten eine Pressekonferenz mit Hiobsbotschaften zu geben ist ein verständlicher Akt der Verzweiflung, melodramatisch wie die vergeblichen Warnungen von Angela Merkel, die der Zeit der Ministerpräsidenten voraus waren. Weihnachten wird aus einfachem Grund trotz allem ein Fest der Kontakte werden, denn es ist ein Fest der oft zwanghaften familiären Harmonie. Innerhalb des familiären Gefüges, auch zwischen Partnern wird es eher die Ausnahme, als die Regel sein Konflikte auszutragen, die sich um das Kontaktverhalten des Partners und der Familienmitglieder drehen. Der Partner oder die Partnerin besucht eine Freundin oder einen Freund. Wie groß wird der Anteil derjenigen Partner sein, die sagen tu das, aber dann werden wir 5 Tage - also auch über die Feiertage - getrennte Wege gehen? Wer weist an Heiligabend eine Umarmung brüsk zurück? Das Konfliktpotential, das sich um unterschiedliche Risikoabwägungen im kleinen sozialen Kreis aufbaut wird in weiten Teilen der Bevölkerung unterdrückt werden, weil viele Vorsichtige gleichwohl lieber ein Infektionsrisiko in Kauf nehmen, als einen schiefen Haussegen. Schon das wird nach Dafürhalten des Verfassers die Infektionszahlen in die Höhe treiben.

Wie stehts mit dem Sexualverhalten? Dating-Plattformen wie Tinder und Knuddels registrieren laut rtl.de ("Online-Dating boomt in der Corona-Zeit", 20.11.2020) Zuwachsraten von bis zu 30%. Glaubt jemand im Ernst, dass all die kumulierte Geilheit und Sehnsucht nach Kontakt sich ausschließlich online austobt? 

Es wird schlimmer, bevor es besser wird - 5 Euro ins Corona-Phrasenschwein - , niemand weiß wann und ob. Licht am Ende des Tunnels zu sehen nützt wenig ohne zu wissen wie lang der Tunnel ist, dementsprechend werden viele ihr Leben nicht bis auf weiteres aufschieben und sowohl eigene Infektionsrisiken als auch die Ansteckungsgefahr für andere in Kauf nehmen.

Ein Tipp: meiden Sie bis auf weiteres Aufzüge (zum Thema Ansteckungsgefahr in Aufzügen sei die Lektüre des Artikels "Wie gefährlich ist Fahrstuhlfahren in der Pandemie?" von Sandra Simonsen, t-online.de vom 05.10.2020 empfohlen). Grade in Zeiten des Online-Einkaufs, der eine höhere Auslastung von Aufzügen durch Lieferpersonal mit sich bringt, das weit herum kommt ist Treppensteigen der sicherere Weg, der gut für Herz und Kreislauf ist. 

Passend zu Zeitgeist, Jahreszeit und wachsender Zahl an COVID-Toten landet in den Briefkästen Dialogpost von Direktversicherungen, die für den Abschluss von Sterbeversicherungen werben. So folgerichtig wie perfide und geschmacklos. 

 

 

21. Dezember

Henrik Müllers Jahresbilanz `Wie das Virus die Welt verändert`(Spiegel Online, 20.12.2021) gewinnt der Pandemie vieles aus seiner Sicht Positives ab: `Dies ist eine Basiserfahrung des Jahres 2020: Technologischer Fortschritt ist möglich und nützlich. Und er lässt sich durch privates Unternehmertum und Kapital enorm beschleunigen.`(...) `Der Staat als Akteur der letzten Zuflucht ist zurück im Spiel.` Zwar räumt er ein: `Staatliche Übergriffigkeit und Überregulierung werden in den kommenden Jahren die öffentlichen Debatten prägen`, fügt dann aber hinzu: `Rolle und Funktion werden neu ausgehandelt`. Fragt sich zwischen welchen Vertragsparteien, wenn der technisch-kapitalistische Komplex als einziger Erlöser aus Miseren deren Entstehung er beförderte akzeptiert wird. Anzunehmen die Verhandlung erfolge zwischen Souverän und Staat ist übertrieben optimistisch bis bewusst irreführend. Wenn es denn eine gute Nachricht sein sollte, dass die Macht der Staaten und der Staatenbünde ebenso gestärkt wird wie die Allianz aus Kapital, freiem Unternehmertum und Forschung fragt sich, wieso es schon vor der Pandemie so vielen Menschen unter der Herrschaft dieses trilateralen Bündnisses schlecht ging und es ihnen jetzt noch schlechter geht. Müller sieht im gewachsenen Zutrauen in Wissenschaft und staatliche Institutionen eine Renaissance der Aufklärung: `Die Moderne lässt sich verstehen als Großprojekt gegen die Unsicherheit. Wenn es gut läuft, bewirkt die Coronakrise eine Rückbesinnung auf aufklärerische Tugenden. Wenn es schlecht läuft...Aber warum sollten die Jahre ab 2021 nicht viel besser werden als 2020?` Milliarden Menschen könnten ihm darauf zahlreiche Antworten geben - sofern sie noch lebten und man sie hören würde.   

Würde technischer Fortschritt sozialen Fortschritt bedeuten dürfte es (z.B.) in den USA weder die Todesstrafe, noch Armut, noch Rassismus geben. In welchem Missverhältnis technisches und soziales Niveau stehen können zeigt auf märchenhafte Art und Weise der Star Wars Mythos. High Tech trifft auf monarchistische Herrschaftsstrukturen. Futuristische Technologie auf archaischen Manichäismus. Die Popularität des Mythos ist nicht nur in gewisser Weise beängstigend, die Divergenz technischer Progression und sozialer Regression wird in der Pandemie besonders sichtbar. Während in Windeseile Knowhow und Kapital von staatlicher und privater Seite mit Hilfe von Gentechnologie einen Impfstoff produzieren wird die Krise voraussichtlich 50 Millionen weitere Menschen in Hungersnöte bringen, die Rolle der Frau in der Gesellschaft wird geschätzt um Jahrzehnte zurückgeworfen - hätte es diese Ungleichheiten vorher nicht schon gegeben, würden sie sich jetzt nicht derart vertiefen. Es ist nicht zu erkennen, dass die Entwicklung demnächst in eine andere Richtung erfolgt.

Es handelt sich bei der Diskrepanz von technologischem und sozialem Standard um einen Scheinwiderspruch. Hochentwickelte Technik verrät weder etwas über den Bildungsstand einer Bevölkerung noch über das ethische Niveau einer Gesellschaft. Technologische Entwicklung folgt ökonomischen und machtpolitischen Interessen ebenso wie die Ausgestaltung eines Bildungssystems. Ist eine Bevölkerung in der Breite zu gebildet, steigen Ansprüche an Lebensqualität und Selbstverwirklichung ebenso, wie die Bereitschaft und Fähigkeit zu Widerspruch und organisiertem Wiederstand. In dem 1975 unter anderen von Samuel Phillips Huntington (`Clash of Civilizations`) für die Trilateral Commission verfassten Bericht "The Crisis of Democracy: On the Governability of Democracy" kommen die Autoren zu dem Schluss, dass "Exzesse der Demokratie die Regierbarkeit demokratischer Systeme gefährden" und führen diese `Gefahr`, die sich in Friedensbewegungen, Studentenrevolten und Bürgerrechtsbewegungen manifestiert, vor allem auf eine zu hohe Qualität des Bildungswesens für die Allgemeinheit z.B. in den USA, Europa und Japan zurück. Ein Rezept gegen diese Gefahr besteht in einer Veränderung der Zielsetzung des Bildungs- und Erziehungswesens - weg vom Ideal des frei seine Fähigkeiten entwickelnden Individuums und der gezielten Förderung von Schwächeren hin zu einem zielorientierten Bildungs- und Erziehungswesens, das die Werte der herrschenden Ideologie vermittelt, Schulen und Universitäten in Stätten des Wettbewerbs transformiert, Elitenförderungen betreibt (während z.B. in den 70er Jahren die Förderung lernbenachteiligter Schüler im Fokus stand, steht mittlerweile die Förderung Hochbegabter im Vordergrund), Wissen vermittelt, das im Sinne der vorherrschenden ökonomischen und herrschaftlichen Interessen verwertet werden kann und nicht zuletzt einem Großteil der Schüler und Studenten als Vorbereitung auf das Berufsleben beibringt Langeweile zu ertragen. Zu dieser These gelangen jedenfalls der Autor der Dokumentation `The Lottery of Birth`, die Kapitalismuskritik ausgerechnet auf dem Bezahlsender amazon prime betreibt (nur folgerichtig vermarktet Kapitalismus auch seine Selbstkritik). Gefordert ist Konformität und Kritiklosigkeit - sowohl von den Eliten, die als hochspezialisierte Experten das Große Ganze vorantreiben und nicht hinterfragen sollen - Techniker in der Fabrikation von Kernwaffen wurden gefragt was ihr größtes Problem mit ihrer Tätigkeit sei, und sie antworteten mitnichten, dass beim Bau von Massenvernichtungswaffen mithelfen, die die Menschheit vernichten können, sondern dass ihre Computer zu langsam seien - als auch von den Heerscharen der Erwerbstätigkeiten, die unabhängig von deren Zweckbestimmung den Wert ihrer Arbeit im Erfüllen ihrer Arbeitsanweisung sehen sollen. Nicht einmal Stalin, so eine Äußerung im Film, habe seinen Untergebenen vorgegeben wie oft sie zur Toilette dürfen. In der Arbeitswelt hat man derartige Gängeleien und Kontrollen hinzunehmen, als sei die Abwesenheit von Selbstbestimmung ein Naturgesetz wie das Altern. Zu ertragen sei dies durch den als Stockholm-Syndrom bekannten psychologischen Mechanismus, sich als Opfer mit den Zielen der Täter zu identifizieren, um Bestrafungen und Gefahr zu erkennen - Basis des innerbetrieblichen Leistungsdrucks und der Corporate Identity, mit der man sich zu infizieren hat. Liegt der Film mit seiner Betrachtungsweise des Zusammenwirkens von Macht- und Kapitalinteressen, technischer Entwicklung und social engineering auch nur ansatzweise richtig, dann ist der von Henrik Müller, aber auch von Frau Merkel, Herrn Spahn, Boris Johnson etc. vielzitierte Triumph der Kooperation von Kapital und Forschung bei der Impfstoffentwicklung ein Meilenstein auf dem Weg zu disziplinierten Gesellschaften, die akzeptieren, dass die Gefahr für die Demokratie in der Demokratie besteht. Kritik an Regierungskursen wird durchaus erlaubt und erwünscht bleiben: wenn dies den Einschaltquoten dient, die Kritiker als qualifiziert und renommiert erachtet werden und die Kritik im Dienste der Verbesserung der Regierungsarbeit steht, ohne grundsätzlicher oder gar zersetzender Natur zu sein.

Verfolgt man (z.B. heute) das klägliche Auftreten der Sprecher der Bundesregierung bei der Bundespressekonferenz, erkennt man ein Schema: die Pressefreiheit besteht darin, dass die Journalisten fragen dürfen was sie wollen, die Freiheit der Regierung besteht darin nicht zu antworten, zu schweigen oder an der Sache vorbei zu antworten. So kann man auch verdeutlichen, wie wichtig Presse- und Meinungsfreiheit als Grundpfeiler der Demokratie genommen werden. Auf die Frage, was man vor Weihnachten plane um den Schutz der Bewohner von Pflege- und Seniorenheimen besser zu schützen empörten sich die Sprecher, es stimme nicht, dass man in der Vergangenheit nichts unternommen habe. Erstens bezog sich die Frage nicht auf die Vergangenheit, zweitens enthielt sie keine Unterstellung, drittens gab die Regierung auf die nochmalige Nachfrage gar keine Antwort mehr und hüllte sich in Schweigen. Meinungsfreiheit und Pressefreiheit sind hohe Güter, ohne Wirkung gleichwohl eine Währung ohne Wert.  

Einsam wie ein Leuchtturm für ein Meer ohne Schiffe. So fühlt sich das an. Lockdown als Single ohne Führerschein. Man kann nirgendwo hin, zu niemandem. Draußen: The Forbidden Planet. Finster zum Hof. Mit Ausnahme eines Fensters hinter dem immer Licht ist, jede Nacht, egal um welche Uhrzeit. Deine Welt im Spiegel und wenn Du das Licht in der Küche löschst geht im selben Augenblick das Licht hinter dem Fenster gegenüber auch aus, als sei das Universum ein Spiegel. Also löschst Du das Licht nicht und überlegst, ob Du die Polizei benachrichtigst. Ist doch nicht normal, dass da jede Nacht Licht brennt.  

Wieso bist Du überhaupt wach? Schreckte aus einem Traum hoch, in dem ich mich in einem engen, schlecht belüfteten Club wiederfand. Eine verschwitzte, nach Salz riechende Freundin umarmte mich. Schrecke hoch mit nur einem Gedanken im Kopf. Kann man sich durch Kontakte in einem Traum mit Corona infizieren? Ist das Virus derart ansteckend?

 

20. Dezember

Wahrheit ist ein zu hohes Gut, um es jedem zuzugestehen. Man schenkt ja auch nicht jedem X-Beliebigen reinen Wein ein, der nur Schorle verträgt. Öffentlich begründet Gesundheitsminister Spahn den Verzicht auf die Notfallzulassung für Impfstoffe mit der höheren Gründlichkeit der Unbedenklichkeitsprüfung. Da es um die Schaffung von Vertrauen in der Bevölkerung gehe gilt - schnick schnack schnuck - Akribie schlägt Schnelligkeit. Wie fadenscheinig diese Begründung ist zeigt die Reaktion auf Nachfragen, worin denn die größere Prüfungstiefe durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) bestehe. Die vage und für Jens Spahn erstaunlich wortkarge Antwort: Sie prüfe die bestehende Datenlage etwas tiefer. Mit anderen Worten: die EMA liest ein paar Tage länger Gutachten und Auswertungen, was wohl kaum die Tode rechtfertigen würde, die dieser Verzögerung geschuldet sind. Den wichtigeren Grund verschweigt man nicht, spricht ihn aber ungern aus oder bezeichnet ihn, wie der Europa-Abgeordnete Liese, als Bagatelle: `Auf einen interessanten Nebenaspekt bei der Notfallzulassung weist der Europa-Abgeordnete Liese hin: Dabei falle das Haftungsrisiko an den Staat, der die Zulassung ausspricht. Für die bedingte Zulassung, über die jetzt die EMA entscheidet, bleibe das Risiko - wie üblich - bei den Pharmaunternehmen.`(dw.com, `Corona-Impfungen in der EU voraussichtlich ab Januar`, 01.12.2020). Umgekehrt verlässt man sich bei einer Notfallverordnung auf die Informationen des Unternehmens und spricht sie zugleich von der Haftung für Impfschäden frei. Welche Risiken das birgt liegt auf der öffentlichen Hand: `Die Pressemitteilung einer Pharmafirma ist nicht notwendigerweise Wissenschaft. Das kann Marketing sein.` Ein Traum für jeden Konzern: die eigene Produktwerbung wird Grundlage der Haftungsfreistellung durch den Staat. Das ist etwa so, als entscheide der Staat Dr. Raths Vitaminpräparate gegen Krebs zu kaufen und spreche den Hersteller der Medipansche von allen Haftungsrisiken frei. Bis der Pfusch auffliegt, haben die Aktionäre längst den in schwindelnde Höhen gestiegenen Aktienkurs genutzt und ihre Pakete verkauft, während es die Patienten dahinrafft, ohne dass die Hersteller der Placebos dafür zur Rechenschaft zu ziehen sind. Man sollte meinen, dieses Argument gegen eine Notfallzulassung sei nicht nebensächlich und müsse im Gegenteil in der öffentlichen Begründung hervorgehoben werden. Leider hat die Sache einen Haken - stellt man das Thema Haftung für Risiken in den Vordergrund, so räumt man diese Risiken ein. Das untergräbt das Vertrauen in die soteriologische Kraft des Impfstoffes.

Von nicht erforschten Langzeitwirkungen abgesehen bestünde eine der heikelsten Nebenwirkungen von Impfstoffen in Wirkungen, die sie nicht entfalten. Man stelle sich nur einmal vor, sämtliche Impfstoffe schützen lediglich vor der Erkrankung, jedoch weder vor der Infektion noch davor infektiös zu sein. Und/oder die Wirksamkeit der Impfung wäre zeitlich so eng begrenzt, dass sie - unter nicht unerheblichem logistischen und finanziellem Aufwand - mehrfach pro Jahr weltweit wiederholt werden muss. Dann mögen sich zwar Impfschäden in Grenzen halten, aber das große Erlösungsversprechen Impfstoff würde unter der Last der enttäuschten Hoffnungen in sich zusammenbrechen wie ein Kartenhaus, paradoxer Weise, weil man alles auf eine Karte setzte und die Forschung in wirksame Medikamente bei Förderungen in Investitionen eher stiefmütterlich behandelte (die Gründe dafür liegen auf der Hand wie Tabletten. Die Impfung garantiert den Infektionsschutz unabhängig vom individuellen Verhalten, von Schlampereien der Bürger und ihrer notorischen Vergesslichkeit; niemand überprüft ob die Medikamente wirlich genommen werden, bei der Impfung weiß man dank Impfregister wer geimpft ist und wer nicht. Impfung bedeutet Kontrolle, während die Einnahme von Medikamenten sich der Kontrollke der Obrigkeit entzieht). Vor dem Hintergrund dieser Unsicherheiten fungieren die mit dem Impfstoff verbundenen Versprechungen primär als Durchhalteparolen. Passend zur religiösen Gefühlsduselei der Weihnachtszeit vertröstet man die Bevölkerung auf das süße Jenseits nach den lockdowns. 

Bis dahin senden wir uns Schiffsmeldungen via Twitter, finden Ausreden, um unsere Freunde nicht persönlich zu treffen und driften auseinander, bis unsere Botschaften die soziale Distanz zwischen Sender und Empfänger nicht mehr überwinden.

Israel macht es vor: Personen mit Grünem Impfpass sollen wieder öffentliche Veranstaltungen und Restaurants besuchen dürfen. So will man Impfskeptiker überzeugen. Da man noch nicht weiß, ob die Impfung verhindert, dass man selbst andere infiziert handelt es sich um ein grob fahrlässiges Experiment aus massenpsychologischen Erwägungen.

61% Befragte in Deutschland gaben an sich impfen lassen zu wollen. Also all diejenigen, die im kommenden Jahr verreisen wollen.

Ein Gespenst geht um in Europa: eine neue, ansteckende Virusvariante aus Großbritannien (und es handelt sich nicht um das-exit-Virus). In einer optimistischen Sichtweise eine weitere Gelegenheit für die EU, sich zu einer Einheit zusammenzuschweißen und das zu tun was sich anbietet: einen gesamten Kontinent mit allen Nationen synchron in einen lockdown zu versetzen.  

Dass Schwedens Weg gescheitert ist trifft zu. Darin unterscheidet sich Schweden nicht von allen anderen europäischen Länder, von daher verbietet es sich das schwedische Desaster besonders hervorzuheben, als wäre dieses Scheitern durch die Beibehaltung von Freiheiten besonders verwerflich. Für alle Länder erweisen sich Ausmaße und Ausprägungen der Pandemie als zu monströs, um sie im Rahmen der bisher angewendeten Strategien wirkungsvoll bekämpfen zu können. Ich ertappe mich erstmals bei der Frage was in der aktuellen Situation verwerflicher wäre: die ganze Wahrheit über die Dimensionen der Gefahr zu sagen oder sie zu verschweigen.

Das Rechtschreibprogramm ist rührend antiquiert. Es kennt das Wort `lockdown` noch nicht und macht daraus `Lockenwickler`. Es stimmt einen nostalgisch, wenn eine software nicht auf dem neuesten Stand ist.

Der Mangel an Stammtischen, mein geistiger lockdown. In Ermangelung leibhaftiger Gesprächspartner versandte ich personalisierte emails, die für Unverständnis und Verwirrung sorgten. `Es komme auf die Zielrichtung an, nicht auf die Flughöhe`, lautete der mildeste Tadel meiner beschrifteten, elektronischen Papierflieger. Zu abgehoben, das mag zutreffen. Ohne Flughöhe verliere ich den Überblick. Sie verschafft mir Sicherheit durch Distanz zum Geschehen. Der Preis: von oben herab verliert man seine Freunde aus den Augen. 

  

 

19. Dezember

Man wäre mit dem Nachvollziehen von Janussätzen, die ihr eigenes Gegenteil bedeuten derzeit so überfordert wie die Gesundheitsämter mit dem Nachvollziehen der Kontakte. Derzeitiger `Hotspot` der Janusköpfigkeit ist das Thema Impfpflicht. Dass es keine geben solle ist in den letzten Monaten mit der selben Inbrunst wiederholt betont worden, wie einst die Behauptung niemand habe die Absicht eine Mauer zu errichten. Scheinheilig und ein bisschen feige wurde zunächst hervorgehoben, es gebe keine Impfpflicht niemals nicht, um anschließend subtil zu relativieren: es gebe keine staatliche Impfpflicht. Als dieses implizite `Aber!` zu wenig Reaktionen bei der träge grasenden Heiligen Kuh `Privatwirtschaft` hervorrief winkte man zunächst mit Zaunpfählen, dann mit ganzen Zäunen und wurde explizit. Natürlich könne niemand einen Restaurantbetreiber daran hindern, nur Geimpften den Zugang ins Restaurant zu gestatten. Die Impfapartheid soll privatisiert werden, da eine staatliche Verordnung aufgrund des Diskriminierungsverbotes juristisch und politisch angreifbar wäre: `Restaurants, Bars und private Clubs könnten künftig auf Impfung bestehen, sagte die Ministerin Anja Karliczek.`(bild.de 18.12.2020) Zu behaupten, man wolle keine Impfpflicht einführen, gleichzeitig jedoch Unternehmen und auch Privatleute regelrecht mit der Nase darauf zu stoßen, dass sie von ihrem Hausrecht Gebrauch machen können und Schilder mit "Zutritt nur für Geimpfte" aufhängen dürfen, ist etwa so als betone man es dürfe keine Diskriminierung aufgrund einer Hautfarbe geben, aber man könne Unternehmen und Privatleute selbstverständlich nicht daran hindern, nur Weißen den Zutritt zur Guten Stube zu erlauben. Es passt auch in die doppelzüngige Logik, Branchen die Geschäftsgrundlage zu entziehen, sie aber nicht zu entschädigen, weil sie ja weiter arbeiten dürfen - wenn auch nicht können - oder sogar (wie Taxiunternehmen gemäß Personenbeförderungsgesetz) im Umsatzvakuum weiter ihre Dienstleistung für ausbleibende Kunden anbieten müssen. Zwar ist man längst zu abgestumpft, um sich über die Janusköpfigkeit politischer Kommentare zu empören, dennoch erreicht das Gegeneinanderausspielen von Notlagen und Interessen hier eine neue Dimension. Es wird ja nicht nur der Ausgrenzung der `Impfeiglinge´ das Wort geredet, sondern auch mit den Ängsten und Hoffnungen grade der besonders gebeutelten Branchen gespielt. Die Auswahl `Restaurants, Bars und private Clubs` kommt ja nicht von ungefähr: ihnen wird vermittelt ihr könnt wieder öffnen, sobald ihr nur Immunisierten den Einlass gewährt, die anderen müssen leider draußen bleiben. Aus der Maskenpflicht beim Betreten einer Bar wird so die Impfpflicht, die Politik der Angst in Zeiten der Pandemie wird angereichert durch das Element der Drohung: wer sich nicht impfen lässt, darf nicht mehr am sozialen und kulturellen Leben teilhaben. Hoffnung erzeugen, Vertrauen gewinnen einerseits, Drohen und Ängstigen andererseits und das Ausspielen von Bevölkerungsgruppen gegeneinander; so beabsichtigt man alle Zielgruppen für die Impfung zu gewinnen. Das alles ist nichts Neues und man kann eine gewisse Resignation gegenüber den Manipulationstechniken in der politischen Kommunikation nicht verhehlen. Aufgeschreckt hat einen eher der im Volksmund kursierende Begriff "Normales Leben"-Pass für den Impfpass. Man blickt ins Bodenlose, wenn das `Normale Leben` das Privileg einer Bevölkerungsgruppe ist der man zugehört. Wohin die Reise gehen könnte signalisiert die Schlagzeile der `Bild` von heute: wer nicht geimpft ist soll auf Beatmung verzichten. Querdenker nicken wie Oliver Hardy wenn er Recht behält: Siehste..!

Die WAZ von heute mit einer 5seitigen Beilage zum Thema "Reisen". Herzlichen Dank für diese Anreize zur Ignoranz von Reisewarnungen. 

Es beginnt die trostloseste Zeit des Jahres. Pseudosatirische Rückblicke und Sendekonserven, unvergängliche Erinnerungen in den Mediatheken. Ostfieslandkrimis in Endlosschleife. Stille Silvesternacht. Kann es kaum erwarten bis die unsägliche Weihnachtswerbung passe ist, die das Fest familiärer Harmonie nach erfolgter Seniorentriage anpreist.

Sehe herauf zu einem veilchenpastillenfarbenen Himmel. Kommen wir mit einem blauen Auge davon? Beim Anblick des Firmaments fühle ich mich zurückversetzt in Zeiten ohne künstliches Licht. Sofort fühle ich mich weniger einsam.  

  

18. Dezember

Brauche heute ein wenig Ablenkung vom Infektionsgeschehen. Verfolge die erregte Brexit-Debatte im Europäischen Parlament. Etwa so als lenke man sich von Zahnschmerzen durch Migräne ab. Zwar warnen zahlreiche mahnende Stimmen vor den Folgen eines No Deal, die gravierender wären als die zwar gigantischen, jedoch vorübergehenden volkswirtschaftlichen Schäden der Pandemie, gleichwohl gewinnt man zunehmend den Eindruck einer inszenierten Debatte, deren Resultat längst feststeht. Der bietet die Unnachgiebigkeit gegenüber Großbritannien eine weitere Gelegenheit Zusammenhalt zu demonstrieren und zu festigen, Boris Johnson bevorzugt den No Deal als die von vorn herein angestrebte Weise der Unabhängigkeitserklärung Großbritanniens, die der britischen Bevölkerung als Kompensation für die katastrophalen Folgen der Pandemie und des Brexit einen schwindelerregenden Rausch der Freiheit verspricht. Beide Seiten sind sich einig sich nicht einig zu werden. Offiziell werden die Verhandlungen an der Frage scheitern, wer wo Fische umbringen darf.    

Neues Unwort: Licht am Ende des Tunnels...das wir im Brennglas bündeln.

Geisterspiel Union Berlin-BVB. Ballkontakte klingen wie Kopftreffer beim Boxen. Lockdown in ersten Runde. Noch vor der Halbzeit bin ich weg. 

 

17. Dezember

Die Aufzeichnung einer Rede von Angela Merkel unterlegt phoenix mit einem Programmhinweis im blauen Band am Bildschirmrand: `Die geheimnisvolle Tote`. So weit ist es dann doch noch nicht. Die Kanzlerin ist weder tot, noch geheimnisvoll. 

Wer sich für fehlerfrei hält erweist sich schlicht als unverbesserlich. Gelegentlich reicht ein einziger Satz um jemanden als unverbesserlich bis hin zur Untragbarkeit zu demaskieren. Im Interview mit der WAZ behauptet Armin Laschet heute: `Wir haben nichts unterschätzt`, zudem komme der Lockdown nicht zu spät. Frau Gebauer wird auf den Sockel einer Jean d`Arc des Präsenzunterrichts gehoben. Versäumnisse werden geleugnet, Selbstkritik ist Fehlanzeige, so sieht ein Kandidat für den CDU-Vorsitz aus, der sich die Kanzlerschaft zutraut. Sich in Anbetracht der Todeszahlen und der Intensivpatienten in den Kliniken in Eigenlob zu ergehen indem man betont alles richtig gemacht zu haben trägt nahezu Trumpsche Züge.  

Macht man selbst nichts verkehrt (so wie Nichtsverkehrtminister Scheuer) und läuft die Entwicklung trotzdem aus dem Ruder, ist folgerichtig die Uneinsichtigkeit der anderen schuld. Pendant zu Laschets Perfektion ist das autoritäre Gebaren von Michael Kretschmer in Sachsen, der ausschließlich das Verhalten der Bevölkerung für die hohen Infektionszahlen in seinem Bundesland Sachsen verantwortlich macht, über die er sich im Landtag empört - nicht ohne drakonische Maßnahmen anzudeuten, die an das Vorgehen Spaniens im Frühjahr und an die chinesische Praxis erinnern: Abschottung von Gemeinden, Ausgang nur noch für eine Stunde pro Tag, scharfe Kontrolle der Einhaltung von Verboten. Mit der pauschalen Bevölkerungsschelte weist Kretschmer jedwede politische Verantwortung für die desaströse Entwicklung von sich, so als sei der Grund allen Übels die fehlende Einsicht der Untergebenen in die Unfehlbarkeit ihres Landesherbergsvaters.   

Driften das Verhalten der Bevölkerung und die Erwartungen der politischen Institutionen an das Verhalten der Bevölkerung auseinander, so ist es wenig zielführend, dafür einzig die Bevölkerung zur Verantwortung zu ziehen, die man doch für zukünftige Maßnahmen, vor allem für die Impfung, gewinnen will. ZDF-Reporter Breyer hat für seinen Beitrag `Der Querdenker-Effekt - kann uns Corona spalten?` zahlreiche Mitläufer der Querdenker-Bewegung interviewt. Er schließt damit eine Lücke, deren Bestehen mit ein Grund für den Zulauf sein dürfte, den die Querdenker vor allem in Sachsen verzeichnen - er lässt sie innerhalb der öffentlich-rechtlichen Medien zu Wort kommen (bislang war kein einziger Gast in den Talkshows oder in Nachrichtenmagazinen, der dem Umfeld der Querdenker zuzuordnen wäre). Insbesondere (aber nicht nur) in den ehemaligen DDR-Ländern wird der Corona-Ausnahmezustand assoziiert mit Bevormundung - und mit folgenden enttäuschten Erwartungen in die Wiedervereinigung (Stichwort: Treuhand). Die historisch-hysterischen Mythen der Unterdrückung und Übervorteilung fungieren als Stickmuster für das konspirative Weltbild, das die Querdenker weben. Zwar ist das sachlich verquer und verquickt gesellschaftliche Verhältnisse, die politisch motiviert waren mit der Absichtslosigkeit einer Naturkatastrophe, gleichwohl und grade dann ist es Kerngeschäft der Politik durch Einbindung der misstrauischen Skeptiker in den öffentlichen Diskurs Skepsis und Misstrauen abzubauen, statt durch autoritäres Auftreten und Ausgrenzung von Kritikern aus der öffentlichen Debatte das bereits bestehende Vorurteil zu verstärken man werde mundtot gemacht und nicht an Entscheidungen beteiligt, die maßgeblichen Einfluss auf das eigene Leben haben. In Jochen Breyers Beitrag kommt Jörg Sommer vom Berliner Institut für Partizipation zu Wort, der es auf den Punkt bringt: `Wenn das Vertrauen in die politischen Institutionen sinkt, kann man dafür nicht alleine die verantwortlich machen, die ihr Vertrauen verlieren.`  

Sieht man die Pandemie als Lackmustest für die Reife der Demokratie im Umgang mit Krisen, die einschneidende und weitreichende drastische Wirkungen in allen Bereichen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens entfalten, so hat die Demokratie die Reifeprüfung nicht bestanden - in Ermangelung einer hinreichenden Zeit zur Vorbereitung ist das weder verwunderlich, noch ein Beweis für einen prinzipiellen Mangel an der Eignung demokratischer Gesellschaften zur Bewältigung einer derartigen Krise. Entscheidend für die Beurteilung der Eignung und Zukunftsfähigkeit der freien Gesellschaften ist nicht der Umstand ihres derzeitigen Scheiterns angesichts einer beispiellosen Situation, in der das Fehlen von Erfahrung gravierende Kompetenzdefizite begründet, sondern ihre Fähigkeit und Bereitschaft aus ihren Fehlern zu lernen. Davon hängt die Zukunftsfähigkeit demokratischer Gesellschaften ab. Ein erster Schritt auf dem Weg zu einer resilienten Demokratie unter den Bedingungen einer Pandemie und anderer globaler Katastrophenszenarien wäre es, der Verführung zu einem autoritären Regieren zu widerstehen, das nach dem Vorbild der Kremlins Demokratie auf Verfahrensweisen reduziert, die das Meinungsmonopol der Regierung ventilieren und kanalisieren. Dass durchaus Anlass dazu besteht, vor einer derartigen Entwicklung zu warnen verdeutlicht ein Videokommentar von Heribert Prantl bei `sueddeutsche.de` (`So fair wie ein Schlag ins Gesicht`), der mit den Worten beginnt: `Wer Corona leugnet, ist ein Narr. Wer die Schwierigkeiten und die Fehler bei der Bekämpfung leugnet, ist aber auch ein Narr.` Einige der von Jochen Breyer interviewten Gesprächspartner aus dem Querdenker-Umfeld würden das unterschreiben, insbesondere im vom närrischen Treiben beherrschten NRW, dem Land der Karnewahlfreiheit, in dem der Hut unter den man die Corona-Maßnahmen bringt eine Narrenkappe ist. 

Als Untertitel das Auf- und Ab von Infektionszahlen: Indien: sinkender Kurs. Schweiz: steigender Kurs. Könnte man auch in `Börse vor acht` unterbringen. 

Laut öffentlich-rechtlich ausgestrahlter Produktinformation will die Firma Bauhaus 1 Million Bäume pflanzen. Sie sollte sich in Baumhaus umbenennen.

Erinnern Sie sich? Der Moderator forderte Skiflugweltmeister Karl Geiger auf: bleiben Sie positiv. Schon wurde er positiv auf Corona getestet. Gute Besserung und bald hoffentlich wieder Guten Flug. 

Bei Maybrit Illner sind zu Gast: Tobias Hans (MP Saarland), Klauterbach (needs no introduction), Jonas Schmidt-Chanasit (Virologe) und Christiane Woopen (Vorsitzende Europäischer Ethikrat). Damit ist über die Sendung alles gesagt. Eine gut gelaunte Runde räumt entspannt Fehleinschätzungen einräumt, die tausenden von Menschen das Leben kostete. Fehlen noch Kaminfeuer und Zigarren. Bemerkenswert ist die Auffassung Christiane Woopens, das Thema Triage gehöre in den Bundestag, der über die Kriterien der Abwägung befinden soll, welches Leben man retten will und welches man aufgibt. Zwar gilt als strittig, ob der Staat Ärzten per Vorschrift anordnen solle wen sie vorschriftsmäßig beatmen sollen und wen nicht, doch werden Entscheidungen dieser Tragweite politisch längst getroffen. Schon der lockdown light, die Präsenzpflicht an den Schulen, das Weiter-so in Betrieben, ÖPNV, KITAs und im Einzelhandel war Resultat einer staatlichen Triage, die für die Aufrechterhaltung des wirtschaftlichen Lebens und des Bildungssystems eine höhere Todesrate in Kauf nahm. Das ist Utilitarismus, der scheinheilig ethisch gerechtfertigt und für Weihnachtseinkäufe nützlich ist. Zwar hatte man nicht damit gerechnet, dass die Sterbezahlen ins Kraut schießen, aber das wird Boris Palme, eben noch verfemt, schon (hin)richten. 

Amazon-Betriebe schließen. Herr Schmidt-Chanasit brachte immerhin die Idee ins Spiel dem Päckchensuperspreader den shutdown zu verordnen. Darüber ging die Runde kommentarlos hinweg. Dabei ist diese Idee prima - auch fürs Klima.

Markus Lanz: da ist mir heute Thea Dorn im Auge, die als Anhängerin von Pettinkofers (wenn auch gut getarnt) als erste Querdenkerin in den Talkshows des Öffentlich-Rechtlichen reüssieren darf - allerdings nur, weil das keinem Programmgestalter auffällt.  

 

16. Dezember

Es wäre ganz leicht die Infektionszahlen drastisch zu senken: das Verbot von Familien, Zwangsscheidung und Singlepflicht. Zudem benötigen wir wegen der Hotspots in Gotteshäusern strikt atheistische Gesellschaften, von denen wir leider noch sehr weit entfernt sind, wenn im Europa des 21. Jahrhunderts ein Sportgericht einen Fußballspieler  wegen Gotteslästerung belangen kann - so erging es Bryan Crystante vom FC Bologna, der nach einer blasphemischen Äußerung in einem Spiel der Seria A von der Inquisition der Liga gesperrt wurde. Getoppt wird dies vom Bürgermeister von Cleburne in Texas, der 2018 einen `Weihnachtsmann-Leugner` hinter Gitter brachte, weil er Kindern erzählte, dass es den Weihnachtsmann gar nicht gebe (Quelle: dw.com, 09.12.2018).

Wird die Rezeption nicht beeinflusst durch den Beifall des Publikums, fällt das hohle Pathos vieler Redebeiträge in den Parlamenten besonders auf, zum Beispiel in der Plenarsitzung des EU-Parlamentes zu den Ergebnissen des vergangenen EU-Gipfels. Dort geht es um die Verabschiedung des 1,8 Billionen Corona-Hilfspaketes, heftig angegriffen von den Identitären im Parlament, deren Fraktionsvorsitzender Marco Zanni sich zu der Behauptung verstieg Einstimmigkeit sei Grundlage von Demokratie, womit er die Aufhebung der Demokratie zu deren Voraussetzung erklärt. 

Die trostlose Leere des EU-Plenarsaals steht im Kontrast zur inhaltlichen Brisanz der Debatte. Vordergründig geht es um den Rechtsstaatmechanismus, der den Mittelfluss aus dem Aufbaufond an die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien knüpft, was der polnischen Regierung, der ungarischen Regierung, den Identitären und Jörg Meuthen ein Dorn im rechten Auge ist. Im Kern jedoch geht es der Mehrheit der vertretenen Staaten und deren Repräsentanten darum, die Corona-Krise als einmalige Gelegenheit am Schopf zu fassen, um mit Hilfe des Coronafond als Faustpfand die Transformation der EU zu einer politischen Wertegemeinschaft zu forcieren, in die sich auch Ungarn und Polen zähneknirschend einfügen. Klimawandel, Gleichberechtigung der Frau, gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Digitalisierung, dass sind aus Sicht der Epigonen Jacques Delors und Robert Schumann die Themen die man besetzen und bearbeiten muss, wenn Europa nicht zwischen den USA und China zerrieben werden soll. Dumm nur, wenn die großen Ambitionen im Detail konterkariert werden, weil man Kompromisse mit Identitären und Autoritären sucht, oder befürchtet mehr Mut mit weniger Wetbbewerbsfähigkeit zu bezahlen. Feiert man sich dafür ab und klopft sich auf die Schulter für den Beschluss, die CO2-Ziele des Pariser Klimaabkommens um 15% zu unterschreiten muss man sich gefallen lassen, wenn Parlamentarier wie die Fraktionsvorsitzende der Linken Manon Aubry die EU-Kommission ausführlich und mit beißendem Spott als Erzähler von Weihnachtsmärchen verunglimpft. 

 

15. Dezember

Ein Muntermacher für Niedergeschlagene im ZDF MoMa: Viele Depressive schützen sich besser vor Infektionen, weil sie denken der Hammer treffe immer sie. Gesund und lebensmüde durch die Krise. 

Beim Stöbern in der Tageszeitung zunächst die Feststellung nicht an Caligyniephobie zu leiden. Dann sieht man konsterniert zwei Mal hin, blinzelt, und sie ist immer noch da: Eine ganzseitige Anzeige von Amazon unterstellt deutschen Arbeitgebern und den Belegschaften Islamophobie: `Mein Kopftuch stand mir im Weg. Ich habe meine Ausbildung abgebrochen, weil ich gemerkt habe, dass es mit Kopftuch schwierig wäre, eine Stelle zu bekommen. (...) Woanders hatte ich Probleme, bei Amazon bin ich Area Managerin.` Willkommen beim weltoffenen Krisengewinnler, Niedriglohnmeister, Gewerkschafts- und Betriebsratsfresser und Ausbeuter amazon, der um Personal wirbt, indem er sämtlichen deutschen Wettbewerbern um Arbeitskräfte Fremdenfeindlichkeit unterstellt.  

Der politische unschätzbare Vorteil die Schuld an der steilen Inzidenzkurve einigen wenigen anzulasten, die sich unverantwortlich verhalten besteht darin, dass man immer richtig liegt und sich zugleich niemand angesprochen fühlen muss. Natürlich liegen Infektionsketten und der Kontrollverlust über sie immer an menschlichem Verhalten - also auch am Verhalten von Arbeitgebern, Politikern, Corona-Leugnern und Kleinkindern und insgesamt überhaupt daran, dass Menschen sich verhalten. Ein diffuses Infektionsgeschehen raunend zurückzuführen auf eine kleine Gruppe Unvernünftiger wie Stephan Weil es gestern in einem Corona Extra zelebrierte ist eine Form von Corona-Leugnung. Es führt eine multifaktorelle nichtlineare Dynamik zurück auf einen einzigen Faktor, was methodisch nicht weit entfernt ist von den diskriminierenden Vereinfachungen einer AfD, passt allerdings vorzüglich in den Trend das komplexe Thema Pandemiebekämpfung zu reduzieren auf das Benehmen einiger unartiger Trotzköpfe, die man nach dem Motto wer nicht hören will muss fühlen zur Räson bringen müsste, dann sei alles gut.  

Malte Kreuzfeld von der taz darf sich bei phoenix darüber wundern, dass es an klaren Vorgaben zur Abstandsregeln und Kontaktbeschränkungen in der Arbeitswelt und im ÖPNV und Fernverkehr nach wie vor fehlt. Mich wundert, dass es ihn wundert. Es sollte ihn erzürnen.  

Frau Buyx, die Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, wird auf der Bundespressekonferenz von Herrn Jung gefragt wie sie die derzeitige Situation in den Alten- und Pflegeheimen beurteile und antwortet unschuldig - wie es sich für eine Ethikerin gehört - man befinde sich auf einem guten Weg. Man sollte ihr unterstellen, dass sie damit meinte man mache Fortschritte. In Anbetracht exponentiell steigender Todeszahlen und Inzidenzen in Alten- und Pflegeheimen davon zu sprechen man befinde sich auf einem guten Weg würde ansonsten Fragen aufwerfen: was wäre das Optimum? Ein sozialverträgliches Frühableben der Generation 80+? 

 

14. Dezember

Bei Ärzten und Pflegekräften ist die Impfskepsis weit verbreitet. Der Svantovit der Medienlandschaft Karl Lauterkrach führt dies zurück auf ein Unverwundbarkeitsgefühl der unterbezahlten Superhelden in ihren Kampferanzügen. Wenn Karl Lauterbach das sagt, muss es ja stimmen - in der Tat kennt man die Hybris der Unverwundbarkeit als Verdrängungsmechanismus in Risikoberufen und in solchen, die aufgrund der täglichen Konfrontation mit Tod und Siechtum psychisch stark belastend sind. Die eigene Gefährdung und Verletzlichkeit produziert einen psychischen Gegenpol. Beispiele dafür sind der Schützengrabenschlaf und Jeff Bridges Verzehr von Erdbeeren in `Fearless...`. Es mag allerdings noch einen deutlich beunruhigenderen Grund für diese Skepsis geben, der so gar nicht zu der `wichtigen Vorbildfunktion` passen mag, welche die Patientenbeauftragte der Bundesregierung Claudia Schmidtke (CDU) einfordert: die überlasteten und unterbezahlten Angestellten haben die Nase abgestrichen voll vom mit ihnen assoziierten Kriegsheldenpathos, dessen Zuschreibung ihnen weitere Entbehrungen und Selbstgefährdung abverlangt. Sie haben keine Lust nun auch noch stellvertretend für die Bevölkerung Selbstversuche vorzunehmen. Schon der oben skizzierte Verdrängungsmechanismus zeigt wie verfehlt die mythologischen Zuschreibungen sind, die ihre Opferbereitschaft heraufbeschwören: die Halden des Alltags sehen sich nicht als Opfer, sondern als unverwundbar, denn anders könnten sie ihrer Arbeit nicht nachgehen. 

Die Heldenhaftigkeit der bis zur Erschöpfung arbeitenden Krankenpfleger und Ärzte, die Aufopferung des Personals in der Altenpflege sind ein Mythos, den Bundespräsident Steinmeier in seiner heutigen Ansprache nährte. Seine künstlich auf Schlichtheit heruntergebügelte Rede strotzt vor altbackenen Klischees, die sich nahtlos ins Schema der Infantilisierung des Souveräns fügen, gerichtet an ein imaginäres Publikum auf dem geistigen Niveau eines nicht hochbegabten Erstklässlers. Durchhalteparolen und Appelle in Kinderbuchsprache. Die Degradierung der Adressaten zur unausgereiften Persönlichkeit, die auf sämtlichen Kanälen erfolgt, spricht ihnen die (Wahl)mündigkeit ab (was die Wahlmüdigkeit steigert) und schreibt ihnen den Status zu unterrichtender und zu erziehender Schutzbefohlener zu. Für uns und statt uns sprechen Experten, Entscheider, Staatsminister a.D. wie Herr Nie da Rümelin und eben noch geächtete Bürgermeister, die den Begriff Langzeitstrategie mit dem Prinzip der Abtrennung älterer Menschen vom jugendlichen Volkskörper verknüpfen. In den Talkshows - wohl auch, weil es so viele davon gibt - palavern immer die selben Gäste, deren unveränderter Kanon formale Entsprechung der postulierten Alternativlosigkeit des jeweils aktuellen Vorgehens ist, die sich dadurch ad absurdum führt schon in sich inkonsistent zu sein und von einem Extrem ins andere Extrem zu schwanken wie ein besoffener Matrose auf Landgang. Da mag Gregor Gysi noch so berechtigt nachfragen, wozu man sich noch Demokratie nenne, wenn das Vorgehen einer Regierung als alternativlos deklariert wird, der Anspruch an die Bevölkerung noch so widersprüchliche und intransparente Anordnungen ohne nennenswerte Gegenrede zu akzeptieren konterkariert zunehmend das Narrativ einer durch gelebte Debattenkultur und Meinungsvielfalt vitalen Demokratie. Gespitzte Zeigefinger vor geschürzten Lippen signalisieren Pssst...seid still wenn Erwachsene Unfug reden, so wie Frau Schwesig und Herr Laschet bei Anne Will, die sich in widersprüchliche Auslegungen der aktuellen Corona-Regeln verhakten, die sie offenbar selber nicht genau kannten und verstanden. Das Land will man zur Ruhe bringen, still legen, das bedeutet auch: es soll schweigen, während Entscheider Unverständliches stammeln. Man sieht ja bei den Querdenkerdemonstrationen, wohin in der Pandemie die Redefreiheit führt, wenn man sie gewöhnlichen Menschen überlässt. Die Stille Nacht soll eine Stumme Nacht werden, deren Ende der Gott der Inzidenz bestimmt. 

Die Zahl derjenigen, die derzeit zu Wort kommen und sich Gehör verschaffen dürfen sinkt im selben Maß, in dem die Infektionszahlen steigen. Ventil des Bedürfnisses, sich zu äußern und auszutauschen werden notabene die sozialen Medien, in denen nicht mehr zu unterscheiden ist, ob eine Äußerung von einem algorithmusgesteuerten Bot kommt oder einem realen AfD-Mitglied. Im Rauschen der Millionen Tweets und Facebookkommentare geht die eigene Stimme unter, ohnehin sind die sozialen Medien Reflektoren von Polarisierung, nicht Medien des Diskurses. Soziale Medien schaffen Distanz, Distanz fördert Enthemmung, wie bei Autofahrern, die im Straßenverkehr - im Schutzraum der Karosserie - unflätige Verhaltensweisen an den Tag legen, die jenseits von gut und böse sind. 

Bleibt der Luxus des einsamen, auf sich selbst zurückgeworfenen Subjektes, sich durch die Ansprachen nicht angesprochen zu fühlen, oder gar nach Lust und Laune in der Monade der Wohnküche zu widersprechen. Radikale Subjektivität, die dem Echo ihrer Selbstgespräche lauscht, da auch die Freunde am Telefon mit sich und ihren eigenen Problemen beschäftigt sind (Ich bin so verzweifelt. Ich habe keine Lust zu leben und Angst zu sterben). Herr Steinmeier diagnostiziert: Viele möchten nicht mehr von Corona hören und einfach nur ihren Alltag zurück. Ich möchte weder von Corona hören, noch meinen Alltag zurück. Viele wachsen über sich hinaus, ich schrumpfe in mich hinein. Jeder soll sich fragen, was kann ich tun, um Kontakte zu vermeiden? Ich sage: lass Dich krankschreiben. Wir sollen auch an die denken, die ihr Leben noch vor sich haben. Ich denke: sind wir das nicht alle? 

Millionen Leser fragen mich, wieso ich mir die Talkshows antue, wenn ich sie lediglich als Instrument der Bevormundung erachte. Sie ersetzen meine Stammkneipe und das geliebte Stammtischgeschwätz. Sie ersetzen in meiner sozialen Isolation die Stammgäste, mit denen ich mich streite, und über die ich mich empöre. Sie substituieren die bierseligen Stereotypen, die ich ebenso verachte, wie ich mich zwecks Erzeugung von Stallwärme gerne an ihnen reibe. Wie an Michael Kretschmer, der auf die Frage eines Journalisten, ob er in Sachsen Verhältnisse wie in einem autoritären Staat haben wolle antwortet, nein, aber es wird Zeit, der Autorität des Staates Geltung zu verschaffen. Ich stehe direkt vorm Bildschirm, mein Pullover reagiert heftig auf die Elektrostatik des Monitors. 

Die WHO empfiehlt auch die Geimpften sollen bis auf weiteres Masken tragen. Wenn dann für die Geimpften die Maskenpflicht entfällt werden die Geimpften argwöhnisch betrachtet weil sie keine Maske tragen und die Maskenträger als Impfverweigerer markiert. Millionen von Arbeitskräften bei den Ordnungsämtern werden neu geschaffen, die kontrollieren ob die Blankgesichter geimpft sind. Das ist auch dringend notwendig, denn die Fahrkahrtenkontrolleure werden in diesem Umfang nicht mehr benötigt. Es werden Glückliche Tage.

Verblüfft verfolge ich die Kandidatenrunde zur Wahl des CDU-Vorsitzes. Das Trio Inferwahle spricht in ganzen, zusammenhängenden Sätzen. Sie können das und lassen es in ihrer Ansprache an die Bevölkerung bleiben, die mit der Konstruktion Subjekt-Prädikat-Objekt überfordert wäre. Daher Begriffe wie `ehrlich machen`. Das höhere sprachliche Niveau ändert nichts daran, dass alle Kandidaten auf die Frage, wie sie die Schere zwischen arm und reich reduzieren wollen vage bleiben und dabei nur diejenigen im Blick haben, die (noch) in Lohn und (bisweilen trockenem) Brot stehen. Ist halt die CDU. 

 

13. Dezember

Die Borg kreisten - und gebaren den lockdown, die Inhalte des Maßnahmenpakets mit Böllerverbot als Schleifchen so wenig überraschend wie diejenigen von Kinderüberraschungseiern. 

Im Nachklapp zur MPK bezeichnet Hessens Ministerpräsident Bouffier die im Vorfeld des harten lockdowns beschlossenen Maßnahmen als richtig. Das waren sie offensichtlich nicht. Die Absurdität dieses nachträglichen Lobs des offenkundig katastrophalen Krisenmanagements wird noch übertroffen von dem Auftreten des Hamburger Oberbürgermeisters, der die Verbote und Beschränkungen im privaten Umfeld begründet, im selben Atemzug jedoch die Arbeitgeber bittet (!) Urlaube und homeoffice zu ermöglichen. Bitte bitte lieber Arbeitgeber, beteilige Dich an den Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung. Ach nö, lieber nicht, wir halten uns doch an die Hygieneregeln - so wie der Einzelhandel, die Kulturbetriebe, die Gastronomie, und die Hotels.

Die Phoenix-Diskussion zum Thema: `Polarisiert und unversöhnlich - wie gespalten ist unsere Gesellschaft?` mit Frau Flaßpöhler, Herrn Fleischhauer, Herrn Gysi, Herrn Kubicki und Frau Güler - ist gegen dieses KiKa-Programm für Erwachsene eine geistige Wellness Kur. Das Spektrum der verschiedenen Positionen reicht von der Empörung Frau Flaßpöhlers über die Kindergartensprache der Corona-Politik (AHA-Regeln, da sträuben sich meine Nackenhaare, was ihre Frisur erklärt), die dem Souverän den Status eines nicht wahlberechtigten Rotzblags zuweist, über Herrn Fleischhauers Bemerkung ihm sei die Kuhstallwärme der Gesinnungsbürger zuwider, über Herrn Gysis Beobachtung nicht die Spaltungen seien das Dramatische (gab und gibt es in jeder Gesellschaft), sondern dass es bei den verschiedenen Positionen nicht mehr um Diskurs, sondern um Dominanz und Diskreditierung anderer Personen geht bis hin zur Forderung, die Öffentlich-Rechtlichen müssten auch und grade jetzt Mindermeinungen zu Wort kommen lassen, das war durchgehend eine hörenswerte Debatte ohne political correctness, interessant, spannend wie ein 5 Sterne-Menü nach monatelanger Coronabuchstabensuppe, in der Sätze auf dem Niveau von Holzspielzeug schwimmen wie `Die Philosophie lautet zu Hause bleiben` und Babysprech-Begriffe wie `ehrlich machen` (und dann AAmachen...).  Zumindest bleibt die Debatte auf hohem Niveau bis es um das Thema geht `Zigeunerschnitzel` umzubenennen.    

Hohe Zustimmungsraten für die Coronapolitik sind kein Vertrauensbeweis, sondern Ausdruck von ´Radikaler Hoffnung`, die unabhängig von der Beurteilung der Qualität des Corona-Krisenmanagements auf die Wirksamkeit von Maßnahmen setzt, die in diesem Stadium jeder Klassensprecher einer Untersekunda verordnet hätte.

Der Weltspiegel - ansonsten eher für Akkuratesse in sprachlicher und journalistischer Hinsicht bekannt - beendete heute einen Beitrag über ein Orchester von blinden Musikern mit den Worten: es gibt Licht am Ende des Tunnels. Na dann ist die Situation ja offensichtlich und für alle Augen sichtbar nicht aussichtslos.

Den deutschen Skifliegern, knapp im Teamwettbewerb von Norwegen geschlagen, empfiehlt der Moderator `positiv zu bleiben`. Autsch. Positiv ist das neue Negativ. 

 

12. Dezember

Die in der Bevölkerung laut werdenden Forderungen nach einem harten lockdown sind wohl nicht nur Ausdruck von Einsicht in die Notwendigkeit, sondern der Sehnsucht nach einem Ende der politischen Kakophonie, des föderalen Gezänks, des Hin- und Her, der schwindelerregenden Hick-Hack-Zick-Zack-Kurse. Es reicht, es ist genug, man hat die Unsicherheit und das Schwanken zwischen lockdown light und Panikmache satt. Das genervte Publikum des Geschehens auf der politischen Bühne signalisiert seinen entscheidungsgehemmten Entscheidern mit den überschnappenden Stimmen, dass es seine Ruhe haben möchte. Es schämt sich fremd für seine so emsigen, wie hoffnungslos überforderten Repräsentanten und formuliert die Kursbestimmung lieber selbst. Die Botschaft ist klipp und klar - wenn ihr mit der Komplexität der Situation überfordert seid, vereinfacht Euch die Arbeit durch einen harten lockdown, damit uns endlich dieses politische Kasperletheater der Grausamkeiten und Peinlichkeiten erspart bleibt. Es ist die miserable performance ihrer Volksvertreter, die man nicht mehr hören und sehen mag.   

Kleine Anzeichen verraten wie verpeilt man mittlerweile selbst durch die Pande-metoo taumelt: statt Wundschutz lese ich Mundschutz.

Zunehmend verlieren auch um Sachlichkeit bemühte Journalisten die Fassung und entwickeln einen zunehmenden Hang zur Polemik. Süffisante und verärgerte Formulierungen wie die Folgenden las man bislang in Leserbriefen, aber eher nicht in Leitartikeln: `Dabei muss der hochdekorierte Forscher (i.e. Professor Gerald Haug, Präsident der Leopoldina) noch einmal vorgerechnet haben, wie die aktuelle Corona-Politik geradewegs in die Katastrophe führt`... `Wann genau alle Geschäfte schließen müssen, wolle er (i.e. Armin Laschet) mit den Bundesländern absprechen, damit es zu keinen Hamsterkäufen komme. Diese dürften jedoch spätestens mit dieser Ankündigung begonnen haben.` (Tobias Blasius, `Woche voller Widersprüche`, WAZ von heute). Auch Zitate wie das Folgende wurden bislang, um das Vertrauen in die Politik nicht zu mindern, eher nicht gedruckt: `Die Innenstädte werden brechend voll sein. Schlaue Politiker, die wir nicht haben, machen Lockdown nach Weihnachten.`(Friedrich Göbel, Chef der Modekette Sinn). Auch bei den Journalisten, im Nebenberuf ja auch Menschen, liegen die Nervenenden blank.    

Unfreiwilliges Symbol einer selbstreferenziellen Kultur, die nun irritiert und kopflos vor der schier unlösbaren Aufgabe steht, das Ego dem Gemeinsinn unterzuordnen ist die Siegerehrung bei der Skiflug-WM. Die Medaillengewinner hängen sich - Abstandsregel sei Dank - die Medaillen höchstselbst um den Hals. Gratuliere! Die erste Geige, auf den Brettern die (unter anderem für den Werbeträger auf der Unterseite der Latten Fluege.de) spielt Geiger.

 

11. Dezember

Wenn Deutschland unlängst so gut durch die Krise kam liegt es daran, dass es sich bis vor wenigen Wochen - verglichen mit anderen Ländern - nicht in einer Krise befand. Man kam glimpflich davon, weil man das Glück hatte von Ländern lernen zu können, die es früher und schlimmer erwischte. Die komfortable wirtschaftliche Lage erlaubte es zu klotzen, mit der eigenen Leistungsfähigkeit zu protzen und sich auf den Frühling und den Urlaub zu freuen. Im Sommer ruhte sich Deutschland auf seinen Lorbeeren aus und ließ sich feiern und lobpreisen für sein im übrigen nur im europäischen Rahmen erfolgreiches Krisenmanagement. Man verwechselte eine glückliche Hand mit strategischem Vermögen und glaubte daran es werde einem ohne präventive Bemühungen auch weiterhin alles mit leichter Hand gelingen. Das rächt sich nun in einer tatsächlichen Krisensituation, hervorgerufen durch das absehbare Scheitern des von der Sorglosigkeit der Überheblichkeit getragenen Versuches den Kuchen gleichzeitig zu essen und zu behalten. Schulen und Kitas blieben geöffnet, ebenso Betriebe und Geschäfte, das Weihnachtsgeschäft sollte florieren und das Fest der Liebe und Hiebe sollte möglichst unbeeinträchtigt gefeiert werden. Nun ist Deutschland erstmals konfrontiert damit, sich nicht mehr als Klassenprimus der (nicht corona-) freien Welt selbst gratulieren und darauf verweisen zu können, wieviel besser man doch im Vergleich zu den anderen europäischen Krisenversagern die Krise gehandhabt habe. Nun ist Deutschland das Schalke 04 Europas, und steht vor der Aufgabe, nicht etwa eine Krise, sondern längst eine humanitäre Katastrophe bewältigen zu müssen. Gleichwohl bleibt man bei den gewohnten Denk- und Handlungsmustern. Statt das Haupt zu senken und zuzugeben, dass es unmöglich ist, ein Infektionsgeschehen zu beherrschen wenn man durch das Offenhalten der Stätten unvermeidlicher Kontakte selbst für das Befeuern der Pandemie sorgt, ergeht man sich in der Schelte der Bevölkerung dafür, Freiheiten in Anspruch zu nehmen, die man ihnen einräumte und die sie deswegen nutzten, weil sie erstens weitsichtig genug waren mit deren baldigen Beschränkung zu rechnen - und zweitens weil man von Ihnen Einkaufen als patriotische Bürgerpflicht im Interesse der Wirtschaft forderte. Und so lebt der Berichterstatter nun in dem Land, dass sich als mit am wenigsten gewappnet für den Umgang mit einer echten und ernsten Krise erweist.

Kontaktbeschränkungen als patriotische Pflicht, fordert Markus Söder. Was für eine aus der Zeit gefallene Forderung, die klingt als ginge es ihm um einen Wettstreit mit den AfDoofen um die Deutungshoheit von Patriotismus. Dem steht die gesellschaftliche Realität gegenüber, die die Mittelbayrische Zeitung zutreffend wie folgt beschreibt: `Man kann die Todeszahlen erschütternd finden - und trotzdem mal im Einkaufszentrum shoppen gehen. Man kann vorsichtig sein - und trotzdem manchmal die Faxen dicke haben vom vielen Verzicht. In diesem harten Winter kommt zur Sorge vieler Menschen vor dem Virus auch der Überdruss hinzu. Eine Politik, die diese emotionalen Gemengelagen nicht akzeptiert, wird langfristig nicht funktionieren. Immer weiteres rhetorisches Aufrüsten darf nicht die Lösung sein.`

Selbst das rhetorische Aufrüsten erfolgt, sicher auch erschöpfungsbedingt, dilettantisch. Karl Lauterbach, bei Lanz gefragt, ob seine vor wenigen Wochen geäußerte Begeisterung über die genau richtige Maßnahme des `lockdown light` ein Fehler war, antwortet in bester Bill Clinton-Manier: `Es war falsch, aber kein Fehler`. Der regierende Bürgermeister von Berlin konzediert, er wolle niemandem drohen, aber es gehe um eine dramatische Situation. In ein und dem selben Satz genau das zu dementieren was er faktisch beinhaltet ist etwa so als ob ein Friseur behauptet, er wolle einem kein Haar krümmen. Peter Altmeyer stellt fest, er habe seit der Spanischen Grippe eine Situation wie diese nicht mehr erlebt. Ich hätte nicht gedacht, dass Peter Alt-Meyer schon sooo alt ist. Abgesehen von diesen sprachlichen Kapriolen als Resultat überreizter Sprachzentren in verunsicherten Ministerhirnen sind Teile des Publikums auch einer öffentlich-rechtlichen Programmatik überdrüssig, die bis in die Satireformate hinein staatstragende Corona-Didaktik betreibt: `Bei vielen ARD-Sendern scheint der in den Gründerjahren der Nachkriegszeit gesetzlich verankerte Bildungs- und Informationsauftrag einem Erziehungsauftrag gewichen sein. (...) Die Folge ist eine wechselseitig gefühlte Abkoppelung vom Gros der Zielgruppe mit dem Risiko, dass Sender bei zentralen Debatten ihrer verfassungsmässigen Funktion nicht mehr gerecht werden. Gerade im Nachrichtenbereich versagt die ARD viel zu oft vor dem eigenen Anspruch - indem sie Einseitigkeit und Partialinteressen befördert, Sektierertum für Meinungsstärke hält, wo Moderatoren agieren, als wären sie Partei und nicht Korrektiv der Politik.` (Georg Altrogge, `Überfällige Reform des Rundfunks`, WAZ von heute). Was Altrogge in gewählten, andeutungsreichen Worten ausdrückt lässt sich auch knapp zusammenfassen: Die Öffentlich-Rechtlichen stellen Kritik in den Dienst der Indoktrination.

Wie verzweifelt und ratlos einen die rasante Rückkehr zum exponentiellen Wachstum nicht etwa der Wirtschaft, sondern der Infektionszahlen hinterlässt kann man daran ermessen, dass man bei der Suche nach Erlösung mittlerweile Boris Palmer aus der Kiste holt, der noch vor kurzem wegen Äußerungen hart am Rande von eugenischem und altersrassistischem Gedankengut als persona non grata galt, und nun als Oberbürgermeister von Tübingen erfolgreich SeniorInnen mit Taxis zum Einkaufen schickt.  

Die Deutschen Angestellten sind glücklich, wenn sie Angst haben. Die Angst um den Arbeitsplatzverlust befördert die Zufriedenheit der Beschäftigten mit ihren Arbeitsbedingungen (vgl. hierzu die Census-Umfrage im Auftrag von Indeed zur Arbeitszufriedenheit deutscher Beschäftigter). Angst als Treiber von Zufriedenheit korrespondiert mit den nach wie vor hohen Zustimmungsraten vor allem zur Politik der CDU und zur Befürwortung härterer Corona-Maßnahmen. Die Synchronizität wachsender Infektionszahlen und zunehmender Befürwortung stärkerer Freiheitsbeschränkungen zeigt: die Deutschen fürchten im Moment ihre eigene Freiheit und befürworten daher mit mehr Vehemenz als ihre Politiker deren staatlich verordnete Einschränkung (dazu passen die Aussagen von Kunden auf Shoppingtour, die sich in Interviews für härtere Maßnahmen aussprechen). 

In wünschenswerter Klarheit stellt Anna Mayr in ihrem lesens- und bedenkenswerten Kommentar "Angst machen"  (Zeit Online, 11. 12. 2020) klar, dass Armut erwünscht ist um Angst vor Armut zu machen: `Es wäre richtig und leicht, in der Pandemie den HartzIV-Satz um 100 Euro zu erhöhen. Dass die Nöte der Armen in der Krise ignoriert werden, beweist: Armut ist erwünscht.(...) Armut ist dazu da, denjenigen Angst zu machen, die sich trotz des Virus jeden Morgen in den Bus setzen müssen, in die U-Bahn steigen, um Häuser zu bauen oder Produkte zu kassieren oder Kinder zu betreuen. Sie alle sollen sich davor fürchten, ihren Job zu verlieren, mehr als davor, sich im Job mit einer potenziell tödlichen Krankheit anzustecken.` Das funktioniert, wie die Umfrage zur Arbeitszufriedenheit und die hohen Umfragewerte für die CDU zeigen. Also - wozu etwas ändern? Ändern könnte sich daran nur etwas, wenn sich durch die Mehrheitsfähigkeit des Themas Armutsbekämpfung und -vermeidung diese Gesellschaft als die Solidargemeinschaft erweisen würde, die derzeit gefordert wird - wie Jens Spahn es ausdrückte: Wir statt Ich. Das soll für das gemeine Volk gelten, keineswegs für Besserverdienende, daher wäre eine Vermögenssteuer gleichbedeutend mit dem Untergang des Abendlandes und die Pforten zur Hölle täten sich auf. Dass diese Gesellschaft sich zutraut und den Anspruch stellt, Vorreiter bei allem Möglich zu sein - Klimawandelbekämpfung, Energiewende etc. - aber nicht bei der Bekämpfung von Armut und ihren Begleiterscheinungen ist das eigentliche Armutszeugnis der Solidarstellergemeinschaft.

Die schon in einer Wohlstandsgesellschaft erkennbar forcierten Rollbacks (Stichwort: Rolle der Frau) und Verschärfungen der sozialen Lage sind mikrokosmische Verwerfungen gegen politische und soziale Exzesse, die in weniger privilegierten Regionen dieser Welt als Corona-Krisenmanagement praktiziert werden. In Kenia beispielsweise starben in der Zeit des ersten lockdown mehr Menschen durch Polizeigewalt bei der Durchsetzung von Ausgangssperren als durch COVID-19. 

Der selbe Herrschaftsmechanismus, der national greift, leistet auch international ganze Arbeit: Politik durch Schüren von Angst. Dass Elend der Flüchtlinge wird gleich doppelt genutzt. Zum einen produziert es Bilder der Abschreckung, die weitere Flüchtende dazu bewegen sollen sich eben nicht zu bewegen, sondern lieber in ihrer Heimat umgebracht zu werden oder zu verhungern, zum Anderen befördern grade die Bilder des Elends tief verwurzelte Vorurteile gegenüber Lumpengesindel, dreckigen Ausländern, Nichtsnutzen, die Krankheiten und Seuchen mitbringen. Wie George Bernhard Shaw einmal bitter bemerkte: aussichtsloses Elend erzeugt kein Mitgefühl, sondern Ekel. Ekeln sollte man sich vor denen, die diesen Umstand auch noch politisch ausbeuten (und gewählt wurden und werden).

So lesenswert und analytisch korrekt der Kommentar von Anna Mayr ist: letztlich erschöpft er sich darin, diese Umstände zu bedauern und zu beklagen. Damit zementiert der Artikel ein in den Köpfen fixiertes Axiom, das sich Kapital und Macht von jeher zu nutze machen - dass grade ihre Amoral ihre Macht und ihren Erfolg bedingt und dass sich dies bedauern, aber ebenso wenig ändern lässt wie ein Naturgesetz. Leistungsgesellschaft als Primat(endressur) propagiert ein fundamental sozialdarwinistischen Gesellschaftsmodell, an dem man festhalten muss, damit man sich auf dem Weltmarkt behauptet, Arbeitsplätze nicht ins Ausland wandern und so weiter. 

Immer noch streut man uns Sand in die Augen, wenn man in Aussicht stellt ab dem 10. Januar könne man gegebenenfalls mit Lockerungen rechnen. Bei den derzeitigen Infektionszahlen wird es nicht möglich sein, innerhalb dieser kurzen Zeitspanne die Inzidenz bundesweit auf unter 50/100000 zu drücken - und selbst wenn ist es kurzsichtig bis fahrlässig, für diesen Fall Öffnungen in Aussicht zu stellen, die sofort erneut das Aufschaukeln der Welle nach sich ziehen. Anscheinen kann man der Bevölkerung alles zumuten - bis auf die Wahrheit (als bekennender täglicher Konsument von geistvollen Getränken fordert der Berichterstatter: Schenkt uns reinen Wein ein). 

Mein Mitgefühl gilt einem ein Choral, der derzeit nicht auftreten darf und sich ausgerechnet den Namen `Chorona` gab.

Die für den analfixierten Ordnungsfanatiker gute Nachricht des Tages, die man Corona verdankt: `Bahn pünktlich wie selten`. Nach dem Motto: Infiziert - aber rechtzeitig. 

 

10. Dezember

Die britische Wirtschaft ist in den letzten 6 Wochen kontinuierlich gewachsen - die deutsche Wirtschaft bei weitem nicht so in Mitleidenschaft gezogen worden wie befürchtet. Was sich liest wie gute Nachrichten ist in Wirklichkeit Resultat einer Prioritätensetzung, die mit steigenden Infektionszahlen und Todeszahlen bezahlt wird. Wie es Kai Grothe heute in der WAZ schreibt: `Das Festhalten an einer offenen Gesamtwirtschaft erkaufen wir uns mit mehreren Hundert Toten pro Tag.` Hinzu kommt die Vernichtung von beruflichen Existenzen durch Ungleichbehandlungen bei Überbrückungshilfen. Reisebüros - die folgende Begründung ist kaum an Zynismus zu überbieten - haben keinen Anspruch auf Überbrückungshilfen, denn sie können geöffnet bleiben. `Pech` für sie, dass niemand verreisen kann. 

Was um alles in der Welt haben nach derzeitigem Kenntnisstand zum Beispiel Fluggesellschaften von einer Impfpflicht? Da nicht bekannt ist, ob aufgrund der Impfung die Geimpften nicht infektiös sind, bietet es keinen Schutz, wenn nur Geimpfte verreisen können. Mit den Geimpften wird in Zukunft auch das Virus wieder reisen. 

Der Handelsverband Deutschland stellt fest, dass die Senkung der Mehrwertsteuer nichts gebracht habe. Folgerichtig wird die Forderung gestellt, sie auch in 2021 beizubehalten, denn es kann ja sein, dass es aufgrund eines quantenmechanischen Tunneleffektes 2021 gelingt, ein Streichholz an einem Stück Seife zu entzünden. 

Dankenswerter Weise fordern selbst die Wirtschaftsweisen um Clemens Fuest, den Chef des ifo-Institutes, einen harten lockdown inklusive der Schließung von Geschäften und Betrieben, wohl wissend, dass die Reduzierung von Kontakten auf das Frühjahrsniveau nur unter den selben Bedingungen wie im Frühjahr zu erreichen ist und es besser ist, Betriebe für einen relativ kurzen Zeitraum zu schließen, als langfristige Umsatzverluste durch einen zeitlich unbegrenzten lockdown light ohne hinreichende Effekte auf das Infektionsgeschehen hinnehmen zu müssen. Man wird auf die Wirtschaftslobby hören wie auch sonst. 

Es ist bestimmt nicht nur im Deutschen Bundestag so, das macht die Sache noch schlimmer: geht es um die Bedürfnisse der Abgehängten in dieses Gesellschaft - Menschen in Armut, Kinder, die aufgrund der sozialen Verhältnisse ihrer Eltern im Bildungswesen benachteiligt sind - schauen die Regierenden auf die Displays ihrer Handies oder lächeln darüber hinweg, wenn kritisiert wird, dass der Etat für Beratungsleistungen den Etat für Armutsbekämpfung bei weitem übersteigt. Die selbe Politik, die zusieht, wie sich in der Pandemie soziale Gegensätze verschärfen und damit verbunden auch gesundheitliche Risiken der weniger Begüterten erhöhen, fordert von einer Gesellschaft, in der die Reduzierung der sozialen und ökonomischen Kluft kein mehrheitsfähiges Thema ist, wahlweise Solidarität oder beklagt deren Fehlen. Ein typisches double bind einer demokratischen Gesellschaft, die durchdrungen ist von einer Wettbewerbsorientierung, deren Geschwister notwendiger Weise Egoismus, die Vernachlässigung der Schwächeren, Krokodilstränen für Opfer dieser Haltung und warme Worte für die KärrnerarbeiterInnen sind, die den Lebensstil der Gutsituierten und deren optimale Gesundheitsversorgung gewährleisten. Den Abgeordneten daraus Vorwürfe zu machen erübrigt sich - sie tun das was sie tun sollen: sie repräsentieren diese Gesellschaft, der es strukturell bedingt an Gemeinwesen mangelt.  

 

9. Dezember

Heute Nacht geträumt nackt in einer U-Bahn zu hocken. Gefühl der Scham und des Ausgeliefertsein. Dann reicht mir jemand einen Mund-Nasen-Schutz.

Das Symbol der Pandemie kriecht einem ins Unbewusste.  Das liegt an ihrer beunruhigenden Allgegenwart, nicht nur in Gesichtern, sondern als achtlos entsorgter Sondermüll in den Gossen. Beunruhigend deshalb, weil sie auf mangelnden Schutz verweist. Die Maskenpflicht signalisiert nicht, dass alles zum Schutz vor Infektion unternommen wird, sondern das exakte Gegenteil. Das wichtigste Instrument zur Vermeidung von Infektionsherden und -ketten wäre die Wahrung des Sicherheitsabstandes. Mit der Maskenpflicht gibt man jedoch zu verstehen, dies sei nicht zu gewährleisten: denn sie gilt dort `wo der Sicherheitsabstand nicht gewahrt werden kann`. Statt alle Anstrengungen darauf zu richten, dass Distanz im öffentlichen Raum gewährleistet ist stellt man Gedränge als naturgesetzliche Unvermeidlichkeit an. Der Aufwand, Arbeitsumfelder, ÖPNV und den öffentlichen Raum so zu strukturieren, dass Abstände einzuhalten sind, wird gescheut. Dabei wäre dies der Weg, um Infektionsgefahren wirkungsvoll und nachhaltig zu reduzieren. Die Maskenpflicht entfiele und Infektionszahlen würden sinken.

Wer kontrolliert eigentlich die Einhaltung Kontaktbeschränkungen und die Wahrung von Abständen in Büros und Betrieben? 

Immer präsenter in Zeiten der Talkshowpandemie ist Harald Lesch: jetzt auch in der Anwaltsserie  `Falk` und immer weniger als Physiker, immer mehr als Universalschlauberger. `Leschs Kosmos` lüftet längst nicht mehr nur die Geheimnisse der Quantenmechanik und Schwarzen Löcher, sondern die Welt in der wir leben und wie wir in ihr leben sollten. In seinem Kosmos von gestern befasst er sich mit der Frage warum Menschen an Verschwörungsmythen glauben, statt an die Auffassungen, `die von allen führenden Wissenschaftler und allen Entscheidern vertreten werden?` - und liefert mit dieser Frage deren eigene Beantwortung.   

Im Ernst? Die eisern am Dogma des Präsenzunterrichts festhaltende Kanzlerin empfiehlt den frierenden Schülern Kniebeugen, in die Hände klatschen und - Sarrazinlike - Pullover tragen. Fehlt noch die Empfehlerung: Macht Euch warme Gedanken (für die Pubertierenden). 

Die Toten als Totschlagargument. Auf die Richtigkeit der Maßnahmen und des Vorgehens, auf die Alternativlosigkeit weiterer und verlängerter Beschränkungen wird mit Verweis auf die Verstorbenen gepocht von denjenigen, die durch halbherziges, weihnachtsgeschäftsfreundliches Handeln überhaupt erst die hohen Todeszahlen ermöglichten. Die Toten politisch zu missbrauchen um die eigene Politik als die einzig Angemessene darzustellen ist pietätslos, rhetorische Leichenfledderei. Insgesamt reduzieren sich die Auftritte der Vertreter der Großen Koalition in der Generaldebatte auf die Thematisierung der akuten Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung. Über Kritik an sozialen Unwuchten der Maßnahmen wird mit abgehobener Souveränität unter Verweis auf die Geldmittel hinweggegangen, die bereit gestellt werden, so als seien die Freisetzung von Steuermitteln und die Verschärfung von Corona-Maßnahmen der einzige Tätigkeitsnachweis, den man für erforderlich hält. Über die zukünftige Entwicklung, die Fragen wie man die gewaltigen sozialen und ökonomischen Umwälzungen die anstehen konkret aktiv gestaltet verlor man kein Wort. Annalena Baerbock von den Grünen hingegen traute sich das, während auf den Regierungsbänken die Abgeordneten und Minister demonstrativ gelangweilt auf ihr Handy blickten, Gespräche führten oder vor sich hindösten, als warte man nur darauf, dass nicht nur diese Debatte, sondern die Pandemie vorbei geht und danach alles so ist wie vorher. Das mag unangemessen sein, die gleichgültige Haltung spricht aber auch dafür, dass man sich der Mehrheitsfähigkeit dieser Position sicher ist, so dass man die ganze humanitäre Katastrophe rein machtpolitisch betrachtet in Kohlscher Manier einfach aussitzen kann. 

 

8. Dezember

Für diejenigen, die mit dem ÖPNV zur Arbeit fahren müssen hat eine Psychologin im Morgenmagazin folgenden Tipp: Vermeiden Sie Stoßzeiten, ändern Sie ihre Arbeitszeit. Ein wohlgemein(t)er Ratschlag aus dem Wolkenkuckucksheim, in dem der gewöhnlichen Arbeitswelt enthobene Schlaumeier Naseweisheiten fürs gewöhnliche Volk produzieren. Wir kennen die Lösung des Welthungerproblems - mehr Spachteln. Angst vor Aerosolen? Einfach die Luft anhalten. Abgesehen davon, dass die Vorstellung, in Call Centern und Schlachthöfen sei Vertrauensarbeit die Regel und die Zeithoheit liege bei den Beschäftigten von faszinierender Wirklichkeitsentrücktheit zeugt ergäbe ein kollektives Vermeiden von Stoßzeiten neue Stoßzeiten. Man sollte dann die Geisterbahnen in den alten Stoßzeiten aufsuchen, denn dann sind sie gähnend leer.   

Hans-Jürgen Wirth, seines Zeichens Psychoanalytiker, empfiehlt "Das Opfer der Selbstisolierung als freiwillige Gabe an die Gemeinschaft zu sehen" .Weiter führt er aus: "Der Verzicht auf soziale Kontakte stellt in der Pandemie eine `echte Gabe` dar. Man könnte auch von einem freiwilligen Opfer sprechen. Das Opfer der eigenen Bewegungsfreiheit, der Selbstisolierung stellt eine solche freiwillige Gabe an die Gemeinschaft dar. (...) Der freiwillige Verzicht auf soziale Kontakte stellt nicht nur ein wirksames Instrument der Pandemiebekämpfung dar, sondern eröffnet auch eine verschüttete Dimension in der Beziehung des Einzelnen zur Summe der anderen, also zur Gesellschaft: dass sich jede und jeder Einzelne als verantwortlich für alle anderen fühlt - ohne dafür eine Gegenleistung zu erwarten." Für `Schönsprech` charakteristisch ist es, einen negativen Sachverhalt begrifflich in sein positives Gegenteil zu verkehren. Auf diese Weise kann man die Selbstaufopferung zur Norm erklären, da es ja bedeutet, sich selbst zu finden, indem man zum Märtyrer für eine höhere Sache wird. Hans-Jürgen Wirth deutet den auferlegten Entzug von etwas zu einer Gabe um, die freiwillig gegeben wird - letztlich sei es nur eine Frage der inneren Einstellung, ob man Selbstisolation als Verlust sehe, den man erleidet oder als Geschenk an die Allgemeinheit. Wird einem etwas gegen den eigenen Willen genommen, so deute man dies nicht als Raub, sondern als selbst gewähltes Geschenk an die Räuber. Eine solche Haltung kann sich jede Diktatur und Tyrannei von seiner Bevölkerung nur wünschen - dass jeder Verzicht, jede Zumutung, jedes Opfer positiv umgedeutet wird als freiwillige Gabe an die Gemeinschaft. Der Pfad, den Wirth hier einschlägt ist eine Abkürzung zur Euthanasie. Von den Älteren darf man erwarten, dass sie ihr Leben bereitwillig für die Jüngeren lassen, so wie man früher erwartete, dass der Soldat gerne fürs Vaterland stirbt. Dass Wirth seinen Artikel "Warum der Verzicht auf soziale Kontakte keine Gegenleistung braucht" (SPON, 07.12.2020) so gemeint hat sei ihm nicht unterstellt, denn das wäre geschmacklos und zynisch. Dennoch sollte man aufmerksam bleiben wenn der Vorschlag im Raum steht, Opferbereitschaft als Neue Normalität zu etablieren. 

Die Neue Normalität ist in Kraft getreten bis in die Niederungen unserer Psyche. Das illustriert die Äußerung der Politikwissenschaftlerin Barbara Prainsack: `Ein Mensch, der keine Maske trägt, bringt unser Weltbild ins Wanken.` So weit sind wir schon? 

Der Kapitalismus, der alte Schlawiner, lässt keine Krise ungenutzt. Kaum liegt soziale Isolation im Trend, bringen die großen Zigarettenfirmen Jumbo-Packungen auf den Markt. Dass verrät soziale Achtsamkeit, denn so müssen die Kunden nicht mehr so häufig raus und können sich, ununterbrochen von lästigen Kioskgängen, in ihren Isolationtanks in Ruhe zu Tode fressen, saufen und parzen. Zudem können sie am Telefon stolz verkünden: ich rauche jetzt nur noch ne halbe Schachtel pro Tag.  

Der regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, profiliert sich in folgender Weise als harter lockdowner: `Ab 28. Dezember sollten wir die Geschäfte schließen. Keiner kann behaupten er müsse am 28. Dezember unbedingt Pullover kaufen.` Geschäfte dann zu schließen, wenn ohnehin kaum noch jemand hingeht, und dies als strenge Maßnahme zu verkaufen ist ein schlechter Schildbürgerstreich und hat mit einem lockdown so wenig zu tun, wie die Begründung der Ablehnung von Coronahilfeanträgen von Studenten, denen beschieden wird, sie seien ja schon vor Corona in einer Notlage gewesen mit sozialer Gerechtigkeit und Fingerspitzengefühl.  

 

7. Dezember

Es hätte einen gewissen sakralen Retrochic gehabt hätte Markus Söder seine 10 Gebote in Stein gemeißelt. Man darf jedenfalls annehmen, dass sich die Zahl 10 nicht zufällig ergab und die Wahl des Sonntags als Tag der Verkündung ebenfalls der Überhöhung eines Lastenheftes auf dem Niveau einer Einkaufsliste für den nächsten Baumarktbummel zu einer göttlichen Ordnung dient. Nach wie vor kann Markus Söder sich darauf verlassen, dass ihm bundesweit viel Zustimmung gewiss ist. Die Selbstgewissheit seines Auftretens suggeriert publikumswirksam Kontolle und Herrschaft über die Gefahrenlage. Zudem ist der Vortrag klar und einfach strukturiert, was den Eindruck verstärkt, die Pandemie sei in Schubladen verpackt und sicher verstaut. Ist etwas sortiert so gilt es in der Wahrnehmung oft als bewältigt. Ist ein Vorgehen strukturiert und klar, wird es als richtig und zielführend erachtet, selbst wenn das Vorgehen offenkundig in den Orkus führt. Konsequenz und Härte erzeugen Kopfnicken, statt Kopfschütteln. Stehen wir heute am Rand des Abgrunds, sind wir morgen einen Schritt weiter, den wir den anderen Bundesländern voraus sind. Auch wenn der eigene Weg in die Katastrophe führt, ist das Wesentliche schneller voranzukommen als andere. Vorsprung geht vor Angemessenheit. Etwa so als habe sich das Problem mit Giftmüll erledigt, wenn man es nach einem klaren Muster sortiert oder als sei die Verabreichung von Desinfektionsmitteln die richtige Therapie gegen COVID-19, wenn man dabei gemäß einer DIN-ISO-Norm oder auch einer Bauanleitung für einen Ikea-Schrank vorgehe. Die heutige Karikatur von Heiko Sakurai in der WAZ illustriert es angemessen: `Er mutet uns viel zu, und andere Bundesländer stehen viel besser da. Trotzdem ist und bleibt er (Söder) ein Engel.` 

Bei Anne Will wurde eine nicht uninteressante Debatte darüber geführt, ob die USA nach (und immer noch mit) Trump ein gespaltenes Land seien. Sigmar Gabriel bejaht dies und beurteilt die Aussichten auf eine Versöhnung der politischen Lager in den USA eher pessimistisch, Samira el Quassil sieht die amerikanische Gesellschaft eher als polarisiert an, Spaltung höre sich so an als habe man mit einer Axt das Land in zwei Hälften gespalten, was sie für ein missverständliches Bild hält. Während Gabriels Bild zu grobkörnig erscheint, erscheint die Beschreibung der Polarisierung als zu schwach. Bei einer Polarisierung stoßen die Pole eines Gebildes gegenseitig ab - damit eignet sich das Bild der Polarisierung metaphorisch als Beschreibung eines gesellschaftlichen Zustandes, in dem sich Gruppen gegenseitig als abstoßend (`disgusting´) diskreditieren. Polarisierungen jedoch halten Gruppen auf Abstand, aber sie lassen sich aufheben. Spaltung trennt rigoros und lässt Frontbildungen gegeneinander zu, die - überspitzt gesagt - vermieden werden, wenn polarisierte Gruppen sich wechselseitig derart abstoßen, dass sie sich nicht einmal im Sinne einer Konfrontation einander zuwenden: ein Zustand optimaler sozialer Distanz. Näher an der Realität mag das Bild eines Risssystems sein, das die Gesellschaft durchzieht wie bei einer zersprungenen, aber nicht zerbrochenen Glasscheibe. Die könnte man mit erheblichem Aufwand noch kitten.      

Wird dereinst eine Film über das Drama um die Erhöhung der Rundfunkgebühren gedreht bietet sich ein Titel an: 86 Cent.

Markus Söder begründet seine Entschlossenheit mit Überzeugung. Überzeugung - ein sachlich irrelevantes, jedoch immer wieder überzeugendes Argument. 

Wahrheiten bleiben oft ungesagt, lassen sich aber zwischen den Zeilen lesen. Oft ist das Weggelassene offensichtlich, wie ein Schriftzug aus Wachs auf Papier, den man deutlich erkennt, wenn man Wasserfarbe auf das Blatt sprenkelt. Gefragt, welche weiteren Verschärfungen Markus Söder in Betracht zieht, lässt er Betriebsschließungen aus. 

Spätestens seit Dr. House wissen wir: alle Menschen lügen. Misstrauen gegenüber politischen Personen und Institutionen beruht nicht auf Paranoia, sondern auf der einfachen Erkenntnis, dass weder wir, noch die politischen Personen und Institutionen von der Houseschen Regel ausgenommen sind. Wenn wir vertrauen, dann oft weil uns kaum etwas anderes übrig bleibt. Bleibt man bei der Wahrheit, so wird die Kontaktverfolgung nicht nur durch die schiere Menge der Infizierten erschwert, sondern auch aufgrund unrichtiger und unvollständiger Angaben der Infizierten: Als Infizierter erwischt zu werden droht so viele gravierende Lebenslügen zu entlarven, als dass man aus Gründen des Infektions- und Gesundheitsschutzes wahrhaftig bleibt. Für die Lüge gibts es immer Gründe, für die Wahrheit meist nur Gründe, die einem peinlich oder unangenehm sind.

Passend zu den sperrangelweit geöffneten Baumärkten erhöht die pandemische Lage auch die öffentliche Baulust. Nie waren Bürgersteige und Straßen so flächendeckend aufgerissen wie jetzt. Wie Kinder, die sich alleine zu Hause langweilen spielen wir mit Schaufel und Bagger. 

Uruguay - schon nach dem Zusammenbruch des 12 Jahre währenden tausendjährigen Reichs ein beliebter Zufluchtsort für fluchtwillige Deutsche - wäre ein schönes Reiseziel. Angenehmes Klima, kaum betroffen von Corona, Kiffen erlaubt. Leider blockieren laut Deutschem Ärzteblatt die Banken den Cannabis-Vertrieb. So ein Jammer. 

Abschlussbericht "30 Jahre friedliche Revolution und Deutsche Einheit." Michael Platzeck - erschreckend gealtert - bemerkt rückblickend, aber durchaus in gewollter Anspielung auf die derzeitige Situation - "Die rasanten gesellschaftlichen Transformationen erfolgten ohne Plan. Wie man heute sagen würde: man fuhr auf Sicht." Heraus kamen Treuhanddesaster und schließlich die AfD. Mal schauen welche planlosen globalen Transformationen Corona uns beschert. 

Legt man den Zugverkehr lahm - ist das dann ein Lokdown? 

Während Social Distance das Gebot der Stunde ist bildet bei Pressekonferenzen des CSU-Präsidiums das CSU-Motto ´näher am Menschen` den Hintergrund. Ja was denn nun? 

Natürlich verhält man sich auch am Arbeitsplatz privat. Deswegen nimmt Michael Kretschmer, MP in Sachsen, das Tabuwort "Betriebe" in den Mund, allerdings nur, um auch in diesen Umfeldern die volle Verantwortung für die Kontaktvermeidung auf das Sozialverhalten der Menschen zu schieben. Die Mahnung wird die Arbeitgeber freuen, sie wird zwar nicht die Arbeitsmoral, aber die Arbeitsdichte fördern - die Pausenzeiten werden sich wie von selbst reduzieren. Gleichwohl: selbstverständlich gilt auch im Arbeitsumfeld, dass Kontaktbeschränkungen der Königspfad zur Reduzierung von Infektionsraten wäre. Doch zu denken, man könne sämtliche öffentlichen Räume wirkungsvoll versiegeln, an denen sich das Bedürfnis nach Kommunikation und Nähe Bahn bricht wäre ein Irrtum. Es müssen Räume geöffnet bleiben, in denen Begegnungen unter Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln stattfinden: Kulturstätten. Gegebenenfalls auch Restaurants. Anderenfalls wird sich bei der absehbar langen Dauer der Beschränkungen trotz aller Verbote und Appelle das Bestreben nach Kontakt, Nähe und auch Sinnstiftung diffus ausleben. Es geht auch um Gesundheitsförderung und Stärkung der Resilienz durch die Ermöglichung eines kulturellen und sozialen Lebens, denn dauerhaft hält die Gesellschaft den Verzicht auf soziale Nähe und kulturelle Teilhabe nicht durch. Die Beurteilung der Gefahrenlage in der Pandemie zu reduzieren auf Messwerte ist zu einfach und folgt der Logik des Qualitätsmanagements in Betrieben: you cant manage what you cant measure. Eben das jedoch - auch das zu managen, was man nicht messen kann - ist Kernaufgabe der Politik. Dabei darf sie sich nicht auf diejenigen Handlungsfelder beschränken, die sich - wie jemand in einem Forum schrieb - als Haftungsrisiken für die Regierung erachtet werden.

Die bisherige Diagnose des Tages stellt Phoenix-Moderator Gerd Joachim von Fallois: Die Sorglosigkeit der Menschen ist nicht groß genug.

Corona als Brennglas versammelt alles Licht auf den Fokus der Pandemie. Damit werden andere drängende soziale und politische Probleme in den Schatten gestellt. Migration, Syrien, Rüstungsausgaben, Lebensbedingungen in Flüchtlingslagern, Brexit und so weiter. Welch ein Segen für alle Anhänger des Durchregierens.

Was tun? Die wachsweichen Modifizierungen der Corona-Maßnahmen in Bayern schon als `harten lockdown` zu bezeichnen ist verfehlt. Auch die 10 Södergebote sind davon weit entfernt - schon die Ausnahmeregelung für Weihnachten ist zu viel des Fatalen. So bedauerlich es ist, dass auch die liberalen Strategien Schwedens und der Schweiz derzeit an ihre Grenzen stoßen, fordert die Situation einen lang anhaltenden harten lockdown, der eben nicht abhängig von regional unterschiedlichen Inzidenzwerten verhängt wird. Wie die Entwicklungen in östlichen Bundesländern zeigen, sind niedrige Inzidenzzahlen kaum mehr als Momentaufnahmen und rechtfertigen eben nicht Ausnahmeregelungen, gar Lockerungen. Im Gegenteil: soll ein lockdown langfristig Wirkung haben ohne dass es zu den Jojo-Effekten kommt, die auftreten, sobald man unter dem Eindruck vergleichsweise niedriger Inzidenzzahlen aus dem lockdown einen lockerdown macht, sollte der lockdown auch nach Erreichen niedriger Inzidenzwerte noch wochenlang aufrechterhalten bleiben bis man sich der Stabilität der Lange sicher sein kann - erst dann kann man lockern. Auch in einem solchen, lang andauernden Szenario bedarf es der Offenhaltung von Stätten des kulturellen und sozialen Lebens, und sei es nur für eingeschränkte Zeitkorridore. 

Frank Plasberg thematisiert in `Hart aber fair` die Folgen der Pandemie und ihres Managements auf Jugendliche, Abiturienten und Studenten. Für die Bundesregierung soll - der Finanzminister Stellung beziehen. Offenbar hatte kein Bildungspolitiker, kein Kultusminister das Rückgrat um sich öffentlich den Fragen und der Kritik, der - auch das verzerrt allerdings Realitäten - Musterabiturienten mit 1ser-Notenschnitt und jungen Parteifunktionären zu stellen. Wie arm ist das denn? Die Jugendlichen übrigens führen eine Debatte über die Vermögenssteuer, die genau so gut im Bundestag stattfinden könnte. Der Betrachter hegt Zweifel an der Repräsentativität dieser elitären Selektion der jungen Generation. Sorgfältig gescheitelt, gescheit und kostümiert hinterlassen sie den Eindruck, Schulen und Universitäten seien ausschließlich bevölkert von Ehrgeizlingen, die ihren Notenschnitt im Sinn haben und jede Feier dafür sausen lassen (Peter Licht: wir machen uns eben Sorgen über unsere Chancen auf dem Arbeitsmarkt). So wenig, wie Olaf Scholz in diese Sendung passt, sprechen diese Highperformer für ihre Generation. 

 

6. Dezember

"Zwischen Sonne und Meer flimmert die Luft wie in einem Western, der in der Wüste spielt. Untypisch für diese Jahreszeit, selbst hier, kaum 100 Kilometer von der afrikanischen Küste entfernt. Seit Tagen hochsommerliches Klima im Winter, das ein bedrohliches Gefühl der Unstimmigkeit erzeugt, verstärkt durch beunruhigende Nachrichten. Den Menschen wird dringend empfohlen die Nähe zum Wasser zu meiden. An den Küsten grassiert eine Mückenplage. Riesige Schwärme formieren sich zu Schleierfahndungen nach Blut. Tückisch an dieser neu aufgetauchten Art, die spontan und eruptionsartig auftrat ist vor allem ihre Winzigkeit. Diese Spezies ist, ein nie da gewesener Fall von Inselverzwergung bei Insekten, so klitzeklein und so durchscheinend, dass man selbst die Schwärme nicht sieht, und nicht hört. Sie stört den Schlaf nicht und wird durch Moskitonetze nicht gestört. Ihre Stiche sind im einzelnen harmlos, aber es gibt keine einzelnen Stiche. Sie fallen in Schwärmen über einen her, zunehmend auch in den Häusern. Fälle lebensgefährlicher anaphylaktischer Schocks in Folge von Einstichen am ganzen Körper häufen sich, ebenso wie Fälle von Sepsis. In den Supermärkten sind die Biozide regelmäßig ausverkauft, Produktion und Lieferung können mit der Nachfrage nicht Schritt halten. Die Regierung erwägt Evakuierungen, aber wohin? Fast alle bewohnten Orte liegen in Küstennähe, die Landflucht hinterließ nur Ruinen und verdorrte Olivenhaine. Trotz der Gefahrenlage lebe ich erstaunlich sorglos. Gehe am Strand spazieren, schlafe tief und traumlos mit offener Tür zur Terrasse. Bisher haben die Biester mich, anders als ihre sichtbaren und nervös surrenden Artgenossen im Herbst, vollständig verschont, meine Haut ist nicht stichhaltig. Meine Einsamkeit schützt mich. Sie ist so absolut, dass selbst Moskitos einen weiten Bogen um mich fliegen. Nichts und niemand umschwärmt mich."  

In Matthias Richlings SWR-Satireprogramm vom 04.12.2020 `Richlings Lockdown-Wahnsinn` lässt Richling als Karl Lauterbach kostümiert die Feststellung verlauten: `Unser Grundgesetz gefährdet die Demokratie`, denn es verhindere, dass es uns Demokraten effektiv beschützt. Diese und andere Absurditäten wie etwa die Aufforderung zum Rückzug ins Private, obwohl 90% aller Infektionen in privaten Räumen stattfinden verdichtet Richling zu einer seitenhieb- und stichfesten satirischen Kritik an der Corona-Politik, die sich wohltuend von den zu Propagandainstrumenten degenerierten Exsatire-Formaten in ARD und ZDF unterscheidet. In Richlings Programm bekommen Querdenker ebenso ihr Fett weg, wie das Corona-Kabinett. Sein Programm grenzt sich ab von pseudokabarettistischen Programmen, deren Botschaft sich darauf reduziert, Kritiker der Corona-Politik als Deserteure im Corona-Krieg zu denunzieren. Satire, die nur nach das Schema `Wer nicht für uns ist, ist unser unzurechnungsfähiger Feind` bedient ist keine Satire, sondern Agitation, die bekanntlich die Vorstufe zu Hetze ist. Satire darf und soll unabhängig von der politischen Ausrichtung der Verspotteten dafür sorgen, dass alle ihr Fett wegbekommen, die Herrschaft über die öffentliche Meinung ausüben oder anstreben. Gut, dass man zu sehen und hören bekommt dass die Lach- und Schießgesellschaft noch lebt. 

Wäre ich König von Deutschland würde ich Werbespots verbieten, die der Realität von Reisewarnungen, Quarantäne und Verfemung touristischer Aktivitäten instinktlos die Vorzüge und Reize des Trentins oder Südtirols gegenüberstellen. Seelische Folter gegen die nur Abschalten hilft. 

Eine Ursache der aktuellen psychischen Anspannung besteht darin, dass Menschen auf zu rasche Veränderungen gestresst reagieren. Wohl kaum. Sie reagieren gestresst weil alle derzeitigen Veränderungen Veränderungen zum Schlechteren sind. Der implizite Vorwurf man sei einfach zu träge, um sich auf diese aufregende neue Situation aufgeschlossen einzulassen und sie - ipso facto inklusive sämtlicher Unannehmlichkeiten - bereitwillig anzunehmen, ist kaum zu überhören, unangenehm wie ein Tinnitus. So ziemlich jede Maßnahme wird mit den bedauerlichen und traurigen Defiziten in unserem Sozialverhalten begründen, Psychologen bleibt es dann vorbehalten, unwillige Reaktionen auf die verordneten Beschränkungen als (un)soziale Prokrastination zu pathologisieren. 

 

5. Dezember

Als ich auf folgenden Text stieß hüpfte bei der Lektüre mein Herz vor Freude: `Das kapitalistische Wirtschaftssystem ist den staatlichen und sozialen Lebensinteressen des deutschen Volkes nicht gerecht geworden. Nach dem furchtbaren politischen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenbruch als Folge einer verbrecherischen Machtpolitik kann nur eine Neuordnung von Grund aus erfolgen. Inhalt und Ziel dieser sozialen und wirtschaftlichen Neuordnung kann nicht mehr das kapitalistische Gewinn- und Machtstreben, sondern nur das Wohlergehen unseres Volkes sein. Durch eine gemeinwirtschaftliche Ordnung soll das deutsche Volk eine Wirtschafts- und Sozialverfassung erhalten, die dem Recht und der Würde des Menschen entspricht.` Was sich liest wie eine volkstümelnde Readers Digest-Version des kommunistischen Manifests sind die ersten Worte des Ahlener Programms der - man mag es kaum glauben - CDU von 1947. Die selbe Partei erwägt ernsthaft einen Ex-Blackrock-Manager (man sehe zu Blackrock-Machenschaften den Monitor-Beitrag vom 03. 12. 2020) zum Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten zu küren. Angesichts der durch die Pandemie verschärften sozialen und ökonomischen Verwerfungen und Ungerechtigkeiten würde man sich wünschen, Karl Marx erstehe im Körper von Angela Merkel wieder auf und überrede sie zu einer weiteren Kanzlerkandidatur oder aber er werde wiedergeboren als Algorithmus-Störung im Aladdin (Asset, Liability, and Debt and Derivative Investment Network) - Datenanalysesystem von Blackrock.

Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass niemand meine Interessen vertritt. So lange ich mich selber interessiere, braucht mein Interesse keinen Vertreter.

Ob Jens Spahn wohl Urlaub in Spahnien macht?

Mittlerweile ließen sich zahlreiche Kolumnen füllen mit Besprechungen der Serien und Filmen, die Pandemien publikumswirksam und quotentreibend als Metapher verarbeiten - schon vor Corona spielte die Renaissance des Zombie-Genres die ganze Bandbreite der semantischen Feldes der Pandemie aus, um Spaltungen von Gesellschaften, die Dramatik sozialer Verwerfungen und die Degeneration der Konsumgesellschaft zu seelenlosen Menschenfressern (im Sinne Jacques Atalis als Repräsentanten der kannibalischen Ordnung) als Splatterparade zu inszenieren. Dazu gesellt sich der Film `The Cured` der, gegen die Folie der IRA-Historie und der Spaltung Irlands, bereits 2017 viele Themenfelder vorwegnahm, die heute hochaktuell sind: Ausgrenzung von Gefährdeten und Gefährdern, Pandemiebekämpfung durch Kontrolle, Angst und Repression. Ein passendes Betthupferl, wenn man nach Markus Lanz vor lauter Wu(ch)t nicht einschlafen kann.

Übrigens: vertippt man sich beim Schreiben von `Cured` spuckt das Rechtschreibprogramm einen Börsentipp aus: Curevac.

Alfred Apel aus Herne macht seinem Ärger in einem Brief an die Redaktion der WAZ Luft: `Wenn sich ein Schulministerium in NRW leistet, von Regelbetrieb im Unterricht zu sprechen und für deutlich mehr als zwei Millionen Schüler/Innen abstandsloses Kuscheln in Schulklassen durch Schulpflicht erzwingt (was hat man ein dreiviertel Jahr gemacht?), dann wird doch klar und deutlich staatsseitig vermittelt, dass die AHA-Regel nicht ernst zu nehmen ist. `So verständlich das Unverständnis ist, so kurzsichtig ist die Schlussfolgerung. Die Beschränkungen und Reglementierungen im Sozialverhalten sollen lediglich die Konsequenzen des unbeschränkten Wirtschaftens und Schulens so weit dämpfen, dass unser Gesundheitssystem nicht überfordert ist. Es geht nicht um Menschenleben, sondern Systemstabilität.  

Was wissen Städte und Gemeinden was wir nicht wissen? `Der Einzelhandel werde in den Stadtzentren im kommenden Jahrzehnt seine herausragende Bedeutung verlieren, prognostizierten die Kommunen in der (...) Kommunalumfrage 2020. Dagegen würden die Gastronomie, medizinische Angebote, aber auch Freizeit-, Kultur- und Tourismusangebote sowie Dienstleistungen (...) eine viel größere Rolle spielen.` (WAZ kompakt von heute). Welche Drogen muss man nehmen, um von einer solchen Wiederbelebung der Innenstädte zu träumen? 

Ein durch Vielzitat entwickeltes Klischee lautet: die Pandemie bringt das Beste und das Schlechteste in uns zum Vorschein. Klingt wie ein Bastard aus Gillette-Werbung und Kalenderspruch. Trifft aber so unweigerlich manchmal zu wie ein Horoskop. Für die Texte von Sibylle Berg gilt: sie bringen immer besser das Schlechteste zum Vorschein. Ihre Spiegel-Kolumne `Das Dauerraunen des Schreckens` skizziert in wohltuender Kürze das derzeitige politische und soziale Klima inklusive der Mechanismen, die dieses Klima hervorbringen: `Es wird ein langer, harter Winter, ich habe verstanden. Wir werden alle sterben. Massiv wurde das ARD-Kammerspiel `Gott` über das Sterben beworben. Ich habe das Fernsehspiel zehn Minuten durchgehalten. Es klang, als hätte ein Anwalt ein Gläschen Tee getrunken und dann aus verschiedenen Gesetzbüchern abgeschrieben. (...) Im Moment wird das Aussterben bestimmtere Bevölkerungsanteile mit einer Dreistigkeit verhandelt, die mich ratlos macht. (...) Eine brutale Seuche geht um. Ihr Name ist weder Covid, noch Corona, sondern Spätkapitalismus.` Das ist treffend, dennoch gespickt mit Verharmlosungen, denn es ist noch schlimmer: das Aussterben bestimmter Bevölkerungsgruppen wird nicht verhandelt, sondern ohne Verhandlung in Kauf genommen. Wenn überhaupt, wird diese Verhandlung auf die Familie übertragen: `Ein Paar mit zwei Teenagern hat an seiner Weihnachtstafel also Platz für genau noch eine weitere Person. Für die Oma. Oder den Opa. Oder die andere Oma.(...) Wie kommt die Berliner Landesregierung auf die Idee, Familien eine Triage aufzubürden, mit der ein Ethikrat überfordert wäre?`(Alexander Neubacher, Klein Platz für Opa, SPON; 05.12.2020). Dreist ist, dass die offenbar unzureichenden Mittel zum Schutz vulnerabler Gruppen nicht in Frage gestellt, sondern weiter verschärft werden. Und die Seuche ist nicht der Spät- sondern der Kapitalismus, für dessen Leistungsfähigkeit grade jetzt hemmungslos geworben werden kann, weil man ihm letztendlich für die rasche Entwicklung eines Impfstoffes huldigen wird, den man ohne die Exzesse der Globalisierung vermutlich nie benötigt hätte. Dringend benötigt wäre ein weltweites Ahlener Programm (LOL). 

Es hagelt Kritik an den Corona-Maßnahmen. Die Widersprüchlichkeiten, die Unverhältnismäßigkeiten, die Ungerechtigkeiten, die Schlingerkurse, das Kontraproduktive, das Überzogene, die Einschränkungen, deren Wirkung zweifelhaft ist und so weiter...die Flanken sind offen, man muss nur einen erhobenen Zeigefinger rühren, dann steckt man ihn unweigerlich in eine Wunde, weil alles eine Wunde ist. Nimmt man sich im Furor der eigenen Besserwisserei ein wenig zurück stellt man fest, dass jede Kritik am Vorgehen der Entscheider Selbstkritik ist, oder sein müsste - nicht wegen unseres kontaktsüchtigen Sozialverhaltens, sondern wegen unserer überzogenen Erwartungen an die Kompetenz der Entscheider. 

Wem wir unsere Stimme geben, welche Partei wir wählen hängt von der Einschätzung ab, welcher Kandidat oder welche Partei sich für unsere Interessen einsetzt, nicht von unserer Einschätzung, wie kompetent und effizient unsere Auserwählten agieren. Das hängt nicht so sehr damit zusammen, dass aus dem Bauch heraus gewählt wird, sondern beruht auf der mangelnden Basis für die Beurteilung von Kompetenzen (und auch der Integrität) der Parteien und ihrer Akteure bei der Realisierung der an uns gerichteten Versprechungen. Die Unklarheit hinsichtlich der Fähigkeiten von Parteien und Kandidaten, den in sie gesetzten Hoffnungen gerecht zu werden bestand schon im präpandemischen Alltag. Die nicht alltägliche pandemische Ausnahmesituation übersteigt darüber hinaus sowohl den Horizont der Hoffnungen, die Menschen mit ihrer Wahl verbinden, als auch den Horizont der Erwartungen der Wettbewerber um die Macht in Bezug auf das, was auf sie zukommt. Es wäre eher überraschend, wenn die auf Routinen der Ausschussarbeit, Arbeitsmarktpolitik und üblichen politischen Spielfelder einer an Sicherheit und Wohlstand gewöhnten Gesellschaft geeichten politischen Entscheider jenseits ihrer gewohnten Terrains nicht nur souverän auftreten, sondern auch noch präzise, pragmatisch und sachgerecht agieren. Kritik (auch zugespitzte und drastische) ist notwendig, Empörung über die Inkompetenz der Politiker dagegen ist etwa so fehl am Platze, wie Empörung über die unleserliche Handschrift eines Huftieres, das ein Rezept ausstellt - es sei denn die Kritisierten aalen sich in histrionischer Selbstgefälligkeit. 

 

4. Dezember

Bei Maybrit Illner waren unter anderem zu Gast Timo Chrupalla, der Daniel Craig der AfD und Sarah Virenknecht von den Linken. Bei Sarah Wagenknecht geht der Innenminister von NRW, Herbert Reul, richtig steil und wirft ihr empört Kapitalismuskritik vor (na sowas!). Herr Chrupalla zaubert keine Zornesader auf den Hals von Herbert Reul. Denn der AfDepp ist nur rechts, aber kein Kapitalismusketzer. 

Motto der Sendung ist eine Fragestellung: Wer profitiert von der Corona-Krise?. Schwere Frage...hmmm... Amazon...Google...Zoom...? Ebenso gut hätte man die Frage stellen können `Welche Farbe hat der Himmel?`

Monitor strahlt einen Beitrag über tote Flüchtlinge an den Mittelmeerküsten aus. Die EU plant eine `Nachschärfung` von Frontex und eine Verstärkung der Abschottung der Außengrenzen der EU, salbungsvoll verkündet von Ursula von der Leyen, deren inszenierte Mitgefühligkeit etwa so authentisch wirkt wie die sauertöpfische Weihnachtsstimmung, die Melanie Trump verbreitet. Der Beitrag stellt angesichts der Flüchtlingspolitik der EU das ethische Mantra in Frage, jedes Leben sei gleich viel wert und zu schützen. Das soll wohl nur innerhalb der Grenzen der EU gelten. Wo käme man hin, wenn Hinz und Kunz den Genuss dieser Wertschützung erlauben würde nur weil sie von Folter, Dürre und Krieg bedroht sind. Wie üblich sind die Elenden Manövriermasse im EU internen Abstimmungsgeschachere. Billionen Euro sollen zur Bewältigung der Corona-Krise in Europa bewegt werden, Ungarn und Polen blockieren den Geldfluss. Das robustere Vorgehen gegen den `Migrationsdruck` (das Unwort des Jahres) ist ein Kotau vor Orban und Duda,  Duda. Eine auf Kosten der Verfolgten gehende Appeasementpolitik gegenüber Pseudodemokraten, die man öffentlich zur rechtstaatlichen Räson bringen will und indirekt hofiert durch eine Flüchtlingspolitik, die genau so wenig zu den proklamierten Werten Europas passt, wie die Homophobie Ungarns und Polens. Daran wird sich nichts ändern, und zwar deswegen: `Obwohl die Unionsparteien zu Hause in Deutschland jegliche Form der Zusammenarbeit mit rechtspopulistischen Parteien entschieden ablehnen, kooperieren sie auf europäischer Ebene freimütig mit ebensolchen rechtspopulistischen und autoritären Kräften wie Viktor Orban und seiner Fidesz-Partei - selbst wenn diese aktiv Demokratie und Rechtsstaat aushöhlen. Die Doppelmoral der Union ist so schockierend wie offenkundig.`(R. Daniel Kelemen, Christoph Wratil, `Der Lieblingsautokrat von CDU und CSU, Die WELT, 03.06.2020).` Grund dieser Doppelmoral? `Eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der AfD würde viele Wähler in Deutschland vergraulen, die Zusammenarbeit mit Orban hat für die allermeisten Wähler keine Relevanz.`(ebd.). Wähler und Parteien - Partners in Crime.

Dass Demokratie nicht zwingend ein Bekenntnis zu humanitären Werten bedeutet zeigt grade Bangladesch. 100000 Rohingya-Flüchtlinge werden umgesiedelt auf eine Insel, die aufgrund von starken Monsunwinden als nicht bewohnbar gilt. Wollen Demokratien glaubhaft ihren Anspruch geltend machen, sie seien Garant für Freiheitsrechte und überhaupt die Einhaltung von Menschenrechten, so dürfen diese Rechte nicht nur für die eigenen Staatsbürger, sondern auch und besonders für Hilfesuchende gelten, die in den demokratischen Ländern Zuflucht suchen. Was Bangladesch mit den Rohingya anstellt grenzt an staatlich verordneten Massenmord. Was in den Flüchtlingscamp in Griechenland geschieht ist moralisch auf dem gleichen Niveau.  

Auch innerhalb der Grenzen der EU kann von einer Gleichwertigkeit der Menschenleben keine Rede sein. Als hätte man aus dem Corona-Prolog im Frühjahr keine Lehren gezogen sterben in den Pflegeheimen die Senioren wieder wie die Fliegen. Die gebetsmühlenartige Wiederholung des Primats vom schützenswerten Leben fungiert als moralische Selbstberuhigung, die in scharfem Kontrast zum tatsächlichen Geschehen und zum eigenen Handeln steht. Die familienfetischistische Politik des Corona-Kabinettes gipfelt im unbedingten Bestreben, Schulen und Kitas offen zu halten. Dieser familienpolitische Kurs kostet die Leben der Alten, denn die Infektionen die man in Schulen und Kitas in Kauf nimmt wandern durch die Familien zu den älteren Verwandten. Diese Form der Familienfreundlichkeit erweist sich - und das war absehbar -  als Konjunkturspritze für Bestattungsunternehmen.   

Wenn Wahnsinn Methode hat, ist dies noch keine Verschwörung. Der Familienwahn, die Familie als Kern der Politik (Jens Spahn), propagiert die Familie als fruchtbare, zukunftsträchtige Keimzelle einer prosperierenden Gesellschaft, in der Alter keinen Platz haben soll, grade weil die Gesellschaft überaltert ist. Soll die Gesellschaft sich häuten und kraftstrotzend in die Zukunft schreiten, muss sie Ballast abwerfen. Die Senioren werden ausrangiert und in Pflege- und Altenheime einsortiert, vernachlässigte Insassen von Reservaten, die dem latenten Altersrassismus der Gesellschaft ein notdürftiges moralisches Gewandt verleihen. Die hohen Sterberaten in den Alten- und Pflegeheimen sind unmittelbarer Ausdruck des tatsächlichen gesellschaftlichen Stellenwertes ihrer Bewohner, oft euphemistisch `unsere Liebsten` genannt.  

Corona fördert Karrieren als Medienstar. Der Epidemiologe Prof. Dirk Brockmann ist einer der viel gefragten Wissenschaftler, die kollektives Verhalten und dessen Veränderung statistisch erfassen und die Resultate interpretieren. Prominenz schützt indes nicht vor Fehleinschätzungen und vor einer BIAS, die sich auf die subjektive Erwartung des Interpreten gründet. Dagegen ist auch der unaufgeregte und nüchterne Dirk Brockmann nicht gefeit. Dass die Mobilität der Deutschen derzeit nicht so stark zurück geht wie im Frühjahr führt er auf Pandemiemüdigkeit der Bevölkerung zurück. Damit stimmt er in den Kanon derjenigen ein, die im sozialen Verhalten der Bevölkerung den einzigen Hebel sehen, der die Entwicklung der Pandemielage in die eine oder die andere Richtung maßgeblich bestimmt. Dabei muss man sich nur das Verkehrsaufkommen auf den Straßen ansehen um die naheliegende Ursache für die rege Mobilität zu erkennen: den Berufsverkehr. Im Gegensatz zum Frühjahr fahren die Menschen zur Arbeit. 

Wieso ich nach all meinen Lobliedern auf den schwedischen Weg nun Markus Söder das Wort rede? Weil in allen europäischen Ländern das Versäumnis in Sachen Vorsorge zu einer dramatischen Situation geführt hat, die kaum Gestaltungsspielraum lassen. Nach bekannten Vorbildern gerieren sich diejenigen, deren Handeln und Unterlassen eine Krise heraufbeschwor, als härteste Krisenmanager. Andreas Tyrock bringt es in seinem Kommentar "Zickzack-Kurs im Kampf gegen Corona" (WAZ von heute) auf den Punkt: `Wer jetzt einen harten Lockdown inklusive aller persönlichen, gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen fordert, übertüncht damit vor allem das jüngste politische Versagen.` 

Ein extrem schäbiges Beispiel für dieses Verhalten liefert derzeit Söder-Spezi Sebastian Kurz, der Mittwoch verkündete, Ende des Sommers `hätten vor allem Personen mit Wurzeln am Balkan und der Türkei das Virus nach Österreich geschleppt.` Gallig bemerkt Marija Barisic in der Süddeutschen hierzu: `Man kann für Kurz nur hoffen, dass die meisten Personen mit Wurzeln am Balkan und in der Türkei nicht zugehört haben. Seit Beginn der Pandemie sind sie es, die raus müssen in die Supermärkte und Großküchen. Sie sind es, die unterbezahlt und überarbeitet österreichische Krankenhäuser putzen und Infizierte pflegen. Viele von ihnen haben sich genau deswegen angesteckt. (...) Sebastian Kurz verhöhnt sie öffentlich, um von seinem eigenen Versagen abzulenken.`(Die Migranten, wie üblich, Süddeutsche Zeitung, 4. Dezember 2020). Da geht´s in Deutschland gerechter zu: hier sind wir alle die Sündenböcke. 

Wer hatte die beste Impfstrategie? Donald Trump! Der hat nämlich vorsorglich bereits Impfzentren bauen lassen lange bevor ein Impfstoff gefunden wurde. `Der abgewählte US-Präsident Donald Trump habe alles richtig gemacht, sagt ein Epidemiologe hinter vorgehaltener Hand.` (Christian Kerl, Miguel Sanches, `Bekommen wir zu wenig Impfstoff?` WAZ von heute). Und so ein Präsident wird abgewählt? 

Wenn denn harte lockdowns folgen sollte Prävention mitgedacht worden: wie ist zu vermeiden, dass Lockerungen erneut zu einem sprunghaften Anstieg der Infektionszahlen führen? 

 

3. Dezember

Beginnen wir mit einem Zückerchen für die Schwerdenker: Es regnet und es ist nasskalt. Manipuliert die Regierung mittels Zinkgranulat das Wetter, damit die Leute zu Hause bleiben?

Von Querdenkern zu Querlenkern. Gestern war Carsten Linnemann von der CDU zu Gast bei Orkus Lanz. Ein sympathischer Auftritt. Carsten Linnemann wetterte gegen Krisengewinnler wie Google und Amazon, die Steuerlasten vermeiden, gleichzeitig jedoch alle Vorzüge der deutschen Infrastruktur gerne in Anspruch nehmen. Abgesehen von dieser für Christdemokraten geradezu anarchistischen Haltung fällt er auch positiv durch eine differenzierte Betrachtung der Pandemiesituation auf, worin er sich wohltuend vom Moderator unterscheidet. Markus Lanz frönt nicht nur seinem Irrglauben, es müssen nur alle Menschen jederzeit Masken tragen, dann hätte man die Pandemie rasch im Griff, er greift auch Carsten Linnemann persönlich an, weil er (als einer von vielen Abgeordneten im Bundestag) nicht einfach dafür gesorgt hat, dass die Menschen immer und in jeder Situation einen Mund-Nasenschutz tragen. Alles wird gut, wenn die Menschen - trotz dünner Luft - auf dem Gipfel des Mount Everest, alleine im Kellerraum, als Förster auf einem Hochstand den Nasenmundschutz tragen.  Er beruft sich dabei auf die Äußerung eines Virologen, der in seiner Sendung auftrat und auf die erfolgreiche Eindämmung der Pandemie in asiatischen Ländern hinwies. Carsten Linnemann ließ irritiert den Angriff über sich ergehen, der ihn als pars pro toto dafür verantwortlich machte, dass der Bundestag nicht gesetzlich eine allumfassende Maskenpflicht beschließt, die Menschen dazu verdonnert, sich die Maske ohne Betäubung in die Haut einzunähen und als Leatherface ihre lebensnotwendigen Einkäufe zu erledigen. Er entgegnete dann das, was auch der zitierte Virologe (ich glaube es war Herr Kekule) betonte: die wesentlichen Instrumente der Eindämmung sind Abstand und Kontaktvermeidung - und zwar in allen Lebensbereichen, nicht nur in der Freizeit, sondern inklusive und besonders in der Arbeitswelt. Will man die Infektionszahlen rasch senken, dann muss man einen lockdown vornehmen, der auch Betriebe und Verkehrsmittel mit einschließt. Dann sind die Masken ein Additiv, das zusätzlich die Infektionsgefahr reduziert, keineswegs jedoch ersetzen sie Abstand und Kontaktbeschränkung. Das hält Markus Lanz nicht davon ab im Stil eines amerikanischen Fernsehpredigers seinen Heiligen Zorn auf all diejenigen herabregnen zu lassen, die nicht an die universale Heilkraft der Maske glauben. Diese Reduzierung eines komplexen Problems auf eine simple Lösung wäre eines AfD-Landeschefs von Thüringen würdig. Die einfache Formel: Maske tragen und alles wird gut ist nicht nur hanebüchen, ihre Proklamation ist gefährlich. weil sie die Prioritäten kontrafaktisch verschiebt: Abstand und Kontaktbeschränkung sind zu vernachlässigen, wenn man auch am Nordpol Maske trägt. Derzeit streitet man über die Erhöhung der Rundfunkgebühren, die sicherstellen soll, dass auch weiterhin die öffentlich-rechtlichen Medien ausgewogen und verhältnismäßig berichten. Markus Lanz demonstriert eindrucksvoll, wie breit das Spektrum der Ausgewogenheit und Verhältnismäßigkeit innerhalb des öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrags gestreut ist. Für Desinformation a la Lanz sollen wir - unabhängig davon ob wir das öffentlich-rechtliche Sendeangebot in Anspruch nehmen - noch stärker zur Kasse gebeten werden.

Ernüchternd war der Auftritt des Infektiologen Prof. Peter Kremsner. Klipp und klar legte er dar, dass die Impfung zunächst überhaupt nicht geeignet ist, wieder mehr Freiheiten zu ermöglichen. Man weiß schlicht und ergreifend nicht, wie lang der Impfschutz anhält. Dazu muss man zunächst lange Zeit die Auswirkungen der Impfung in den Ländern betrachten, deren Bevölkerung als Testgruppe für Impfstoffe zur Verfügung steht, die in den wohlhabenden Ländern für deren Bevölkerung entwickelt werden. 

Eine Tagesschausprecherin begründet die faktischen Grenzschließungen in Österreich wie folgt: `So solle verhindert werden dass das Virus nicht wieder ins Land gelangt.` Diese doppelte Verneinung sollte aufmerksamen Verschwörungstheoretiker nicht entgangen sein. 

Nachdem sich das Bild von `Corona als Brennglas` abgenutzt hat ersann man neue plastische Vergleiche, die man zur Verdeutlichung der Eigenschaften und Erfordernisse der Notlage von nationalem Ausmaß unters Volk streute. Die nervtötendste Metapher unter vielen nervigen Vergleichen: `Corona ist kein Sprint, sondern ein Marathon.` Um es mit Samira al Quassel zu sagen: der Vergleich hinkt wie Goebbels. Der übergewichtige, eh, überwiegende Teil der Bevölkerung besteht nicht aus Sprintern, noch weniger aus Leistungssportlern und schon gar nicht aus Marathonläufern. Es steht nicht einmal in den Sternen, wie ein Bild, das Fehlbelastungen und Überforderung kombiniert, Fähigkeiten abverlangt, die den Adressaten fehlen und insbesondere den Schluss nahelegt, dass viele auf der Strecke bleiben Motivation fördern soll. Im Gegenteil: wenn sowieso nicht zu leisten ist was gefordert wird, so provoziert dies genau die Scheiß-Egal-Haltung und den Leichtsinn, die von der Regierung befürchtet wird.

Wenn Peter Brinkhaus im Parlament markig konstatiert: `Führung bedeutet, den Menschen etwas zuzumuten` ist der Effekt vergleichbar. Er sagt dem faulen und verwöhnten Souverän damit, dass Besuchsverbote, Isolation von Senioren und das Koma der Kultur und Gastronomie Ponyhof waren. Darüber hinaus klingt in seinem Credo auf die (eigene) Führungsstärke an, es sei das Wesen der Führung, Zumutung zu sein, ganz gleich ob dies sinnvoll oder verhängnisvoll ist. Eine solche Auffassung von Führung ist unzumutbar.

Wie schlimm die Situation ist in der wir uns befinden ahnt man, wenn man ausgerechnet Markus Söder Recht geben muss. `Es werde nicht funktionieren, wenn man die Gesellschaft monatelang in den Halbschlaf versetzt.` In der Tat erweist sich der lockdown light als halbgar, als weder halbgarer Fisch, noch halbgares Fleisch. Angesichts der anhalten hohen Infektionsraten und insbesondere den immer neuen high scores bei den Todeszahlen, die in den Nachrichten präsentiert werden wie ein Sportschau-Telegramm, entpuppen sich die letzten vier Wochen als Vergeudung wertvoller Zeit, die für einen echten lockdown inklusive Schließung von Schulen, Kitas und Betrieben hätten genutzt werden sollen. Denn entweder man macht es ganz - oder gar nicht. Ein kurzer, aber rigoroser lockdown wäre allemal erträglicher als die Aussicht auf eine lang anhaltende Stagnation ohne erkennbare Erfolge bei unveränderter Gefahrenlage durch den grassierenden Spielverderber der Globalisierung, Swingerclubs und des public viewing. Allerdings wird man bei Intensivbet and win keinen Blumentopf gewinnen, wenn man auf einen harten lockdown setzt. Der sichere Tipp mit geringer Gewinnquote ist es, auf Ausgangssperren (Einkaufen und Arbeiten sind erwünscht und erlaubt) und weitere Kontaktbeschränkungen zu setzen, ohne dass Betriebe, Schulen und Kitas geschlossen werden.   

Ausgangsperre in Mannheim. Na und? Wer will da schon vor die Tür gehen.

Heute ist `Tag der Behinderung` - nein, nicht der AfD-Parteitag oder eine Vollversammlung der Querdenker. Ein Interview mit einem Besucher einer Behindertenwerkstatt. In diesem Interview fiel ein Satz, der besser als jeder andere ausdrückt wie es wohl vielen Menschen derzeit zumute ist: `Es fühlt sich so an, als ob diese Pandemie nie aufhört.` Tatsächlich ist ein Ende nicht absehbar. Impfstoff hin, AHA-Regeln her. 

  

2. Dezember

Labile Gleichgewichte sind empfindlich wie Armin Laschet, wenn man ihn auf seinen Sohn anspricht. Das gilt umso mehr für mühsam stabilisierte innere Balance. Schutzlos ist man verheerenden Schmetterlingseffekten ausgesetzt. Einigermaßen gewappnet gegen Frontalangriffe auf das Gemüt wie die nächste Verschärfung von Kontaktbeschränkungen bringen einen winzige seitliche Erschütterungen ins Schleudern. Den Supermarkt ohne Einkaufswagen betreten zu dürfen war ein Stück zurückgewonnene Freiheit. Seit heute Morgen ist das Betreten des Supermarktes ohne Einkaufswagen wieder untersagt. Auch morgens, wenn die Kassen noch weitgehend verwaist sind und die wenigen Kunden sich zwischen den Gängen verlieren. Auch dann, wenn man lediglich eine Tube Senf und eine Zeitung erwirbt. Die Absurdität des Wagenzwangs in dieser konkreten Situation lässt mein Inneres zerbröseln wie die Aschesäule einer Zigarette im Wind. Zu allem Überfluss an Sinnlosigkeit erhöht diese Regelung die Risken, denen sie angeblich vorbeugen soll. Der Bereich rund um die Schlangen der Einkaufswagen ist ein Stauraum, in dem die Kunden sich unweigerlich näher kommen als beim Einkauf selber. Menschen, die Einkaufswagen zurückgeben treffen auf Menschen, die Einkaufswagen benötigen, in einem Nadelöhr, das kaum Raum zum Navigieren und Ausweichen bietet. Sinnlosen und gefährlichen Regelungen unterworfen zu sein erhöht das Gefühl von Ohnmacht und Ausgeliefertsein.   

Inmitten der Freiheitsbeschränkungen werden Loblieder gesungen auf die Freiheiten unserer Gesellschaft. Das ZDF-ARD-Morgenmagazin bringt eine Reihe über die Arbeit von Journalisten in Ländern in den Niederungen des Rankings für die Pressefreiheit - nicht ohne dass die Moderatoren nach jedem Beitrag erleichtert aufatmen: Wie gut, dass wir hier so frei berichten können. Die Stoßrichtung ist klar. Das Publikum soll verstehen, wie gut es einem in Deutschland im Vergleich zu den Menschen in autoritären Systemen geht, deren Erfolge bei der Eindämmung der Pandemie wir zu beneiden beginnen. Welchen Nutzen hat jedoch die journalistische Freiheit für das (freiheits)beschränkte Publikum, wenn diese sich in Durchhalteparolen, Werbung für das Einhalten der Hygieneregeln und die Akzeptanz von Freiheitseinschränkungen erschöpft, die nur dahingehend kritisch hinterfragt werden, ob sie rigoros genug sind und ob das Einhalten der Regeln streng genug überprüft wird?

Erschütternd und äußerst unangenehm ist es, wenn die freie Presse sich die Freiheit nimmt selbst die Mittel anzuwenden, deren Verwendung im Staatsfernsehen von Diktaturen man anprangert. Exemplarisch in der gestrigen Ausgabe von Lanz oder gar nicht. Zu Gast war der Virologe Kekule, der ein Buch über SARS-Cov2 verfasst hat, für das der Moderator ein paar Sendungen zuvor noch kräftig die Werbetrommel gerührt hat. Darin führt Kekule aus, dass die die pandemische Situation ausgelöst wurde durch die sogenannte G-Variante des Wuhan-Virus, die erstmals in der Lombardei auftrat. Da Lanz wohl auch von den Agenten des chinesischen Staatsfernsehens gesichtet wird, tauchte dort alsbald diese Aussage Kekules im chinesischen Staatsfernsehen auf - als Beleg dafür, dass nicht China Schuld sei an der Pandemie. Zunächst stellten Markus Lanz und Sascha Lobo fest, dass die chinesischen Medien grundsätzlich immer lügen. Schon apodiktisch zu behaupten, die Gegenseite lüge grundsätzlich, selbst dann wenn sie feststellt, dass 1 und 1 zwei ist - so als sei der formale Wahrheitsgehalt einer Aussage abhängig von dem politischen System, in dem sie getätigt wird - ist ein typisches Propagandamittel, dessen ethische Fragwürdigkeit nicht vom politischen System abhängt. Die Gleichung `Diktatur lügt immer` und `Demokratie lügt nie` zeugt nicht nur von moralischer Überheblichkeit, sie steht im Widerspruch zu den Werten, die sich die freie Presse in demokratischen Gesellschaften auf die Fahne schreibt: Objektivität, kritische Distanz, Seriosität. In einer Diktatur geht das staatliche Gewaltmonopol so weit, dass es ein Monopol auf Wahrheit für sich beansprucht. So rechtfertigt eine Diktatur ihre Propaganda. In einer freiheitlichen Presselandschaft zu Mitteln zu greifen, deren Verwendung man zu Recht als Beleg für die nicht hinnehmbare Instrumentalisierung staatlich gelenkter Medien für Propagandazwecke missbilligt, ist doppelt verwerflich, denn es höhlt Grundfeste unserer freiheitlichen Gesellschaft aus. 

Schlimm genug, aber es kommt noch schlimmer. Markus Lanz redet dem Virologen Kekule ins Gewissen: Er hätte doch wissen müssen, dass China seine Aussagen zu Propagandazwecken missbrauchen werde. Der Moderator wirft dem Virologen vor, dass er nicht zur Selbstzensur gegriffen hat. Er soll nicht das schreiben, was er nach Faktenlage für sachlich korrekt erachtet, weil es von China aufgegriffen und zweckentfremdet wird. Da bleibt Herrn Kekule (und mir) kurz die Spucke weg. Diese Aussage hat Strahlkraft weit über den Themenbereich der Pandemie hinaus - Markus Lanz fordert "Schönschreib und Schönsprech". Man möge sich in dem, was man öffentlich von sich gibt gefälligst nicht an Objektivität und Wahrhaftigkeit orientieren, sondern an Kriterien der politischen Verwertbarkeit. Konvergiert die Wahrheit mit Aussagen politisch missliebiger Kräfte und divergiert mit den Narrativen der korrekten Gesinnung, ist sie zu unterschlagen. Mit anderen Worten: zur Aufgabe von Wissenschaftlern, ja, aller Publizisten gehört es, der eigenen Bevölkerung Erkenntnisse vorzuenthalten, die der politische Gegner zum eigenen Nutzen interpretieren könnte, selbst dann, wenn diese Erkenntnisse geeignet sind, Schaden von der Bevölkerung abzuwenden. Als verschlägt es einem nicht genügend den Atem, wenn der Moderator dem Virologen vorwirft, seine Erkenntnisse nicht aus Gründen der politischen Räson verschleiert zu haben, unterstellt er, die mangelnde Bereitschaft Kekules zu politisch kommoder Lüge könne als Beleg dafür herhalten, er stehe auf Chinas Gehaltsliste. Zweimal bohrt Markus Lanz nach und hat dafür gesorgt, dass Kekule nachhaltig diskreditiert ist. Boden im Propagandakrieg mit China zu verlieren scheint für Markus Lanz eine schlimmere Bedrohung zu sein, als die Pandemie: der Moderator als Agitator im Dienste der Inneren Sicherheit - ein gefundenes Fressen für diejenigen, die von einer Corona-Diktatur schwafeln.

Dass Digitalministerin Dorothe Baer kurz danach die aus Datenschutzgründen beschränkten Möglichkeiten der Coronawahn-App - zur Empörung des Moderators - damit begründet, hätte man es anders gehandhabt, wären die schon geschriebenen Artikel in den Schubladen von Journalisten, die von einem Überwachungsstaat Deutschland berichten, umgehend veröffentlicht worden, geht beinahe unter. Für diese Annahme bietet sie so wenig Belege, wie Donald Trump für den Wahlbetrug; was den größtmöglichen Verfechter journalistischer Seriosität auf den Boris Palmer bringt. Frau Bärs unbewiesenen Unterstellungen sind ein politisches Armutszeugnis, ihre flatternden Augenlider zeigen ihren Kampf um Selbstbeherrschung in Großaufnahme und verleihen dem Zorn der Ertappten einen überlebensgroßen Ausdruck. Ausgerechnet die Ministerin für das Zukunftsressort Digitalisierung besticht durch einen Mangel an Glaubwürdigkeit und Format, der die nach wie vor stiefmütterliche Behandlung des Themas Digitalisierung in Regierungskreisen offenbart. Wie Sascha Lobo es in einer seiner vorbereiteten Pointen ausdrückt: die Digitalisierung schreitet in Deutschland voran mit dem Tempo der Kontinentaldrift.   

In diesem Zusammenhang lobt Markus Lanz zähneknirschend das böse, durchtriebene China: Dort wird Kindern schon früh künstliche Intelligenz beigebracht. Diesen Satz muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen - Millionen Kinder werden Algorithmen eingeimpft, wahrscheinlich mit dem COVID-Serum. 

Report bringt einen Beitrag über Einsamkeit und Depressionen im Shutdown. Laut diesem Beitrag hat sich bereits während des lockdowns im Frühjahr die Zahl der Menschen, die unter Einsamkeit litten, verfünffacht.  Das ist bedenklich, aber der Moderator kennt die Lösung: Rufen Sie die Telefonseelsorge an. Duck and Cover.

Corona als Zahlenspiel. Highscores und Verkaufs, äh, Verlaufsdiagrame. Die Börse der Ängste, Befürchtungen und persönlichen Schicksale, rationalisiert in Form von Quoten und Indizes. Der Nachrichtensprecher neutralisiert die Bedrohung durch sachlichen Tonfall, tadellos sitzende Krawatte und die Quantisierung der Gefahr R-Werte und Inzidenzen. Der Leiter des Klinikums Essen fordert, die Situation nicht nur anhand der Entwicklung von Zahlen zu betrachten. Damit rennt er offene Türen in Wohnungen ein, die er nie betreten wird. Zum Beispiel in meine. 

Entmächtigungsgesetzen unterworfen, emotional implodiert und sozial isoliert kreisen meine Gedanken um perfide sprachliche Feinheiten. Es wird als Zumutung bezeichnet, dass den Menschen etwas weggenommen wird, eine Zumutung jedoch ist eine unerwünschte Dreingabe. Eine Überstunde, eine unliebsame Tätigkeit, ein weiteres Gewicht. Jemandem etwas wegzunehmen oder vorzuenthalten ist - paradoxer Weise - mehr als das.  

Mit dem gestrigen Tag versöhnt durch einen Spruch auf einem Fridays-for-Future-Plakat: Kurzstreckenflüge nur für Insekten.

5% der AfD-Wähler glauben, die AfD sei eine Gefahr für die Demokratie. Na klar - deswegen wählen sie die ja (die Dunkelziffer soll bei etwa 50% liegen). 

Zuzutrauen wärs ihm: das Boris Johnson den Einsatz des Impfstoffs beschleunigt, um die Nutzlosigkeit und Schädlichkeit der EU zu demonstrieren. Na dann schauen wir mal was das Biontec-Serum mit den britischen Guinea-Pigs anstellt. Abwarten und Tee trinken. Oder doch lieber Schnaps.

Um zu verstehen, warum so viele Menschen gemessen an gravierenderen Einschränkungen ausgerechnet mit der Maskenpflicht so viele Probleme haben muss man sich nicht nur vergegenwärtigen was die Maske symbolisiert, sondern was ein unmaskiertes Gesicht symbolisiert: Das was wir für selbstverständlich hielten. Offenheit, Kommunikationsfreude, Freiheit. Bin ich ehrlich zu mir selbst bedrückt mich mehr als die Bedrohung durch die Krankheit die Abwesenheit vollständiger Gesichter. Der Horror, das sind Anderen: Eyes without a face. 

MPK-Pressekonferenz und die erneuten, ermüdenden Appelle an die Disziplin bei der Wahrung sozialer Isolation. Markus Söder konnte sich kaum zügeln, so sehr drängte es ihn das Wort "Ausgangssperre" heraus zu posaunen. Er erging sich in Andeutungen: härtere Maßnahmen, Entschlossenheit, tiefer rein gehen. Drohungen wirken dann am stärksten, wenn man sie nicht direkt ausspricht, sondern es dem Publikum überlässt sich auszumalen, was das: `Alle müssen sich zusammenreißen, sonst...!!!` bedeutet. Ansonsten stellte der Schattenkanzler klar, die Familie stünde im Zentrum der Politik. Ich bin ein Mensch zweiter Klasse in meiner selbst verschuldeten Einsamkeit und das Mindeste, was ich als Familienverweigerer zu tun habe, ist mich selbst zu beschränken um die heilige Familie zu schützen.  

Ein Beitrag bei plusminus: Einige Krankenhäuser strichen 50.000 € Förderung für neu beschaffte Intensivbetten, die sie nur leasten. Jede Menge Intensivbetten sind vorhanden, während gleichzeitig die immer weniger Personal da ist, dass diese Betten bedienen kann. Geld in Material zu investieren, aber nicht in das Personal, das sich mit Applaus begnügen soll führt die Behauptung ad absurdum, man tue alles zum Schutz der Menschen. Humanitäre Probleme durch puren Materialismus lösen zu wollen ist naive und bequeme politische Kopie des kapitalistischen Achselzuckens. 

 

1. Dezember

"Eine staatliche Impfpflicht wird es nicht geben" prognostiziert ein wenig feixend Boris Palmer in der gestrigen Sendung `Hart aber fair`. Die Betonung liegt auf `staatlich`. Die Frage, ob z.B. Arbeitgeber demnächst vor Einstellung oder auch im laufenden Arbeitsverhältnis auf die COVID-Impfung bestehen dürfen beantwortete Karl-Josef Laumann wie folgt: `Ich kann Ihnen nicht sagen wie da die Rechtslage ist.` Der Verweis auf die Rechtslage, die ja durch Parlamente beeinflussbar ist, ist die Weise erfahrener Politiker die Hände zu heben und zu signalisieren ich halte mich heraus. Es bedarf voraussichtlich keiner staatlichen Steuerung, damit sich eine Zweiklassengesellschaft herausbildet, deren Scheidewand das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines Impfpasses mit attestierter COVID-19 Impfung ist  -  ein solches Szenario war während des Corona-Prologs in diesem Frühjahr von beinahe allen Befragten als abwegig bezeichnet worden. Es genügt, diejenigen gravierend zu benachteiligen, die noch nicht geimpft sind oder sich nicht impfen lassen wollen. Es steht Dir frei Dich nicht impfen zu lassen, aber dann bekommst Du eben keinen Job, darfst kein Konzert besuchen und nicht in den Urlaub fliegen. Prof. Dr. Monika Sieverding ist aus diesem Grund sehr optimistisch was die für das Erreichen der Herdenimmunität erforderliche hohe Impfbereitschaft betrifft: das erledige der soziale Druck. Angesichts dieser Konstellation zu betonen es gebe keine Impfpflicht ist scheinheilig. 

Den Abschluss der Sendung bildete eine Abstimmung unter den 5 Gästen (Laumann, Ranga Yogeshwar, Prof.Dr. Eva Hummers, Boris Palmer und Prof. Dr. Monika Sieverding): würden Sie sich gegen COVID-19 impfen lassen? Erwartungsgemäß endete die Abstimmung mit einem DDR-Ergebnis (alle 5 stimmten ab mit ja). Es wäre aufschlussreich gewesen zu erfahren, ob das Abstimmungsergebnis das Gleiche gewesen wäre, hätte die Frage gelautet: würden Sie sich jetzt schon impfen lassen? Vielleicht hätte der eine oder die andere bei der Antwort zumindest kurz gezögert.

Die gestrige Ausgabe von `hart aber fair` war eine Werbekampagne für die COVID-19 Impfung, deren kritisch-journalistisches Feigenblatt im Hinweis auf die Narkolepsie-Fälle nach der Impfung gegen die Schweinegrippe bestand. Immerhin räumten Ranga Yogeshwar und Prof. Hummers ein, dass wie bei jedem Medikament auch bei Impfstoffen gewisse Restrisiken hinsichtlich der Nebenwirkungen bleiben, der Tenor in der Runde war, diese Restrisiken habe man aus gesellschaftlicher Räson mitzutragen. Bei der Auswahl der Gäste für die Marketingshow im Öffentlich-Rechtlichen Rahmen hatte man offenbar keinen Gast finden wollen, der einer Impfung mit einem in atemberaubenden Tempo entwickelten Serum allzu skeptisch gegenübersteht - man ahnt, warum Deutschland im Ranking der Pressefreiheit nicht auf einem Top-Ten-Platz steht. Zwang und Druck sind in Deutschland sicher keine Methoden einer staatlichen Lenkungswirkung in Bezug auf Inhalte und Formate der Medienlandschaft - es genügt den Angestellten der Öffentlich-Rechtlichen Medien freie Hand bei der Auswahl der Themen und Gäste zu lassen. Zu bestimmen, wer medienwirksam zu Wort und Bild kommt ist eine funktionierende Weise der Beeinflussung öffentlicher Meinung, die völlig konform geht mit den Grundrechten auf Meinungsfreiheit und Pressefreiheit. Denn die die Presse- und Meinungsfreiheit gilt eben auch für die Instanzen, deren Möglichkeiten den öffentlichen Diskurs zu gestalten aufgrund ihrer finanziellen, personellen und organisatorischen Ressourcen und auch aufgrund ihrer Befugnisse und Einflusssphären erheblich sind. Grob gesagt: Demokratie erlaubt auch Propaganda. Man darf abwarten, ob demnächst auch die Mainzelmännchen Werbung für die Impfung betreiben.

Etwas bang konnte es einem bei der Antwort werden, die Ranga Yogeshwar auf die von ihm selbst gestellte Frage nach den langfristigen kulturellen Veränderungen durch die Corona-Krise gab. Angesichts niedriger Zahlen bezüglich anderer Infektionen könnte das Maskentragen wie in vielen asiatischen Ländern zur Norm werden. Wie auch immer man zur Maske steht - wenn dies die einzige kulturelle Veränderung sein sollte, die aus der globalen Bedrohung durch COVID-19 resultiert, hätten wir erschreckend wenig gelernt. Im `Weltspiegel Extra´ wird angedeutet was man weltweit aus COVID-19 lernt: wie gut es ist, dass es arme, gebeutelte Länder mit sehr vielen COVID-19 Erkrankten gibt. Sie eignen sich prima als Testlabore für die Entwicklung von Impfstoffen, die sich dann zuerst die wohlhabenden Länder unter die Nägel reißen. 

`Phoenix History` beschäftigt sich mit der Frage, worauf die Empfänglichkeit von Menschen für Verschwörungstheorien beruht. Unter anderem wird erinnert an russische Wissenschaftler, die den Ursprung von AIDS in amerikanischen Laboren lokalisierten, es werden Qanon-Anhänger interviewt, die daran glauben, dass eine Deep-State-Elite Kinderblut säuft (...was Xavier Nadoo die Tränen in die Augen treibt...) und Demonstranten präsentiert, die davon überzeugt sind, dass die Impfstoffe der Geburtenkontrolle dienen. Soziologen und Psychologen kommen zu Wort, die Anhänger dieser Gruselmärchen pathologisieren. Die zunehmende Zahl der Anhänger von Verschwörungstheorien korrespondiert mit einer als alternativlos  dargestellten, auf Freiheitseinschränkungen setzenden Politik, die Einigkeit im Befolgen der Regeln und Vertrauen in die Integrität der Entscheider fordert. Wird der Appell zur Befolgung von Regeln zu aufdringlich und dominant, bricht sich der Freiheitsdrang auf Abwegen Bahn. Mehr Partizipation der von den Corona-Maßnahmen Betroffenen an der Entscheidungsfindung wäre ein Therapieansatz gegen konspirative Verstimmung, den auszuprobieren sich lohnen könnte. Solange Sendungen wie die gestrige Ausgabe von `Unter den Linden` es zwei Politikern überlässt die Frage zu beantworten: `Was lehrt uns die Krise?` muss man sich nicht wundern, wenn `unsereins` seine eigenen teilweise abstrusen Schlüsse ziehen. Derzeit kommen in sämtlichen Sendungen, die sich mit der Pandemie beschäftigen nur noch Wissenschaftler, Politiker, Ärzte und Prominente zu Wort - das erhöht grade in einer Gesellschaft, deren Mitglieder es gewohnt sind, sich auf allen möglichen sozialen Kanälen selbst darzustellen, den Anreiz sich auf den Umschlagsplätzen der alternativen Fakten herumzutreiben. 

Zum Teil mag es sich bei der Neigung zu Abwegen um kindischen Trotz handeln. Den man nachvollziehen kann, wenn man Reden von Ursula von der Leyen verfolgt, deren Reden eigentlich alle mit `Liebe Kinder` beginnen müssten. Jede Rede adressiert ihr Publikum in einem so obermütterlichen Tonfall und mit einer derart penetrant bemüht simplen Wortwahl, als handele es sich bei ihren Zuhörern um Adressaten, die noch lange nicht im wahlberechtigten Alter sind. Wie eine Kindergartenleiterin zu reden spricht dem Publikum die Demokratiefähigkeit ab. 

 

30. November

Im MoMa eine Reportage über die Beschränkung der Pressefreiheit in Serbien, das der EU beitreten will. Serbien steht auf Platz 93 im Ranking der Pressefreiheit. Journalisten werden verprügelt, eingeschüchtert, Sender auf Staatslinie gebracht. Eher beiläufig wird erwähnt, dass Deutschland im Ranking nicht unter den Top 10 steht. Wäre interessant zu erfahren wieso nicht - und möglicher Weise auch einen Bericht wert. 

Das Titelblatt des Magazins `Sterne und Weltraum` verkündet: sentiert`Nobelpreis für Schwarze Löcher`. Da darf man den Schwerkraftmonstern gratulieren. Aber wofür verlieh man den Schwarzen Löchern den Nobelpreis? Für Medizin, weil - wie Physiker Heino Falck konstatierte - ein Schwarzes Loch das optimale Instrument ist um Viren verschwinden zu lassen? 

Nachdem Kanzleramtschef Braun bereits eine Verlängerung der Freiheitsbeschränkungen bis in den März Aussicht stellte - und damit durch die Blume zu verstehen gab, dass die neudeutsch unterkomplexe Strategie in der Fortsetzung des shutdown light besteht - stimmen die nächsten Politiker nun die Bevölkerung darauf ein, dass die finanziellen Hilfen in nächster Zeit teilweise oder ganz entfallen, Armin Laschet brachte den 10. Januar ins Spiel. Die Botschaft fürs gemeine Volk: reißt Euch zusammen sonst droht Hatz IV. Die Botschaft für die Gastronomie-, Hotel- und Kulturbetriebe: stellt Euch auf Insolvenz ein und sucht Euch gefälligst jobs bei amazon.  

Der Anarchist (und Antichrist) frohlockt wenn Armin Laschet orakelt: Dauerhafte Schließungen und Ausgleichszahlungen machen den Staat kaputt. Soundtrack zum Orakel: Ton Steine Scherben. 

Abwechslung im shutdown-Einerlei, in dem das Leben zum Standbild gerinnt, dessen Betrachter sein eigenes Altern als Knistern und Flimmern des Standbildes hört und sieht, bieten Dispute mit Verschwörungsmystikern im eigenen Freundeskreis. Besondere Freude bereiten mir diejenigen, die von Corona-Diktatur reden und sich für Argumente der AfD, der Alternative zur Demokratie, erwärmen. Die Kritik richtet sich nicht gegen Diktatur, man hätte nur gerne eine andere Diktatur. Gerne wird auch das Mär von der Schädlichkeit von Impfungen und der Harmlosigkeit von COVID-19 bedient, beides belegt mit Quellen im Internet, herausgepickt gemäß dem einzigen Auswahlkriterium, dass sie das eigene, festgefügte Weltbild bestätigen mögen. Man gebe Stichwörter der eigenen Überzeugung bei Google ein, schon wird man fündig und kann sich selbstzufrieden an Studien delektieren, die exakt das wiedergeben was man zuvor schon gedacht hat. Als Recherchieren wird dieses Selektieren mit Scheuklappen bezeichnet, alles, was nicht ins eigene Schubladendenken passt ist Verschwörung, Lüge, Propaganda. Vergnügt zerpflückt man diese Unfugsblüten und reduziert beschwingt einen weiteren Kontakt.

In künstlicher Kaminfeueratmosphäre diskutieren unter der Moderation des Bundespräsidenten Thea Dorn, Maja Göpel, Wolfgang Merkel und Udo di Fabio über die Frage: Aus der Krise in die Zukunft - Wie gelingt die Transformation gemeinsam?  Das eigentümlich erhabene Ambiente aus graumelierter Werteschlacke steht metonymisch für das Gefälle zwischen einer expertokratisch unterfütterten Politik und einer verunsicherten, beklommenen Bevölkerung, deren Unmut über die schwarze Corona-Pädagogik zunimmt, nicht aus prinzipiellen Gründen, sondern weil die Zweifel daran zunehmen, dass dieser Ansatz von Erfolg gekrönt ist. Besorgt äußert man sich in der Runde über den Vertrauensverlust in die Fähigkeit der Demokratie eine pandemische, alle betreffende Bedrohung einzudämmen. Das geht an der Sache vorbei: die in ihrer wirtschaftliche Existenz bedrohten und die Infektion fürchtenden Personenkreise beschäftigt nicht primär die Frage, welches politische System sich am besten eignet, um der Katastrophe etwas Wirkungsvolles entgegenzusetzen, sondern welche Methoden unabhängig vom politischem System ihnen ihre Angst und Beklemmung lindern. Die Unwucht im Verhältnis zwischen den Institutionen und der Bevölkerung gründet auch auf dem spürbar gereizten Versuch der Politik, die allgemeine Bedrohungssituation als gesellschaftliche Klammer zu etablieren, die mit altbackener Struwwelpeter-Erziehungsmethoden eine gesellschaftliche Einheit erzwingen soll, die mit positiven Anreizen nicht zu bewerkstelligen ist.  

Phoenix `Bilder der Geschichte` fragt bezüglich Greta Thunbergs Auftritt in Davos: Müssen wir Greta danken oder müssen wir sie kritisieren? Beides. 

Das Verhältnis der Deutschen zu ihren Krisenmanagern spiegelt das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Fußballnationalmannschaft. So wie es Millionen von Bundestrainern gibt die es besser können als ihr Cappuccino süffelnder Teamchef existieren Millionen von Krisenmanagern, die bessere Lösungen zu bieten haben als die deutsche Politik. Trifft eventuell zu - nur dass jedes Coronagenie davon auszugehen scheint, man könne seine Lösung 1 zu 1 umsetzen, als sei er oder sie ein Diktator mit unbeschränkter Machtfülle. Eingebunden in einen Chor von Entscheidern mit unterschiedlichen Interessenlagen und vor der Aufgabe stehend, Millionen von Menschen von der Korrektheit ihres Wegs zu entscheiden gestaltet sich die Umsetzung ungleich schwieriger. Die Frage nach dem besten Weg ist das eine, die Frage nach der Realisierung inmitten eines vielstimmigen, dissonanten Chorals ist eine völlig andere. Krisenmanagement ist Überzeugungsarbeit, die ist schwieriger als eine Konzepterstellung am eigenen Wohnzimmertisch, wo man Herr über das Fernsehprogramm und das home-office ist, ohne Widerstand und Gegenrede befürchten zu müssen.  

Ich wünsche mir einen Schneesturm, der die Reglosigkeit des Himmels und der Zeit bricht. Diese Stimmung wie ein schmerzloses, leeres, jahrzehntelanges Warten auf das letzte Schließen der Augen. Abend für Abend schreibe ich vorsorglich letzte Worte und frage mich, warum ich mein Leben lang alles auf eine Karte mit 27 Schriftzeichen und einer Handvoll Satzzeichen gesetzt habe. Ich vermisse einen Menschen, ohne den ich mich verloren fühle wie ein Schiffbrüchiger in einem Meer ohne Ufer, auch wenn ich mich alleingelassen fühle er wenn neben mir sitzt. Ich hocke da wie ich auch morgen da hocke, ein paar entfernte Erinnerungen flackern auf wie ein letzter Hoffnungsschimmer. Ein Streit am Strand mit Blick auf den satten Dotter der untergehenden Sonne, ein Augenblick, den wir hätte nutzen sollen um uns zu versöhnen.

"Seit Tagen ist das Meer spiegelglatt. Ich verstehe wie die Verfasser der Bibel auf die Idee kamen, Jesus über das Wasser schleichen zu lassen. Wenn ich zum Haus zurückkehre, so kehre ich in ein Haus zurück, das mir gehört. In einer Schublade fand ich die Überschreibung, sowie eine EC-Karte und einen Zettel mit der PIN. Auf der Rückseite eine Nachricht: `Bevor ich Dich vergesse. Das ist für Dich. Ich habe mich nicht gefunden und folglich bist Du mir fremd. Doch das soll nicht Dein Problem sein. Führ unbelastet das Leben weiter, dass Dir hier möglich ist, wo sich das Unglück meiner Welt nicht ereignet hat. Machs gut.` Das ist alles so unwirklich, dass ich mir vorkomme wie geistesgestört. Das ändert nichts daran, dass ich mich wie von einer riesigen Last befreit fühle und dass der Blick von der Terrasse einfach umwerfend ist."  

 

29. November

Dialog im Testlabor. `Na? Gefällt Dir Dein Job?` `Mit Abstrichen.` 

Die kleinen Trauerspiele der Pandemie: Snooker-Übertragungen mit Applaus aus der Konserve.

Wow. Carmen Mioska leitet von Anne Will zu den `Tagesthemen` über mit folgenden Worten: `Ihr fragt nach der Strategie, die hinter der Pandemie steckt...`. Die Verschwörungstheoretiker haben es bis in die prominenten Positionen der Öffentlich-Rechtlichen Medien geschafft. Bei Anne Will wundert sich Vanessa Vo, Redakteurin bei ZEIT ONLINE, über den Zynismus der deutschen Corona-Politik, die 400 COVID-19 Tote pro Tag akzeptiert und dies als Erfolg verkauft, während asiatische Länder nahezu coronafrei und ohne shutdowns die alte Normalität lebt. Ein Grund liegt darin, dass in den Demokratien Taiwan und Japan die Akzeptanz für ein autoritäres Vorgehen der Regierung höher und der Stellenwert des Datenschutzes gegenüber dem Gesundheitsschutz niedriger ist. Gesundheitsschutz wird als gesellschaftliche Gemeinschaftsaufgabe betrachtet, die nach Vorgaben der gewählten Regierung erledigt wird (was funktionieren mag solange es funktioniert). In den Demokratien Europas existieren keine allgemein akzeptierten gesellschaftlichen Gemeinschaftsaufgaben, denn diesen übergeordnet ist das Vertreten von Partikularinteressen als Ausübung von Freiheitsrechten. Man mag das bedauern, oder befürworten, es hat jedenfalls einen Preis, dessen Höhe der body count beziffert.  

 

28. November

Ich stehe vor einer schweren Entscheidung. Verfolge ich heute das Wintersportprogramm mit dem Saisonstart der Biathleten oder auf Phoenix den Parteitag der AfD? Treffsicherheit oder Krawall? 

Ein wenig Zeit habe ich noch um meine Wahl zu treffen. Die nutze ich um mich beim Soziologen Matthias Quent dafür zu bedanken kurz und bündig in einem Satz besser zu formulieren was mich besonders an den Querdenkern (aber auch an anderen Protestbewegungen) stört als ich es selbst könnte: `Es hätte ja auch ein kapitalismuskritischer Sozialprotest für solidarische Umverteilung werden können - ist es aber nicht, sondern es wurde ein egoistisches Aufbegehren.`(`Es entstehen Gegengemeinschaften zur Politik`, tagesschau.de, 24.11.2020). Damit trifft er den Kern des symbiontischen Verhältnisses von Kapitalismus und Meinungsfreiheit. Der Charme der Meinungsfreiheit besteht darin, dass jeder seine eigene Position vertreten und sich zum Nabel der Welt erklären kann. Das korrespondiert mit dem Wettbewerbsprinzip, in dem Selbstverwirklichung und Durchsetzung eigener Interessen ein und das selbe sind. Der Pluralität der Meinungen entspricht die Angebotsvielfalt. Da jeder Mensch in seiner eigenen Welt sich selbst liebt ist jeder Mensch eine schier unerschöpfliche Zielgruppe. Im günstigen Fall erweisen sich die Exklusivitätsansprüche der Narzissten als ähnlich bis identisch gepolt. Die Konsequenz daraus besteht im Boomen von Massenprodukten, die Exklusivität versprechen. Millionen Käufer kaufen ein und das selbe Produkt, dessen Erwerb den Unterschied macht. Sozialpolitisch wird die Meinungspluralität mit ökologischer Vielfalt assoziiert. Natur ist im Trend (man lese hierzu den Klassiker `Ecology of the mind` von Gregory Bateson) und die Meinungspluralität gilt als Garant einer lebendigen Demokratie. Etwas weniger schwurbelig und nüchtern betrachtet ist sie auch Garant einer Kakophonie der aufgeplusterten Egos, die das verzweifelte Flehen um Solidarität, gesellschaftlichen Zusammenhalt und soziale Gerechtigkeit übertönt.

Um - Stichwort gesellschaftlicher Zusammenhalt - in die Tristesse und Eintönigkeit des abgeschotteten Wartens auf den Tod dottergelbe Farbtupfer und Abwechslung zu bringen sollte man Hühner schenken: `Ein Huhn ist in eine Tagespflegeeinrichtung in Herne gelaufen, hat dort in einer geschützten Ecke ein Ei gelegt - und einen Polizeieinsatz ausgelöst. (...) Die Menschen in der Pflegeeinrichtung hätten sich über die Aufregung über durch das  Huhn und den Polizeieinsatz gefreut.`(WAZ von heute). Leider erklärt der Bericht nicht, was mit dem Ei geschah und lässt die Massenkeilerei, in die der Streit um das Ei gipfelte unerwähnt. 

Den `schnellen Brüter` als Ort für einen Parteitag zu wählen ist ebenso symbolisch für die toxische Dimension der AfD-Politik wie für das nie eingelöste Versprechen rasche und einfache Antworten auf komplexe Fragen zu liefern. Eine rasche radioaktive Durchseuchung der Bevölkerung, der radioaktive Zerfall der Demokratie und eine volkszersetzende Strahlkraft sind die Ziele, die der Ort repräsentiert.

Im Vorfeld der Übertragung des AfD-Parteitags auf Phönix wird ein Beitrag zu den `Gesten der Mächtigen` ausgestrahlt (´Die Populismus-Show`). Etliche Professoren, Kommunikationswissenschaftler und Rhetorik-Trainer werden hier aufgefahren, um das Offensichtliche zu analysieren. Der wesentliche Bestandteil der Rhetorik eines Jörg Haider, einer Greta Thunberg, eines Boris Johnson ist die überzeichnete, dramatische Körpersprache, eine Mimik, die Mikroausdrücke aufbläst zu theatralischen Gesten. Die Körpersprache unterstreicht nicht die Inhalte, sondern der gesprochene Text liefert die Partitur für die Körpersprache. Die Überzeichnung und Theatralik allerdings ist nicht etwa `clownesk`, wie die Experten meinen, sie ist angelehnt an die Körpersprache des Stummfilms, in der die Körpersprache den Ausdruck von Emotionen komplett übernimmt. Schon Hitler als historische Referenz der Populisten bediente sich dieses Elementes der Ansprache. Das Theatralische soll mobilisieren, zudem symbolisiert die Körpersprache des Stummfilms den Wunsch, andere zum Verstummen zu bringen und Emotionen wie Empörung und Wut über Inhalte zu stellen. Die Verwunderung der Experten darüber, dass der Populismus und seine nationalistischen Tendenzen global an Attraktivität gewinnen ist selbst verwunderlich. Das Internet und sein Feldcharakter gewährleistet eine transnationale populistische Anregung des sozialen Feldes, deren Intensität am effektivsten durch Empörung, Wut und Hass funktioniert. Der Reiz sich auf diese Art Politik einzulassen hat mit deren Erlebnischarakter zu tun. Thomas Mader formuliert es in seiner Kolumne `Übrigens` in der WAZ heute so: `Und wenn es schon nicht erfüllt ist, das Leben, dann ist es doch ganz kurzweilig gefüllt.` Oder - um es mit dem Populismusexperten Hermann Göring zu sagen: - `wenigstens 12 Jahre gut gelebt.`  

Im Fließtext bei Phönix: Corona-Gegner planen Kundgebungen. Ausdrücklich möchte ich betonen: auch ich bin ein Corona-Gegner. Ich bin auch ein Tsunami-Gegner, es fiele mir indes nicht ein gegen Tsunamis zu demonstrieren, da dies so sinnfrei und albern wäre wie das Auspeitschen des Meeres als Strafe für eine Sturmflut. 

Mein Erlebnishunger wurde bei der Verfolgung des AfD-Parteitags zunächst nicht bedient. In Ermangelung von Eklats musste ich mich zunächst mit Schmunzeln begnügen, als ein Delegierter über Alpenpflege redete. Ein Versprecher, der ein neues Berufsfeld eröffnen könnte, das in Anbetracht von Gletscherschmelze und Skitourismus dringend erforderlich wäre. Dann aber las Jörg Meuthen in seine Rede den Nazis und Rüpeln in seiner Partei die Leviten, die weder geradeaus, noch querdenken können. Als dann auch nach Alice Weidel ein Interview abbrach, weil sie gefragt wurde, ob sich in ihrer Partei eine konservative oder sozialnationalistische Linie durchsetze, war ich versöhnt.

Verfolgt man den Vortrag über die rentenpolitischen `Ideen` der AfD, begreift man wieso man in Ungarn und Polen auf reaktionäre, präkambrisch-katholische Familienbilder zurückgreift. Frauen müssen einfach wieder Gebärmaschinen werden, damit auch in Zukunft in überalterten Gesellschaften die Renten sicher sind. Was genau spricht eigentlich dagegen, dass die Menschheit einfach ausstirbt? Das wäre eine weniger grimmige und furchterregende Vorstellung als die Rückkehr in ein katholisches Patriarchat. 

Sean Connerys viel zu früher Tod scheint die Sezessionsbestrebung der Schotten zu befördern. Dank ihm könnte sich Schottland demnächst in der EU wiederfinden.

 

27. November

In der gestrigen Ausgabe von Panorama lästerte Moderatorin Anja Reschke ab über Querdenker, die einst in der DDR gegen das Regime protestierten und nun im Dunstkreis von AfD und Michael Wendler von einer Gesundheitsdiktatur reden. Diese müssten doch wissen, dass man in einer Diktatur niemals öffentlich und ungestraft seine abweichende Meinung sagen dürfen. Ob das Abkanzeln ehemaliger DDR-Bürgerrechtler und SED-Gegner wie Angelika Barbe, Vera Lengsfeld oder Siegmar Faust angemessen war? Möglicher Weise reagieren ja Menschen, die im Gegensatz zu den Wessies unter einer Diktatur gelitten haben und um ihre Freiheitsrechte kämpfen mussten etwas empfindlicher auf Einschränkungen von Freiheitsrechten als eine Fernsehmoderatorin aus München. Verbote und Regeln mobilisieren offenbar alte oppositionelle Reflexe, die bei den Querdenkern ein wirkungsvolles Resonanzbecken finden. Geht es vor allem um Opposition gegen herrschende Mächte, ist rechtsaußen derzeit trendy. Links ist halt durch die SED-Nachfolgepartei besetzt, die obendrein die Grundrechtseinschränkungen mitträgt: kennt sie ja noch aus DDR-Zeiten. Wolf Biermann reagiert fassungslos auf das Horst-Mahler-artige Konvertieren seines Freundes Siegmar Faust zu einem waschechten Rechtsextremen, der fremdenfeindliche Klischees nachplappert, diese Fassungslosigkeit und Trauer um den Verlust einer Freundschaft ist greifbar und nachvollziehbar, doch die Tendenz des Panorama-Beitrags, die ehemaligen Bürgerrechtler und Dissidenten im Sammelbecken der Querdenker als eine Art geriatrische Freakshow darzustellen, als eine Anomalie, die auf nichts verweist als ihre eigene Abseitigkeit, verstellt den Blick auf durchaus nahe liegende Erklärungsmuster. Hier kompensieren ehemalige Helden des Widerstandes ihren Bedeutungsverlust der letzten 30 Jahre, indem sie sich - Hauptsache Widerstand und Aufmerksamkeit - einer Protestbewegung anschließen, die ihrerseits mit dem Virus des Totalitarismus infiziert ist. 

Die Diktatur-Paranoia mag hoffnungslos übertrieben sein und Demonstranten, die `Oh wie ist das schön` gröhlend ohne Abstand durch die Gassen eines Dorfes mit einer Inzidenz größer als 600 zu ziehen sind ein gefundenes Fressen für die Empörungsmaschinen der Vernünftigen. Wenn man Demonstrationen gegen die Freiheitseinschränkungen im Rahmen der Corona-Maßnahmen insgesamt als schier unerklärlichen Wahnsinn darstellen möchte, der sich jeder rationalen Erklärung entzieht (...die es durchaus gibt...), sind Bilder marschierenderCorona-Hooligans von unschätzbarem Wert. Genau dieser Trend zur Diskreditierung jedoch ist bedenklich, grade weil das Unbehagen über Freiheitseinschränkungen eben nicht nur ein exotisches Phänomen ist, sondern längst auch in den Parlamenten spürbar ist. Statt Widerstand gegen die Corona-Maßnahmen einfach als Selbstsucht und Kapriole verwirrter Geister darzustellen sollte man sie als Signal einer nicht zu unterschätzenden Erschütterung des demokratischen Gefüges deuten. Die Möglichkeit, dass ein Ausnahmezustand der Demokratie zu Demokratie als Ausnahme führt, sollte die Mehrheit der Menschen in Deutschland beschäftigen und nicht als psychotische Spinnerei überspannter Gemüter abgetan werden. 

Niemand will Seniorinnen und andere Vulkanier, äh, Vulnerable isolieren. Nur Christian Lindner vielleicht ein Bisschen. In Einkaufsreservate. Und in Restaurants sollten sie lieber auch nicht. Isolieren, natürlich nicht, nur vielleicht ein wenig ausgrenzen.

Als (Mitternachts)spitzenpolitiker, gelegentlich auch als Virologe, steht man oft vor schweren Entscheidungen. Gehe ich zu Illner oder gehe ich zu Lanz? Nicht jeder kann sich ja simultan vervielfältigen wie Karl Lauterbach. Gestern hatten sich Kanzleramtschef Braun und Niedersachsens MP Stephan Weil auf die Arbeitsteilung Braun bei Illner, Weil bei Lanz verständigt. Beide standen in der Kritik, den Sommer nicht ausreichend für Krisenprävention gesorgt zu haben. Braun wurde von Allgemeinmedizinerin Sibylle Katzenstein gefragt, warum es noch keine Coronaselbsttests gebe (analog zu Schwangerschaftstesten), Weil von Kirsten Dunst warum man nicht rechtzeitig Schulen mit geeigneten Luftfiltern ausgestattet haben. Beire rechtfertigten ihre Zurückhaltung unter anderem mit bestehenden Gesetzeslagen, die man nicht einfach umgehen könne. Abgesehen davon, dass präventive Maßnahmen in aller Regel im Gegensatz zu Freiheitseinschränkungen selten Gesetzesänderungen erfordern hinterlässt dieses Argument einen schalen Geschmack. Es ist kaum nachvollziehbar, wenn im Parlament in atemberaubender Geschwindigkeit und hoher Taktung gravierende Gesetzesänderungen verabschiedet werden und in der öffentlichen Darstellung Unterlassungen mit der Unumstösslichkeit eherner Gesetze erklärt werden. Das ist schlicht unglaubwürdig.

Alexander S. Kekule vertritt die steile These würden wir alle so selbstverständlich Alltagsmasken tragen wäre der Corona-Spuk rasch vorbei. Direkt im Anschluss verweist er auf die drei "Großen C" der Vermeidung (Closeness, Crowds, Contact), die das Verhalten der japanischen Bevölkerung prägen. Die Alltagsmaske ist auch dort nicht der allein selig machende Faktor - und fängt auch nicht mit C an. Jetzt noch die Auffassung zu vertreten, das Tragen von Alltagsmasken biete erheblichen Schutz und sei der Schlüssel zur Senkung der Infektionszahlen grenzt an Volksverdummung. 

Wer sind eigentlich diese Novemberelfen von denen Olaf Scholz immer redet?

 

26. November

Na sowas - Deutschland ist das Neue Schweden. Gemessen an den drakonischen Ankündigungen der Kanzlerin bei der MPK der letzten Woche serviert die MPK gestern ein wachsweiches Regelungsragout, das den Ländern Spielraum lässt, mehr auf Appelle als auf rigorose Verbote setzt und zudem alles andere bietet als den avisierten transparenten und klaren Plan für den Winter. Eine blasse, erschöpfte, nahezu gleichgültige Vorstellung war das gestern. Über Frau Merkels Kopf schwebte eine Denkblase in der geschrieben stand: Macht doch watt ihr wollt. Das war weder ein Bild der Einigkeit, noch der Zerstrittenheit, noch der Entschiedenheit. Die Richtungs- und Ratlosigkeit entspricht der Seitwärtsbewegung bei den Infektionszahlen, die keinen Trend erkennen lässt. Dementsprechend traut man sich weder Verschärfungen, noch Lockerungen, noch einen Kurswechsel zu. Dem Plateau der Infektionszahlen entspricht die strategische Stagnation bei der Legislativen. Es wird ein Winter in Zeitlupe, der sich zieht wie ein Kaugummi ohne Zucker. Kanzleramtschef Braun hat bereits signalisiert, dass die Corona-Zeitdilatation bis März anhält; Stillstand als Strategie. Witzig die Idee, Skiurlaub erst nach den Winterferien zu erlauben. Zum Beispiel bei der nächsten Hitzewelle.   

Soldaten in Uniform wohin man blickt. Vorm Eingang des Gesundheitsamtes, auf den Bürgersteigen, im Supermarkt an der Kasse. Welchen Grund mag es wohl haben, dass die Soldaten bei der telefonischen Kontaktverfolgung Camouflage tragen müssen? 

Breaking News: Truthahn weigert sich Donald Trump zu begnadigen. 

Wer weiß denn sowas: Cary Grant und Paul Dirac haben die selbe Schule besucht.

Warum ich jetzt so etwas Zusammenhangloses schreibe? Weil grade im Bundestag Alice Weidel spricht. 

Findige Freunde reichhaltiger sozialer Kontakte können nun im regalen Rahmen auf Tournee gehen. Man besucht erst einen Haushalt, dann noch einen Haushalt, dann noch einen Haushalt. So kann man pro Tag locker auf 25 Kontakte kommen bei Besuch von 5 Haushalten mit je 5 Bewohnern pro Tag. Grenzen, die gesetzt werden werden ausgereizt. 

Bundestagsdebatten zu verfolgen ist wie Chips essen. Man ist sie längst satt aber frisst trotzdem die Tüte leer. Es ist jedoch nützlich, wenn man ein kleines Sprachlexikon für die politische Debatte in Deutschland verfassen will. Vorschläge, die der Reduzierung der sozialen Schere dienlich sind unabhängig von ihrer inhaltlichen Qualität `ideologisch`(also abzulehnen wenn sie von links kommen) und `populistisch`(also abzulehnen wenn sie von rechts kommen). Es ist nichts Neues, dass die besten Argumente keine Chance auf Berücksichtigung finden, wenn sie aus der falschen Richtung kommen oder an der Unantastbarkeit des Privateigentums kratzen (letzteres vielleicht weil man immer noch hofft das Eigentum vernichtet, Verzeihung, verpflichtet), dennoch ist es immer wieder verblüffend wie stabil politische Rituale selbst in Katastrophen einer pragmatischen Lösungsfindung durch den Austausch von Überlegungen im Wege stehen. 

Vorurteilsfrei bin ich bei Humor, mir ist egal aus welcher Richtung er kommt, Hauptsache die Pointe sitzt. Katharina Willkomm von der FDP weist einen Antrag der Linken zum besonderen Kündigungsschutz für ältere Mieter mit folgender Analogie zurück: Stellen Sie sich vor, das Weiße Haus sei ein Mietshaus und der Vermieter bekommt Donald Trump als Mieter und will ihn los werden...zum Schmunzeln, selbst politische Gegner mussten kichern. Eine lobende Erwähnung verdient in diesem Zusammenhang auch die bittere Bemerkung von Dietmar Bartsch jedes Theater sei besser auf die zweite Welle vorbereitet gewesen als die Bundesregierung.

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Zahlen bitte! Wiederholt wird von der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten hervorgehoben, die Bevölkerung habe ihre Kontakte um 40% eingeschränkt, erforderlich seien jedoch 70%. Die zweite Zahl entspricht etwa dem Anteil der Infektionen, deren Quelle von den Gesundheitsämtern nicht nachzuvollziehen ist. Offenbar ist man der Meinung es gebe eine signifikante Korrelation zwischen der Rate der Kontaktreduktionen und der Rate an nachvollziehbaren Quellen des Infektionsgeschehens. Wie man darauf kommt wird nicht erläutert, für die Bevölkerung soll wohl die suggestive Übereinstimmung der Prozentzahlen genügen. Noch rätselhafter ist das Zustandekommen der ersten Zahl. Woher weiß man um welchen Prozentsatz die Kontakte reduziert wurden? Ermitteln und vergleichen kann man lediglich die Zahl der von Infizierten vor dem Positivtest getätigten Kontakte. Inwiefern sich aus der Kontakthistorie der Infizierten Rückschlüsse ziehen lassen auf das Kontaktverhalten der Gesamtbevölkerung ist jedoch fraglich. Bemerkenswert auch, dass diese Quote der Kontaktreduzierung sich schon vor Inkrafttreten des lockdowns abzeichnete und durch Schließung von Gastronomie, Kulturbetrieben und Hotelgewerbe nicht mehr beeinflusst wurde. Dies lässt vermuten, dass sowohl der Einfluss der genannten Branchen überschätzt wird als auch der Einfluss des Sozialverhaltens der Bürger auf die Infektionsrate an Grenzen gelangt. Der Verweis auf die Wirksamkeit von Ausgangssperren unterschlägt regelmäßig, dass Ausgangssperren kombiniert werden mit der Schließung von Geschäften und Betrieben. Der drastische Rückgang des Infektionsgeschehens ist in den erwähnten Ländern zurückzuführen auf die Austrocknung sämtlicher Infektionsquellen. Dazu gehören eben auch Schulen und Betriebe, deren Ausgestaltung und Arbeitsbedingungen von den Bürgern nicht oder kaum beeinflusst werden.    

 

25. November

Was Radio Maria bloß gegen die angebliche COVID-Weltverschwörung hat? Der durch Kontaktbeschränkung, Furcht vor Ansteckung, social distance  herbeigeführte Puritanismus passt hervorragend zur Sexualmoral der katholischen Kirche. Swinger Clubs zu, Bordelle ebenso, One Night Stands erschwert, Sex nur in der festen Partnerschaft, `menschlicher Kontakt als Luxusgut für Reiche` (Adrian Lobe, `Angefasst`, Süddeutsche Zeitung von heute), da müssten die Kinderfreunde von der katholischen Kirche doch in hohem Falsett frohlocken. Angst und Furcht könnten zudem der Kirche Mitglieder in Scharen zuzutreiben. Ist man indes einmal auf dem Verschwörungstrip scheint man selbst Entwicklungen, die den eigenen Zielen förderlich sind, als Symptom des perfiden Wirkens finsterer Mächte zu sehen - diese Widersprüchlichkeit erinnert mich an einen Ausspruch im Film `Layer Cake`: Sex mit Frauen ist was für Schwuchteln. 

Mal sehen wie der kürzlich in der Wüste von Utah gefundene Monolith in die Narrative der Verschwörungsjunkies integriert wird.

Heerscharen von Lesern dieses Blogs lassen einen shitstorm auf mich niederregnen. Ich mokierte mich entsprechend meinen narzisstischen Vorlieben über Kneipenschließungen und Freiheitseinschränkungen von Wohlstandsbürgern auf Globuliniveau, die ich zu Opfern überhöhe, während auf den Intensivstationen die Menschen sterben. Damit sei ich nicht besser als die Wannabe-Märtyrer unter den Verschwörungsfetischisten, die sich für Sophie Scholl halten. Ich gestehe: die Schwächen meines Charakters sind unbestritten. Schlimmer noch: mein Buhlen um Aufmerksamkeit geht so weit, dass ich mich wohlig darin suhle entlarvt zu werden und nackt dazustehen. Für die von mir sehr geschätzte website Übermedien.de ist dieses Missverhältnis zwischen Klagen über geringfügige Zumutungen und Gleichgültigkeit gegenüber dem Leiden der an COVID-19 ernsthaft Erkrankten symptomatisch für die Berichterstattung: `Es ist der 16. November. Gerade trudelt der tägliche Hamburg-Newsletter der "ZEIT" in mein Postfach. "Elbvertiefung" heißt er, und er steuert Vertiefendes zur Corona-Krise bei. "In der vergangenen Woche gab es eine traurige Meldung in dieser an traurigen Meldungen reichen Zeit", lese ich. Was ist passiert? Noch mehr Tote? Intensivstationen am Limit? Neuer Rekord bei der Suizidrate? Nichts dergleichen: " Die Männer, die als Nikoläuse oder Weihnachtsmänner durch Kaufhäuser und Märkte ziehen, um Kindern und Kindgebliebenen eine Freude zu machen, werden in diesem Jahr kaum einen Job haben", lese ich weiter. Okay. Das ist wirklich hart. Keine Nikoläuse in diesem Jahr. Uns bleibt aber auch nichts erspart.`(Peter Spork, `Die eigentlichen Corona-Opfer kommen in den Medien viel zu kurz`, uebermedien.de). Dies ist allerdings nicht nur ein Missstand in der öffentlichen Berichterstattung, er ist systemisch. Im Sprachgebrauch der Exekutive werden nicht etwa die Linderung des Leidens von COVID-Patientinnen oder die Überarbeitung und die Infektionsgefährdungen des Klinikpersonals in den Vordergrund gestellt, sondern die dräuende Gefahr der Überlastung des Gesundheitssystems. Zynisch überspitzt: sollen die Leute doch sterben, Hauptsache es sind genügend Intensivbetten frei. Stünden das Wohlergehen von Menschen und die Wertschätzung der Arbeit im Vordergrund, hätte man längst auch schon vor Corona für bessere Arbeitsbedingung und Ausstattung in Pflegeberufen und Krankenhäuser gesorgt - und zwar präventiv. Die eigentlichen Coronaopfer kommen nicht nur in den Medin zu kurz, sie stehen - und dies scheint mehrheitsfähig zu tun - auch nicht im Mittelpunkt der Politik, der Öffentlichkeit und folglich auch nicht der Medien. Löbliche Ausnahme: Bundespräsident Steinmeier, der Überlebende von schwersten COVID-19-Erkrankungen zu sich ins Schloss Bellevue einlud. Das war gut gemeint, hatte aber auch etwas von Speisungen der Armen durch die katholische Kirche, die ansonsten nichts Substanzielles zur Beseitigung  gesellschaftlicher Missstände beiträgt, die überhaupt erst Armut hervorbringen.    

Phoenix überträgt aus dem Deutschen Bundestag die Befragung von Verteidigungsministerin Krampf-Knarrenbauer u.a. zum Deutschen Rüstungsetat. Dabei eingeblendet wird als Fließtext die Empfehlung der Ärztegewerkschaft: "Wer auf Knallerei verzichtet entlastet die Krankenhäuser".  Das passt so dermaßen gut zum Thema, dass keine Absicht dahinter stecken kann. Adäquat auch der Versprecher der Ministerin, die statt von Bedrohung von Bedrohnung spricht. 

Ausnahmsweise sag ich es mal. Wer glaubt wir seien in Deutschland schlecht dran, der schaue sich mal im EU-Parlament um. Zwar treiben bei uns AfD und die ominösen Identitären ihr Unwesen, aber im EU-Parlament lassen Vertreter der Fraktion `Identität und Demokratie` nicht nur nationalistische und islamfeindliche statements vom Stapel ("statt die Ausbildung zu Imamen zu finanzieren sollte man den Migranten lieber beibringen, wie man ein Flugticket in die Heimat kauft"), sondern sind auch treibende Kraft hinter der Blockade Ungarns und Polens bei den EU-Hilfsfonds. Deren Regierungsvertreter gerieren sich als Bewahrer der europäischen Werte gerieren, unter denen sie Homophobie, Xenophobie und die Unterdrückung der Frau verstehen und wettern gegen den `Migrationsdruck`. Der Trend zu reaktionären rollbacks und Nationalismus zieht sich als Risssystem durch Europa.

Traurig. Maradona schüttelt nun die Hand Gottes. Trotz Hyäneregeln.

Ein Tagesordnungspunkt der heutigen Sitzung im Bundestag: höhere Löhne und Verteilungsgerechtigkeit, eingebracht von der Fraktion der Linken. Dass die Linke beklagt, die Ärmsten der Gesellschaft hätten unter den wirtschaftlichen Konsequenzen der Corona-Krise am meisten zu leiden, während laut Verteilungsbericht des paritätischen Wohlfahrtsverbandes die Milliardäre in Deutschland in der Krise 100 Milliarden Euro mehr `verdient` haben als im Vorjahr, gehört zur ebenso üblichen wie erforderlichen Kritik an der zunehmend auseinandergehenden Schere zwischen arm und reich. Auch dass die Linke mit ihrer Forderung nach Vermögenssteuer, Erhöhung des Mindestlohns etc. nicht durchdringt und auch nicht mehrheitsfähig ist, daran hat man sich gewöhnen müssen. Doch die achselzuckende Reaktion der anderen Parteien auf diese soziale Schieflage ist ein Offenbarungseid. Die Menschen, so beklagt die Generalsekretärin der SPD Sachsen Daniela Kolbe, erwarten von uns zu sehr die Lösung all ihrer Probleme, so als sei zunehmende soziale Ungerechtigkeit nicht das Problem der gewählten Politiker. Diese Mischung aus Ohnmacht und Unwillen, sich ernsthaft mit einer Eindämmung der Macht von Krisenprofiteuren zu befassen, die ihren Reichtum vervielfachen während immer mehr Menschen in Armut versinken, ist allerdings systemisch. Schon dass es eines Sozialstaates bedarf, dessen Funktion im wesentlichen in der Wahrung des sozialen Friedens durch Abmilderung der sozialen Härten besteht, die der Kapitalismus produziert, ist Eingeständnis des verhängnisvollen Machtgefälles zwischen Politik und Kapital, dessen Beseitigung niemand ernsthaft anstrebt, der ein politisches Amt bekleidet und es behalten möchte. 

Der Orange Day fordert zu Recht Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen. Nicht ganz einfach sich einzumischen, wenn man nur einen Haushalt besuchen darf. Kontaktbeschränkung und die Aufforderung, sich mehr oder minder zu Hause einzubunkern: das schafft black boxes von Missbrauch und Gewalt. Social Distancing bedeutet auch, dass Täter und Opfer unter sich bleiben - auch in Pflege- und Altenheimen. Im Prinzip hat die Gesellschaft eine Triage vorgenommen - da Gewalt nicht als infektiös gilt (...ist das so?...), nimmt man die Zunahme an mitunter tödlicher Gewalt gegen Frauen und Schwache in Kauf. Hauptsache Täter und Opfer können schön zusammen Weihnachten feiern.  

Penetrant: Werbung mit Furcht und Zittern. in den (pausenlosen) Werbepausen beinahe nur Werbungen für pharmazeutische Produkte.  

Kultur? Wozu. Wer Sinn sucht der besuche Kirchen und Baumärkte.

Und...ach ja. Lockdown verlängert bis Januar. Nur so nebenbei.

 

24. November

3:30. Tiefseenacht. Nicht ein Fenster ist erleuchtet. Schlürfe schwarzen Kaffee, sehe Dokumentarfilme über Schwarze Löcher, Galaxienhaufen und Vakuumenergie, Zeit und Licht. Es ist die Uhrzeit, die ich liebe, weil sie stillzustehen scheint wie der Rest des Universums. Zeit, die mir gehört bevor die Maschinerie der Verbote, Regeln, des Ausweichens auf Bürgersteigen, der Alarmsignale, der Abstandsregeln, der Monothematik, der Pflichten, der Beschränkungen, des Corona-Katechismus im Frühstücksfernsehen anläuft. Von mir aus könnte Zeit zu Raum werden und Raum zu Zeit wie im Inneren eines Schwarzen Lochs. Dann wäre die Nacht ewig und weit und die Zeit wäre eine Welt des unbeschränkten Reisens. 

Masken tragen. Wer konstatiert `Keine große Sache` lenkt vom Teufel ab, der im Detail steckt. Die Maske symbolisiert unser Einverständnis damit, dass wir damit möglichst wenig sich ändert ins Risiko gehen, denn wir sollen sie dann tragen, wenn Abstand sich nicht halten lässt. Die Städte sollen sich nicht ändern. Die Arbeitsbedingungen sollen sich nicht ändern. Die Schulen sollen gut gefüllt bleiben. Statt die Pandemie zum Anlass zu nehmen um vieles zu ändern überlegt man, wie man möglichst wenig ändern muss.

Rezos Youtube-Sprechgesang zum Thema "Wenn Idioten Deine Freiheit und Gesundheit gefährden" ist schmissig und die Kritik an der von diesen gleichgültig hingenommenen Vereinnahmung der Gegner von Corona-Maßnahmen durch Rechtsextreme, Antisemiten, Reichsbürger etc. ist ebenso berechtigt wie diejenige am weichgespülten Umgang der Polizei mit Regelverstößen bei Corona-Demonstrationen im Vergleich zum Vorgehen der Polizei bei anderen Demonstrationen, bei denen es zu Regelverstößen kommt - aber auch er muss sich den Vorwurf der Einseitigkeit gefallen lassen, wenn er Masken`verweigerer` pauschal als unsoziale Dullies bezeichnet, die mutwillig die Gesundheit anderer gefährden. Die Gesundheitsgefährdung entsteht durch (tolerierte) Umstände in denen ein Sicherheitsabstand nicht gewahrt werden kann - und in diesem Falle gefährden auch Maskenträger die Gesundheit der anderen und die eigene. Ein wenig Kritik an der Unverhältnismäßigkeit zwischen strukturellen und in Kauf genommenen Infektionsrisiken einerseits und der Fokussierung von Coronamassnahmen auf Freiheitseinschränkungen im Sozialverhalten anderseits wäre fein. 

Alles dreht sich um die Schulen und das Weihnachtsfest, als gebe es in Deutschland nur Familien mit Kindern. Laut stastista.com gab es in Deutschland 11,56 Millionen Familien, aber 16,79 Millionen Singles. MPKs und Fernsehsender gaukeln einem das Bild der intakten Familie als Norm vor: die Kinder gehen brav zur Schule, an Weihnachten sind alle nett zueinander und die hohe Selbstmordrate um Weihnachten haben wir Singles zu verdanken, die ihr Leben verbockt haben weil sie ihren Wunsch nach Kinderglück und Weihnachtsgans im Familienkreis verleugneten.  

Dass es in wenigen Monaten gelang mehrere Impfstoffe gegen Corona zu finden wird abgefeuert, äh, abgefeiert als Beleg dafür, was die Menschheit alles durch Zusammenarbeit erreichen kann. Na dann - wie wäre es mit der Abschaffung von Armut und Hunger? Dazu müsste diese Zielsetzung ernsthaft verfolgt werden. Solange in Demokratien Mehrheiten organisiert werden über das Thema Sicherung von Wohlstand, produziert der demokratische Prozess arme Minderheiten, die immer ärmer werden, aber politisch nicht ins Gewicht fallen. Gesellschaftlicher Fortschritt im Sinne einer Solidargemeinschaft wäre erst dann möglich, wenn die Beseitigung von sozialen Missständen ein Mehrheitsthema wäre, mit dem Parteien punkten können. Dem stehen die Axiome der Wettbewerbsorientierung und des Wachstums entgegen. Ist Demokratie nicht mehr als die vom Kapital bevorzugte gesellschaftliche Organisation von Produktivkräften und Konsumenten, bleibt das Ziel der Beseitigung sozialer Härten ein Lippenkenntnis zur Abmilderung des latenten schlechten Gewissens, das uns beim Anblick von Mittellosen in den - zunehmend gemiedenen - Fußgängerzonen beschleicht. 

Der Film zu einem konsequenten lockdown: `Die Wand` mit Martina Gedeck. Wuchtige Landschaft, ernüchternde Botschaft. Alles was wir hinterlassen sind überkommene Lebenszeichen...irgendwann blickt man auf das Haltbarkeitsdatum von Waren und fragt sich ob man dessen Ablaufen noch erlebt.

Sich mit Sophie Scholl Scholl oder Anne Frank zu vergleichen, Judensterne mit der Impfschrift Impfgegner am Revers zu tragen ist eine nicht hinnehmbare Überhöhung der eigenen Bedeutung, schlimmer noch - man verharmlost Massenmord und Antisemitismus, indem man den Holocaust auf die selbe, niedrige Stufe wie den kritischen Umgang mit sogenannten Querdenkern stellt, die das Benetztwerden mit Sprühregen für vergleichbar mit Vergasung und Liquidierungen halten. Es ist jedoch bedenklich, wenn man sich bei der Kritik an den Demonstranten selbst in Nachrichtensendungen Begrifflichkeiten und Methoden bedient, die ihrerseits - wie die AfD, wenn sie das Infektionsschutzgesetz Ermächtigungsgesetz nennt - den nationalsozialistischen Kontext heraufbeschwören. Die Klassifizierung `Corona-Leugner (Lügner)` soll erkennbar die Assoziation Holocaust-Leugner wecken, der Begriff `Maskenverweigerer` wiederum soll an den `Kriegsdienstverweigerer` erinnern, der seinerzeit für viele ein Synonym der Drückeberger war, die sich unter dem Scheinmantel des Pazifismus einer unbequemen Pflicht entledigen wollten. Auch diese Pauschaldenunziation ist alles andere als angemessen und gießt Öl ins Feuer. 

Wer nun meint, Deutschland sei des Land der Scheißhauspapierhamsterer und -parolen und es ginge nicht noch abstruser, der werfe einen Blick nach Italien: "Das Coronavirus sei Resultat einer gottlosen Weltverschwörung: Diese These wird in Italien vor Millionen Hörern auf den Wellen von Radio Mario verbreitet." Laut dem Direktor dieses erzkatholischen Senders, Pater Livio Fanzage, ist "diese Epidemie ein kriminelles Projekt, das von den weltweiten Eliten vorangetrieben wird. Um eine Welt ohne Gott zu schaffen." Immerhin muss man einräumen Pater Fanzage ist kein `Coronaleugner`, sondern ein gewöhnlicher Verschwörungstheoretiker mit einem Millionenpublikum, zu dem auch Matteo Salvini gehört. Nicht nur in den USA ist die Kirche ein wesentlicher politischer Machtfaktor, den der formale Laizismus nicht an der Geltendmachung einer reaktionären und homophoben Weltsicht hindert (Tagesschau.de, "Verschwörungstheorien mit Millionenpublikum").

Niemand will eine Impfpflicht errichten! heißt es fraktionsübergreifend aus der deutschen Politik. Wozu auch, für hohe Impfbereitschaft bei Reiseweltmeister Deutschland werden schon die Fluggesellschaften sorgen: "Ohne Impfung gegen Corona kein Flug - das könnte bald der Weg sein, um den Luftverkehr trotz Pandemie anzukurbeln. Die Fluggesellschaft Qantas will die Pflicht für Verbindungen nach Australien einführen." Manche Pflicht ist überflüssig, wenn Bedingungen geschaffen werden, deren Effekt derjenigen einer Verpflichtung entspricht. 

Im Halbschlaf imaginiere ich ein Verbotsglücksrad. Statt darüber zu verhandeln was wie lange und wie strikt verboten bleibt schreibt man auf das Glücksrad eine Reihe Freiheiten, dann wird das Glücksrad gedreht und wenn es stehen bleibt wird verboten, worauf der Pfeil zeigt. In der heutigen Fassung des Untersagungsrads gewinnt ein erfolgreicher Samenbanker einen Interkontinentalflug mit Gratisimpfung. 

Wen interessiert welche Fortschritte es bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen für osteuropäische Leiharbeitnehmer in deutschen Schlachtbetrieben erzielt wolle, der konsultiere die ZDF-Mediathek und führe sich den Beitrag bei Frontal 21 zu diesem Thema zu Gemüte. Deprimierend und nicht unerwartet.

Die ZEIT urteilt heute triumphierend und ein wenig hämisch: "Corona-Maßnahmen in Schweden: Das schwedische Modell ist am Ende." Wieso? Nur weil Schweden geringfügig von seinem Prinzip Empfehlungen und Eigenverantwortung abweicht? Das ist etwa so als diagnostiziere man die Demokratie sei am Ende wegen einiger Reichsbürger.

 

 

23. November

Mit großem Tamtam präsentieren auf einer Pressekonferenz Jens Spahn und der Geschäftsführer von IDT Biologica den nächsten Impfstoff. Eine einzige deutschtümelnde Werbeveranstaltung für das Pharmaunternehmen und die Politik der Bundesregierung, die den Werbeetat des Unternehmens nicht belastet. In einem Beitrag bei Phönix ("Dauerzustand Krise") spricht mir Svenja Flaßpöhler, Chefredakteurin des Philosophie-Magazins, aus der Seele: das Mantra mit dem Impfstoff kehre man zur Normalität zurück und bis dahin solle man Disziplin und Folgsamkeit walten lassen kommt einer Reduzierung der Bevölkerung zu unmündigen Kleinkindern gleich. Das hausbackene Ziel "Rückkehr zur Normalität" stellt Weichen zurück in die Vergangenheit. Die frohe Botschaft: Wir müssen gar nichts ändern, denn unterm Weihnachtsbaum liegen Serum und Kanüle. Was Svenja Flaßpöhler bemängelt ist die fehlende Bereitschaft zur Antizipation, zur Prävention, zu vorausschauendem Denken und Handeln. Statt dringend erforderlichem gesellschaftlichem Wandel wird die Kraft des Wettbewerbs anhand der Impfstoffentwicklung gefeiert als Beweis dafür dass alles bestens ist, wenn man den Markt nur machen lässt. 

Während die Regierung zurückblickt in Wonne sterben in den Pflegeheimen wie zu Beginn der Pandemie die weggesperrten Alten. Ein langweiliges Thema, weil schon im ersten lockdown abgehandelt. Geändert hat sich unbemerkt von der Öffentlichkeit wenig, was wenigstens der Süddeutschen Zeitung von heute einen längeren Artikel wert ist (Thema des Tages). Erschreckend wenig hat sich seit März 2020 geändert. Immerhin bleibt dies nicht unbemerkt. Katja Kipping von den Linken beklagt sich darüber, dass einseitig auf Kontaktbeschränkungen im Privatbereich gesetzt wird, während Hotspots zum Beispiel in den Verladezentren in Häfen achselzuckend hingenommen werden. 

Erneut ertappe ich mich bei der Hoffnung, dass weitere Beschränkungen im privaten Bereich keine Wirkung zeigen - was dann? 

Eine von Frau Flaßpöler gestellte Frage konterkariert prägnant den martialischen Ansatz der Rückkehr zur `alten Normalität` durch Besiegen des Virus. Wie kommt man darauf, dass die Pandemie vorbeigeht? Die vielfach als defätistisch verpönte Annahme von Henrik Streeck man müsse lernen mit dem Virus zu leben wird mit der Entschiedenheit verworfen, mit der die katholische Kirche das kopernikanische Weltbild verwarf. Prävention und pandemiegerechte Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft wären Eingeständnis einer Niederlage. Der einzige Bereich, in dem mit Prävention jeder Aufwand gerechtfertigt wird ist die Rüstung, eine Pandemie ist noch lange kein Grund für Prophylaxe. Ansonsten soll die Notwendigkeit zur Änderungsbereitschaft weggeimpft werden.

Im Phoenix-Beitrag `Corona - Schock und Zeitenwende` wird die These vertreten, Corona habe unsere Gegenwart nicht erschüttert, sondern zerstört.  Zukunft lasse sich nicht vorhersagen, weil sie das sei, was wir jetzt machen? Im Kern: alles müsse hinterfragt werden und alles wird sich ändern. Das Prinzip der Gewinnmaximierung ohne Berücksichtigung sozialer Belange und ökologischer Belange, die Geringschätzung von Pflegeberufen, die zunehmende Kluft von Wohlhabenden und Niedriglöhnern und so weiter...mit Friedrich Merz, personifizierter fossiler Brennstoff, als Kanzler. Vorwärts in die Vergangenheit.

Was mir an Corona gefällt ist das Potenzial an Notlügen. Will man Verabredungen absagen oder nicht ins Büro genügt der Verweis auf ein leichtes Hüsteln. 

Was vermisst man im lockdown? Ich vermisse, was noch nicht ist, nicht, was nicht mehr ist. Was ich fürchte? Die Macht von Konservativen, die bewahren wollen was war einfach nur weil es war. 

Laut einer Untersuchung der EU zur Luftqualität in den EU-Staaten sterben alleine in Deutschland pro Jahr 63000 Menschen vorzeitig aufgrund der gesundheitlichen Schäden durch Luftverschmutzung vor allem in Großstädten. Die Situation habe sich verbessert. Wieder ein Indiz dafür nichts ändern zu müssen. 

 

22. November

Bibel-TV und digitaler Grünenparteitag: Wo ist der Unterschied der sakralen Inszenierungen? Unablässige COVID-Experten-Choräle auf allen Kanälen, wir, vor den Bildschirmen, singen Maßnahmen-Karaoke. Predigten. Litaneien und Gesänge wohin man auch hört, passend zur Vorweihnachtszeit, im scharfen Kontrast zum sonstigen Adventsgeschäft, regnet es von den Kanzeln in den Wohnzimmern Entbehrungs- und Entsagungslametta. Enger zusammenrücken und sich voneinander entfernen sind in angeordneter Zwei- und Einsamkeit das Selbe. Abstandsregeln und Kontaktbeschränkungen, Herrschaft durch Teilung. 

Im heutigen Presseclub lobpreist Marc Bost von der ZEIT Südkorea und Taiwan, deren maskierte Normalität, tracing- und tracking-Apps. Die niedrigen Infektionsraten. Niemand fragt, was schon vor der Pandemie mit unserer Lebensweise falsch gewesen sein muss, wenn das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes im öffentlichen Raum die Regel ist? Was als Vorbild gepriesen wird war bereits vor Corona Hinweis auf eine verseuchte Lebenswelt.

GeStern `Sternstunde Philosophie` auf 3SAT. Eine Sendung zum Thema Triage - darf man Menschenleben abwägen?. Moderator Yves Bossart fragt zu Beginn den Philosophen Adriano Mannino `Wenn wir beide beatmet werden müssten und es stünde nur ein Intensivbett zu Verfügung - wer von uns beiden müsste dran glauben?`. Erinnerung an Fragen bei der Kriegsdienstverweigerung: Stellen Sie sich vor sie hätten ein Maschinengewehr und jemand vergewaltige ihre Freundin. Würden Sie schießen oder nicht? Utilitarismus, Konsequenzialismus, Gedankenexperimente. Das Argument, man müsse unter allen Umständen Triagen vermeiden, das besonders Peter Altmeyer betont führt sich ad absurdum, wenn zugleich die Dogmen von Präsenzunterricht, Präsentismus in der Arbeitswelt und Unantastbarkeit des Tummelplatzes ÖPNV gelten. Im Verlauf der Sendung wird es konkret: die sich selbst der Erfolge in der Pandemieeindämmung brüstenden Länder hätten im Vergleich zu anderen Ländern auf ganzer Linie versagt. Sich auf die Schulter zu klopfen nur weil es andere noch schlechter machten ist in der Tat kümmerlich. Man kennt das. Sollen Mängel überspielt werden verweisen Verantwortliche gerne darauf man solle sich glücklich schätzen, denn woanders sei es viel schlimmer. Relativierungen: Marc Bost mokiert sich darüber, wenn in Deutschland Menschen wegen kleiner Einschränkungen demonstrieren. Berufsverbote, Kontaktbeschränkungen auf eine Person, der Verzicht auf Kultur als `kleine Einschränkungen`, klein, nur weil die Einschränkungen woanders noch größer sind? Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung wehrt sich als einziger gegen den verniedlichenden Ausdruck lock down light: denn für viele Berufszweige ist es kein lockdown light. Die Schließung von Gaststätten und Kulturbetrieben unter dem Begriff `lockdown light` zu versammeln das entspricht der Verharmlosung der Corona-Leugner COVID 19 sei nicht schlimmer als ein Schnupfen.   

Woran liegt die Stagnation der Infektionsrate? fragt Moderator Schönenborn und: sind wir alle nicht diszipliniert genug? Kein Wort darüber, dass Infektionsketten sich gar nicht vermeiden lassen, wenn weite Teile der Wirtschaft, der Infrastruktur und der Schulen Kontakte zulassen, deren Zahl durch das Benehmen der Bevölkerung nur durch einen Generalstreik zu beeinflussen wäre.

Ursachenforschung, die immer zum selben Ergebnis kommt. Die Bevölkerung habe es im Sommer zu leicht genommen - nur der arme Heribert Prantl widerspricht und kritisiert: statt immer nur darüber zu reden, ob die bestehenden Maßnahmen verschärft werden sollten sollte man hinterfragen ob die bestehenden Maßnahmen angemessen und wirkungsvoll waren. Da wagt es immerhin jemand Qualität statt Quantität zu fordern.

Das Wort, das tabu ist nimmt schon seit Beginn der Pandemie kaum einer in den Mund, schon gar nicht Karl Lauterbach: Prävention. Der Philosoph Mannino legt den Finger in diese Wunde: inmitten eines Dialogs über die Abwägung von Kosten und Schutz des Lebens - eine Studie in der Schweiz kommt zu dem Schluss ein Jahr Leben sei eine Investition von 100000 Schweizer Franken wert - merkt er an, dass Prävention in jeder Hinsicht deutlich kosteneffizienter sei als Reaktion. Tja...unzählige Berater sind mit diesem Argument schon bei Geschäftsführungen von Unternehmen gescheitert, denen es preiswerter erschien auf Investitionen in Prävention zu verzichten. Denn kommt die Katastrophe nicht hat man Geld verschwendet. Exakt so agierten die Staaten in der westlichen Welt. Das war schon unentschuldbar vor Beginn der Pandemie - dass aber in der Pandemie nach der ersten Welle Prävention ein Unwort blieb ist nicht mehr zu verzeihen. Das meint Mannino mit `Totalversagen`. Da ist was dran, sogar ziemlich viel. 

Unerträgliche Seichtigkeit des Seins im Unterhaltungsangebot zwischen den Corona Updates. Auf R-Wert folgt die Show klein gegen groß, in deren Mittelpunkt ein kleines Mädchen steht, dessen sehnlichster Wunsch es ist, Prinzessin zu werden und einen Prinzen zu heiraten. Konservative Retrowellen werden die Medienlandschaft überschwimmen, das Volk möge sich festhalten an Rückgriffen. Abendunterhaltung auf dem Niveau des Goldenen Blattes als Sedativ. Technischer Fortschritt und gesellschaftlicher Rückschritt. Rückwärtsgewandt mögen wir durch die Krise stagnieren, bewaffnet mit laptops, iphones und intelligenten Staubsaugern. Werbespots mit glücklichen Sportlern im Homeoffice, die sich lächelnd auf Heimtrainern abstrampeln, impfen dem Publikum Optimismus ein. Ein Ex-Formel-1-Weltmeister hält einen Vortrag über synthetischen Treibstoff. Grüne Raserei. Er plädiert für Sportevents ohne Livepublikum. Amazon wirbt mit Klimaneutralität ab 2050, während Lieferwagen die Straßen verstopfen. Trotz Corona nehmen die Treibhausgase zu, nicht überraschend, wenn Kontaktbeschränkungen sich auch das soziale Umfeld beschränken.. Samenbanken werden boomen. Die Grünen entdecken den Willen zur Macht. Während wir uns auf Digitalfahrt begeben reduziert sich die Außenwelt reduziert sich auf den Klang von Martinshörnern und Kirchenglocken. Alarmstimmung, Frömmelei und aufgesetzte Fröhlichkeit ergänzen sich.

 

21. November

Was dem zweiten lockdown fehlt ist die Ruhe und Stille des ersten lockdowns, die viele uns empfanden wie ein Geschenk. Für Kontaktbeschränkungen wurde man entschädigt durch die Vorwitzigkeit der Fauna, die ihre Scheu ablegte. Neugierige Rehe ließen sich in Grünanlagen und Schrebergärten blicken, umgekehrt entdeckten Menschen die greifbare Natur jenseits der Sterilität ihrer playstations und Hauptverkehrsstraßen. Autofahrer entdeckten die Schönheit einer Welt ohne Gurte und Ampelschaltungen. Bei allen Schrecken der Pandemie fühlte man sich doch gelegentlich wie Entdecker neuer Kontinente. Die Aufbruchstimmung, das Gefühl an etwas ganz Neuem teilzuhaben, ein früh hereinbrechender Frühling brachten unser Gemüt einigermaßen unbeschadet durch diese Generalprobe der Neuen Normalität. Viele dachten, sie erleben etwas Einmaliges. Von derlei Kompensationen kann derzeit keine Rede sein. Es herrschen der Lärm und die Hektik des Vollbetriebes, die Tiere ziehen sich zurück in die Tiefen sterbender Wälder. Der Charme der Gänsemärsche auf leergefegten Straßen entschädigt uns diesmal nicht für die geschlossenen Kneipen. 

Mit Genugtuung nimmt der Verfasser das Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Münster zur Kenntnis, das die Quarantäne für Rückkehrer aus Risikogebieten für bullshit erklärt, da es offenbar Unfug ist, wenn Rückkehrer aus einer Region mit geringerer Inzidenz, als derjenigen an ihrem Heimatort sich wegsperren müssen - auch wenn sich dies zum Selbstschutz empfiehlt. Eine Lasche für Risikogebieter Laschet.

`Etwas fehlt. Erst jetzt fällt mir auf was - die Trauermarschmusik. Seit Wochen zieht keine Trauergemeinde mehr der Tuba folgend die Küstenstraße entlang zum Friedhof. Es ist untypisch, dass der Tod hier so lange totenstill bleibt. Beklommen und neugierig mache ich mich, die menschenleere Straße entlang, vorbei an vakanten Parkplätzen, auf in Richtung letzte Ruhestätte. Eine Familie schwarzer Katzen gibt mir Geleitschutz. In beträchtlichem Abstand zum Friedhof beginnt eine schier endlose Kolonne parkender PKWs. Welche Parameter haben sich verändert?` 

 

20. November

Kritisieren und Meckern kann jeder. Wie wärs mit konkreten Vorschlägen. Hier ist einer: Statt einem Lockdown als Reaktion auf exponentiell wachsende Infektionszahl ein präventiver Lockdown sobald die Infektionszahlen relativ gering sind. Das Virus weitgehend auszutrocknen wäre dann möglich und die Kontaktnachverfolgung gewährleistet. Was spricht dafür und dagegen? Und warum wird diese (naheliegende) Möglichkeit nicht in Erwägung gezogen?

Dirk Wiese, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der SPD, stellt fest: wer die das Infektionsschutzgesetz mit dem Ermächtigungsgesetz in Verbindung bringt hat keine Ahnung und lügt bewusst. Diese Äußerung offenbart ein verhängnisvolles Missverständnis: bewusst lügen und Ahnungslosigkeit schließen sich gegenseitig aus. Den AfD-Abgeordneten Ahnungslosigkeit zu unterstellen zeugt von sträflicher Unterschätzung. Denn sie wissen, dass sie lügen und sind leider nicht ahnungslos. Es ist der falsche Weg, den Feinden der offenen Gesellschaft Dummheit zu attestieren, denn sie handeln plan- und absichtsvoll. Sie handeln auch keineswegs geschichtsvergessen, sondern beschwören im Gegenteil - der Schoß ist fruchtbar noch (und furchtbar) - Geschichte herauf. 

Der zweistellige Zustimmungsgrad innerhalb der deutschen Bevölkerung zu diktatorischem und fremdenfeindlichen Gedankengut verdeutlicht, dass es sich bei Gegnern der Demokratie in Deutschland nicht um eine zu vernachlässigende Minderheit handelt. Die numerische Stärke der AfD-Fraktion im Bundestag ist dafür eindrucksvoller Beleg. Umso fataler ist es, wenn der Kulturbetrieb als nicht systemrelevant behandelt wird. Grade jetzt wäre gelebte kulturelle Vielfalt erforderlich - es wäre dringend geboten die Eindämmung der Pandemie lieber durch Beschränkungen im Bereich der Ökonomie voranzutreiben als durch Beschränkung kultureller Vielfalt.  

Corona als Zumutung für die Demokratie darf nicht dazu führen, der Demokratie zu viel zuzumuten. Eine rigorose Beschränkung sozialer Kontakte und von Freiheitsrechten bei gleichzeitiger Inkaufnahme von Infektionsgeschehen in Bereichen, in denen Anwesenheitspflicht zu Gunsten der Wirtschaft eingefordert wird schadet der Akzeptanz der Demokratie in einem beträchtlichen Ausmaß, denn es entsteht der Eindruck, der Schutz der Gesundheit werde einem zynischen ökonomischen Kalkül geopfert.

 

19. November

Die gestrige Plakataktion der AfD-Abgeordneten im Bundestag (Grundgesetz mit Trauerflor) wurde missverstanden. Es handelte sich nicht um Kritik am Infektionsschutzgesetz, sondern um eine Absichtserklärung. 

Die Ludwigsburger Kreiszeitung vereinfacht das Verhältnis zwischen verständigen Bürgern und egoistischen Krakeelern wie folgt: "Viele Menschen sind überrascht, was der Staat alles darf und nennen es diktatorisch. Sie haben das Prinzip des Infektionsschutzes offenbar nicht verstanden. Es geht darum, was in einer (...) Pandemie am besten wirkt, immer unter der Maßgabe des Grundgesetzartikels 2: `Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit` (...) Es steht da nicht: Jeder hat das Recht auf Bundesliga, Mallorca und Party." Schulmeisterei, Herablassung gepaart mit der Einteilung der Gesellschaft in vernünftige Jünger des Infektionsschutzgesetzes und ungebildete, egoistische Ballermann-Besucher - abgesehen davon dass man sich weder der einen, noch der anderen Gruppe zuordnen mag treibt einem diese Kombination aus moralischer Blasiertheit und grobschlächtiger Simplifizierung die Zornesröte ins Gesicht, denn sie ist kein Einzelfall, wie schon der Umstand zeigt, dass dieser Kommentar unter der Rubrik Pressestimmen in einer anderen Zeitung zitiert wird. Der Unfug beginnt schon mit dem ersten Satz, der einen Gegensatz von (hier wohl gemeint) demokratischem Staat und diktatorisch insinuiert und Menschen als intellektuell unterbelichtet hinstellt (...nicht verstanden...), die bestimmte Maßnahmen des Staates als diktatorisch titulieren. Es ist nun mal grade Kennzeichen des Gewaltmonopols des Staates, dass er in bestimmten Situationen diktieren darf (zur Erinnerung: Macht hat der, der den Ausnahmezustand verhängen kann). Das macht einen Staat ebenso wenig zur Diktatur, wie das Wort Ermächtigung in Gesetzen diese Gesetze zu Ermächtigungsgesetzen macht - aber es ist durchaus statthaft der Auffassung zu sein, der Staat übertreibe es mit den Diktaten und handele insofern diktatorisch. Es ist auch zulässig, Assoziationen zum Begriff Diktatur zuzulassen, wenn man die Gefahr sieht, dass die Verfestigung eines Ausnahmezustands zur Normalität droht. Äußerungen dieser Art mögen über das Ziel hinausschießen, sind aber weder ein Indiz für Bildungsferne, noch für einen begrenzten Horizont, dessen Grenzen der Rahmen des Fernsehers, der Flächeninhalt des Strandabschnittes Ballermann 6 und die Öffnungszeiten eines Technoclubs sind. Die Abbildung der Kritiker von einzelnen Maßnahmen der Exekutive mittels typischer Klischees von Sozialschmarotzern, die nix in der Birne haben als Fangesänge, Chips und Bier, Sangriaeimer und Raves offenbart genau die mangelnde Bereitschaft zu einer differenzierten Betrachtung, die der Kommentar den Verunglimpften in Sachen Unterschied zwischen Grundrecht und Privileg unterstellt. Sich über eine geplante Maßnahme zu beschweren, die Betroffene dazu zwingt für einen unbestimmten Zeitraum wertvolle und weniger wertvolle Freundschaften zu klassifizieren ist das exakte Gegenteil der unterstellten Ignoranz. 

Äußerungen wie die zitierte, die lediglich einteilen in konforme Jünger des Infektionschutzes und dumpfbackige Hedonisten, die auf das Wohl anderer Menschen husten macht es Menschenfängern leicht. Einlassungen wie die Folgende häufen sich: Ich mag die AfD zwar nicht, aber mit einigen Argumenten haben sie Recht, und sonst traut sich ja keiner. Mit steigender Unzufriedenheit in der Bevölkerung über die Polarisierung der Gesellschaft in solidarische Kontaktvermeider und ignorante Verweigerer wenden sich zunehmend Menschen schlechten und gefährlichen Alternativen zu. Wird man stigmatisiert weil man kritisiert verliert man irgendwann aus den Augen, dass auch gute Argumente für das Erreichen übler Ziele instrumentalisiert werden. Kritisiert ein Tyrann Missstände einer Demokratie, so mag die Kritik zutreffen, ihr Ziel ist jedoch nicht die Korrektur eines Mangels in der Demokratie, sondern deren Abschaffung.   

 

18. November

Der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, Dr. Reiner Haseloff, findet der Verfasser aus diversen Gründen sympathisch. Seine Weigerung Bußgelder für die Verletzung der Maskenpflicht anzuordnen und sein Credo, weniger auf Verbote als auf den mündigen Bürger zu setzen stehen im wohltuenden Kontrast zu den Beschränkungsorgien der Exekutierenden. Das beweist Rückgrat und eine intakte demokratische Gesinnung, die er auch bei Markus Lanz demonstriert. Doch selbst Dr. Haseloff erliegt dem Kurzschluss setze man nicht auf drastische Kontaktbeschränkungen im privaten Bereich müsse man komplett die Wirtschaft herunter fahren. Es verdient Respekt, dass jemand aus der MPK die Prioritäten klar benennt, gleichwohl steht dieses dramatische Entweder-Oder im Widerspruch zum Mantra Gesundheit und Wirtschaft seien kein Gegensatz. Die Alternative liegt eigentlich nahe - statt das kulturelle und soziale Leben einzufrieren (inklusive Stilllegung der Gastronomie der Kulturbetriebe) und die Wirtschaft von Beschränkungen zu verschonen könnte man Beschränkungen im öffentlichen Leben reduzieren und Corona-Auflagen für Betriebe schärfen (Belegschaften vorübergehend reduzieren, Arbeitsplätze frei lassen, dadurch Abstände erhöhen und Kontakte reduzieren). Es ist unredlich zu behaupten man müsse die gesamte Wirtschaft runterfahren, wenn sich Mitglieder aus 3 statt zwei Haushalten treffen dürfen. In Kauf nehmen müsste man Produktivitätsverluste, die man um jeden Preis vermeiden will (Svenja Schulze beim 4. Autogipfel: es geht darum die Wirtschaft und die Konjunktur zu schützen); auch um denjenigen sozialer Isolation, steigender Selbstmordraten und vernichteten Existenzen in den Branchen, die - da nicht exportorientiert - als nicht systemrelevant abgestempelt werden.

Wäre man ehrlich würde man zugeben, dass es nicht um die Vermeidung von Infektionen und einen optimalen Gesundheitsschutz für die Menschen geht, sondern um die Kontrolle des Infektionsgeschehens bei Vollbetrieb in der Wirtschaft. Die Gesundheitsämter wären auch entlastet, wenn die Infektionszahlen zwar erheblich sind, man aber jederzeit weiß wo sich grade welcher Mensch befindet. Schränkt man die Kontakte im Privatbereich ein können sich die Menschen in Schulen und Betrieben ruhig infizieren: bleibt ja alles in der Familie.   

Ich vergieße Tränen auf die Schlagzeile der WAZ: Deutschland geht unter. Bezieht sich vordergründig auf das 0:6 der Yogis gegen Spanien, ist aber ein Kommentar von allgemeiner Gültigkeit. Ich lache jedoch keine Tränen, sondern vergieße Tränen der Rührung. Heute durfte ich das erste Mal seit 9 Monaten in einem Supermarkt wieder ohne Einkaufswagen betreten! Ich zittere jetzt noch vor Ergriffenheit.  

Junge Junge. Selbst die Bildzeitung mischt sich nun ein in den Streit der Kanzlerin und der Ministerpräsidenten um die korrekte Mundhabung der deutschen Sprache: "Ist-zu-verzichten! (O-Ton-Merkel) Gerundivum nennen Deutsch-Füchse diese Art der Befehlsform, eine Verneinung mit aufforderndem Charakter. Die Botschaft dahinter: Keine Widerworte, setzen!" Und weiter: "Ernsthaft? Familien, die sich für eine Freundesfamilie entscheiden sollen und morgens in der Bahn mit Hunderten Fremden im Pulk stehen? Eine Gesellschaft, bis in die privaten Haushalte hinein beliebig regier- und dirigierbar? Menschen malen nach Zahlen." Die allgemeine Empörung über Tonalität und Widersprüchlichkeit der von oben herab Dekrete verkündenden MPK - Dietmar Bartsch von den Linken mokierte sich über die Reisefreiheit der Fußballnationalmannschaft, während wir gefälligst zu Hause bleiben und keine Kontakte haben sollen - nimmt zu Recht zu, verkennt jedoch deren Zweck. Die sozialen Kontakte sollen eingeschränkt werden grade weil das Infektionsrisiko in anderen Bereichen geduldet wird. Dass die Nationalmannschaft um die Welt jettet ist erforderlich: wenn die Menschen zu Hause bleiben sollen kann man sie nicht nur mittels Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen befrieden. Deswegen werden auch im systemrelevanten Bereich Profifußball Infektionsgefahren in Kauf genommen. Die Tonalität? Mag empörend sein, sie wird jedoch unabhängig von Beschlüssen des Parlamentes ihre Wirkung in der Bevölkerung auch dann entfalten, wenn es zu einer entsprechenden gesetzlichen Regelung nicht kommt. Weil die Kanzlerin darum weiß tritt Sie als Oberlehrerin und Gouvernante auf. Unabhängig von der Gesetzeslage wird die Bevölkerung mehrheitlich devot genug sein um dem Gerundivum der Kanzlerin zu huldigen. 

Laut 10. Leipziger Autoritarismus-Studie befürworten 17% der Befragten eine Diktatur in Deutschland. Das entspricht etwa dem Prozentsatz, der härtere Corona-Maßnahmen fordert. Koinzidenzen - weniger als kausale Zusammenhänge, mehr als Zufall? Bedenklich: die 17% bekennen dies offen. Wie hoch ist wohl die Dunkel(Deutschland)ziffer?

"Das Gesetz das die GroKo vorschlägt ist schlecht, aber es errichtet keine Diktatur" (Buschmann, FDP). So ist es. 

Warum ich denn - wenn ich denn kein Coronaleugner, Reichsbürger oder AfD-Sympathisant bin - so polemisch und verächtlich Regierungshandeln durch den Kakao ziehe? Pure Genusssucht. Ich genieße die Freiheit Maßnahmen und Entscheidungen zu kritisieren, deren Motive ich fragwürdig und deren Konsequenzen ich verheerend finde. Im Vergleich zu den politischen Verhältnissen in anderen Ländern dieser Welt ist dies ein Privileg, das ich schätze. Demokratie heißt jedoch nicht Abwesenheit von Fehlentscheidungen, bedeutet keine Garantie auf Transparenz, bedeutet nicht bombensichere Resilienz gegen Einflussnahme und Lobbyismus und auch nicht unumstrittene Prioritätensetzung. Persönliche Eitelkeiten, Arroganz, Ignoranz, intellektuelle Überforderung, Machtgier, maßlose Unverhältnismäßigkeit, Schulmeisterei sind in jedem politischen System zu Hause. Hier kann ich mir erlauben dies zu bemerken und Bedenken zu formulieren. Demokratische Gesinnung und Entscheidungsfindung sind ebenso wenig Garant für anforderungsgerechtes Handeln, wie totalitäre Macht. Auch lupenreine Demokraten können davon überzeugt sein, dass die Erde flach ist: ein Ignorant findet immer etwas woran er glaubt, das ist ein Prinzip das politische Systeme transzendiert. 

Zudem erhebt dieser Blog keinen Anspruch auf Objektivität. Er ist gefärbt durch meine subjektive Betroffenheit von Bedrohungsszenarien und Einschränkungen meiner Freiheit. Dass ich mit vielem nicht einverstanden bin und ich meine Ablehnung zum Ausdruck bringe, meine Zweifel und meine Empörung ist kein Beleg dafür, dass ich Recht habe und alles richtig sehe. Es ist arrogant und überheblich zu meinen, alle die nicht die eigene Meinung teilen seien ignorant, dumm, verblendet. Im Gegenteil bin ich mir sicher dass die Brisanz der Lage jederzeit meine Sicht trübt.  

 

17. November

Eine bemerkelswert gute Nachricht: Bund und Länder konnten sich gestern nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Konsequenz des Dissenses ist, dass nun das geschieht was angekündigt war und vernünftig ist. Man beobachtet die Effekte des Lockdown light auf die Infektionszahlen, der erst jetzt wirksam werden kann. Nachvollziehbar ist allerdings der Ärger der Schulen. Das Festhalten am Dogma des Präsenzunterrichtes war von vornherein verfehlt und das Infektionsgeschehen absehbar. Man muss kein Fields-Medaillen-Gewinner sein um zu wissen, dass der effektivste Weg zur Kontaktbeschränkung die Vermeidung von Gruppenbildung ist.

Eine traurige Nachricht: auch Schweden sieht sich dazu genötigt Verbote auszusprechen. Kurzfristige Dramatik der Entwicklungen durchkreuzt langfristige Strategie. Es ist zu hoffen, dass die Abkehr von der bisherigen Strategie aus konkreten Gründen hilft und temporär bleibt. 

Das Ausspielen von Einschränkungen individueller Freiheiten gegen die Inkaufnahme von Infektionsrisiken treibt allmählich selbst Kommentatoren auf die Barrikaden, die bislang nicht durch kritisches Hinterfragen der deutschen Corona-Politik auffielen: 

"Es genügt nicht mehr. wenn die Verantwortlichen in Bund und Land jeweils nur auf die Infektionszahlen starren. Bürger, Bildungseinrichtungen und Wirtschaft werden ungeduldig. Sie brauchen im zehnten Monat der Pandemie eine Perspektive entlang plausibler Szenarien. Und auch etwas Geduld bei der Analyse von Maßnahmen. Wie geht es weiter, wenn die Infektionszahl sinkt, gleich bleibt oder steigt. (...) Alle zwei Wochen zu streiten und dann neue Ansagen zu präsentieren wird bis zum Frühjahr nicht durchzuhalten sein. Zu lange ist die Liste der Widersprüchlichkeiten und des hektischen Umsteuerns. (...) Deutschland - und ganz Europa - brauchen einen Pandemieplan für mehrere Monate. Am besten erarbeitet mit einem breiter aufgestellten Expertenstab. Bei allem Respekt - es ist nicht Karl Lauterbach, der entscheidet, ob man an Weihnachten die Eltern sieht oder nicht." (Jörg Quos in der heutigen Ausgabe der WAZ). Danke.

"Weder die Öffentlichkeit noch die Parlamente wurden ausreichend einbezogen in die Versuche, mit der Ausbreitung des Virus fertigzuwerden. Wer dafür in den ersten Wochen Verständnis hatte, sollte jetzt demokratische Beteiligung einfordern. Ohne gute Begründung geht die Forderung, sich an die Regeln zu halten, auf Dauer ins Leere. Bundestag und Bundesrat täten deshalb gut daran, die Änderungen am Infektionsschutz am Mittwoch nicht wie geplant im Eilverfahren abzunicken.(...) So schlimm können die Zeiten nicht sein, dass sie die drohende Selbstentmachtung der Parlamente rechtfertigen." (Frankfurter Rundschau). Zustimmung - auch wenn der Schlusssatz von rührender Naivität zeugt.  

Unter den Blinden. Der Vertreter des Bundesinnenministeriums hält es für richtig eine Zwischenbilanz der Maßnahmen zu ziehen, die zum Zeitpunkt der Zwischenbilanzen noch überhaupt nicht wirken konnten. Die in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zusammengeschusterte Beschlussvorlage aus dem Bundeskanzleramt mit gravierenden weiteren Beschränkungen entbehrt der Grundlage. Das Vorgehen lässt erahnen was uns blühen könnte, wenn mit den Stimmen der GroKo morgen im Bundestag die "Demokratiedämmerung" eingeleitet wird, indem man die neue Fassung des Infektionsschutzgesetzes durchwinkt. Zitiert wird der Titel eines Artikels von Milosz Matuschek in der Welt von heute, also wiederum eine Publikation in einer Zeitschrift, die üblicher Weise nicht durch geharnischte Regierungskritik auffällt. 

Auffällig ist, dass kaum die Verhältnismäßigkeit an der geplanten unsäglichen Kontaktbeschränkung auf einen fest bestimmten Haushalt in Frage gestellt wird, die für 5(!) Monate state of the art werden soll. Offenbar leben wir in einem Land von Misanthropen. 

Dazu passend der Slogan eines Werbespot für Hörgeräte: Das Leben ist einfach schön. Gut, dass mir das endlich mal jemand sagt.

Reicht es wirklich aus uns Maßnahmen zu erklären? Eine gute Begründung wäre gefordert. 

Die deutsche Fußballnationalmannschaft (aka `Die Mannschaft`) liegt gegen Spanien 0:5 zurück. Was wie ein Debakel aussieht ist gelebte Solidarität. Social Distancing statt Zweikampfverhalten, Kontaktbeschränkung statt tackling und Nah-am-Mann-Sein. Vorbildlich.

In dieser Zeit von viktorianischer Ernsthaftigkeit und Prüderie freut man sich über eine Prise Humor. Der bislang fraktionslose Bundestagsabgeordnete Bülow ist nun Mitglied der `Partei`, die damit einen Abgeordneten im Parlament stellt. Dieser Beitritt zu diesem Zeitpunkt hat wie jede gelungene Satire einen ernsten Hintergrund. Der Beitritt eines Parlamentariers zu einer Satirepartei demonstriert prägnant den derzeitigen Stellenwert des Parlamentes.

 

16. November

Anne Wills gestrige Talkshow stellte die Frage "Wie wollen wir leben?". Schon klar, dass nicht `wir` die Frage beantworten dürfen, wie wir leben wollen, sondern die Spitzenpolitiker der SPD, der Grünen und der CDU uns erläutern wie wir gefälligst leben sollen. Als wäre das noch nicht instinktlos und anmaßend genug geht das Trio Infernale nicht im Geringsten auf diese Frage ein, sondern ergeht sich in Disputen über Kurzarbeit und Steuerpolitik. Menschen, die keine Perspektive auf die Zukunft erkennen lassen sollen uns in diese Zukunft führen. Eine - besonders weil nicht so beabsichtigt - entlarvende, lehrreiche, deprimierende und beängstigende Vorstellung (im Doppelsinn).  

Fetisch Weihnachtsfest: dies zu retten tritt Sebastian Kurz an. Daher ein Lockdown bis zum 07. Dezember. Warum nicht bis zum 21sten? Weil es nicht um die Rettung des Festes, sondern um die Rettung des Weihnachtsgeschäfts geht.

Es wäre überraschend zöge die deutsche Politik nicht nach. Schon im Vorfeld der heutigen MPK überbieten sich deren Vertreter publikumswirksam in Vorschlägen zur "Nachschärfung" der Beschränkungen, als ginge es um eine pikante Currywurst mit Restriktionen als Gewürz. In Quarantäne gehen bei jedem Erkältungssymptom (...eine raffinierte Methode auf Umwegen das ganze Land lahmzulegen). Kontakt nur zu einem festen, anderen Haushalt (zwei Singles dürfen sich ebenso treffen wie zwei Großfamilien - finde den Fehler). Da dem Verfasser mittlerweile die Worte für die einseitige Ausrichtung der Pandemiepolitik auf das kulturelle und soziale Verhalten der Menschen fehlen lässt er einen Kommentator auf tagesschau.de für sich sprechen: `Novum im Situationsbericht des RKI vom Freitag. M.W. erstmals wurde für Deutschland der ARBEITSPLATZ(!) als einer der wesentlichen Orte genannt, an denen Ansteckung stattfindet. Aber meine Hoffnung, es werde am Montag in Deutschland strenge Auflagen für Arbeitgeber geben (darunter auch ÖFFENTLICHE Arbeitgeber), diese Hoffnung wird sich wohl leider als trügerisch erweisen.` Dem ist nichts hinzu zu fügen - außer die Bemerkung, dass es lediglich 9 Monate gedauert hat, bis das RKI sich zähneknirschend dazu durchringen konnte, diese Selbstverständlichkeit als Randnotiz zu publizieren. Schamhaft versteckt wie ein zigmal gefalteter Beipackzettel in einer Medikamentenschachtel.  

Ein Blick auf die website des RKI lohnt sich immer. Da findet sich z.B. ein Bericht zur `Wirksamkeit nichtpharmazeutischer Interventionen bei der Kontrolle der COVID -19 Pandemie`(vulgo: Maske). Viele Studien belegen deren Wirksamkeit, aber: `Eine Limitation dieser Studien besteht darin, dass sie keine Aussage darüber treffen, inwieweit Maßnahmen befolgt bzw. umgesetzt werden.` Zur Erinnerung: exakt diese Unsicherheit wurde ursprünglich als Argument gegen eine Maskenpflicht ins Feld geführt, unter anderem von Angela Merkel.  Mittlerweile hat man längst erkannt, dass die Illusion eines Selbstschutzes, die mit dem Maskentragen gegen besseres Wissen verknüpft wird, ein Garant dafür ist, dass die Menschen weiter zur Arbeit gehen und den ÖPNV in Anspruch nehmen. 

Man betont es sogar: Kontaktbeschränkungen im privaten Bereich, statt einfach Kontaktbeschränkungen. Im Umkehrschluss also: keine Kontaktbeschränkung am Arbeitsplatz und im ÖPNV, in den Schulen ein Bisschen. Hoch leben die Schlachthöfe. 

Selbst Dunja Hayali, sonst von der Sorte Unerschrocken, fühlt Markus Söder nicht auf Zahn und stellt nicht die Frage, ob die Verschärfungen des Lockdowns auch für die Arbeitswelt gelten sollen. Die heilige Kuh Arbeit darf ruhig infiziert muhen, Hautsache sie gibt Milch.

Und ob man mir vorwirft ich meckere nur herum. Anderen Ländern gehe es deutlich schlechter als uns. Mir fällt dazu ein Dialog aus Catch22 ein. Bomberpilot Yossarian möchte keine Einsätze mehr fliegen. Warum denn nicht? wird er gefragt. Die schießen auf mich, antwortet er. Auf die Replik: `Aber die schießen doch auf alle` erwidert er: `Ich sagte doch die schießen auf mich.`

Sollten die Maßnahmen zu einer strengeren Kontaktbeschränkung im privaten Bereich und zur Quarantäne bei Erkältungssymptomen heute beschlossen werden, so handelt es sich dabei um eine Mixtur aus Symbolpolitik und psychologischem Taktieren. Weder das Einhalten einer Quarantäne bei Erkältungssymptomen, noch die Reduzierung sozialer Kontakte auf einen festen Haushalt lassen sich wirkungsvoll überprüfen. Die Vorteile, die man sich davon verspricht liegen nahe: 1. Ein erheblicher Prozentsatz der Bevölkerung wird sich entsprechend verhalten, Selbstbeobachtung ergänzt Selbstoptimierung. 2. Gehen die Infektionszahlen signifikant zurück, wird dies dem Erfolg der Maßnahmen zugeschrieben. 3. Gehen sie nicht signifikant zurück kann man es - grade weil sich das Gegenteil nicht belegen lässt - auf die mangelnde Disziplin von Teilen der Bevölkerung schieben. 

Darüber hinaus deutet sich (wie in Österreich) an, dass die Bevölkerung bereits das Ihre zur Senkung der Infektionszahlen getan hat. Jedenfalls sind pünktlich zwei Wochen nach Inkrafttreten des lockdowns in Deutschland die Infektionszahlen wohl rückläufig - eine stärkerer Rückgang der Infektionszahlen kann noch gar nicht erfolgt sein, weil sich aufgrund der bekannten Verzögerung zwischen Verkündung und Wirkung der Maßnahmen erst jetzt ein Effekt der Maßnahmen auftreten kann. Folgerichtig sollte heute auf der MPK lediglich eine Zwischenbilanz gezogen werden. Die Behauptung die bislang eingeleiteten Maßnahmen reichten nicht aus, lässt sich Stand heute noch gar nicht belegen. Eine Befürchtung wird als Schlussfolgerung verkauft. Man könnte meinen grade der sich andeutende Erfolg der getroffenen Maßnahme veranlasse zur Verschärfung in der Hoffnung so das Weihnachtsgeschäft zu retten.

Quarantäne bei Erkältungssymptomen, Kontakt nur zu einem festgelegten Hausstand - das grenzt aufgrund der Unmöglichkeit die Einhaltung zu überprüfen an unfreiwillige Komik, ebenso wie der Umstand, dass Großraumbüros und Großbetriebe von Einschränkungen praktisch unberührt bleiben. Ein Hoch auf die unternehmerische Freiheit und auf das Saarland, in dem Tattoostudios weiter ihrem Geschäft nachgehen dürfen und die Autobahnraststätten inklusive Toiletten geöffnet bleiben. 

 

15. November

Ein makabres Bild. In der Fußgängerzone, menschenleer wie eine verbotene Zone, reihen sich grüne Leichensäcke aneinander, die sich bei näherem Hinsehen als in Netze gewickelte Tannenbäume entpuppen. Man wird sie aufrichten in der trügerischen Hoffnung, jemand bekomme sie im Dezember zu sehen. Am Sonntag alleine liegt es nicht, dass die Innenstadt leergefegt ist als finde ein WM-Endspiel statt. Die Menschen fügen sich vorab ins als unvermeidlich Angekündigte: Jeder soziale Kontakt ist einer zu viel. Wie es Stalin einst ausdrückte: Ein Mensch-ein Problem. Kein Mensch-kein Problem.

Der Geist verengt und verengstigt. Alles wird zum Symptom und Symbol für Bedrohung. Empört stellt der Passant an der Ampel fest, dass die Ampelmännchen keine Maske tragen.

Selbst die Phantasie findet keinen Weg Horrorszenarien zu umgehen. Stellt sich eine Quizshow in 30 Jahren vor. Längst sind Pandemien Normalität. Die Show heißt: `Wer wird geimpft?`. Die KandidatInnen müssen die Bedeutung von Wörtern erraten, die aus dem Präpandemikon stammen und nicht mehr gebräuchlich sind. Was bedeutet: `Verkaufsoffener Sonntag?` Was sind `Fangesänge?` Was sind `Festivals?`. Zu Beginn stellen die KandidatInnen sich und ihre berufliche Tätigkeit vor. Ich bin Droste und ich arbeite als Triagist. 

 

14. November

Die beklemmende Stille des Solo-Selbstständigen-Single-Haushalts wird durch die Stimmen aus dem Fernseher hervorgehoben und unterstrichen. Die Sendeformate akzentuieren die Abwesenheit von Gesprächspartnern, die mich durch ihre Abwesenheit vor Infektion schützen, tatsächlich jedoch befürchten, ich sei ein wandelndes Infektionsrisiko und wasche mir nicht regelmäßig die Hände. Unwillkürlich und verbiestert kommentiere ich gelegentlich das zweidimensionale Geschehen auf dem Bildschirm. Meine Stimme ist mir so fremd, dass ich unwillkürlich den Kopf drehe und mich im Raum nach einem Gespenst oder Einbrecher umsehe. 

Reglos wie eine Echse in Kältestarre kältestarre ich auf den Monitor und verfolge deprimiert und niedergeschlagen die erste (Ver)Folge einer Serie namens Social Distance, die die Trostlosigkeit von Fernbeziehungen reproduziert, die ausschließlich über kalte Medien hergestellt und aufrecht erhalten werden. Der Bildschirm zeigt Gesichter in Bildschirmen, die mit Gesichtern in anderen Bildschirmen kommunizieren. Die Statik und Reglosigkeit von Wohnzimmermöbeln, Bücherregalen, künstlichem Kaminfeuer und Designerküchen im Bildhintergrund. Vor uns liegen hundert Jahre Langeweile und Ausgangssperre. 

Abwechslung bieten Wanderungen mit Freunden, bei denen mein Kommunikationsverlangen überbordet und mir den Atem verschlägt. Ich produziere mit zunehmendem Furor Wortspiele und selbstmitleidige Philippiken. Doziere in Anbetracht eines Bahnübergangs über die Doppeldeutigkeit der Begriffe unbeschränkt und Spenderherz. Auf dem Heck eines Firmenbullies lese ich Anfängervermietung statt Anhängervermietung und verfalle in hysterisches Gelächter. Meine Freunde lassen sich zurückfallen und reden über die Entwicklung des Aktienmarktes.

Satire darf alles - auch staatstragend sein? Oliver Wilke in der heute-Show und Jürg Böhmermann in ZDF-Royal sind sich einig in ihrer brachialen, humorbefreiten und beklemmend feindseligen Pauschalverurteilung und Verachtung der Demonstranten in Leipzig. Das ist weder witzig, noch pointiert, sondern grenzt an Hetze. Grimmepreisgekrönte Satireformate betreiben die undifferenzierte Verunglimpfung und Herabwürdigung von Menschen, die ihr Demonstrationsrecht wahrnehmen als egoistische und hirnlose Dummköpfe. Da sind selbst Gerichte und Politiker menschlicher, die davor warnen alle Demonstranten in einen Topf mit Aluhutträgern zu werfen. Satire als Instrument der  Brandmarkung von Menschen die ihre Rechte wahrnehmen statt als Kritik an herrschenden Verhältnissen, deren rhetorisches Florett der Humor ist - da bekommt man eine Gänsehaut von jener üblen Sorte, die einer Vorahnung auf Kommendes entspringt.

Fassungslos starre ich mit Glubschaugen auf eine Werbung für Urlaub in Südtirol. Im Ernst? 

"Treffen Sie niemanden. Jeder soziale Kontakt ist einer zu viel."  Die Volksbanken machen Wege frei, die keiner beschreiten darf. 

 

13. November

Die große Corona-Ver-Schiebung erfolgt auf der Ebene der fundamentalen Fragestellungen. Die Frage ist nicht: wie können wir öffentliches und berufliches Leben so organisieren, dass Abstände gewahrt bleiben (im ÖPNV, am Arbeitsplatz, in den Schulen), sondern wie stellen wir sicher, dass man in diesen Bereichen so wenig wie möglich ändern muss. Dabei wären auch aus Präventionsgründen eine Entzerrung von Ballungszentren sowie adäquate Transformationen der Infrastruktur erforderlich. Urbanistikexperten die in Talkshows zu Wort kommen? Fehlanzeige. immerhin ist die Initiative der Grünen (zusammen mit Interessenverbänden der Gastronomie und Kulturschaffenden) zu begrüßen, der Verödung der Innenstädte entgegen zu wirken. Das Thema der Initiative ist allerdings die attraktive, nicht die hygienische Innenstadt - als ob dies nicht zusammengehört.  

Der Verfasser hegt nicht die Illusion, eine solche Transformation hin zu einem infektionssicheren öffentlichen Leben könne von jetzt auf gleich erfolgen. Nimmt man jedoch die Aufgabe ernst, zukünftigen Pandemien vorzubeugen, führt kein Weg daran vorbei social distance in möglichst vielen Lebensbereichen zu ermöglichen. Wenn man schon dabei ist kann man gleich Infektionsschutz und Klimaschutz integrieren, da beide sich (Stichwort: Zoonosen) gegenseitig bedingen: eine globale Zukunftsaufgabe.

Derzeit jedoch geht reaktiv vor proaktiv. Es geht darum den Winter zu überstehen, nicht um strukturelle Änderungen. Da in Talkshows, bei Pressekonferenzen, in Nachrichtenmagazinen, in der politischen Debatte ein überschaubarer Kanon immer gleicher Akteure zu Gast ist (...wie bringt Karl Lauterbach es fertig zugleich in mehreren Talkshows aufzutreten...) erübrigt es sich deren Diskussionen zu kommentieren. Diese nehmen erwartungsgemäß den immer gleichen Verlauf. Gebetsmühlenartige Wiederholungen stimmen die Bevölkerung religiösen Litaneien gleich auf die Einhaltung der AHA(L)-Regelungen ein. Geduld haben, sich an die Regeln halten, solidarisch sein durch Verzicht, die Pobacken zusammen kneifen gilt als alternativlos. Der Kanon der Experten und Moderatoren läutet den Winterschlaf der Freiheit, der Grundrechte und der öffentlichen Debatte ein. Ab und zu zuckt kontrapunktisch die disharmonische Frage nach langfristigen Strategien auf wie ein kurzes Wetterleuchten des Verstandes - das sind jedoch nur Reflexe, die es nicht zur Reflektion bringen. 

Psychologen nennen die Überfütterung des Publikums mit einer thematischen Monokultur (in diesem Fall mit Warnungen und Durchhalteparolen) Infodemie. Deren Symptome jedoch sind durchaus erwünscht: psychische Polarisierung hin zu Furchtsamkeit und Menschenscheu, sowie der Scheintod des sozialen und kulturellen Lebens. Paralyse erleichtert die Kontaktverfolgung.

Früher war Werbung nur übertrieben und manipulativ, jetzt verhöhnt sie einen. Sie führt uns spöttisch und schadenfroh eine Welt ohne Pandemie und social distance vor. Eine Scheinwelt die aus dem besteht was wir verloren haben. Kontaktfreude. Lebensfreude. Freizügigkeit. Stattdessen die Langeweile und Ödnis der Rezitation des Ernstes der Lage. Die Muslime betäuben die Gesänge ihre Imame, uns alle betäuben die Gesänge der Virologen und MinisterpräsidentInnen. So ermüdend für den Geist als müsse man Tag und Nacht deutsche Schlager hören. 

Notorisch gut gelaunt und leicht bräsig schließt Olaf Scholz seinen Bericht zur finanziellen Lage der Nation mit den Worten: `Der November ist trübe, aber der Blick geht nach vorne in der Sonne.` Wer in die Sonne sieht wird geblendet. Selbst ein Silberstreif ein Horizont kann sich als Fata Morgana entpuppen. Das gilt auch für den Impfstoff. Vertrauensbildend ist es jedenfalls nicht wenn - worauf der Chef des Weltärztebundes Montgomery hinweist - der BioNTech-Chef die Gelegenheit beim Schopfe fasst im großen Stil Aktienpakete zu verkaufen, nachdem der Kurs der BioNTech-Aktie dank einer Pressemitteilung durch die Decke schoss. Ein Schelm wer Böses dabei denkt statt ins allgemein Vakzin-Hosianna einzustimmen. Ähnlich hoffnungsvoll naiv sind die Vorschusslorbeeren für Joe Biden, dessen Vernetzung mit Lobbyisten der Rüstungsindustrie und dessen vehemente Befürwortung des Irak-Kriegs in der Bush-Ära (...und später anderer lukrativer militärischer Einsätze...) anscheinend im Erleichterungstaumel über die prognostizierte Verbesserung im Umgangston in Vergessenheit gerät. Empfohlen sei es einen Blick in den gestrigen Beitrag von `Monitor` zum Thema Biden zu werfen. Mag der Mann auch ein Lord of War sein, Hauptsache er hält sich an diplomatische Etikette. 

Wer daran glaubt es gebe im Dezember Lockerungen glaubt auch an den Weihnachtsspahn. Längst senden Spahn und Co die Signale, man solle sich sehr lange auf Einschränkungen einstellen. Es ist nicht zu sehen, dass man in absehbarer Zeit die Inzidenzen auf Werte unter 50 drückt. Also weitere triste Monate, die uni(in)form unter dem Motto `Kampf gegen die Pandemie` stehen. Wer derzeit für etwas kämpfen will macht sich schon verdächtig.

Meine Alter Egos in der Welt ohne die Pandemie habe ich aus den Augen verloren. Bis heute. Einer der Glatzköpfe aus der Ratiopharm-Werbung - das bin ich.

"Lange hat mich niemand mehr angebaggert. So als umgebe mich eine abstoßende Aura, deren repulsives Kraftfeld Menschen im weiten Bogen um mich herum lenkt. Zwar ist er von der Bildfläche verschwunden wie eine gelöschte Datei, aber seine Negativität hat er zurückgelassen und sie umhüllt mich. Heute am Strand sprach mich ein Deutscher an. Entschuldigen Sie bitte. Sind sie nicht das Model aus der Grippostad-Werbung? Ich zuckte zusammen. Steht mir mein Deutschsein auf die Stirn geschrieben? Non capito, nuschelte ich und joggte von dannen. Und ich hasse Joggen."    

 

12. November

Manches spricht für sich - das gilt in jedem Fall für die Firmenadresse von BioNTech: An der Goldgrube. 

Im Europaparlament macht sich Unmut breit. Dieser Unmut ist derart ausgeprägt, dass eine erhebliche Zahl von Abgeordneten sich der Anordnung des Parlamentspräsidenten Sassoli widersetzt auf Präsenzveranstaltungen zu verzichten. Mit dieser Anordnung überschreite Sassoli nicht nur seine Kompetenzen und verstoße gegen die Geschäftsordnung, es handele sich auch um eine Behinderung der parlamentarischen Arbeit. Wer weiß - vielleicht nehmen sich die Abgeordneten ja bald den kollektiven Rücktritt der Fraktion der Demokraten in Hongkong zum Vorbild. Tatsächlich ist es ein verhängnisvolles Signal, wenn in den Parlamenten der EU-Mitgliedsstaaten weiter analog debattiert wird, während auf EU-Ebene den Abgeordneten die Ausübung ihres Versammlungsrechts regelrecht untersagt wird - das weckt zumindest den Anschein, als forcieren die Vertreter demokratischer Institutionen zunehmend selbst den Rückzug der Demokratie. Dies nicht nur im Europaparlament, sondern auch in den Mitgliedsstaaten. Eine 6-monatige Verlängerung der Notstandsverordnung in Spanien hat nichts mehr mit Verhältnismäßigkeit, Angemessenheit und vor allem Befristung zu tun, die auch die spanische Verfassung fordert (14 Tage!). Die totalitäre Ausbeutung der Corona-Krise in Ungarn, Polen und Tschechien ist schon beunruhigend genug - aber auch in anderen Ländern ist Zensur ein Thema, erwägt man Ausgangsverbote für Ältere und avanciert die Stunde der Exekutive zur Ära der Exekutive. Auch die Verschiedenheit der Maßnahmen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat ist nicht nur mit unterschiedlichen geographischen, klimatischen und sozialen Gegebenheiten zu erklären, sondern auch mit einer Mixtur aus nationaler Willkür und exekutiver Experimentierfreude. Gemeinsamer Nenner der meisten europäischen Länder ist eine gefährliche Verschiebung der fundamentalen Fragestellung: es wird nicht gefragt, wie kann ich wirkungsvoll die Pandemie bekämpfen ohne Grundrechte einzuschränken (...so macht es Schweden...), sondern welche Grundrechte können wir wie weit einschränken, um die Pandemie zu bekämpfen. Berechtigt ist übrigens auch die Mahnung einer Abgeordneten bei mittlerweile 200000 VOVID-19-Toten in Europa müsse dringend ausgewertet werden, in wie weit die bisher ergriffenen Maßnahmen überhaupt wirksam gewesen sind und auch inwiefern sie dies waren. Da schwingt durchaus die Befürchtung mit, die bisherigen Strategien könnten sich als fatale Strategien herausstellen. 

Wünschenswerter Nebeneffekt von Soldaten in der Kontaktverfolgung: respekteinflößender Anblick der Bürger in Uniform in den Straßen. Ein Gefühl als würde die freiheitlich-demokratische Grundordnung bald auch in den Wohnzimmern ver(t)eidigt. 

Die eigene Humorlosigkeit im Umgang mit der Situation stimmt einen traurig. Sie ist weniger Resultat der Bedrohung durch das Virus, als vielmehr Konsequenz der Irrelevanz der eigenen Situationsanalyse. Wen kümmern die eigenen Zweifel am Nutzen von Verboten wenn Verbote hoch im Kurs sind? 

Man soll auf die Wissenschaft hören - nun gut. Aber Wissenschaft besteht nicht nur aus Epidemiologie und Virologie (deren Empfehlungen zum Thema Ver- oder Gebot im übrigen nicht in deren Kompetenzbereich gehören), sondern auch aus Psychologie und Sozialwissenschaften, deren Erkenntnisse und Einsichten zumindest Zweifel an der Alternativlosigkeit wenn nicht sogar am Nutzen von Verpflichtungen zulassen. Grade wenn evident ist welche Verhaltensweisen einer Eindämmung der Infektion dienlich sind, sollte darüber debattiert werden ob Verbote ihrer Akzeptanz dienlich sind. Eine solche Debatte wird kaum geführt, wer gegen die Verpflichtung ist wird diskreditiert als Gegner der Maßnahmen. An die Stelle der Debatte treten der Ethikrat und die Stammgäste in den Talkshows. 

 

11. November

Nachgrade erstaunlich ist es, welches Maß an perfider Intelligenz, sowie Planungs- und Koordinationskompetenz Verschwörungsbehaupter den Verschwörern zutrauen. Näher an der Realität wäre es vom Gegenteil auszugehen. Vieles was für wenige nach Verschwörung riecht ist einfach schlecht durchdacht und gemacht. Dem Schulministerium in NRW zum Beispiel planvolles Handeln zu unterstellen wäre ein Kompliment, das Frau Gebauer nicht verdient: `Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach nannte neue Zahlen zum aktuellen Infektionsgeschehen dort: 2171 Schüler und 283 Lehrer sind in Quarantäne - etwa jeder zehnte Schüler und jeder zehnte Lehrer in seiner Stadt. Kurzbach forderte Gebauer auf, das Solinger Modell zur Teilung von Klassen zuzulassen. (WAZ, 11. November)`. Kommentator Matthias Kaufmann ist uneingeschränkt zuzustimmen wenn er in der WAZ von heute zu dem Schluss kommt: `Unter diesen Umständen war es töricht von der Landesregierung den Solinger Weg zur Aufteilung von Klassen in Distanz- und Präsenzunterricht brüsk zu stoppen.` Hinter dieser törichten Machtdemonstration verbirgt sich kein Geheimbund, sondern schlichte Amtsborniertheit. Das wäre zu ertragen hätte eine solche Torheit der Macht lediglich lästige Konsequenzen - in diesem Fall indes hat sie Konsequenzen für Leib und Leben. Schülern und Lehrern wird verweigert, sich gegen eine lebensgefährliche Infektion zu schützen. 

Wenn sich schon jetzt bundesweit 300.000 Schüler in Quarantäne befinden, sollte das Solinger Modell als Vorbild dienen, um die Infektionsgefahr einzudämmen. Da man aber unbedingt den Präsenzunterricht priorisieren will, damit die Eltern ungestört ihrer Arbeit nachgehen können wird das exakte Gegenteil gemacht. Damit verlangt man dem Lehrpersonal ohne Not ab Risiken einzugehen, die definitiv nicht zu ihrem Berufsprofil gehören.

Die Dummheit von Verschwörungstheoretikern besteht in der Annahme von Klugheit seitens der vorgeblichen Verschwörer. Einen Grund für diesen Irrtum liefern Effekte, die nach Planung aussehen, tatsächlich jedoch keineswegs vorausgesehen waren - wie zum Beispiel die Reduzierung der Kontaktraten durch die (dank Infektionsrate in den Schulen) zunehmende Scheu vor dem Besuch von Familien.

Manche Strategeme werden wahrscheinlich mehr unbewusst denn bewusst angewandt. Dazu gehört die Orientierung an großen, beindruckenden Zahlen. Respekt und Furcht flößen die Nachrichten der Bevölkerung durch das tägliche update zu den absoluten Zahlen der Neuinfektionen ein. Diese Zahl für sich sagt wenig über das Infektionsgeschehen aus. Eine bescheidene, wenig beeindruckende Prozentzahl hat da deutlich mehr Aussagekraft: die Positivrate, also das Verhältnis von positiven Tests zur Anzahl der durchgeführten Tests. Dieser Zahl fehlt es an expliziter Imposanz und Dramatik (dabei steckt in ihr die eigentliche Sprengkraft, denn dieser Prozentsatz steigt kontinuierlich. Nachzulesen sehr anschaulich auf https://de.statista.com).  

Erneut brennt Samos. Im langen Schatten der Pandemie nimmt die Öffentlichkeit es nicht als Fanal, sondern als schwaches Glimmen wahr, das leicht zu ignorieren ist. Die Unannehmlichkeiten der lockdowns sind wichtiger als das Elend der Fliehenden, die Rettung des Weihnachtsgeschäftes wichtiger als die Rettung der Flüchtlinge. Niederschmetternd und unverzeihlich.

Liest man sich den Entwurf des neuen Infektionsschutzgesetzes durch wird einem Angst und Bange: die Schärfung findet ihren Ausdruck in einer Schwammigkeit, die sich als generelle Öffnungsklausel für Maßnahmen aller Art lesen lässt. Schlimm: Kultur kommt in diesem Entwurf nur als verzichtbares Freizeitvergnügen vor. Dabei bedarf es besonders ihrer integrativen Wirkung, damit es nicht zum großen Gemetzel in der Wagenburg der geschlossenen Gesellschaft kommt. 

Aber wenn die Kultur dann fehlt kann man sich ja mit dem Führen von Corona-Tagebüchern trösten. 

Herr Podstawski, der Sprecher des Bundesfinanzministeriums, muss von seinem Chef noch viel lernen in Sachen wie sage ich wortreich nichts. Die Feststellung von Herrn Jung bei den geplanten Verbesserungen im Bereich der Börsen- und Finanzaufsicht käme wirecard mit einem blauen Auge davon bringt ihn sichtlich aus der Fassung und er wiederholt im Wortlaut, ablesend vom Blatt und blass um die Nase, die Äußerung die er zuvor tätigte. Gemessen an dieser performance existieren Milliarden Menschen die für seinen job überqualifiziert wären. 

In Venezuela bestreitet der unterlegene amtierende Präsident seine Niederlage und twittert haltlose Betrugsvorwürfe...ups, es handelt sich nicht um Venezuela.

Um nun einmal Teufelsadvokat gegen den Verfasser und seine Bevorzugung der schwedischen Strategie der Pandemiebekämpfung zu spielen und eine Markuslanze  für das Vorgehen der Legislative in weiten Teilen Europas zu brechen: es mag sein, dass in einer Gesellschaft mit einem großen Anteil an potenziellen Denunzianten und Extremisten das Konfliktpotenzial zu hoch ist, wenn man auf Gebote und `Enablement` setzt. Bestandteil der schwedischen Strategie ist ja - wenn auch nicht explizit formuliert - eine Vertrauenskultur, in der wechselseitiges Vertrauen in den verantwortungsvollen Umgang mit Selbstbestimmung und Freiheit für eine wirkungsvolle und konfliktfreie soziale Kontrolle sorgt. Wenn aber in einer Gesellschaft die Tendenz dazu besteht, dass soziale Kontrolle auf Basis von Handlungsempfehlungen dazu führt, dass Maskengegner und Maskenträger sich feindlich gegenüberstehen wie Republikaner und Demokraten im US-Wahlkampf, dann schaffen Verbote Klarheit und an die Stelle der sozialen Kontrolle im Miteinander treten Gesetze, Verbote, Anordnungen, Kontrollen und Pönalen. Der Verzicht auf eine Maskenpflicht in Schweden hängt wohl auch damit zusammen, dass man gesellschaftliche Fronten dieser Art vermeiden möchte.

Wenn dem so ist, so spricht das nicht unbedingt für eine solide demokratische Kultur, zumindest jedoch wäre dieser Mangel eine sachliche Begründung für die festgefügte Überzeugung im Widerspruch zu dem Wissen, dass man langfristige Verhaltensänderungen eher durch Gebote bewirke, müsse man bei der Pandemiebekämpfung auf Verbote, Verpflichtung und die Durchsetzung von Maßnahmen mit Hilfe der Ordnungsmacht setzen - hört man allerdings zum Beispiel Dr. Carola Holzner bei Markus Lanz zu, die auf einer Intensivstation mit COVID-19-Patienten arbeitet, so gewinnt man den Eindruck, es liege einfach jenseits ihres Vorstellungshorizontes, dass es gegebenenfalls grade die Verbote und angeordneten Einschränkungen sind, die im Anschluss zu dem exzessiven Ausleben von Freiheiten führt in deren Konsequenz sich nun wieder die Intensivbetten füllen. Anders ist kaum ihre Verwunderung darüber und ihr Unverständnis dafür zu erklären, dass nach einer Phase des Freiheitsentzuges die Menschen wie die Irren in den Urlaub fahren, die Kneipen bevölkern und Kuschelrudel bilden (im Übrigen sehr zur Freude der Wirtschaftszweige, die vom Ausüben der Freiheitsrechte leben). Auf Dauer wird man mit noch so vielen lockdowns und Verpflichtungen nicht erreichen, dass eine Gesellschaft der Wohlstandsparias ihre Bedürfnisse nach Kontakt hintan stellt und den Status der Unberührbarkeit hinnimmt. 

Treppenwitz: sowohl Hendrik Streeck als auch Carola Holzner hatten noch nicht eine Warnung durch die Corona-Wahnapp. Das nenn ich mal Datenschutz at its best. 

In einem Kommentar zur Schulpolitik in NRW las ich: `Da kommt nichts als heiße Lust.` Wenn wenigstens das stimmte....

Putzig auch die Überschrift: `Hier werden Defiziete deutlich sichtbar`. Was stimmt, das stimmt.  Wahrscheinlich hat der Verfasser Infiziete und Defizierte durcheinander gebracht...

 

10. November

Cheftheologe Frank Plasberg attestiert zum Auftakt von `Hart aber fair` Gott einen urknallartigen Endorphinschub: Gott habe wieder Spaß an der Arbeit. Impfstoff gefunden, Trump losgeworden. Grundsätzlich ist selbstverständlich beides zu begrüßen. Pfizer und BioNTech gebührt ein besonderes Lob für das Timing ihrer Erfolgsmeldung, die man - zum Ärger von Donald Trump - erst bekannt machte nachdem klar war, dass Trump die Wahl verliert. Trump mag Recht damit haben, dass der Zeitpunkt der Veröffentlichung Kalkül war. Wenn dem so war haben die Konzerne politisch verantwortlich gehandelt. Eine Bekanntmachung zu einem vorherigen Zeitpunkt hätte Trump die Munition für einer erfolgreiche Wiederwahl geliefert. Wahnwitzig ist, dass Trump seinen Ärger über die Pfizer und BioNTech in ein philanthropisches Gewand hüllt. Die verzögerte Veröffentlichung koste Menschenleben. Das ist grober Unfug. Wenn die Veröffentlichung aus politischen Gründen verzögert wurde ändert das ja nichts am Stand der Entwicklung des Impfstoffs und am Zeitplan für den Rollout. Es ist eher umgekehrt: die mutmaßliche Verzögerung rettete Menschenleben, da sie half den Pandemieverharmloser Trump vom Thron zu stoßen.

Karl Lauterbach schwärmt von dem Impfstoff wie von einer Geliebten. Ohne Wenn und Aber ist die unerwartet frühe Heraufkunft des Heilsbringers, die mit nahezu religiöser Verzückung gefeiert wird erfreulich. Dennoch: es steht zu befürchten, dass man uns nun erst recht den Impfstoff über lange Monate vor die Nase hält wie die sprichwörtliche Mohrrübe, die den Esel am Laufen hält. Die Erleichterung über das Vorhandensein eines wirkungsvollen Impfstoffes ohne (nach bisherigem Kenntnisstand) ist eine vor allem politische - der Impfstoff soll einen gesellschaftlichen Motivationsschub generieren, der Akzeptanz und Umsetzung der Corona-Maßnahmen bei und durch die Bevölkerung garantiert. Der Impfstoff fungiert als Durchhalteparole, als Regenbogen am Ende des Tunnels, dessen Glanz Disziplin und Opferbereitschaft der Bevölkerung auch bei einer Verschärfung der Maßnahmen sicher stellt. Es handelt sich um einen Impfstoff gegen das Querdenken und Quertreiben.

Auch Tränen der Freude und Erleichterung trüben den Blick. In Frank Plasbergs Talkshow ist Prof. Dr. Isabella Eckerle zugeschaltet, die den frappierenden Anstieg der Infektionszahlen mit dem Jojo-Effekt bei einer Diät vergleicht. Zunächst drosselt man die Nahrungsaufnahme drastisch. Dann hat man abgenommen nur um anschließend umso drastischer zuzunehmen. Statt nun aber im Bild zu bleiben und eine Abkehr von der Hammer-and-Dance Strategie zu fordern, die - wenn man im Bild bleibt - ein Grund für die eklatante Aufschaukelung der zweiten Welle ist stimmt auch sie in den Gesang von Disziplin, Geduld und Solidarität durch Verzicht mit ein.

Bedauerlicherweise ging man bei `Hart aber fair` nicht auf den Einwand Kritik Steffen Hensslers ein, der das Argument, man müsse die Gastronomie stilllegen, weil man bei 75% der Infektionen nicht wisse wo sie stattfinden entkräftete. Auf einer Grafik, die nach Branchen und Betriebsarten deren prozentualen Beitrag zum bekannten Infektionsgeschehen (25%) abbildet, rangiert die Gastronomie unter ferner liefen - und Henssler hat völlig Recht wenn er fragt wie man denn darauf komme, dass bei den 75%des Infektionsgeschehens, deren Quelle nicht bekannt sei, die Gastronomie umgekehrt eine besonders herausragende Rolle spiele.  Dieser logisch begründete Einwand wurde `nicht mal ignoriert`. Niemand mag halt offen sagen, dass nicht das objektive Infektionsrisiko der Maßstab für Schließung oder Offenhaltung bestimmter gesellschaftlicher Bereiche ist, sondern deren Systemrelevanz aus Sicht des Systems. 

Für die unsägliche Äußerung der NRW-Kulturministerin Pfeiffer-Pönsgen `Die Kultur muss aufpassen, dass sie nicht immer eine Extrawurst brät` hat sie sich entschuldigt. Dennoch beharrt sie darauf, dass die Kultur in der aktuellen dramatischen Lage keine Sonderrolle für sich beanspruchen dürfe`. Das ist in der Wortwahl zurückhaltender, ist in der Botschaft jedoch mindestens ebenso unverschämt. Die Kultur beansprucht keine Sonderrolle für sich, sondern beklagt sich zu Recht über die Sonderrolle, die man ihr aufzwingt - trotz funktionierender Hygienekonzepte nicht stattfinden zu dürfen. Die "Extrawurst" wird z.B. in den Schulen gebraten, die trotz des Fehlens effektiver Hygienekonzepte geöffnet bleiben. Diese Extrawurst ist obendrein vergiftet - in den Schulen wird Schülern und Lehrern abverlangt, sich hochgradigen Infektionsrisiken auszusetzen. Das geht so weit, dass ihnen (wie in Solingen) trotz hoher Inzidenzen verboten wird Maßnahmen der Risikoreduzierung zu ergreifen (Stichwort Klassenteilung). Die zahlreichen Remonstrationen sind nicht nur nachvollziehbar, sondern aus Sicht der Remonstranten dringend geboten, denn das Bestehen auf Präsenzunterricht bedeutet "eine unzulässige Gesundheitsgefährdung mit Risiken bis zum Tod" (zitiert aus einem Musterbrief Herner Lehrer). 

Fazit: Geschlossen werden Einrichtungen mit geringem Infektionsrisiko und funktionierenden Hygienekonzepten, geöffnet bleiben Einrichtungen mit erhöhtem Infektionsrisiko und ohne funktionierende Hygienekonzepte.  Nicht das objektive Infektionsrisiko entscheidet über Schließung und Öffnung, sondern die Positionierung der Einrichtungen auf einer Skala von verzichtbar bis unverzichtbar. Das ist (von ethischen Fragen ganz abgesehen) eine riskante, wenn nicht gar leichtsinnige Herangehensweise.  

Etwas überspitzt formuliert zeitigen die Corona-Maßnahmen Exzesse in beide Richtungen: generelle Maskenpflicht dort, wo ein Abstand von 5 Metern zwischen Menschen unterschritten werden kann (gekippt vom Verwaltungsgericht Düsseldorf), andererseits das Verbot wirkungsvolle Schutzmaßnahmen in Schulen umzusetzen. Ein anderes Beispiel politischer Bigotterie gab bei gestrigen Pressekonferenz der Bundesregierung Stefan Seibert zum Besten: aufs Schärfste wurden die Demonstranten in Leipzig verurteilt, dafür die Demonstranten in Weißrussland in den Himmel gelobt. Herrn Jung wurde auf seine Frage, ob die Demonstranten in Weißrussland denn die Hygieneregeln befolgt haben wurde nicht geantwortet.    

Immerhin: ähnlich wie der Shutdown in der Gastronomie indirekt die Kontaktdichte im Einzelhandel reduziert, reduziert die Schulpflicht wunschgemäß die Kontakte in der Freizeit. Mit steigendem Infektionsgeschehen in den Schulen steigt die Zahl der Ausreden, die man bemühen wird um befreundete Familien mit Kindern nicht besuchen zu müssen. 

 

 

9. November

Bevor man das Oberverwaltungsgericht Bautzen für seine Entscheidung kritisiert, die Demonstration gegen die Corona-Auflagen auf dem Augustusplatz in Leipzig zugelassen zu haben sollte man - in Zeiten der instantanen Empörung und Aufgeregtheit über die Unverschämtheit, die Ausübung eines Grundrechtes über die viel beschworene Ausübung von Solidarität in Form des kollektiven Einverständnisses mit der Einschränkung von Freiheitsrechten zu stellen - die Urteilsbegründung abwarten. Burkhard Jung, Oberbürgermeister von Leipzig, moniert: `Hier wird offensichtlich das Recht auf freie Meinungsäußerung und Versammlung über den Infektionsschutz und damit über das Recht auf körperliche Unversehrtheit gestellt. Die damit verbundene Frage ist auf jeden Fall grundsätzlich in unserem Land zu klären.` In der Tat ist die Klärung der Frage nach der Gewichtung der Ausübung von Grundrechten gegenüber Erforderlichkeiten des Infektionsschutzes, aber auch nach der Gewichtung von Grundrechten, die in einem wechselseitigen Spannungsverhältnis stehen (Recht auf Versammlung vs. Recht auf körperliche Unversehrtheit) immer wieder neu vorzunehmen, gleichwohl ist Jungs Schlussfolgerung nicht ganz stichhaltig - denn die Personen, die an der Demonstration teilgenommen haben, haben für die Ausübung ihres Grundrechtes auf Meinungsfreiheit und Versammlung primär die Gefährdung ihrer eigenen Gesundheit freiwillig, ohne Zwang billigend in Kauf genommen. Dies gilt für Millionen von Werktätigen, die auf den ÖPNV und auf ihre Arbeit angewiesen sind mitnichten, ebenso wenig wie für Schüler und Lehrer (und andere Berufskreise), denen abverlangt wird, sich einem erheblichen Infektionsrisiko auszusetzen. Wenn man sich denn schon darüber ereifert, dass Demonstranten gegen die Coronamaßnahmen diese nicht einhalten, sollte man selbstkritisch einräumen, dass in anderen Lebensbereichen bewusst das Recht auf körperliche Unversehrtheit eingeschränkt wird, während die Demonstranten sich primär einverständlich gegenseitig gefährden. Zudem war es nicht Aufgabe des Gerichtes, darüber zu urteilen, ob die Corona-Maßnahmen während der Demonstration eingehalten werden können, sondern ob die Verlegung der - genehmigten - Demonstration an den Stadtrand statthaft war. Gänzlich unangemessen ist die Äußerung von Ministerpräsident Kretschmer, der die Demonstration als `Corona Party` herabwürdigte und damit einer Vielzahl existenziell von den Einschränkungen betroffenen Bürgern unterstellt, es gehe ihnen um Halligalli und Egoismus. An den Motiven der Organisatoren lässt sich mit gutem Grund zweifeln - aber dass für viele Menschen die Coronamaßnahmen dramatische ökonomische, soziale und psychologische Konsequenzen haben ist evident. Sie alle verhöhnt der Ministerpräsident, wenn er von Corona-Party redet.

Bedenklich ist die Stoßrichtung der Kritik an der Polizei, die härter hätte durchgreifen sollen: Mit Schlagstöcken und Wasserwerfern? Mit Gewalt? Krieg in den Städten?

Diese Gesellschaft muss aushalten, dass die Ausübung von Grundrechten gelegentlich im Konflikt mit anderen Grundrechten steht - siehe oben. In der Pandemie wird die Einschränkung von Freiheitsrechten ja von staatlicher Seite exakt so begründet, und zudem akzeptiert die Mehrheit der Gesellschaft recht klaglos, dass gleichzeitig Grundrechte eingeschränkt werden und man die Menschen dazu verpflichtet, sich der Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit und Gesundheit auf der Arbeit, in den Schulen und im ÖPNV auszusetzen. Wenn Gerichte dann gelegentlich Gewichtungen vornehmen, die nicht denjenigen der Obrigkeit entsprechen, so ist dies eben nicht skandalös - eine juristische Ohrfeige ist zwar faktisch ein metaphorischer Schlag ins Gericht, aber gegebenenfalls ein berechtigter, und eben kein brutaler Willkürakt, sondern Ausdruck einer funktionierenden Gewaltenteilung. Ich freue mich auf die Kolumne von Thomas Fischer zu diesem Thema. 

 

 

8. November

Auch die Kosmetikindustrie erwägt Schutzsuche unter einem Rettungsschirm - der Umsatz für Lippenstifte ist seit der Maskenpflicht drastisch eingebrochen. Dafür steigt der Umsatz für Reizwäsche und Dessous. Natürlich wird die erotische Unterwäsche nur erworben von Pärchen aus maximal zwei Haushalten, die sich treffen.

Ein Roman von Peter Hoeg ist betitelt `Der Plan von der Abschaffung des Dunkels`. Paul Celan betitelte einst ein Gedicht `Lichtzwang`(doch durfte ich nicht herüberdunkeln zu Dir/Es herrschte Lichtzwang). Jederzeit wissen wer sich wann wo befindet - das wäre das Optimum der Kontaktnachverfolgung. Dass Kultur vom lockdown maßgeblich betroffen ist liegt in der Natur eines politischen Klimas, das von Angst vor ungewisser Verteilung geprägt ist.   

Gesellschaften im Ausnahmezustand. Gesellschaften, die von Furcht vor den Freiheiten ihrer Gesellschafter geprägt sind. Ob das nach Corona wieder verschwindet? Oder bleibt dies die Neue Normalität?

 

7. November

Auf Wunsch, Betteln und Flehen von Abermillionen Lesern dieses Blogs, die des ständigen Kommentierens der Einlassungen von Talk-Show-Gästen überdrüssig sind, die stellvertretend für ihr Publikum denken, gibt der Verfasser - auch für seine selbsterschaffene Leserschaft, die er aus seiner multiplen Persönlichkeitsordnung rekrutiert - Einblick in sein persönliches Leben in der Gesellschaft maskierter Biowaffen.

Als Endfünfziger hart am Rande zur Risikogruppe schnürt ihm die Vorstellung die Luft ab ein Motivationscoach frage ihn wo er sich in 10 Jahren sehe (auf einem Friedwald). Die Betrachtung der greisen Gesichtszüge Phil Collins verengt ihm die Brust. Dass in der Röhre seines Backofens keine Lasagne erhitzt, sondern Masken dekontaminiert werden stimmt ihn auch nicht optimistisch. Träume, in denen seine Eltern herumgeistern, die jünger sind als er selbst verleiden ihm die Nachtruhe. 

Auf dringendes Bitten der Heerscharen seiner Leserschaft kehrt der Verfasser dann doch lieber wieder zurück zum Stammtischgeschnatter in den COVIDShäusern von Sendeanstalten, in denen deutsche Demokratieexperten Belehrendes zum Thema Demokratieverständnis zum Besten geben. In Anbetracht des Kasperletheaters im Weißen Haus ist Besserwisserei verführerisch - man kann sich aber auch fragen, was es über unser Demokratieverständnis aussagt, wenn immer noch mit Verblüffung und Ablehnung auf die schwedische Methode der Empfehlung statt des Verbotes blickt. Wie ausgeprägt ist die Verankerung von demokratischen Prinzipien in einer Gesellschaft, die mit Erstaunen und Missbilligung auf eine andere Gesellschaft blickt, die - Stand jetzt - ohne Verbote durch die Krise navigiert?

Es muss erst langsam die Einsicht reifen, dass man auf Dauer nicht per Stop and Go von Lockdown und Lockerung die Gesellschaft bei der Stange halten kann und das Verzicht und Gehorsam nicht über Jahre wirkungsvoll als Ausdruck von Solidarität verkauft werden können. Desto dringlicher sich die Frage nach einer langfristigen Strategie stellt, die nicht nur darin besteht auf Impfstoff und Medikamente zu hoffen, desto mehr werden notgedrungen Zweifel an der Alternativlosigkeit erzwungener Kontaktbeschränkungen aufkommen und desto schwieriger wird es folgendes Argument von der Hand zu weisen: 

"Schweden setzt darauf, dass es ohne lockdown kurzfristig zwar zu mehr Infektionen kommen könnte. Allerdings werde vermutlich ein steiler Anstieg nach der Lockerung von Maßnahmen vermieden. Und es heißt immer wieder: Die Maßnahmen seien so angelegt, dass das Land sie auch sehr lange durchhalten könnte - notfalls über Jahre." (Annika Franck,`Wie sinnvoll ist der schwedische Sonderweg`, Quarks.de, 6. November 2020). Das Gegenargument man könne Schweden nicht mit Deutschland vergleichen, da es dort viel weniger dicht besiedelte Regionen gebe zieht aus verschiedenen Gründen nicht. Zum einen gelten die Handlungsempfehlungen auch in Großstädten wie Stockholm, vor allem jedoch geht es grade in den Metropolen darum, dass möglichst viele Menschen die Maßnahmen zur Vermeidung von Infektion und deren Ausbreitung verinnerlichen - wenn dazu das Setzen auf Eigenverantwortung (und: oh Graus, sogar der Verzicht auf Maskenpflicht) der effektive Weg ist wird umgekehrt ein Schuh daraus. Je dichter die Besiedelung ist, desto wesentlicher ist es, dass die Bevölkerung die Maßnahmen umsetzt. Erweist sich, dass Verbote sich eher abnutzen als Empfehlungen - und Abschreckung hat sich meiner Kenntnis nach selten als Methode bewährt, Menschen von Verantwortungslosigkeit abzuhalten - wird man sehen ob die Entscheider mit dem lockdown-Syndrom den Mut haben, ihr Vorgehen in Frage zu stellen oder fahrlässig weiter auf ein Vorgehen setzen, das sich nicht bewährt. Selbst dann jedoch wird ein Umdenken erfolgen, sobald dieses Vorgehen nicht mehr mehrheitsfähig ist. In dieser Hinsicht trifft zu, dass es an uns allen liegt in welche Richtung sich das Geschehen entwickelt. Immerhin dämmert es ja den Parlamentariern, dass ein dauerhafter Ausnahmezustand sich nach einiger Zeit nur noch schwer von einer Diktatur unterscheiden lässt. 

 

6. November

Corona-Mutation in Dänemark: ein Todeshauch von Nerz.

Geht man davon aus, die Zerstörung des US-amerikanischen Staates und seiner Institutionen in der derzeitigen Form sei das Ziel der Trumpeter wäre nicht der Wahlsieg, sondern eine knappe Wahlniederlage das ideale Resultat. Sie wäre die Basis für Legendenbildungen, Mythen und Verschwörungen, die kräftiger Impuls für die Mobilisierung von 50% der amerikanischen Bevölkerung zum Sturm aufs Weiße Haus wären. Es könnte sich als Fehleinschätzung herausstellen eine zweite Amtsperiode wäre das unbedingte Ziel des Trump-Regimes. Ziel ist die größtmögliche Radikalisierung der eigenen Anhänger - aus der Zwanglosigkeit der Entbundenheit von amtlichen Pflichten heraus kann Trump noch freier agieren und seinen Guerillakrieg gegen das korrupte politische Establishment führen. Regierungsverantwortung würde da nur stören. 

"Der Wahnsinnige wurde wiedergewählt. Ein Erdrutschsieg. Die Welt ist aus den Fugen. Erst der Anschlag bei den Olympischen Spielen in Toyo, dann der Tsunami auf Sizilien und jetzt auch noch vier weitere Jahre Trump. Vielleicht bräuchte es eine Pandemie um die Welt zur Vernunft zu bringen."

Er ist nicht wieder gekommen und ich bin noch hier. Helfe den Einwohnern beim Durchsuchen der Ruinen nach Verwertbaren. Fühle mich bei Ihnen zu Hause, denn ihr und mein Leben liegt in Trümmern. Nachts schwimme ich im Meer, treibe rücklings auf trügerisch sanften Wellen. So stelle ich mir den Tod vor, als Stillstand der Zeit, dem die periodische Wiederkehr von Zenit und Nadir entspricht. Aber noch halten mich das Kräuseln der Welle und eine leichte Gänsehaut im Leben fest. Meine Verbindungen zur Welt lasse ich am Strand zurück. In Handy und Ipad schlummert das globale Entsetzen, der griechisch-türkische Krieg, das Massensterben in den Flüchtlingslagern und die Flutkatastrophen an den Küstenstädten des Mittelmeers - um nur ein paar Beispiele zu nennen. Den Blick auf ferne Sterne gerichtet denke ich jeder Erzähler ist der letzte Überlebende seiner Welt. Ich trauere um uns, aber das tat ich schon vor seinem Verschwinden. Die Trauer hat sich verselbstständigt, so dass es nicht mehr von Bedeutung ist wo er überlebt. Der Optimist der meint, er sei ein Robinson in allen Welten, der immer irgendwann einen Weg zurück aufs Festland findet. Oder wenigstens einen Volleyball auf den er mit Holzkohle ein Gesicht kritzeln kann. 

 

5. November

Warten auf das Ergebnis des obligatorischen Corona-Tests nach Ankunft aus einem Risikogebiet. Ein Bisschen wie Warten aufs Christkind.

Das Ergebnis erfährt man über die freiwillige Corona-App - falls man das in Amtselbisch verfasste Merkblatt versteht, das einem die Tesztstelle am Flughafen aushändigt. Bis dahin verbleibt man in Quarantäne. Eine eigenwillige Auffassung von Freiwilligkeit. Man könnte das Ergebnis auch auf der Website des Testlabors abrufen - unter Eingabe einer 11342stelligen ID und indem man Tag für Tat per Tastendruck vom aktuellen Datum bis zum eigenen Geburtstag zurückscrollt, da die Eingabe des Geburtsdatums ausschließlich über eine Kalenderfunktion erfolgt, die einem nur diese Möglichkeit zur Eintragung des Geburtsdatums lässt. So also erhöht man die Akzeptanz Corona-Warnapp. 

Beim Test werde ich gefragt, ob ich diese App schon nutze. Ich antworte mit nein, was die Laborantin zu der Bemerkung veranlasst: Ah, sie sind also ein Verweigerer. Etwas zu unterlassen oder etwas zu verweigern sind jedoch zwei verschiedene Dinge. Wenn man nicht rauchen will dann unterlässt man es. Wird man dazu gezwungen, dann verweigert man es. Etwas zu unterlassen ist auch nicht gleichbedeutend mit Ablehnen. Nur weil man etwas nicht tut lehnt man es noch nicht ab. 

Wenig fällt einem zur US-Wahl ein und an ihr auf. Bemerkenswert nur, dass nach vier Jahren Amtszeit und der erneut für viele überraschende Knappheit des Ergebnisses jetzt plötzlich vielen Kommentatoren gute Seiten an Trumps Politik auffallen, damit man sich die nach wie vor hohe Anzahl seiner Wähler erklären kann. Das erinnert an `Das Leben des Brian`. Was haben uns die Römer je Gutes gebracht?...naja, die Aqäudukte...das Dezimalsystem...man kann wieder nachts auf die Straße...

Das wäre eine reizvolle Buchidee: eine Welt in der Corona nicht stattfindet, aber Trump die Wahl haushoch gewinnt. Wäre das eine Dystopie oder nicht? Hätte ich den Kontakt zu meinem Ich, das in der Welt ohne Corona weiterlebte nicht verloren, könnte ich mich das fragen. 

Sollte Trump die Wahl verlieren wäre dies der erste konstruktive Beitrag eines Virus zur politischen Kultur.

 

2. November

Man muss Sebastian Kurz durchaus gegen den Vorwurf in Schutz nehmen er habe zu früh gelockert. Dass man früher als in anderen Ländern die Maskenpflicht aufgehoben hat kann wohl kaum das derzeitige Infektionsgeschehen begründen. 

Es sei in der Hand von jedem Einzelnen, die Entwicklung zum Besseren zu wenden. Das stimmt nur teilweise. Es liegt nicht in meiner Hand, ob die Arbeitsbedingungen im Betrieben mich vor Infektionen schützen und nicht in der Hand unserer Kinder die Schulen zu besuchen oder nicht. Immerhin war Frau Merkel so ehrlich klipp und klar zu machen, dass man das Infektionsgeschehen im privaten Bereich kontrollieren müsse, damit man es im Wirtschafts- und Bildungssystem in Kauf nehmen kann. 

Nein, Frau Merkel, die Menschen sind nicht enttäuscht dass das Ganze so lange anhält, sondern das alle Maßnahmen anscheinend nichts genutzt haben (...sondern im Gegenteil?...).

Die Fragen bei der Pressekonferenz lassen daran zweifeln, dass die Presse Freiheit auch außerhalb der Pressefreiheit wichtig nimmt. Anders ist der Tenor der Rückfragen nicht erklärbar, die den Gedanken einer stärkeren Kontrolle des Geschehens in Privatwohnungen in den Raum stellen. 

 

1. November

Kaum redet man der Ausgangssperre des Wort schon wird sie Kurz-erhand bereits in Österreich verkündet. Der Logik gehorchend, dass zur Aufrechterhaltung von Geschäftsbetrieben und Bildungseinrichtungen vor allem die Nachverfolgbarkeit der Infektionsketten im Vordergrund steht, nicht aber die grundsätzliche Vermeidung von Infektionen - Infektionsschutz und Gesundheitsschutz sind nicht dasselbe - sorgt Österreich so dafür dass der Aufenthalt jedes Bürgers jederzeit bekannt ist. Auch im ÖPNV pendelt man dann lediglich zwischen Arbeitsplatz/Schule/Kita und Wohnort hin und her. Auf diese Weise entsteht ein komplettes, bis auf die privaten Haushalte heruntergebrochenes Bewegungs- und Aufenthaltsprofil der Bürger. Man weiß (sofern sie sich anordnungsgemäß verhalten) jederzeit, wann sie sich wo befinden. Dieser panoptische Überblick ermöglicht es, bei jedem Infektionsgeschehen zielgenau zu intervenieren und Infizierte umgehend in Quarantäne zu schicken. Im totalitären Idealfall senkt man damit die Dunkelziffer der Infizierten auf Null. Der Fokus liegt nicht auf der unbedingten Vermeidung und auch nicht primär auf der Austrocknung der Infektionsquellen. Er liegt auf der Kontrolle über das Infektionsgeschehen durch Kontrolle über den Aufenthalt der Menschen. Nicht der Schutz der Menschen vor Krankheit steht im Vordergrund - sondern der Schutz des Gesundheits- Bildungs- und Wirtschaftssystems vor Überlastung. Es geht darum, dass die Menschen die sich bei der Arbeit und auf den Wegen zu und von der Arbeit infizieren die Infektion nicht oder nur im kleinen Kreis weitergeben, nicht etwa darum sie vor der Infektion optimal zu schützen. Das Ziel, exponentielles Wachstum der Infektionsraten zu unterbinden steht auch hier im Vordergrund - zu viele Infizierte führen zu Schweißausbrüchen bei den Personalplanern in den systemrelevanten Einrichtungen und Betrieben.    

 

31. Oktober

Zum Corona-Absurditätenkabinett gehört, dass ich nach meiner Abreise nach Deutschland aus einem abgelegenen Dorf ohne nennenswertes Infektionsgeschehen in eine Metropole komme, in der das Infektionsgeschehen explodiert. Dort muss ich mich in Quarantäne begeben, weil die Region aus der ich abreise auf Grund des Infektionsgeschehens in den Großstädten als Risikogebiet eingestuft ist. Gut geschützt reise ich nun in einen Hotspot und darf mich dort selbst wegsperren, weil ich eine Gefahr für meine Umgebung sein könnte, die selbst hochgradig durchseucht ist. Das "Gute" daran: die Quarantäne schützt mich vor den anderen.

Nach wie vor warten die Corona-Strategen in Mittel- und Südeuropa darauf, dass sich das schwedische Vorgehen endlich als Katastrophe herausstellt, während in allen lockdown-Ländern, die auf Verbote, Einschränkungen und Maskenpflicht setzten die Infektionsraten bis zum Pluto durch die Decke schießen. Wie lange es wohl dauert, bis sich zaghaft jemand zu fragen traut, ob die derzeitige Corona-Eskalation nicht trotz, sondern auch wegen der eingeschlagenen Strategie erfolgt? 

Der zweite lockdown wurde vor wenigen Tagen mit der Aussicht auf frohe Weihnachten verkündet und ist noch gar nicht in Kraft getreten, da prescht Unionsfraktionschef Brinkhaus schon mal vor und schiebt prophylaktisch der ungehorsamen Bevölkerung den Schwarzen Peter für den Fall zu, dass die Maßnahmen nicht greifen. Kommt es dann im Dezember zu Verschärfungen `weil jeder sein Ding mache` sind die Schuldigen für etwaige Ausgangssperren jetzt schon ausgemacht: es wird wieder mal am Verhalten von Teilen der Bevölkerung im Privaten liegen. Dass schon jetzt die Datenlage unklar ist ficht nicht an: wenn der lockdown nicht zum erwünschen Resultat führt liegt es weder an Infektionsherden außerhalb des privaten Raums, noch an der Strategie als solcher. Weil nicht sein kann was nicht sein darf.

Wer noch nicht genug vom realen Pandemiegeschehen hat, der wird unter anderem bei Netflix fündig. Filme wie "Kadaver" oder Serien wie "La Valla" und "Flucht zum See" beschäftigen sich mit den dystopischen Folgen von Pandemien. Dabei eint sie das Schreckgespenst des totalitären Staates und seiner Auswüchse der Seucheneindämmung. Offenbar hat man Muffensausen, das chinesische Modell könne aufgrund seiner Erfolge bei der Eindämmung der Pandemie und deren ökonomischen Konsequenzen allzu attraktiv werden. 

Was unterscheidet Brötchen von den Aussagen von Rolf Brinkhaus? Brötchen kann man belegen. 

Es handelt sich nicht um die zweite Welle. Sondern die Erste. 

Was unterscheidet eigentlich die Auffassung, dass Aluhüte Effekte von Telepathie blockieren von dem Präjudiziz, es liege am privaten Verhalten der Bevölkerung wenn der lockdown nicht wirke? Ersteres ist Unfug, letzteres politische Strategie. Niemand der noch bis 1 zählen kann bestreitet die Gefährlichkeit von COVID-19. Da diese Gefahr uns alle betrifft sollte man eine Mahnung von Günter Eich immer im Hinterkopf haben: `Seid misstrauisch gegenüber ihrer Macht, die sie vorgeben für euch erwerben zu wollen.` Jedoch: Mißtrauen darf nicht prinzipiell  

 

30. Oktober

Gestern wurde die Frage aufgeworfen wie es um den Infektionsschutz in Schlachtbetrieben steht. Dazu erteilt Jonas Schauble auf Spiegel Online heute folgende im Titel des Artikels zusammengefasste Auskunft: `Regierung fehlt der Überblick zu Infektionen in Schlachthöfen`. Bezugnehmend auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag zum Infektionsgeschehen in Schlachthöfen, Gärtnereien und landwirtschaftlichen Betrieben teilt das Gesundheitsministerium mit: `Zu den Fragen liegen der Bundesregierung keine Informationen vor.` um gleichwohl ausdrücklich zu betonen, der Arbeitsschutz trage umfassend zur Reduzierung des Infektionsgeschehens in Deutschland bei und das Konzeptpapier, das Empfehlungen für Hygieneregeln für Betriebe mit Saisonarbeitern formuliere habe einen wesentlichen Beitrag für die Eindämmung des Infektionsgeschehens geleistet. Ist das die Unlogik in politischen Entscheidungen, die gemäß Psychiater Manfred Lütz in deren Natur liegt und die wir nicht nur zu akzeptieren haben, sondern der wir unser Leben anvertrauen sollen? Einer der wesentlichen Treiber von Gesundheitsbeeinträchtigungen in der Arbeitswelt sind Verletzungen des Kohärenzsinns, die entstehen, wenn sich uns der Sinn unserer Tätigkeit nicht erschließt. Als Bürger sollen wir anscheinend genau daran gesunden - anders scheint es kaum erklärbar, dass ausgerechnet das Gesundheitsministerium in einem Atemzug einräumt keine Kenntnis vom Infektionsgeschehen in den genannten Branchen zu haben und die Effektivität des Arbeitsschutzes in diesen Branchen bei dessen Eindämmung in den Himmel lobt. 

Wenn die Menschen zunehmend murren was Einschränkungen der Freiheitsrechte und des Privatlebens betrifft, so liegt dies nicht - wie gerne kolportiert - an mangelnder Einsicht in die Notwendigkeit von Kontaktbeschränkungen, sondern daran, dass die Restriktionen ausschließlich das Privatleben betreffen sowie die Betriebe und Einrichtungen, die unserer Freizeitgestaltung dienen. Industriezweige, deren Treiben eben noch im Fokus stand, dürfen trotz großer Ankündigungen im Sommer (`Jetzt wird aufgeräumt`) weiterwurschteln wie bisher. Dies wird nicht nur als ungerecht empfunden, sondern auch als fahrlässig. Kommentare wie dieser auf Spiegel-Online: `Die Hotspots nicht schließen und dann den Rest des Landes schließen - das ist ja mal ein ausgetüfteltes, schlaues Konzept` sind kein Einzelfall. Auskünfte wie die zitierten Mitteilungen des Gesundheitsministeriums erzeugen den Eindruck, das Infektionsgeschehen in den Betrieben sei ihnen egal und man könne die Bevölkerung so einfach für dumm verkaufen, dass es an Beleidigung grenzt.

Im übrigen: auch in den Talkshows, Nachrichtensendungen, Kommuniqués von Ärzteverbänden, Debatten in Parlamenten ist von Betrieben als potenzielle Treiber der Pandemiedynamik nicht die Rede, obwohl man freimütig einräumt, bei 75% der Infizierten könne man die Infektionsquelle nicht nachverfolgen. Gleichzeitig ist man sich (weitgehend partei- und expertenübergreifend) trotz dieser Datenlage sicher, der Quell des exponentiellen Desasters liege im privaten Verhalten und dort müsse man rigoros einschreiten. Diese Unwucht hat logische Gründe, die man nicht explizit formuliert - denn wenn die Wirtschaft weiter so arbeiten soll wie bislang (und bestimmte Betriebe Hotspots sind), ist zu vermeiden, dass die Menschen die sich dort infizieren das Virus weiter verbreiten - dazu gilt es Mobilität und Kontakte im privaten Bereich und in der Freizeit zu unterbinden. In den Betrieben selbst ist die Kontaktnachverfolgung weitgehend gewährleistet. Mit anderen Worten: es gilt überall da Restriktionen einzuziehen, wo das menschliche Verhalten sich der Kontrolle entzieht. In dieser Hinsicht lügt die Regierung nicht - Kern der aktuellen Pandemiepolitik sind Freiheitseinschränkungen (...manche würden konstatieren Freiheitsberaubung) im privaten Bereich. Die Unehrlichkeit besteht in der unbewiesenen Behauptung, dass Verhalten einiger Weniger im Privatleben sei Ursprung und Haupttreiber des Infektionsgeschehens und darin, dass von der sogenannten nationalen Kraftanstrengung ganze Industriezweige ausgenommen sind.  

Beinahe müsste man hoffen, dass die Freiheitseinschränkungen das Infektionsgeschehen nicht hinreichend reduzieren - dann wäre es wohl kaum noch zu umgehen, dass man von der einseitigen Perspektive auf das private Verhalten der Menschen abrückt.  

Apropos: Infektionsschutz und Gesundheitsschutz sind nicht dasselbe. Ziel eines effektiven Infektionsschutzes ist insgesamt den Zusammenbruch des Gesellschaftssystems zu vermeiden. Die Stabilität der Systeme und Systemelemente (Gesundheitssystem, Bildungssystem, Wirtschaftssystem, politisches System) steht im Vordergrund, nicht die Gesundheit des Einzelnen. Dementsprechend wird als primäres Ziel der Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung die Vermeidung der Überlastung des Gesundheitssystems deklariert, nicht die unbedingte Vermeidung weiterer Krankheitsfälle. 

Fazit des Verfassers: so wird es weitergehen. Die Sinuskurve (lockdown-Öffnung-lockdown) bildet primär das Modell des zukünftigen Privat-und Freizeitlebens ab, während die Bereiche der Wirtschaft, die nicht der Teilhabe am klassischen kulturellen und sozialen Leben dienen (analog) vom lockdown ausgenommen bleiben. Mal sehen, wie lange der Souverän das mitmacht. 

  

 

29. Oktober

`2 Gramm Hirn ersetzen 10 Liter Desinfektionsmittel.` Kommt sehr auf das Gehirn an.

Erschütternd ist bisweilen, welcher Mangel an Verständnis bei manchen Rednern im Bundestag für den zeitlichen Zusammenhang der Entwicklung von unterschiedlichen Kurven herrscht, die das Infektionsgeschehen und seine Dynamik abbilden. Seitens der AfD wird gerne argumentiert, die niedrige Sterberate sei ein Argument gegen drastische Maßnahmen jetzt. Da wird so getan als sei dies ein Indiz für die relative Harmlosigkeit der Entwicklung im Vergleich zum Frühjahr. Man benötigt jedoch nicht einmal ein Gramm Gehirn um zu verstehen, dass der Anstieg der Sterberate der steigenden Infektionsrate stark zeitlich verzögert folgt, da nun mal die Infizierten die Gewohnheit haben nicht im Augenblick des positiven Testergebnisses schwerst zu erkranken und in der gleichen juristischen Sekunde tot umzukippen (...es sei denn aus Schock über das Testergebnis). Wenn man allerdings im Flachland lebt und die Dimension Zeit nicht kennt kann man zeitliche Zusammenhänge nicht erkennen - oder ignoriert sie bewusst um besser verharmlosen zu können.

Auch der Vergleich von COVID-19-Toten mit Verkehrstoten, die man ja auch akzeptiert ist haarsträubender Unfug. Epidemiolgisch betrachtet kann ein Verkehrstoter keinen anderen Verkehrstod mehr hervorrufen - R-Wert = 0. Der Grad an Verantwortungsbewusstsein, den dieser Vergleich zeigt ist ebenfalls gleich Null.

Davon abgesehen ist auch der lockdown als solcher nicht ausschließlich vernünftig begründet: Auch wenn man davon ausgeht, dass die Schließung von Gaststätten, Bars, Cafes und Restaurant vor allem auf die Erstickung des befürchteten kontakt- und diffusionsförderlichen Echos auf den Erlebnischarakter von Kneipen- und Restaurants zielt (...und man diese Befürchtung als legitime Begründung für die Schließung dieser Einrichtungen akzeptiert), so wäre damit nicht hinreichend begründet warum sie 24 Stunden am Tag schließen sollen. So wie Alkoholverbot und Sperrstunden zielt diese Maßnahme vor allen Dingen auf die rigorose Eindämmung des Nachtlebens mit seinen - sagen wir - kontaktförderlichen Aspekten. Dann möge man das soziale Leben in ihnen unter den Bedingungen der bestehenden Hygienekonzepte etwa bis Sonnenuntergang aufrecht erhalten und dann die Bürgersteige hochklappen wie dies in Italien der Fall ist.    

Es hapert was die Schließungen von Hotels und Gastronomiebetrieben betrifft auch an einer transparenten Begründung. Diese besteht eben grade nicht in den Gefahren beim Aufenthalt, sondern in den befürchteten Nachwirkungen des Aufenthaltes. Dass man dies nicht sagt entspricht nicht der bis zum Erbrechen betonten Notwendigkeit, den Zweck und Nutzen von Maßnahmen den Bürgern verständlich zu machen. Wird etwas zu oft betont, dann weckt dies den Verdacht, dass tatsächlich das Gegenteil Realität ist. Das trifft auch auf die immer wieder wechselweise hervorgelobte und angemahnte Solidarität der BürgerInnen zu, die - wenn man sie so häufig betonen und anmahnen muss - eben nicht vorausgesetzt wird. Immer wieder an den Gemeinsinn zu appellieren bezeugt und erzeugt Misstrauen, ebenso wie die Tendenz erst zu beschließen und dann im Bundestag zu debattieren statt umgekehrt. 

Wie konnte mir das entgehen? Durch den Wegfall des gastronomischen Angebotes sorgt man für eine Verödung der Innenstädte. So erreicht man einen Shutdown des Einzelhandels ohne ihn verkünden zu müssen - will der Einzelhandel Kompensation sagt man ihm: Wieso? Ihr dürft doch öffnen? 

Selten war die Frage so spannend: Was sagen die Gerichte (über Gerichte, die nur noch geliefert, aber nicht mehr serviert werden dürfen)?

Freiheit sei Verantwortung sagt Frau Merkel. Warum dann überhaupt der Unterschied in der Begrifflichkeit? Es ist klassisches Doppelsprech Bürde und Privileg gleichzusetzen. Freiheit, sagt ein Freund von mir, bedeutet auch das Recht auf Unvernunft, die das Gegenteil von Verantwortung ist. Umgekehrt besteht Verantwortung nicht nur aus dem Befolgen von Regeln, sondern oft aus dem exakten Gegenteil. Eine Regel ist nicht aus sich selbst heraus verantwortungsvoll. Allerdings ist sie auch nicht sui generis Teufelszeug - ein Aspekt der Freiheit besteht darin, die Wahl zu haben. Und diese Freiheit kann der Staat beschränken. Wenn die Menschen sich entsprechend den Regeln verhalten, mag dies mit Verantwortung zu tun haben, dies mit Freiheit gleichzusetzen bedeutet indes sie mit ihrem Gegenteil gleichzusetzen. Gleichzeitig Freiheiten einzuschränken und dann Gehorsam über den Dreisatz Freiheit gleich Verantwortung gleich Folgsamkeit mit Freiheit gleichzusetzen ist bigott. 

Derzeit - Herr Brinkhaus sagte es bei der heutigen Aussprache im Bundestag mit frappierender Offenheit - werden Freiheitsrechte auch deshalb massiv eingeschränkt um sich bei der Bekämpfung der Pandemie nicht gegenüber totalitären Staaten zu blamieren, die nicht nur erfolgreich Corona im chinesischen Schach halten, sondern auch wirtschaftlich florieren (was die wirtschaftliche Abhängigkeit mindestens Europas von China noch verstärkt). Wenn es aber darum geht zu zeigen, dass eine freiheitliche (nicht: eine freie) Gesellschaft ebenso dazu in der Lage ist, ihre Bevölkerung vor einer Pandemie zu schützen, kann dies kaum dauerhaft durch Verbote und Anordnungen geschehen. Mindestens notwendig dazu ist der schleichenden Entmachtung der Legislative entgegen zu wirken. Sonst kopiert man wovon man sich abzugrenzen behauptet.    

Hat man eigentlich nun in der Fleischindustrie aufgeräumt? (...kleiner Scherz...)

Gut gefiel mir die Frage ob im Land der Dichter und Denker Kultur nicht systemrelevant sei. Leider ist sie rhetorisch. 

Wie der Urknall zustande kam? Ganz einfach. Durch einen Virus im Nichts.

 

28. Oktober

Möglicherweise kann er ja nichts dazu: bei jedem öffentlichen Auftritt wirkt Markus Söder so als habe er Spaß beim Verkünden von Einschränkungen und freue sich daher über jede Hiobsbotschaft. Man kann ihm glauben, dass er nicht Kanzler werden will weil er größeres im Sinn hat: wichtiger als ein Kanzler zu sein gemäß dem Ausspruch von Franz-Josef Strauß `Mir ist egal wer unter mir Kanzler ist`. 

Gestern fiel bei Markus Lanz der Satz man müsse Anordnungen der Politik auch dann folgen wenn sie unlogisch seien, ja es liege sogar in der Natur der Sache, dass politische Entscheidungen unlogisch seien. Und wenn es heißt: im öffentlichen Raum Maske tragen, so solle man sie tragen auch wenn man alleine in einem finsteren Wald umherirrt. Besser kann man das Verhältnis zwischen Staat und Individuum nicht zusammenfassen - das gilt nun mal auch für Demokratien. Das Subjekt ist das Unterworfene.

Zu ernsteren Themen: jetzt also ein lockdown mit der Begründung es gehe hauptsächlich darum, durch Kontaktreduzierung die exponentiell wachsende Infektionsrate abzuflachen und das Nachvollziehen der Infektionsketten zu gewährleisten. Mit dieser durchaus nachvollziehbaren Begründung hätte man das Beherbungsverbot rechtfertigen können - ebenso wie das Schließen von Restaurants und Bars. Das Einhalten von Hygienekonzepten gewährleistet zwar Infektionsschutz in Hotels und Gastronomie. Doch das Besuchen von Kneipen und Hotels bedeutet immer Mobilität. Vor allem jedoch ist nicht entscheidend wie sich die Menschen während des Besuchs von Hotels und Gaststätten verhalten, sondern anschließend im diffusen öffentlichen und im uneinsehbaren privaten Raum. Selbst Markus Söder predigt daher heute nicht: Maske, Maske, Maske sondern Kontaktbeschränkung, Kontaktbeschränkung, Kontaktbeschränkung. Klingt dabei jedoch genauso salbungsvoll und mühsam gebremst heiter.

Nicht lachen wird das Hotelgewerbe. Zwar darf es nicht mehr Beherbergungsverbot heißen, dafür gilt jetzt: `Übernachtungsangebote im Inland werden nur noch für notwendige und ausdrücklich nicht touristische Zwecke zur Verfügung gestellt.` Klingt doch viel poetischer als Beherbergungsverbot.

Die Bevölkerung motiviert man zum Mitmachen indem man mit der Aussicht lockt dann könne man Weihnachten vielleicht mit seinen Liebsten feiern - als stünden die hinzunehmenden Einschränkungen und Existenzängste und die Aussicht auf einen Maskenball unter Christbaum in einem ausgewogenen Verhältnis.   

Unter Bedingungen eingeschränkter Mobilität kann man schon mal Chemnitz zur Kulturhautstadt krönen. Gratulation. Vielleicht besuchen ja 2025 Millionen Geimpfte den Darm von Karl Marx. 

Was man auch immer von den Maßnahmen halten kann: es gibt für sie (auch ökonomisch) keinen besseren Monat als November. Das ist ohnehin ein trister Monat, da kann ein wenig Dramatik nicht schaden nach dem Motto: lieber tief rot als grau. 

 

27. Oktober

Für den lockdown spricht bei allem epidemiologischen Für und Wieder der Anschein er treffe alle gleichermaßen, so dass der Diskussion über die Unwucht zwischen den geforderten Einschränkungen im privaten Bereich und der Inkaufnahme von Infektionsrisiken in Arbeitswelt, ÖPNV und Bildungswesen ein wenig der Zahn gezogen wird. Aus Sicht einer Pflegekraft oder eines Verkäufers im Supermarkt ist das zwar ein Hohn, doch die stellen nicht die Mehrheit der Bevölkerung.

Logisch ist es auch, die Menschen dazu anzuhalten zu Hause zu bleiben - mögen auch die Ansteckungsrisiken in geschlossenen Räumen höher und in der Gastronomie geringer sein, so hat die Fixierung der Menschen auf Fernsehsessel und Homeoffice den Vorteil, dass man immer weiß wo sie sind und somit Infektionsherde leichter nachzuvollziehen sind. Ist jedoch ein zu unschöner Gedanke, als dass er geeignet wäre `die Menschen mitzunehmen`. Die ohnehin schon mitgenommen genug sind. 

Einen markanten Kontrapunkt zu exponentiellem Wachstum bildet bisweilen die plötzliche, erdmännchenhafte Hab-Acht-Haltung von Gruppen. Bis gestern: volle Cafe´s und Fußgängerzonen, als bestünde keine Gefahr. Kaum treten drastische Regelungen in Kraft verwandeln sich belebte Städte in Geisterstädte auch zu Uhrzeiten, in denen der öffentliche Raum keine Tabuzone ist. Eben war noch alles harmlos, jetzt ist das Weltende nah (Arbeitsplatz von  Karl Lauterbach: der Apokalyp-Tisch). Da kann man die Geschäfte ruhig offen lassen - traut sich eh keiner rein. 

 

 

26. Oktober

Was eigentlich folgt nach dem nächsten lockdown? Reiserleichterungen, Öffnungen, und nach zwei Monaten geht das Theater von vorne los? Corona-Jojo.

Die Bemerkung von Angela Merkel: `Das wird nicht reichen um Unheil abzuwenden` mag man als alarmistisch bezeichnen. Das sagte man auch bei ihrer Hochrechnung: 19.200 Fälle pro Tag zu Weihnachten. Wenn dies damals damals untertrieben war: was ist eigentlich der Superlativ von Unheil? (Friedrich Merz?).

Merz beiseite - der vorgebliche Alarmismus könnte sich (was besser ins Persönlichkeitsprofil von Angela Merkel zu passen scheint) als understatement entpuppen. Dass Angie die Formulierung als Menetekel in den öffentlichen Raum stellte war insofern ungewöhnlich und daher bemerkenswert, als die Naturwissenschaftlerin Merkel in für sie untypischer Weise diesmal nicht mit Zahlen operierte, die ihre Feststellung untermauern, wohl deshalb, weil aus ihrer Sicht die Zahlen für sich sprechen (weswegen der podcast von der Vorwoche schlicht und ergreifend im Wortlaut wiederholt wurde). Das war das Beunruhigende an dieser Aussage und sollte wohl auch diese Wirkung haben. Merkwürdiger Weise - gegebenenfalls aus Furcht vor den Antworten - wurde nicht gefragt, ob das Unzureichende im qualitativen, im quantitativen Bereich oder gar in der Gesamtstrategie besteht. Man darf gespannt auf die Ergebnisse der auf Morgen vorgezogenen Gespräche mit den MinisterpräsidentInnen sein.  

 

25. Oktober

Eine hanebüchene Verdrehung der Tatsachen stellt die Schlagzeile dar: `Zahl der Millionäre in Deutschland steigt trotz der Corona-Krise.` Sie steigt wegen der Corona-Krise wie der CS Global Wealth Report ausführt, auf den der unter dieser Schlagzeile verfasste Artikel der Redaktion des "Private Banking Magazins" vom 23.10.2020 verweist. Immobilien nehmen an Wert zu, und dass Amazon-Aktien im Wert steigen ist wenig verblüffend.

Die Binsenweisheit von Corona als "Brennglas", das Missstände deutlich macht, hat sich abgenutzt. Dennoch verschärft die Große Corona-Depression in der Tat Kontraste bis zur Groteske. Sieht man sich derzeit die gut gelaunten, hochmotivierten und vor allen unmaskierten Akteure in Werbeclips an, hofft man, dass diese Verhöhnung des Publikums wenigstens zu Misserfolg führt. Zu befürchten ist jedoch, die Sehnsucht nach heiler Welt nehme derart zu, dass die Zuschauer sich regelrecht auf die Halbzeitpausen der Erstliga-Partien vor leeren Rängen freuen. 

 

24. Oktober

Räumt man ein, dass Dr. Markus Söder weiß was er sagt und warum er es sagt dann muss man ihm bei folgender Äußerung gemeingefährlichen Vorsatz unterstellen: `Die Maske ist das Präventionsmittel schlechthin. Die Maske hilft, mehr Normalität zu ermöglichen. Mit der Maske gibt es mehr und länger Chance auf Kontakte als ohne Maske.`(BR.de, 19.10.2020). Zur Erinnerung: die Maske soll getragen werden zur Risikoreduzierung in Situationen, in denen der Sicherheitsabstand nicht gewahrt werden kann. Söders Einlassung indessen insinuiert, dass der Nasen-Mundschutz Kontaktbeschränkungen und sozialen Abstand ersetzt und dass man mit der Maske die einzig effektiven Maßnahmen von Eigen- und Fremdschutz (Kontaktbeschränkung und Abstand) locker nehmen kann. Genau das ist nicht Zweck der Maske - Abstand und Kontaktbeschränkungen sind unabhängig von der Maske einzuhalten, denn sie reduzieren das Infektionsrisiko nicht nur, sondern vermeiden es im Idealfall. Söders Maskenplädoyer indes suggeriert, dass man es mit den wirkungsvollen Maßnahmen legerer halten kann, wenn alle sich an die Maskenpflicht halten. Eine solche Propagenda freut Arbeitgeber und Verkehrsbetriebe, grenzt jedoch an vorsätzliche Körperverletzung.

Leider steht den Möglichkeiten zur Kontaktreduzierung eine Realität im Weg, die ein Kommentator auf Spiegel Online prägnant skizzierte: `Wäre denn einer der Politiker auch mal bereit mir zu erklären wie ich das machen soll? Morgens 4.45 geht meine Straßenbahn quer durch die Stadt, völlig überfüllt, da sie um diese Zeit nur alle 20 min. fährt. Danach stehe ich 8 Stunden mit ca. 400 Kollegen in der Halle, teilweise zu 4. im Auto, Abstand teilweise unter 50cm. Zum Feierabend wieder in der Bahn, natürlich überfüllt, weil ca. 7000 Kollegen zur selben Zeit Feierabend haben.` Daran wird sich nichts ändern - deswegen sollst Du glauben, die Maske sei ein Allheilmittel, denn wenn Du das glaubst machst Du den Zirkus weiter mit.

Kaum hinterfragt wird inwieweit die Gewichtung der Instrumente zur Pandemiebekämpfung in einen angemessenen Verhältnis zu ihrer Wirkung steht. Man könnte angesichts der herausragenden Hervorhebung der Wichtigkeit von Masken meinen nicht Abstand und Kontaktbeschränkungen seien die effektivsten Mittel, sondern das Tragen des Mundschutzes. Dieses Missverhältnis ist gewollt - denn damit das Arbeits- und Geschäftsleben ohne allzu großen Änderungsdruck weiter laufen kann bedarf es der Illusion man sei geschützt. 

Aus Sicht eines Panoptikers ist die Maskenpflicht ein Segen - denn die Maske dient als simple, offensichtliche Markierung. Man erkennt wer sich regelkonform verhält und wer nicht. Setzt man Maskenträger mit den Vernünftigen gleich sind die Unvernünftigen für jedermann leicht zu erkennen und auszusondern. So einfach kann man es sich machen.

Ein Experiment mit Hamstern belegt die schützende Wirkung von Stoffmasken (...bei Hamstern...). Ob die Master gekauft waren? (Es ist spät, ich bin müde und betrunken und mir fiel keine bessere Anspielung auf Hamsterkäufe ein... buona notte...)

 

  

  

 

  

 

23. Oktober

In Gefahr und großer Not / bringt der Mittelweg den Tod

Die sprunghaft steigenden Infektionszahlen grade in den Ländern, die auf lockdowns, Verpflichtungen, Anordnungen bei der Pandemiebekämpfung setzten und dem lock-down die Lock-erungen folgen ließen lassen sich nur schwer als Erfolgsgeschichte des eingeschlagenen Weges interpretieren. Man muss kein Prophet sein um vorauszusagen, dass die Zahl derer zunehmen wird, die angesichts des Exponentialhorrors der Inzidenzen den Glauben an die schützende Wirkung der Maßnahmen verlieren und sich entsprechend verhalten. Zudem wird beim einen oder anderen der Gedanke im Hinterkopf eine Rolle spielen, dass der Spuk der Kontaktbeschränkungen, der Vermummung und Hyäneregeln desto eher vorbei ist, desto schneller die Durchseuchung voranschreitet. Über diejenigen, die gar nicht die Gefährlichkeit von COVID19 leugnen, aber schlicht und ergreifend die Infektion so schnell wie möglich hinter sich bringen wollen um sich auf diesem Weg des Pandemieschattens zu entledigen wird noch gar nicht geredet: man unterstellt den `Feierbiestern` schlicht Ignoranz, statt Strategie. Eine dritte Gruppe - die mittlerweile gelegentlich auch in Talkshows zu Wort kommt - sieht im Setzen auf Verbote und Sanktionen einen Treiber für Reaktanz, die sich in Verweigerung gegenüber sinnvollen und hilfreichen Maßnahmen wie social distance und Kontaktbeschränkungen äußert. Eine weitere Gruppe wird bestimmte als wirkungsvoll erachtete Verhaltensregeln einhalten, andere nicht - und dann ist da die Dunkelziffer derjenigen, die laut Umfragen alle Verhaltensregeln für richtig erachten und befolgen, aber sie dennoch nicht immer einhalten. Wie wir wissen ist das mit der Ehrlichkeit bei Umfragen so eine Sache...laut einer Umfrage aus den Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts besaß praktisch niemand in Deutschland eine Platte von Heino...

Zu behaupten, die Gesellschaft zerfalle in wenige, fahrlässige Unvernünftige, die gegen Regeln verstoßen und diejenigen, die sie immer einhalten, spielt zwecks Legitimation von Verboten und Strafmaßnahmen gesellschaftliche Gruppen gegeneinander aus, die in dieser Reinform und scharfen Abgrenzung nicht existieren, in den Köpfen der Adressaten führt das Anprangern dann aber zur realen Schuldzuweisungen. Wie meistens ist die Realität komplexer, differenzierter und unschärfer: es ist mehr als zweifelhaft ob die permanente Alarmstimmung und die Proklamation von Verhaltensregeln per Anordnung der oben nur angerissenen Komplexität der Motivationen gerecht wird. Dass Verbote und Abschreckung durch Sanktion dauerhaft keine wirksame Strategien sind, um Regelverstöße zu unterbinden dafür gibt es - die Todesstrafe in den USA mag als Beispiel dienen - zahlreiche Belege. Jagoda Marinic, gestern zu Gast bei Maybrit Illner, hält die Fixierung auf wenige `Unvernünftige` für verfehlt, da man diese auch durch Verbote und Sanktionen nicht wird belehren können. Vielmehr komme es langfristig darauf an, möglichst viele Menschen von der Wirksamkeit von Maßnahmen zu überzeugen. Wie es der Journalist Georg Mascolo bei Maybrit Illner formulierte: Repression geht schlecht zusammen mit Prävention. Überspitzt gesagt: Verbote und Kontrollen sind Eingeständnis mangelnden Vertrauens in die Überzeugungskraft der Argumente für die Maßnahmen, die man anordnet.  

In der Politik geht nicht nur die Angst vor der exponentiellen Entwicklung des Infektionsgeschehens um, sondern auch vor einem exponentiellen Vertrauensverlust. Diese Gefahr wird nicht kleiner dadurch, dass Verschärfungen von Maßnahmen und Sanktionen bei der zweiten Welle nicht mehr als rasches Handeln auf ein bislang beispielloses Bedrohungsszenario erlebt werden, sondern als Reaktionen, die erfolgen, weil man Prävention unterließ. Die `Ausrede` man habe bei der ersten Welle noch zu wenig gewusst zieht jetzt nicht mehr - das Handeln der Entscheider wird als zu spätes Eingreifen erlebt, wo man hätte vorbeugen sollen. Es mag ja sein, dass die Regierenden auch im Sommer betont haben, die Pandemie sei noch nicht vorbei - gleichwohl erzeugten die Lockerungen von Maßnahmen, die Wiederaufnahme des touristischen und gastronomischen Betriebes das Gefühl, der Aufwand habe sich gelohnt und das Ganze sei eine einmalige, nun überwundene Ausnahmesituation mit vielleicht einigen regionalen `Nachbeben` gewesen. Auf die Willkür, mit der das Virus sich ausbreitet folgt die Heftigkeit des Kurswechsels hin zu erneuten Freiheitsbeschränkungen, die als Willkür der Entscheider erlebt wird - etwa so als sei man ein Hund, dem man Auslauf ließ, nur um von einem Moment auf den anderen die Leine fest anzuziehen. Radikale, fremdbestimmte Richtungswechsel werden von Menschen auch dann als Willkür und Machtmissbrauch erlebt, wenn sie situationsgemäß notwendig sind. Besser also ist es, wenn diese radikalen Richtungswechsel gar nicht erst zustande kommen. Das ist Kern der schwedischen Strategie, die auf die Kontinuität ihrer Maßnahmen auch in Zeiten nachlassenden Infektionsdrucks setzte. Man ist in Schweden der Überzeugung, man müsse sich auf eine sehr lange Auseinandersetzung mit COVID19 einstellen und dies sei eher mit Rückhalt der Bevölkerung durchzuhalten, wenn die ergriffenen Maßnahmen kontinuierlich beibehalten werden und die Bevölkerung sie verinnerliche. Dazu trägt der Mix aus individuellen Handlungsempfehlungen und Versammlungsbeschränkungen bei: die Handlungsempfehlungen werden grade deswegen umgesetzt, weil sie nicht von der Obrigkeit angeordnet wurden - auch dieses Vorgehen nimmt in Kauf, dass die Handlungsempfehlungen teilweise ignoriert werden, doch die Gefahr dass diese Ignoranz allzu viele Nachahmer findet dürfte geringer sein, denn mangels Verboten und Sanktionen ist das Reaktanzpotenzial insgesamt geringer. Dass Schweden übrigens keine Empfehlung zum Tragen von Alltagsmasken ausspricht zeugt nicht nur von Skepsis gegenüber deren Wirkung, sondern von Skepsis hinsichtlich der konstruktiven Wirkung der Verpflichtung zum Befolgen von Anordnungen, die das individuelle Verhalten reglementieren. Es gibt jedoch noch einen dritten Grund: die Überzeugung, die Empfehlungen zu `social distance` und Kontaktbeschränkungen seien so effektiv in alle Gesellschaftsbereiche hinein, dass die Maske unabhängig von der Frage ihrer Wirksamkeit obsolet ist. 

Zudem: hat man einmal in Erwägung gezogen, dass die Akzeptanz der Maske höher sein könnte, wenn man ihr Tragen empfiehlt statt es anzuordnen?  Setzt voraus das der Lauterbach der Philosophen, Herr Precht, Unrecht hat wenn er behauptet, dass Menschen Verbote lieben, weil sie einem Entscheidungen abnehmen (ein Vorzug, der unabhängig davon ist welche Konsequenzen das Befolgen der Verbote zeitigt, man sehe hierzu den Film `Die Welle`). 

Schwedens Vorgehen  - gerne verunglimpft als Laissez-fair und in einen Topf geworfen mit den Corona-Verharmlosern Trump und Konsorten - geht konsequent von der Pandemiebekämpfung als eine Art Marathonlauf für die Gesellschaft aus: gefragt ist eine gleichmäßige Belastung, ein gleichmäßiges Tempo ohne große Ups and Downs, an die sich die Gesellschaft gewöhnen kann. Die andere konsequente Strategie sind harte lockdowns inklusive der Quarantäne ganzer Städte, die dem Virus die `Nahrung` entziehen - vorgemacht nicht nur in China, sondern auch im demokratischen Neuseeland. Die Strategien der meisten europäischen Länder mit ihrem Hin- und Her und ihrer derzeitigen Nervosität angesichts der unerwarteten Vehemenz der zweiten Welle droht sich als der sprichwörtliche Mittelweg in Gefahr und großer Not zu entpuppen.   

Bei Empfehlungen zu bleiben hätte den Vorzug Verbote und Pflichten als Ultima Ratio in der Hinterhand zu behalten. Was hat man eigentlich noch in der Hand, wenn Verbote und Verpflichtungen ihre Wirkung verfehlen (und man sich nicht in einer Diktatur befindet)?

Was nun die Unverschämtheit von Corona betrifft, unsere Herbsturlaube zu vermiesen: You can`t always want what you get.

 

22. Oktober

`In a crisis, the first thing to be done is to impose a night-time curfew - in other words, to abolish the freedom to move around in the dark.´(Luc Gwiazdzinski)

"Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. Das Grundrecht schützt sowohl die physische als auch die psychische Gesundheit eines Menschen, nicht jedoch das soziale Wohlbefinden." (GG Artikel 2, Absatz 2).

Gibt es ein Grundrecht auf Toilettenpapier? Werde ich bei meiner Rückkehr nach Deutschland gefragt was ich aus Sizilien mitgebracht habe werde ich antworten: Weißes Gold.

Als Professor Dr. Wieler sich beim RKI für die Stelle des Leiters des Institutes bewarb reagierte er auf eine Stellenausschreibung, in der vorzugsweise ein Human- oder ein Tiermediziner gesucht wurde. Seine Bewerbung war möglicherweise auch deswegen erfolgreich, weil sein Fachgebiet Tierseuchenlehre ist - und er damit mehr mit Infektionskrankheiten zu tun hatte als die meisten Humanmediziner. Man kann ihm also glauben, dass er etwas von Herdenimmunität versteht, denn: `Veterinäre sind Populationsmediziner`. Gleichwohl mag sich manch einer bei dem Gedanken, beim Inzidenzorakel handele es sich um einen Tierarzt vorkommen, als lebe man in einer Truman-Show namens Animal Farm.

Auf der heutigen Pressekonferenz richtete Wieler den dringenden Appell an die Bevölkerung, in ihrem Privatleben auf die Einhaltung der AHA(L)-Regeln zu achten. Dass er besonders das Privatleben als Verantwortungsbereich der Bürger für Fremd- und Selbstschutz betonte verweist auf die Bereiche, in denen die Bevölkerung ein höheres Infektionsrisiko in Kauf zu nehmen hat, nämlich z.B. in den Schulen, im Arbeitsleben und im ÖPNV. Dass dort Masken zu tragen seien suggeriert zwar Schutz, minimiert aber bestenfalls (bei korrekter Handhabung) das Infektionsrisiko, das bei nicht gegebenem Sicherheitsabstand gleichwohl hoch bleibt. Dies ist aus Sicht der Exekutiven akzeptabel - in der Addition aus der Einhaltung von Hygieneregeln im privaten Bereich und der Inkaufnahme von Infektionsrisiken in den Bereichen, in denen das Recht auf Selbstbestimmung minimiert ist (Schule, Ausbildung, Arbeitsplatz) ergibt sich - so die Hoffnung - eine Verlangsamung des Infektionsgeschehens, damit Zeitgewinn für die Entwicklung von Behandlungen und die Vermeidung der Belastung des Gesundheitssystems - bei gleichzeitiger Vermeidung eines Lockdowns samt Herunterfahren der Wirtschaft. Im Sinne von `ungewisse Verteilungen nicht zulassen` (man lese hierzu `Die Geburt der Klinik` von Foucault) ist es nur logisch, dass man z.B. in Schulen und Betriebsstätten Infektionsrisiken hinnimmt, denn dort lassen sich Infektionsherde und Infektionsketten leichter nachvollziehen als im Privatleben. Wenn in verschiedenen Foren behauptet wird, es sei widersprüchlich, die Bevölkerung auf das Einhalten von Hygieneregeln einzustimmen und zugleich ÖPNV, Schulen und Betriebsstätten mit der Maskenpflicht abzuspeisen, so ist dies unzutreffend. Es geht nicht darum, die Bevölkerung in allen Bereichen optimal vor einer Infektion zu schützen, sondern darum im Privatleben der Menschen Beschränkungen durchzusetzen, welche die Infektionsdynamik mindern, damit man in anderen Bereichen den Menschen Risiken zumuten kann, die man für erforderlich hält, um Wirtschaft, Gesundheitswesen und Bildungswesen nicht zu paralysieren. Das Grundgesetz öffnet diesem Vorgehen Türen: denn in diese Rechte darf (nur) aufgrund eines Gesetzes eingegriffen werden. Der etwas schwammige Begriff `soziales Wohlbefinden`, das vom Grundrecht nicht geschützt wird ist ein Hinweis darauf, dass der Schutz des Lebens nicht bedeutet Schutz der Lebensqualität - man darf nicht vergessen, dass das Grundgesetz zu einer Zeit formuliert wurde in der das nackte Leben durchaus als Wert an sich verstanden wurde. Der Vorrang des Schutzes des Lebens vor dem Schutz dessen was das Leben lebenswert macht mag eine Erklärung für die Unbarmherzigkeit des Umgangs mit Senioren in der ersten Pandemiewelle sein: Leben ist das schützenswerte Material, auch um den Preis dass die Zwangsgeschützten einsam auf den Tod warten. Liest man den Artikel 2 Absatz 2 übrigens auf eine zynische Weise, so steht dort nur etwas vom Schutz der physischen und psychischen Gesundheit des Menschen, aber nichts von dem Schutz des physisch und psychisch Erkrankten

Schutz des Lebens heißt schon gar nicht: Schutz des Nachtlebens. 

Die Entscheidungsträger spüren derzeit ihre eigene Überforderung (deswegen pöbeln sie herum). Daher der Verweis es liege an der Bevölkerung selbst inwieweit das man Infektionsgeschehen in den Griff bekommt. Erweisen die Maßnahmen sich nicht als wirkungsvoll, so liegt es an dem Teil der Bevölkerung, der die Regeln nicht befolgt - für die Mandatsträger und die Majorität der Bevölkerung, die den Maßnahmen zustimmt und sie befolgt hat dies den Vorteil, dass die anderen Schuld sind. Zwar hilft dies nicht, der Pandemie Herr zu werden, aber man fühlt sich zumindest im Recht. 

Was meint Markus Söder eigentlich mit "mehr Maske"? Soll jetzt jeder zwei übereinander tragen?

Dass die Exekutive auf Basis bestehender Gesetze in die Grundrechte eingreifen darf ist (verfassungsrechtlich, wenn auch nicht ethisch) unstrittig, auch wenn strittig sein mag, wie weit sie dabei gehen darf. Machtbefugnisse zu delegieren heißt auch mit den Fehlern derer leben zu müssen, die sie ausüben. Skepsis ist (vor allem, aber nicht nur) dann angebracht, wenn der Effekt einer Maßnahme strittig ist, aber unbedingt an ihr festgehalten wird. Dies kann ein Hinweis auf mit der Maßnahme verbundene Überlegungen sein, die nicht transparent sind. Dass die schützende Wirkung des Mund-Nasen-Schutzes und die Notwendigkeit ihr Tragen in den Bereichen verpflichtend zu machen, in denen Abstand unter den gegebenen Umständen nicht gewahrt werden kann, eins ums andere Mal betont wird, suggeriert Sicherheit genau da, wo Unsicherheit besteht - denn man will ja, dass die Kinder weiter zur Schule gehen und die Menschen weiter zu Arbeit. Der Aufwand dort für den notwendigen Abstand zu sorgen wäre viel zu hoch. Ärgerlich ist nicht, dass eine Exekutive ihren Entscheidungsspielraum nutzt, ärgerlich ist, dass sie einem Instrument den Nimbus eines HUK-COVID-Schutzschildes verleiht um Menschen zu ermuntern, sich (und damit andere) in Ausbildung, Beruf und Verkehr weiterhin Infektionsrisiken auszusetzen, die sie in ihrer Freizeit gefälligst diszipliniert zu vermeiden haben. Man sage den Menschen bitte direkt, dass die Aufrechterhaltung unserer (Er)Volkswirtschaft verlangt, dass sie sich beim Einkaufen und Arbeiten Infektionsrisiken aussetzen, während sie in ihrer sonstigen Freizeit gehorsamst alle Infektionsrisiken zu unterbinden haben.

Brief der Titanic an den Leser (der Verfasser wünscht sich einen solchen): Markus Lanz. Glaubst Du wirklich, die hohe Zahl der COVID-Opfer in den schwedischen Alten- und Pflegeheimen stehe in einem kausalen Zusammenhang mit dem Verzicht auf eine Maskenpflicht? Auf Charts und Evidenz freut sich die TITANIC. 

Sepsis, pardon, Skepsis ist auch dann angebracht, wenn Entscheidungsträger sich auf hohe Zustimmungsraten für ihre Maßnahmen in der Bevölkerung berufen. Gerne berufen sich Entscheidungsträger nämlich in anderen Situationen darauf es brauche Mut zu unpopulären Maßnahmen. In einer repräsentativen Demokratie sind insbesondere in einer Krise nicht Zustimmungsraten der wesentliche Indikator, sondern ob die ergriffenen Maßnahmen der Krisenbewältigung dienlich sind. Hohe Zustimmungsraten ins Feld zu führen grenzt an Populismus. 

Schade, dass selten die Umfragen durchgeführt werden, deren Ergebnisse einen selbst interessieren. Zum Beispiel: wie hoch ist der Anteil von Apokalyptikern bei der CDU/CSU im Vergleich zum Anteil der Apokalyptiker in anderen Parteien? 

 

19. Oktober

"Ein Sonnenaufgang wie ein Hochofenabstich. Bescherung einer approximativ senilen Bettflucht. Wie alt muss man sein um sich daran zu erinnern wie ein Hochofenabstich das Firmament färbt, rot wie der Saft von Maulbeeren (Gelsi - das italienische Wort für Maulbeere, tief verankert im Wort Gelsenkirchen)? Mit zunehmendem Alter nimmt der Abstraktionsgrad von Tod und Gebrechlichkeit ab. Es gibt ein Leben nach dem Tod - für die Anderen. Auf Sand und Meer blickend ist dieser Gedanke eigentümlich tröstlich...während ich noch bin, hier, gibt es die anderen Augen noch nicht, denen der selbe Anblick ein Gefühl von Unvergänglichkeit schenkt. Während Du nicht mehr bist werden andere den selben Augenblick erleben und das Gleiche empfinden. Sabbia - das italienische Wort für Sand, das nach Tausendundeinernacht als unendliche Geschichte klingt und nach Tenerumi schmeckt. Du bist einer unter vielen, deren Weltlinien in einer flachen, positiv gekrümmten Raumzeit schließlich konvergieren zu einer Erinnerung der Universen an ihre Details, kryptographiert und verdichtet zu einem Hologramm, das unendlich winzig ist, dessen Ausmaße grenzenlos sind und in dem Leben und Tod keine Bedeutung haben." 

Neuseeland wäre auch eine Reise wert, aber Schweden ist einfach näher dran.

Ein Sonnenaufgang wie ein Hochofenabstich. Kein Wunder, dass man über einer solchen Lektüre einschläft und schlecht träumt. In einem Museum betrachte ich zwei nebeneinander hängende Gemälde. Das Rechte gibt die Rückansicht einer Flamenco-Tänzerin wieder und trägt den Titel: Spanisches Licht. Das Linke zeigt einen Suchscheinwerfer und trägt den Titel: Deutsches Licht. In meinem Traum grübele ich über die Bewandtnis der Bilder nach und komme zu dem Schluss, es habe etwas mit gekachelter Raumzeit zu tun, deren Fugen so nahtlos dicht sind, dass Interferometer außerstande sind ein körnungsbedingtes Rauschen zu detektieren, das die Quantisierung der Raumzeit verriete. Ich ritze mir `Deutsches Licht - Spanisches Licht` in die Haut, erzeuge oberflächliche Wunden, deren Blutung nicht stoppt. Die Wunden erweisen sich als tief, aus einer wächst ein Maiskolben. Mein Körper zersetzt sich, bis er nur noch eine dahinschmelzende Wanne voller Gekröse ist. Ich schrecke hoch, mein Sitznachbar zum Linken verschüttet Kaffee auf seinen Bildband von Dali und ich stelle fest wir befinden uns im Sinkflug. Mein Sitznachbar zu Rechten liest den Sportteil einer Zeitung: der IFK Göteborg hat die Champions League gewonnen. In was für einer Welt lande ich?   

 

18. Oktober

Die exekutiven Reflexe als Reaktion auf die erneute Ausbreitung des Corona-Virus erinnern an die alljährliche Verblüffung der Deutschen Bundesbahn wenn im Herbst Laub und im Winter Schnee fällt. Kommt immer wieder überraschend.

So überraschend wie die erste Reaktion der deutschen Bevölkerung auf die Appelle zu Solidarität und Verantwortung seitens der Risikogruppe Regierungsvertreter: Man hortet wieder Toilettenpapier. Allein das wäre ein Grund dafür, auf Sizilien zu überwintern, hier ist dieser Engpass nicht zu befürchten: als der Verfasser einmal darauf hinwies in Deutschland seien Bidets nicht weit verbreitet erkundigte man sich konsterniert wie wir denn unsere Hintern gründlich reinigen?

Das Bunkern von Toilettenpapier ist typisch für eine Wohlstandgesellschaft. Offenbar befürchtet man keinerlei Engpässe bei der Versorgung mit Lebensmitteln (das wiederum sieht in Süditalien anders aus). 

Der Argwohn wächst exponentiell. Man liest viel über Superspreading-Events unter Jugendlichen, nichts über Infektionsrisiken im Flugverkehr. Die zweite allgemeine Verunsicherung geht einher mit dem Empfinden Maßstäbe seien verschoben in den Zerrspiegeln medialer Botschaften. Dramatisierung auf der einen Seite, Verharmlosung auf der anderen Seite, Klarheit Fehlanzeige. 

In der Schule seien Masken ein probates Mittel den Frontalunterricht in der Gefrierkammer Klassenraum fortzusetzen. Schutz wird suggeriert, wo die Risiken lediglich etwas minimiert werden. Das wäre politische Ehrlichkeit, klipp und klar zu sagen, unser gesellschaftliches und kulturelles Leben sei so organisiert, dass man gelegentlich ein relativ hohes Ansteckungsrisiko in Kauf zu nehmen hat. Denn bei Unterschreitung des Sicherheitsabstandes reduziert sich selbstverständlich der Fremdschutzeffekt der sicher jederzeit sachgerecht gehandhabten Masken.  

Unsere Weise des Wirtschaftens, unsere Infrastruktur, unser gesellschaftliches Leben sind riskant - und zur Ungleichverteilung von Wohlstand gehört auch die Ungleichverteilung von Lebensrisiken, die proportional zum Grad der Prekarisierung ansteigen. Besonders hohen Risiken sind Kinder und Gebrechliche ausgesetzt, da sie in besonderem Maße fremdbestimmt beziehungsweise in ihrer Autonomie eingeschränkt sind. Angeblich soll man nicht Äpfel mit Birnen vergleichen (obwohl man das hinsichtlich vieler Kriterien ausnehmend gut kann). Doch der als hinkend diffamierte Vergleich des Umgangs mit Infektions- und Verkehrsrisiken ist durchaus treffend. Es besteht Gurtpflicht, zugleich jedoch erlaubt man Fahrgeschwindigkeiten, bei denen im Falle eines Unfalls kein Gurt mehr hilft. Auf diesem Feld sind die Risiken noch einiger Maßen gleich verteilt (...freilich mit Fußgängern, insbesondere Kindern als denjenigen, die ein relativ hohes Risiko tragen, unverschuldet zu Schaden zu kommen). Was den Umgang mit der Pandemie betrifft kann davon nicht die Rede sein. Allenthalben wird soziale Distanz und Kontaktbeschränkung von der Bevölkerung gefordert, zudem hat man Maske zu tragen da wo die Unterschreitung des Mindestabstandes "unvermeidlich" ist: für wen und wo sie unvermeidlich ist wird politisch entschieden, ebenso wie entschieden wird, in welchen Kontexten Zusammenkünfte von mehr als z.B. 10 Personen erlaubt sind und wo nicht. Da wo die Gruppenbildung zwar Infektionsrisiken erhöht, aber die Nahvollziehbarkeit der Infektionsketten gewährleistet ist (etwa in Schulen und Flugzeugen) nimmt man sie in Kauf. Michel Foucault beschrieb in "Die Geburt der Klinik" exakt worum es staatlicher Organisation (nicht nur) im Zusammenhang mit der Eindämmung von Infektionsrisiken geht: die Vermeidung ungewisser Verteilung und Diffusion, von Subversion und Erosion, in Perfektion gebracht durch totale Überwachung. 

Jens Spahns Prophezeiung `Wir werden uns alle viel zu verzeihen haben` ist eines Christdemokraten würdig. Christdemokratie und Kapitalismus vertragen sich so gut, weil das Prinzip der Vergebung auch für unverzeihliche Sünden gilt. Verzeihen und Vergebung ist die von den Opfern und Verlierern des Wettbewerbs eingeforderte Tugend, für die Profiteure bedeutet sie Ablass und den durch Aufbegehren der weniger Glücklichen unbeeinträchtigten Genuss ihrer Privilegien - im Rahmen der Gesetze und ihrer erheblichen Spielräume. 

Stephan Weil, dem Ministerpräsident von Niedersachsen, gebührt nachträglich Lob für einen hiermit als Wort zum Sonntag gekürten Versprecher: Wir wollen einen zweiten Showdown vermeiden. Ein exzellentes Beispiel für das Verschwimmen der Unterschiede zwischen Politik und Entertainment, dessen Folgen bis in die Sprachzentren reichen.

 

17. Oktober

Das Bombardement viraler Botschaften zieht das Hirn in Mitleidenschaft. Es empfängt geheime Botschaften. Ein Musikvideo der Band Bastille zu `What you´re gonna do with it`: eine Zeile des Refrains lautet `You got me listening` und der Verfasser versteht `You are in Sicily`. Immerhin: die Band charakterisiert eine gewisse Affinität zum vulkanischen Italien. Ihr Song `Pompeii` gibt einen fiktiven Dialog zweier seit Hunderten von Jahren in der vulkanischen Schlacke fixierten Römer wieder, die sich in der Stagnation ihrer Todespose langweilen. Das Optimum sozialer Distanz: Reglosigkeit auf Abstand und zwischen den Menschen weht kein Lüftchen.

Maischberger: die Woche vom 14.10.2020 wartete mit einer Karte auf, die das Infektionsgeschehen in Europa in seiner aktuellen Intensität abbildete. Ganz Europa? Nicht ganz. Oberhalb Dänemarks war die Karte abgeschnitten. Ein probates Beispiel für den Hang zum Ausblenden von Details und zur Präsentation eines Teils als das Ganze, gegen das auch Öffentlich-Rechtliche Medien nicht - Verzeihung für die Verwendung des Begriffes in diesem Kontext - immun sind.

 

16. Oktober

Die Risiken eines Hin- und Herpendelns zwischen den Extremen strenge Vorgaben und Lockerungen beschreibt die Psychotherapeutin Miriam Preuß in einem Interview bei Radio Bochum von heute (nachzulesen bei radiobochum.de). "Für die Psyche ist jedes Auf und Ab und jedes Hin und Her ein Problem. (...) Wir haben die Krise schon einmal durchlebt - verbunden mit der Hoffnung, dass sie vorbei und durchschritten ist. Jetzt kommt eine Wiederholung und das ist immer sehr belastend. Hinzu kommt: Wenn die Tage kürzer und dunkler werden, wirkt sich das bei vielen Menschen im Negativen auf die Stimmung aus. Erneut mit den Beschränkungen konfrontiert zu werden, in einer dunklen Jahreszeit. Diese Kombination ist eine hohe Belastung." Auch aus diesem Grund setzte Schweden auf die Kontinuität von "Maßnahmen, die sich über Monate, wenn nicht Jahre durchhalten lassen. In Restaurants darf weiter nicht am Tresen bestellt werden und Zusammenkünfte von mehr als 50 Leuten sind nach wie vor nicht gestattet. Es gilt aber auch keine Maskenpflicht und die Schulen bleiben offen." (Anke Fink, "Die schwedische Corona-Strategie lässt sich Monate durchhalten", rbb24.de, 14.10.2020). Das Infektionsgeschehen war "in Schweden immer präsenter, das Bewusstsein, dass das Virus noch immer da ist, blieb in der Bevölkerung relativ hoch, wodurch auch Empfehlungen zum Abstand halten und zur Kontaktreduktion leichter eingehalten werden konnten." Schweden vermeidet sozusagen "psychische peaks" und setzt darauf, dass wirkungsvolle Maßnahmen langfristig aufrechterhalten werden können, wenn man durch das Setzen auf Empfehlungen statt auf Vorgaben den Menschen das Gefühl gibt selbst bestimmt handeln zu können und die Kontrolle über ihr Leben zu behalten. Dies soll langfristige Akzeptanz sichern. Voraussetzung: Vertrauen der Bevölkerung in das Vorgehen und die Empfehlungen der Regierung. Dann bekommen - so skizzierte Bodo Ramelow gestern bei Maybrit Illner den Effekt - "Empfehlungen den Status einer Verordnung." Im übrigen: selbst wenn Schweden nicht erfolgreicher durch die Pandemie navigiert als andere europäische Länder sondern ähnlich durchwachsene Ergebnisse erzielt stünden immer noch reduzierte soziale, ökonomische und psychologische Schäden auf der Habenseite.

Vertrauen in die Regierung: woher kommt das? Möglicher Weise ja grade durch das Zutrauen der Regierung in die Vernunft und soziale Kompetenz der Bevölkerung. Auch in Schweden wird gefeiert und die Zahlen steigen, doch ist man dort der Überzeugung, das diese Minderheit weder durch Verbote einzuhegen ist, noch dazu herhalten soll der gesamten Bevölkerung Verbote auszusprechen und damit die Mehrheit zu brüskieren, die eigenverantwortlich, selbst bestimmt und kompetent Selbst- und Fremdschutz kombiniert. Nochmal: die hohen Zustimmungsraten in anderen europäischen Ländern für die Maßnahmen der Regierungen sind eigentlich ein pessimistisches Signal. Man traut der eigenen Gesellschaft mit ihren sozialen Verwerfungen, Dissonanzen und politischen Konflikten lediglich eine erzwungene Solidarität zu. Das ist die Kehrseite hoher Zustimmungsraten zu Reglementierungen und eingeschränkten Freiheitsrechten. Nicht zuletzt stimmt es einen bedenklich, wie selbstverständlich als Legitimation allgemeiner Grundrechtseinschränkungen das Verhalten von Minderheiten instrumentalisiert wird. Mit den Worten von Markus Söder: "Es gilt die Vernünftigen vor den Unvernünftigen zu schützen." (Sündenböcke sind Jugendliche. Wo die sich angesteckt haben bevor es zur Weiterverbreitung kam bleibt offen - im ÖPNV? Auf der Arbeit? Würde man die einzige Maßnahme konsequent umsetzen, die eine Weiterverbreitung von Viren insgesamt unterbindet - nämlich Reduzierung von Kontakten - , müsste man das Arbeits- und urbane Leben umorganisieren und insbesondere soziale Unterschiede beseitigen, die zum Beispiel dazu führen, dass zu viele Menschen auf zu engem Raum leben und arbeiten...doch so bigott geht es nun mal zu in Europa, soziale Distanz wird gefordert, das Elend der Flüchtlinge in Moria jedoch zugelassen). Punkt 1: Verbote reduzieren keineswegs Unvernunft, sondern provozieren sie. Punkt 2: Die Gleichsetzung von Vernunft mit Befolgung der Regeln, die von der Obrigkeit vorgegeben werden ist einer Demokratie unwürdig. Ebenso traurig ist die Gleichsetzung von der "Verantwortung jedes Einzelnen" mit der Befolgung von Regeln oder die Gleichsetzung von Solidarität mit Regelkonformität. Akzeptierter Kontrollverlust und Gehorsam als sozialer Kitt - da passt es doch gut, wenn die Bundeswehr hilft. 

Dass übrigens selbst Markus (Bi)Lanz zieht, die Rhetorik der Regierung signalisiere, man wolle Politik mit der Angst machen (man sehe und höre hierzu sein Gespräch mit Markus Söder in der gestrigen Talk-Show), macht stutzig. Naheliegend ist es jedoch Angst zu instrumentalisieren. Angst lähmt, und die Menschen sollen sich ja nicht zu viel bewegen, denn das erleichtert die Kontaktnachverfolgung. 

Wir leben inmitten einer Dystopie. Wäre das derzeitige Leben eine Netflix-Serie hieße sie `Überwachen und Strafen.`

Nicht allein ist der Verfasser mit dem Empfinden, in eine Parallelwelt zu seinem eigentlichen Leben geglitten zu sein: "Ich warte auf die wirklichen Tage. Das hier, denke ich jeden Tag, kann doch nicht mein Leben sein. Das ist allerdings ein altes Gefühl in mir, das ich in einem Gedicht von Hilde Domin verstanden habe: `Auf der anderen Seite des Mondes/gehen/in goldene Kleider gehüllt/Deine wirklichen Tage`." Das gesamte Interview mit der Schriftstellerin Jagoda Marinic im Spiegel-Interview vom 15.10.2020 ist lesenswert.

(...)

"Von der Terrasse blicke ich auf einen Zitronenbaum, dessen Früchte wie schwere, safranfarbene Euter herabhängen...und auf den menschenleeren Strand...eine Frau bleibt mit dem Gummiband ihrer Maske in den überbord(stein)enden Zweigen einer Bougainville hängen...in meiner weit entfernten Heimatstadt errichtet man in Windeseile eine Stadtmauer, die undurchdringlich ist." 

    

15. Oktober

Ist man gutmeinend und unterstellt der Bundesregierung eine Strategie der Pandemiebekämpfung, so handelt es sich um eine abgeschwächte Form der hammer-and-dance-Strategie, gelegentlich auch als "Tanz mit dem Tiger"-Strategie deklariert. Die Bezeichnung `hammer-and-dance` geht zurück auf einen Artikel von Tomas Pueyo ("Coronavirus- warum Du jetzt handeln musst") vom 19. März 2020 (nachzulesen bei medium.com). Kurz zusammengefasst: man ergreift drastische Maßnahmen zur Eindämmung der Epidemie um Zeit zu gewinnen, die verwendet wird um das Virus besser zu verstehen. Hat man die Pandemie eingedämmt folgen den lokalen Infektionsgeschehen entsprechend Lockerungen und wieder drastische Verschärfungen der Maßnahmen, wenn die Reproduktionszahlen dies erfordern - diesmal allerdings auf Basis verbesserter Behandlungsmöglichkeiten und von Fortschritten bei der Entwicklung eines Impfstoffes. Zeitgewinn ist der wesentliche Faktor bei dieser Strategie - und eine Vermeidung einer Überlastung des Gesundheitssystems, die sich nicht primär darin äußert, dass COVID-Patienten nicht mehr angemessen behandelt werden können, sondern dass die Sterblichkeit insgesamt massiv ansteigt, weil die Kapazitäten für die Behandlung auch aller anderen ernsthaften Erkrankungen nicht mehr vorhanden sind - unter anderem weil das überlastete und gefährdete Pflegepersonal zu meutern beginnt. Der Artikel ist in mehrerer Hinsicht bemerkenswert: erstens weil er die Vorzüge dieser Strategie beschreibt, gleichzeitig jedoch einräumt, dass politische Entscheidungen die wirtschaftlichen, sozialen und ethischen Kosten gegenrechnen müssen. Zwar plädiert der Artikel für diese Strategie, beschreibt jedoch gleichzeitig, inwiefern der Ansatz problematisch sein kann - Stichworte: Akzeptanz vs. Reaktanz. Zum anderen führt er für jeden Leser nachvollziehbar aus, warum das Prinzip der Durchseuchung bis zur Herdenimmunität nicht funktioniert: Je mehr Verbreitungsraum man dem Virus lässt, desto größer sind auch seine Mutationsraten. Das ist der Grund, warum Anders Tegnell - anders als Markus Söder behauptet - nie die Herdenimmunität als Ziel der schwedischen Strategie ausgegeben hat.

Im Deutschen Ärzteblatt (Ärzteblatt.de) vom 03. Juni 2020 erklärt Staphylocucus.Rex warum "Der Tanz mit dem Tiger" in Schweden und anderen europäischen Ländern in unterschiedlichem Tempo und unterschiedlichen Schrittfolgen zelebriert wird: "In der norwegischen und schwedischen Provinz steht der Tiger unter dem Einfluss von Valium und in einer Metropole unter dem Einfluss von Crystal Meth." Das meinte Angela Merkel, als sie auf einer Pressekonferenz lapidar bemerkte Schweden lasse sich mit anderen europäischen Ländern nicht vergleichen weil es dort weniger Metropolen gebe. Hätte sie die Gabe zur plastischen Sprache hätte ihr Publikum den gravierenden Unterschied vielleicht besser verstehen können (Schweden ist im übrigen auch deshalb nicht mit Deutschland zu vergleichen, weil Sperrstunden dort Alltag sind und der Alkoholausschank ohnehin deutlich limitierter ist).

Dennoch macht der Verfasser keinen Hehl daraus, die schwedische Strategie `Empfehlung vor Anordnung` und weitgehend kontinuierliche Beibehaltung von Maßnahmen unabhängig von den Amplituden des Infektionsgeschehens für erfolgversprechend zu halten. Staatliche Eingriffe in das Verhalten der Bürger durch Verordnungen führen inmitten einer ohnehin schon grassierenden Verunsicherung zum Gefühl des Kontrollverlustes über das eigene Leben - auf Dauer erzeugt dies Wiederstände und Reaktanz auch gegen sinnvolle Maßnahmen. Grade weil sie angeordnet werden, wird man sie umgehen und beraubt sie damit ihrer Wirkung. Man glaube auch nicht, dass die hohen Zustimmungsraten zu Reglementierung bedeuten, dass diejenigen, die sie befürworten sich an die Regeln halten - das ist wie bei der Klimakatastrophe. Jeder hält es für richtig sie zu bekämpfen, aber dennoch fliegt man in den Urlaub. Hohe Zustimmungsraten für Reglementierungen geben der Hoffnung Ausdruck, das andere sich daran halten, so dass man es selber locker nehmen kann. Sie sind nicht Ausdruck von Überzeugung, sondern der Sehnsucht nach der Reduzierung von Komplexität. Regeln und Gesetze suggerieren Stabilität und Sicherheit, auch wenn sie widersinnig und sogar kontraproduktiv sind. Hauptsache alles geht geordnet den Bach runter.

Und die Jugend - feiert dann demnächst in geschlossenen Räumen, was das Infektionsgeschehen forciert. Sie wird nach Erziehung und Schulpflicht nicht flächendeckend gleich dem nächsten Ruf nach Disziplin seitens alter Säcke folgen - da kann man schulmeistern und anordnen soviel man will. 

 

14. Oktober

Die wichtigste Neuigkeit des Tages: nach Brian May, dem Gitarristen von Queen, wurde ein Asteroid benannt (namens Brianmay). Zu verdanken hat er die Ehre, dass ein kalter, lebloser Steinbrocken im Universum, welches ein Scheißort ist, seinen Namen trägt, dem Umstand, dass er - nachdem er 37 Jahre nach Beginn der Arbeit daran im Jahr 2007 seine Doktorarbeit in Astrophysik mit dem Titel `A Survey of Radial Velocities in the Zodiacal Dust Cloud`vollendete  - 2008 den Doktortitel erhielt. Ansonsten noch erwähnenswert ist, dass der Verfasser heute einen neuen Punkt in seine buckettlist der Dinge aufnahm, die er bis an sein Lebensende garantiert nicht tun wird: Markus Söder glauben (weitere Punkte: Bungee-Jumping, Speed-Dating, Twittern, Kreuzfahrten, den Mount Everest besteigen, an Gott glauben und vieles anderes).

 

13. Oktober

Noch nicht genug von der Pandemie? Dann sei die russische Serie "Vongozero - Flucht zum See" empfohlen. Wer eine Desensibilisierung gegen den geistigen Heuschnupfen Covid durch eine epidemische Überdosierung für die angemessene Therapie hält dem sei diese Serie verschrieben.

Es ist der Überschwang der Jugend, der von der Generation 50 drunter und drüber der politisch Verantwortlichen und der vierten Macht als Quelle der zweiten Welle (reim Dich oder ich impf Dich) als Superspreading-Brutstätte ausgemacht wird. Zwar muss man nicht bezweifeln, dass Feierbiester und Seuchenvögler auch ohne Beteiligung van Gaals ihren Beitrag zur exponentiellen Ausbreitung beitragen, doch entsteht ja auch bei Feiern die Infektionskette nicht aus dem Nichts: jemand muss den contagiösen Gast mitgeschleppt haben. Ursachenforschung dürfte sich also nicht auf das Feiergeschehen alleine konzentrieren sondern auf die Frage, wer das Virus von woher auf die Fete mitbrachte. Bislang liest man hierzu wenig bis nichts.

(...)

"Lese eine Geschichte über Wechselbälger. Frage mich, ob er an Bord eines Fliegers den Frauenschuh macht und seinen Doppelgänger bei mir zurückließ. Sein Schweigen. Flüssiger Goldregen, den er über mir ausschüttet. Mit ihm hier zu sein heißt mutterseelenallein zu sein. Ich stehe morgens auf und habe niemanden mit dem ich reden kann. Schluchze Abende hindurch, an denen mich nur der melancholische Tanz der Positionslichter an den Bootsmasten leidlich tröstet. Wünsche mir eine tödliche Krankheit, die seine Aufmerksamkeit erzwingt. Nicht die tödliche Krankheit, die mich in diese aussichtslose Lage gebracht hat, die Sucht nach Anerkennung, die durch Abweisung ins Unermessliche steigt, sondern etwas Dramatisches, dem er nicht ausweichen kann in die Pufferzone der sozialen Distanz."

 

12. Oktober

Wenn man davon spricht bei Rassisten in der Bundeswehr handele es sich um einige `schwarze` Schafe - ist das dann schwarzer Humor?

"Warum nicht immer eine Maske tragen?" fragt Dirk Kurbjuweit heute auf Spiegel Online. "In entvölkerten Landstrichen der Uckermark mag das zwar merkwürdig wirken, aber in solchen Gegenden könnten sich die Behörden bei der Sanktionierung zurückhalten." Die selben Behörden, die demnächst die Drecksarbeit an private Sicherheitsfirmen outsourcen. Was Herr Kurbjuweit fordert ist die Anordnung einer Maßnahme, deren regionale Sinnlosigkeit hinter dem Primat einheitlicher Regelung zurück zu stehen hat. Damit steht er nicht alleine: in diversen Ländern der EU (zum Beispiel Italien) besteht bereits die Maskenpflicht im öffentlichen Raum - unabhängig davon, ob zwischen den Menschen 1 Meter oder ein Lichtjahr Distanz besteht. Den Nutzen von Masken bei Unterschreitung des Mindestabstandes einmal vorausgesetzt sollte es einen bedenklich stimmen, wenn zur Neuen Normalität gehört, dass es der Willkür privater Unternehmen überlassen bleibt, Verstöße gegen Verhaltensregeln auch dann zu sanktionieren, wenn deren Befolgung offenkundig unsinnig ist. Warum traut man den Bürgern nicht wenigstens genügend Augenmaß zu um selbst abzuschätzen, wann 1 Meter 50 Abstand zum Nächsten nicht einzuhalten sind?

Die französische Schriftstellerin Annie Ernaux gibt darauf in einem Interview eine beklemmende Antwort: "Auf der Straße, im Supermarkt macht die Maske, die die Ausdrücke der Menschen auslöscht, sie mir irgendwie gleichförmig und gleichgültig." Das ist der Effekt einer Uniformierung von Menschen - man verliert den persönlichen Bezug zu ihnen und bemerkt kaum ihren Verlust. Angesichts zu erwartender steigender Opferzahlen im Kampf gegen das Virus ein nicht unwesentlicher Effekt. Soziale Distanz und Anonymität reduzieren Empathie und damit soziales Konfliktpotenzial, das befürchtet wird, wenn im Herbst und Winter die Wirtschaft brummen soll, die öffentlichen Verkehrsmittel überfüllt sind und die Infektions- und Opferzahlen steigen - trotz oder grade wegen der bereits bestehenden oder noch zu erwartenden Beschränkungen. Thomas Czypionka, Experte für Gesundheitspolitik am Institut für höhere Studien, hat sich bezüglich der Corona-Strategie Schwedens bei science.orf.at am 24. September wie folgt geäußert: "Die Leute haben sich stärker an die Maßnahmen gewöhnt, weil sie zwar mit sanftem Druck, letztlich aber doch freiwillig mitgemacht haben.(...)"In anderen Ländern habe man hingegen auf strengere Vorgaben für sehr viele Lebensbereiche gesetzt. Das hat dazu geführt, dass viele Menschen gewartet haben, bis die Regelungen endlich aufgehoben werden. Und dann ist das Leben wie vorher weitergegangen. Man wird leichter unvorsichtig." In diesem Beitrag wird auch Anders Tegnell zitiert, der den Verzicht auf die Maskenpflicht mit dem Fehlern der Evidenz für den Nutzen begründet. Die Maske spiegele eine Sicherheit vor, die so nicht vorhanden sei und die Menschen dadurch nachlässig bei Abstand und Kontaktreduktion mache. Genau diese Suggestion ist allerdings wünschenswert, wenn die Menschen weiter die Fußgängerzonen, den ÖPNV und die Großraumbüros frequentieren sollen, damit die Maschine läuft. 

Nebenbei: nach wie vor wird gebetsmühlenartig auf die hohen Todeszahlen verwiesen, die der schwedische Sonderweg mit sich brachte. Diese sind dadurch begründet, dass Schweden was den Bereich der Pflege betrifft eben keinen Sonderweg einschlug, sondern wie andere Länder auch in den Jahren zuvor das Gesundheits- und Pflegewesen auf Kosteneffizienz trimmte. Da wo Schweden keinen Sonderweg einschlug fand die Katastrophe statt. Mit fehlender Maskenpflicht, Verzicht auf Lockdowns und Schulschließungen hatte das - auch wenn Markus Söder dies noch so oft behauptet - nichts zu tun. 

Der Verfasser befindet sich derzeit auf Sizilien, wo man die Maskenpflicht beherzigt. Da man die Maske zwar tragen muss, aber nicht vorgeschrieben ist an welchem Körperteil oszilliert die Platzierung der Masken zwischen derjenigen für ein Suspensorium, dem Oberarm und der Mundpartie bei gleichzeitiger Nasenfreiheit. Anarchie trifft auf unsinnige Regelung.  

 

 

11. Oktober

COVID und Humor. Ernstes Thema. Dass sich aber sehr wohl Humor und Maskenpflicht didaktisch kombinieren lassen bewies ein Cafe, dass seine Gäste darauf hinwies, wer ohne MuSchu das Cafe betrete, dessen Temperatur werde gemessen. Leider verfüge man nur über Thermometer zur rektalen Anwendung. Dieses Hinweisschild ist mittlerweile verschwunden - dem Vernehmen nach weil einige Gäste (wiederholt) auf die Temperaturmessung bestanden.

Die langen Pausen zwischen den Einträgen sind nicht nur durch die Medienabstinenz zu begründen, die ohnehin keine totale Abstinenz ist. Sie sind Indiz einer gewissen Übersättigung und eines paralysierenden Ohnmachtsgefühls. Diese Paralyse mag der in manchen Ländern irrational hohen Zustimmung zum Vorgehen oder auch zu den Vergehen ihrer anankastischen Führung entsprechen: bloß keine weitere Veränderung mehr selbst wenn es eine zum Guten wäre.

Private Sicherheitskräfte sollen zukünftig die Ordnungsämter bei der Kontrolle der Einhaltung der Corona-Auflagen entlasten. Dafür sprach sich der Deutsche Städte- und Gemeindebund aus (laut Spiegel-Online vom 12.10.2020.). Mutmaßlich wird man bei Verfassungsblog.de einiges zu dieser geplanten (freundlichen?) Übernahme hoheitlicher Aufgaben durch private Sicherheitsdienste zu lesen bekommen. Bis dahin sei ein Blick auf die website labournet.de empfohlen, die fortlaufend dokumentiert in welchen deutschen Städten und Gemeinden es nicht mehr bei der Absicht bleibt. Ob blackwater sich an den Ausschreibungen beteiligen wird?

Mehr als nur Unbehagen lösen auch die Empfehlungen aus, die Kinder sollen sich im Winter wegen der Stoßlüftungen warm anziehen. Das erinnert an Sarrazins Empfehlungen an arme Menschen, wenn sie ihre Heizkosten nicht zahlen können, sollen sie sich in Decken wickeln. Frieren für den Infektionsschutz, eine Konjunkturspritze für private Sicherheitsdienste, denen aufgrund der wegbrechenden Aufträge der Veranstalter von Großevents Profit entgeht. Dazu die penetrante Inszenierung von Feiernden Jugendlichen und Hochzeitsfesten als maßgebliche Treiber der steigenden Infektionszahlen, während über Ansteckungsgefahren an Arbeitsplätzen und im ÖPNV so gut wie nichts zu lesen ist. Es ist noch früh im Herbst, dennoch friert man schon jetzt in Anbetracht der Vorahnungen auf das soziale Klima, das in den kommenden Monaten herrschen wird.

Die Figuren aus der Parallelwelt, in der COVID nicht stattfand, bewegen sich auf zunehmend positiv gekrümmten Weltlinien davon, der Abstand zu ihnen vergrößert sich, bis selbst die Fiktion nicht mehr den Horizont erreicht hinter dem sie verschwinden. 

 

8. Oktober

Wieder die Chance verpasst den Literatur-Nobelpreis abzulehnen. Erst hatte ich Pech, dann kam auch noch Glück dazu. 

Mit den steigenden Infektionszahlen nimmt die Heftigkeit der (Über-)reaktionen des politischen Immunsystems zu. Stellt man einmal nicht die Frage nach der Wirksamkeit der Maßnahmen, sondern nach der Wirksamkeit ihrer Anordnung, so ergibt sich ein Spektrum politischer Kulturen, die unterschiedlich die Akzeptanz der von ihnen für notwendig erachteten Maßnahmen erreichen wollen. Dabei zeichnen sich zwei Trends ab. Die Mehrheit der Regierungen nimmt an, dass die Akzeptanz von Maßnahmen der Regierung an die Verpflichtung gekoppelt ist entsprechenden Regelungen Folge zu leisten. Zustimmungsraten werden als Indikatoren der Bereitschaft gewertet, sich entsprechend zu verhalten. Eine Minderheit der Regierungen nimmt an, dass die Akzeptanz der Vorgaben der Regierung daran gekoppelt ist, deren Befolgung zu empfehlen und es dem Ermessen der Bevölkerung zu überlassen, in wie weit sie dies tut. Die ersteren erachten die Verpflichtung als Generator für Akzeptanz, letztere die Freiwilligkeit. Es ist davon auszugehen, dass die Basis für die politische Entscheidung Pflicht oder Freiwilligkeit davon abhängt, wie die politische Führung des jeweiligen Landes die Effekte dieser Entscheidung auf das Verhalten der Bevölkerung einschätzt. Insofern ist die Frage müßig, wessen Weg der "richtige" ist - denn die politischen Kulturen sind nicht deckungsgleich. Die schwedische Strategie mag greifen weil sie in Schweden zum Tragen kommt. Ob sie sich in Deutschland bewähren würde ist angesichts der hohen Zustimmungsraten zur derzeitigen Krisenpolitik fraglich: ob dies zu bedauern ist ist eine andere Frage.  

 

Ein Tag wie viele andere, 7. Oktober

Masken in Nationalfarben auf den vermummten Mündern der Passanten. Optimistische Deutung: stummer Protest. 

In einer Kolumne von Henrik Müller (`Der Triumph des Aluhuts`, SPON, 06.09.2020) zur Popularität von Verschwörungsmythen (-theorie ist eine irre irreführende Bezeichnung) ist zu lesen: `Offenkundig ist ein Prozess im Gange, bei dem der gesellschaftliche Grundkonsens verloren zu gehen droht. Die Veränderung der Medienlandschaft begünstigt einen Zerfall der Öffentlichkeit. Gesellschaften spalten sich in immer kleinere Resonanzräume auf, wo jeweils eigene Erzählungen über den Zustand der Welt vorherrschen.`(...) `Der technologische Treiber dieser Entwicklung ist der Aufstieg der sozialen Medien. (...) `Letztlich geht es um Fragen der Identität. Und das heißt: um Erzählungen.` (...) `In seiner Schrift "Der starke Grund zusammen zu sein" sah der Philosoph (...?...) Peter Sloterdijk die moderne Nation als "gemeinhöriges Kollektiv" zusammengehalten durch die Themensetzung der Massenmedien, zumal des Fernsehens. Doch dieser Text stammt von 1998. Lange her. Damals waren es überwiegend die Massenmedien, die der Massengesellschaft zurückspiegelten, wer sie ist. Heute schaffen soziale Medien neue, kleinteilige Medienrealitäten, in denen sich Gruppen Gleichgesinnter treffen, um Geschichten zu teilen - und um sich gegenseitig in ihrem Glauben zu bestätigen. Doch was bleibt übrig, wenn die Öffentlichkeit so weit zerfällt, dass sie die Gesellschaft nicht mehr umspannt, sondern aufspaltet - in Stämme, Kleingruppen, in virtuelle Erregungsgemeinschaften, die sich nach außen radikalisieren, auch gegen gute Argumente? Die Demokratie braucht die Bereitschaft zu Konsens und Kompromiss, um funktionieren zu können. In der neuen Medienwelt jedoch wird Trennendes herausgearbeitet.`  Soso...

Als akute Gefahr für die Demokratie beschwört Müller herauf, die Massenmedien seien keine Medien für die (Gleichschaltung der) Massen mehr und der Meinungspluralismus, wie er sich in den sozialen Medien Bahn breche bedrohe die Demokratie. Na dann: zurück zum Staatsfernsehen, das ja bekanntlich - so sind Erzählungen nun mal - glasklar faktenbasiert ist. Wie wohl der Demokratie die vereinheitlichende Wirkung von Massenmedien tut hat ja schon der Nationalsozialismus mit seinem Volksempfänger und den Wochenschauen demonstriert. Abgesehen von der medienrevisionistischen Nostalgie dieser Argumentation geht sie auch darin an der Wirklichkeit vorbei, dass derzeit die Zustimmungsraten für die Krisenpolitik der Regierungen in Europa (...und selbst für die menschenverachtende Leugnungsstrategie Bolsonaros) hoch sind und die Akzeptanz für Verschwörungsmythen gering ist: auch dank der weitgehend über klassische Massenmedien erfolgenden Verbreitung der COVID-19-Erzählung inklusive der Notwendigkeit der Fortsetzung von Ausnahmezuständen und AHA-Regeln, die recht erfolgreich die Gesellschaft zu einem `gemeinhörigen Kollektiv` kitten. In zahllosen Talkshows, Dokumentationen und Nachrichtensendungen wird die Pandemie und werden die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung als konsensbildende Erzählung zelebriert. Dementsprechend argwöhnisch wird nach Schweden geschielt: denn Schweden schert aus der Erzählung von der `Neuen Normalität` hinsichtlich des wesentlichen dramaturgischen Momentes staatlich angeordneter Verhaltensregeln aus. Die Vehemenz der Kritik am schwedischen Sonder(lings)weg ist im Wesentlichen inspiriert durch das Ärgernis des Abweichens vom dominanten Narrativ, das bei fortgesetztem Erfolg dieser `abweichenden Geschichte` das vorherrschende Narrativ ins Wanken bringen könnte - was einige wohl als schlimmer erachten würden als die Pandemie als solche. Das Blaffen gegen Schwedens Vertrauen in die Eigenverantwortung seiner Bürger ist derart tendenziös, dass der Direktor des Instituts für globale Gesundheit der Universität Genf sich in einem tendenziösen Massenmedium (der "Bild") wie folgt äußerte: `(...)"Die schwedische Strategie wurde wie eine Karikatur dargestellt. Es war keine Anti-Lockdown-Strategie. Es war keine Herdenimmunität-Strategie. Die schwedische Strategie war eine Selbst-Lockdown-Strategie. (...) Deutsche und Franzosen haben den Schweden nichts zu sagen, wenn es um Gesundheit geht.` Denn: die Erwartung gesunder Lebensjahre sei in Schweden hoch: `In Schweden sind es 73,7 Jahre, in Frankreich 63,4 und in Deutschland 65,1.`Sein Fazit lautet: `Wenn die Schweden etwas über Gesundheit sagen, sollten wir lieber zuhören als ihren Weg als Blödsinn abzutun. Das ist keine Bananenrepublik.`(Sven Lemkemeyer, `Warum jetzt auch Schweden vor dem Corona-Winter zittert`, Tagesspiegel, 05.10.2020). 

Alle Erzähler lügen. Das ist die wahre Erzählung. 

Während man sich der Pandemie als solcher schlecht entziehen kann (die Infektionsgefahr ist nun mal real selbst wenn man ihr Ausmaß in Frage stellt) sollte man sich den mit ihr verknüpften Narrativen gelegentlich entziehen. Das ist der Grund für eine Phase, in der in diesem Blog nichts Neues zu lesen war. Der Verfasser hat sich anderen Themen gewidmet und anderen Aktivitäten als der Verschriftlichung zugewandt. Das erdrückende Diktat des alle übrigen Themen perpetuierenden sujets Corona - Physiker würden von `Mächtigkeit` sprechen - erfordert gelegentlich die pandemische Askese. Bevor die Pandemie den Kopf kontaminiert. 

 

Tag 18, 29. August

Die Geschichte des Widerstands gegen die Maskenpflicht ist eine Geschichte der Verwechslung von Diktatur und Diktat. Die Ausübung von Staatsgewalt ist kein Privileg von Diktaturen und ist keineswegs in Demokratien nicht vorhanden. Demokratisch gewählte Regierungen diktieren, ohne deshalb Diktaturen zu sein. Das enthebt umgekehrt nicht jedes Diktat demokratisch gewählter Regierungen der Kritik und entzieht dem Widerstand gegen Diktate nicht automatisch die Legitimität. Umgekehrt ist Protest gegen die Hyäneregeln nicht per se eine Form von Extremismus und Links- oder Rechtsradikalismus. 

Machtausübung ist auch nicht automatisch dadurch über Zweifel erhaben, dass die Machthaber demokratisch legitimiert sind. Niklas Luhmann hat in "Legitimation durch Verfahren" darauf hingewiesen, dass auch demokratische Staaten dazu neigen, Widerstand gegen ihre Diktate schon allein deswegen zu missbilligen, weil sie meinen, das Verfahren demokratischer Wahlen sei a priori eine moralische und sittliche Kategorie - so als sei jede Ausübung von Macht schon dadurch legitimiert dass sie einem bestimmten Regelwerk folgt. 

Mein Standpunkt: abseits der Frage des medizinischen Nutzens von Schnutenpullis wäre der Bevölkerung zuzutrauen, selbst zu entscheiden in welchen Situationen zur Maske zu greifen ist und in welchen es Unsinn ist. Um 7 Uhr morgens in einem weitgehend menschenleeren Supermarkt eine Maske zu tragen ist so sinnlos und überflüssig, wie um 2 Uhr nachts auf einer selten frequentierten Landstraße an einer roten Ampel zu warten, während rechts und links weit und breit kein Auto in Sicht ist. 

    

Tag 17, 28. August

"Na also. Ich habe wieder Verbindung zum Netz. Jetzt kann ich dem Literaturagenten die Meinung geigen, was ich von dem Manuskript halte, das er mir brühwarm angedreht hat als größte Sache seit der Vertreibung des Menschen aus dem Paradies. Vertreiben ist ein gutes Stichwort, denn das werde ich dieses Machwerk nicht. Allein schon der Titel: `Von Menschen und Masken`. Wenn die Autoren nicht genug Kreativität für einen einprägsamen eigenen Titel haben, sondern sich zeitgeistgemäß an Klassikern bedienen habe ich schon den kalten Kafka auf.  Bestimmt hat der nur den Film gesehen aber das Buch nicht gelesen. Und dann dieses Geschreibsel als Outsourcing eigener Traumata, die ganze schwierige Biographie von Adam bis Eva, mit denen sich dann statt dem Verfasser Lektoren und Leser auseinandersetzen sollen. So kann die Vertreibung aus dem Paradies auch erfolgt sein: statt Obst zu naschen mussten die beiden fortan Problemliteratur lesen. Wenn das schon so los geht: `Einsamkeit bedeutet auch, in einem fremden Land, dessen Sprache man nicht beherrscht, das eigene Buch zu lesen, das schon in meinem Land keine Leser fand`(...warum bloss?...) `so geht es mir. Ich nuckele an einem Moscow Mule, blättere in meinem Roman, und bin umgeben von Menschen, die nicht nur mein Buch nicht lesen können, sondern mit denen ich mich überhaupt nicht verständigen kann.`Ja und wieso bist Du dann da? Nicht dass es mich interessiert, aber die Frage drängt sich auf. Da hockt also ein wohlbetuchter, wenn auch unterbesuchter Privatier am Strand und schlürft Cocktails, in einer Umgebung und unter Lebensumständen um die ihn viele beneiden und ergeht sich in Selbstmitleid. Dafür und sein tiefschlürfende Nabelschau erwartet er dann noch ein Publikum. Mit mir nicht. Ich frage mich, was der Agent sich dabei gedacht hat mir das anzubieten. Aber ich rufe ihn freundlich zur Ordnung: `Ich denke der Text hinkt der Zeit hinterher. Die Menschen haben derzeit anderes zu tun, als fliehende Gäule aus dem Seelenarbeitszimmer von Wohlstandstouristen zu zähmen.` Gilt auch für mich. Ich weiß nicht was mich mehr frösteln lässt: Die angeblich virensichere Klimaanlage, die stillstehende Zeitanzeige auf den Displays oder die stoische Ruhe, mit der die Passagiere die viel zu langer Flugzeit hinnehmen. Müsste uns nicht längst der Lese äh, Treibstoff ausgegangen sein?"

Sapperlot. Ich habe mir eine e-mail geschickt. Datiert auf den 01. September. Er hat also derartigen Bammel ich könne ihn einholen, dass er nicht nur den Ort, sondern auch diese Zeit verlassen hat. Im Empfänger muss er sich geirrt haben. Mich Agent zu nennen erinnert mich zwar an meine Call Center-Vergangenheit, aber ich habe nie Texte verkauft, nicht mal meine eigenen. Der Titel ist allerdings wirklich Murks. Könnte von mir sein. Ich glaube ich gehe ins Wasser, aber nicht in selbstmörderischer Absicht, sondern um auf dem Gallert treibend dem Geräusch des Windes in den Landesflaggen an den Masten zu lauschen, es klingt wie das schlappe Hufgeklapper trabender Pferde. Dass gekränkte Eitelkeit mich auf depressive Gedanken brachte, das war einmal. Seaside is better than Suicide. Meine Güte... 

 

Tag 16. 27. August

Jemand schlug vor, das Bild der Welle für Auslenkungen der Covid-Epidemie lieber durch das Bild eines Waldbrandes zu ersetzen, der lokal unvorhersehbar aufflammt und sich je nach Stärke und Richtung des Windes ausbreitet. Entzündung passt in der Tat besser sowohl zu Krankheit als auch Gefahrenherd. Das Virus als brandgefährlich zu zeichnen trifft es zwar, jedoch aktiviert die Wellenmetapher was Dringlichkeit und Qualität der Bedrohung betrifft das noch frische kollektive Gedächtnis an den verheerenden Tsunami zu Zeiten des Thailand-Urlaubs Birne Kohls (als Deutschland unter Birnout litt) und an Fokushima (Schreibfehler absichtlich damit Fokus vorkommt und somit endlich wenn auch indirekt wieder das Bild vom Brennglas strapaziert wird, das wiederum den Waldbrand verursachen kann). Metapher und Realität superpositionieren derzeit am Aufenthaltsort des Verfassers, denn ein verheerender Waldbrand kesselt, angefacht von Scirocco und Temperaturen um die 40 Grad, Tal und Bucht ein. Die Menschen husten aufgrund des Rauches - herzhaft, weil es ja nicht COVID sein kann -, die Straßen und Terrassen sind übersät mit schwarzen Ascheflocken, als sei in der Nähe ein Vulkan ausgebrochen. Zwei Realitäten treffen sich in einem Drama, ähnlich wie in The Singing Detective: im Meer (Wellenwelt) planschen fröhlich die Familien, während im Bildhintergrund die Berghänge brennen. Wie die Pandemie verrät ein näherer Blick, dass die Gefahr wegen menschlichen Unterlassens und Tuns derartige Ausmaße annahm: Mutmaßlich wurden die Brände von Menschen gelegt. Die ökonomische Not ist groß nach dem Lockdown. Waldbrände bedeuten Zerstörung, Bekämpfung und Wiederaufbau bedeuten Jobs. Die Menschen begehen lebensgefährliche Verbrechen, nur um an bezahlte Arbeit zu gelangen: Lacht da nicht das Arbeitgeberherz?     

 

Tag 15, 26. August

Er lässt mich zwar zu Wort kommen. Er hört mir nur nicht zu. Umgekehrt mache ich mir über seine Interessen, seine Anliegen, seine Vorlieben keine Gedanken mehr. Ich bin ihm in sein Paradies gefolgt, wenn er entschließt Robinson zu sein, statt Adam werde ich nicht sein Freitag sein. Soll er alleine am Strand seinem Schatten hinterherrennen, wie es ins Scheitern Verliebte so tun. Ein paar Möwenspuren wird er überholen. Die sind ihm zwar nicht voraus, aber bewegen sich auf einem höheren Niveau. Es herrscht Scirocco, da sieht man von Terrassen aus dem Treiben in der Sonne zu. Matratzen in schreienden Farben werden vom Wind über den Sand getrieben, neongrüne Robben die blind und stumm den Weg zurück ins Wasser suchen. 

"Breaking News: Anders Tegnell von radikalen Empfehlungsgegnern entführt. Sie fordern in einem Video die sofortige Einführung der Maskenpflicht in Schweden. Werde diese nicht binnen 24 Stunden umgesetzt, werde man Tegnell vor laufender Kamera enthaupten. Zur Entführung bekennt sich ein Kommando Breyvik." So überraschend kommt das jetzt auch wieder nicht. Die Welt ist so irre geworden, dass ich mir gelegentlich nur noch mit dummen Späßen zu helfen weiß. Am Flughafen begegnete mir blankes Entsetzen, als ich mich an einem Kaffee verschluckte und hüstelte. Ich beruhigte die Umgebenden. Keine Sorge, das ist nicht Covid, ich habe lediglich Lungenkrebs. Aufatmen bei allen Beteiligten. Am Strand hatte es Vorteile auf einem Handtuch in den schwedischen Nationalfarben zu liegen. Sämtliche Strandverkäufer ließen mich in Ruhe...meine Güte, dieser Flug nimmt kein Ende...und ich lese Dürrenmatt: Der Tunnel. Sollte ich beiseite legen. Bei meinem Glück sorgt der Tunneleffekt dafür, dass die Fiktion meine Wirklichkeit wird und das wir - wie ein wahrer Jandlscher Vogel - niemals landen.

Die Behauptung, die jungen Leute gingen leichtfertig mit den Infektionsrisiken um kann ich nicht bestätigen. Die jungen Leute, die in meinem Stammcafe ihren Espresso schlürfen sehen insgesamt wie aus dem Ei gepellt aus, dazu gehören auch augenscheinlich frisch gewaschene Masken, die zum Outfit passen. Sehen aus wie neu, aber wahrscheinlich sind sie einfach nur frisch gebügelt. Die Frage Pflicht oder nicht ist hier keine. Man transformierte die Maske einfach zum Modetrend, wer in der Öffentlichkeit keine trägt wird angesehen, als sei der Hosenstall offen.     

 

Tag 14. 25. August

Wir leben in einer Maskengesellschaft. Man könnte der Überzeugung sein im Zusammenhang mit der Pandemie gebe es wichtigere Themen als die Debatte über die Maskenpflicht. Die Hartnäckigkeit jedoch, mit der grade dieses Detail wieder und wieder debattiert wird belegt, dass sich - wie im Klischee vom Ehepaar das endlos über offene Zahnpastatuben streitet - an diesem Detail das Unbehagen an der `Neuen Normalität` besonders mundgerecht manifestiert. Dass dem so ist hängt weniger mit der Frage nach dem medizinischen Nutzen des Schnutenpullis zusammen, sondern mit dem von der Obrigkeit angeordneten Zwang. Liest man Berichterstattungen über dieses Thema oder verfolgt die Talkshows (...die einen verfolgen...) so fällt auf, dass Gegner der Maskenpflicht gleichgesetzt werden mit Maskengegnern. Dabei ist ein Gegner der Maskenpflicht mitnichten automatisch jemand der den (durchaus umstrittenen) Nutzen des Accessoirs in Frage stellt. Es ist immerhin denkbar, dass er oder sie lediglich der Auffassung ist, die Entscheidung unter welchen Umständen die Maske zum Schutz der anderen zu tragen sei, sei nicht Aufgabe der Obrigkeit. Die Reaktanz richtet sich dann nicht gegen die Maske, sondern gegen die Anordnung sie zu tragen. Die Vorschrift schreibt das Misstrauen der Obrigkeit gegenüber den Subjekten fest, die Bereitschaft zur Fürsorge für andere freiwillig an den Tag zu legen und in die Fähigkeit selbst zu entscheiden, in welchen Situationen diese Fürsorge erforderlich ist (...und dass dies da der Fall ist, wo Mindestabstände nicht einzuhalten sind weiß jedes Kind ab Windelfreiheit...neulich hörte ich von einem Erstklässler den Ausdruck Lippenpampers...). Solange Kritiker der staatlichen Anordnungen gleichgesetzt werden mit Gegnern der Schutzmaßnahmen, sogar gleichgesetzt werden mit Covidioten und Spinnern, wird voraussichtlich auch die Zahl derer zunehmen, die mit Extremisten demonstrieren, die ihrerseits nicht unterscheiden zwischen dem Nutzen von Instrumenten zur Eindämmung der Pandemie und der staatlichen Anordnung zu deren Anwendung. Diese lehnen eben nicht nur den staatlichen Zwang ab, sondern sie leugnen auch den Nutzen der Instrumente zur Pandemiebekämpfung (und die Pandemie als solche).

Es wäre geboten den Nutzen nicht der Maske, sondern den Effekt des Maskenzwangs zu untersuchen. Hierzu bietet sich als Vergleichsgruppe nur die schwedische Bevölkerung an, in der auf den Maskenzwang verzichtet wird. Es wäre interessant zu sehen, ob Empfehlungen oder Anordnungen das effektivere Mittel sind die Akzeptanz der Instrumente in der Bevölkerung zu fördern (...völlig unabhängig von der Frage wie sinnvoll die Anwendung des Instrumentes ist). Aber lieber wird man wohl Anders Tegnell mit den `Maskenverweigerern`- ein Begriff, der an die einstige Gleichsetzung von Kriegsdienstverweigerern mit Drückebergern erinnert - in einen Topf werfen. Der Begriff `Schwedens Sonderweg` lässt ja schon anklingen, dass man die Schweden für Sonderlinge hält. Dabei agieren diese normal, während man die meisten anderen Bevölkerungen auf einen Sonderweg schickte.

Gespannt darf man auch sein, von wem, wann und ob überhaupt das Ende der Pandemie ausgerufen wird, und nach welchen Kriterien dies erfolgt. Und dann? Dürfen wir uns dann wieder die Hand geben?  

  

 

Tag 13. 24. August

Neben mir im Wasser treibt auf dem Rücken liegend meine verstorbene Mutter. Offenbar hat sie sich das Besuchsrecht posthum erstritten. Sie sieht deutlich jünger aus als ich sie in Erinnerung habe, bedeutend jünger als ich. Ich denke ohne erkennbaren Anlass und der Situation nicht angemessen: Deus Ex machina. Das erfüllt mich mit einem Gefühl der Scham. Nekrophilie und Ödipus in einem Aufguss, wie peinlich. Nein nein, wiegelt sie telepathisch ab. Ich muss mich entschuldigen. Ich habe Dich nicht genug geschützt. Bevor ich sie fragen kann wovor? hat sie sich in eine auf der Wasseroberfläche treibende Luftmatratze verwandelt, die der Wind von der Küste wegtreibt.

Hätte ich kommen sehen können was geschieht? Meine Mutter liebte Blumen. Aber als ich sie nach ihrer Total-OP im Krankenhaus besuchte und ihr vorschlug, den sehenswerten Garten des Krankenhauses aufzusuchen bestand sie darauf, statt dessen mit meiner Unterstützung das Treppensteigen zu üben. Statt Sonnenblumen das nach Bohnerwachs, Desinfektion und den blutigen Hinterlassenschaften von Geburt und Tod riechende Treppenhaus. Dass Sie Fluchtwege übte entging mir.

Eine etwas übergewichtige Frau versucht sich aus dem Wasser auf die Luftmatratze zu wuchten, die meine Mutter war und wird abgeworfen wie von einem widerwilligen Pony. Ich könnte sterben für ein kaltes Bier und ein demaskiertes Lächeln.    

   

 

Tag 12. 23. August

"Der tägliche Faktencheck. Aerosole von Haustieren ungefährlich laut John Hopskins. Trumpf darf als Kovidsbold tituliert werden ohne dass dies eine rechtswidrige Verunglimpfung ist. Olof Palme mit 93 von COVID-19 genesen. Ich stutze. Olof Palme ist doch in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts erschossen worden. Meinen wir den selben Olof Palme?"

Wenn man im Meer treibt wie in einer Nährflüssigkeit, auf dem Rücken liegend, Gesicht nach oben, ist man mit Föten im Mutterleib verschränkt und mit Babys in Kinderwagen die über sich nichts als Blauweiß sehen.
 
Man sieht hier sonst niemanden Rückenschwimmen. Ein Mann der im Wasser auf dem Rücken liegt gilt wohl als Verlierer.
 
 

Tag...

Liebe zweifelsohne zahllose treue Leser dieses Blogs. Nein, dem Verfasser dieser Zeilen versiegt - wie man von hier aus sehen kann - nicht der Sprachfluss. Offenbar verdaut der Editor dieses Programms die Menge nicht. Für jeden neuen Eintrag in diesem Blog streicht er Textpassagen vom Beginn dieser Chronik des Chronischen. Bis dieses textgustatorische Problem behoben ist entsteht der weitere Text im Verborgenen und wird nachgereicht. Vorläufig müssen Sie also darauf verzichten den weiteren Überlegungen des Verfassers zu Sinn und Unsinn von Pflichten, zu Menschen als Anregungszuständen des sozialen Quantenfeldes, zur Standhaftigkeit der Schweden beim Umgang mit der Pandemie, zur Differenz von Signifikant und Signifikat als Vorbild der Heisenbergschen Unschärferelation, dazu warum Relativitätstheorie und Quantenphysik keineswegs kontraintuitiv sind, sondern im Gegenteil aufgrund unserer Alltagserfahrungen von Raum, Zeit und Kleingeld überhaupt formuliert werden konnten und dazu warum die Maskenpflicht eben keine kleine Zumutung ist, sondern täglich, jederzeit und überall den Menschen die Allgegenwart der Bedrohung signalisiert und mit dem Finger auf die Hölle zeigt, die bekanntlich die Anderen sind. Sobald der Magen des Editors erweitert wurde setzt der Verfasser diesen Blog fort. Bis dahin: glauben Sie keinen Untersuchungsergebnissen zur Wirkung von Verpflichtungen, so lange sie nicht auf Basis eines Vergleichs mit der Wirkung von Empfehlungen zustande kommen. Und machen Sie einen Bogen um Lanzhut.      

 

Tag 11, 23. August

Der Unterschied zwischen dem Sommer und dem Herbst erkennt man an den Warnrufen der Eltern, deren Sprösslinge im Wasser herumtollen. Im Herbst wird gerufen: Medusa, Medusa. Im Sommer: Cacata, Cacata. Notdurft von den Yachten. Das Eis in den Getränken schmeckt nach Schweiß. Als ob sie das Kondenswasser der Klimaanlagen gefrieren. Nachts schlendern Pärchen Hand in Hand, Arm in Arm, während ich im Stechschritt wie ein Soldat mit Marschbefehl zurück zu meinem Appartement schreite. Schreitere erneut. 

 

Tag 10, 22. August

so schlimm wie jetzt war es noch nie. Nicht nur, dass er mich ansieht wie eine Fremde, der er das erste Mal begegnet, er sagt es mir auch wortwörtlich. Wer bist Du überhaupt? Kenne ich Dich? Was machst Du hier eigentlich? Diese ganze Ignoranz nur weil ich ihn gefragt habe, wieso in einem Text der Blauverschoben heißt kein einziger Schlumpf auftritt. Tödlich beleidigt. 

 

 Tag 9, 21. August

Was soll ich sagen? Einen Süchtigen zu beherrschen ist simpel. Es geht darum den Durst, den Hunger zu entkoppeln von seinem Gemütszustand. Wenn er glücklich ist muss sein stärkster Impuls sein sich ein Bier zu bestellen und eine Zigarette zu rauchen. Ist er unglücklich gilt dasselbe. Läuft alles gut in seinem Leben muss der Wunsch dominieren sich zu berauschen. Läuft es schlecht, sich zu bestäuben, Pardon, zu betäuben. Außerdem muss man seinen verzweifelten Bemühen sich der Würgeschlange Sucht zu entziehen immer ein paar Schritte voraus sein. Meine Algorithmen der Herrschaft haben sich über Jahrmillionen entwickelt. Die Spanne eines Menschenlebens genügt nicht für einen Entzug. Die Sucht ist schwerer zu bekämpfen als der Kapitalismus, besser noch: sie ist seine Basis.

Was hat er nicht alles probiert: Therapie? Ich flüsterte ihm ein: das wäre das Eingeständnis einer Niederlage. Damit kriegt man ihn immer: sich helfen zu lassen wird als Schmach empfunden. Eitelkeit und Ego sind Stützen der Nacht, äh, Macht der Sucht über den Süchtigen. Der Mangel an Problembewußtsein ergibt sich direkt aus der Leugnung des Problems. Eine der starken Waffen der Sucht.

Er: ‚ein echtes Problem ist, dass es keine Kühlaggregate für Handies gibt.‘ Voila.

 

Tag 8, 20. August

 

Die Alarmzeichen sind unübersehbar. Diejenigen, die in Badebekleidung und mit MuSchu den Strandboulevard entlang flanieren sind nur noch knapp in der Minderheit. Die nächtliche Schlangenbildung vor den Kondomautomaten nimmt imponierende Dimensionen ein (darunter auch Jugendliche, die nur angeben wollen). Man nimmt zur Kenntnis, dass die Zahl der Corona-Infizierten in anderen Mittelmeerregionen steigt und wappnet sich auch hier. Der weite Weg, den ich zurücklegte um hier her zu gelangen - über München, Innsbruck, Genua und Palermo - schürte die Illusion damit auch weit weg zu sein von der Pandemie. Schon der Begriff Pandemie steht zu dieser Illusion im Widerspruch. Die Vergangenheit die keine war holt mich ein, und mit ihr kehren die verstorbenen Eltern zurück. Mein Vater lud mich nachts zu sich ins Arbeitszimmer ein was mir die Gelegenheit gab ihn etwas zu fragen. Sag mal, ich hielt Dich immer für den Inbegriff von Ordnung und Struktur. Bis ich nach Eurem Tod die Aktenordner in diesem Zimmer sichtete, natürlich alle schön alphabetisch geordnet. In diesen Aktenordnern herrschte totale Willkür, Werbebroschüren, Arztrezepte, Notizen, alles ohne System dort abgeheftet. Potemkinsche Ordner. Eine über das ganze Leben aufrecht erhaltene Fassade der Marke Leitz, hinter der sich ein Messi und etliche Flaschen Rotwein verbargen. Durchaus eine Leistung, sich damit durch eine Beachtliche Beamtenlaufbahn zu schlängeln, eine Familie zu gründen, ein Haus zu bauen. Zur Lebenskunst erhobene Vorspielung falscher Tatsachen, die Kunst des Lügens. Deine Examensarbeit war das einzig Echte: eine Märchenanalyse. Deine Ehe, Deine Karriere, ein Märchen mit dem von Dir beschlossenen und exekutierten grausamen Ende. Wie konnte mir das entgehen? Mein Vater - in einem von Leichenflecken übersäten Unterhemd, die eigentlich nicht dorthin gehören, aber es ist seine Party - zieht genüsslich an einer Zigarette, bläst den Rauch über den Jordan und entgegnet in einem verächtlichen und spöttischen Tonfall. Du etwas von mir wissen? Bis eben wusstest Du nicht einmal dass ich rauche.

Nur so aus Neugier: wie lautete die letzte Frage die Du Dir stelltest bevor das Licht ausging? Mein Vater nickte noch während ich die Frage stellte, seine übliche Art mir zu signalisieren dass er immer genau weiß was ich denke und warum ich Es denke bevor ich es aussprechen kann: meine letzte Frage war ob Du das Essen verkommen lässt dass wir Dir im Kühlschrank hinterlassen haben. Ich war einfach mein Leben lang daran gewöhnt mir so viel Sorgen um die Nachlässigkeiten und Versäumnisse meines Sohnes machen zu müssen dass ich gar nicht dazu kam ihn zu lieben.  

Wo ist meine Mutter will ich ihn noch fragen. Aus der Traum. 

Die Hälfte des ersten Espresso verschütte ich. Ein Tremor. Seit Jahrzehnten spiele ich Schach mit meiner anerzogenen Sucht. Ich gegen Alphazero. Es ist an der Zeit sie zum Protagonisten  einer Erzählung zu küren: Ich aus Sicht meiner Sucht. 

 

Tag 7, 19. August

Nachts lasse ich die Klimaanlage laufen, nicht weil mir heiß ist, sondern wegen des tröstlichen Rauschens. Kindheitserinnerungen. Ein D-Zug im Tunnel, offene Fenster, heute so undenkbar wie ein Kaufhausbesuch ohne Maske. Plastikblätter von Plastiktulpen in einer Urne zittern im Fön. Trockenblumen und Frauenzeitschriften in einem Frisiersalon. Ich werde schmaler und kleiner unter meiner faltigen Haut, meine Hirnhaut pellt sich. Ein Sinnenbrand. Bis eben wusste ich nichts von einer Freundin, jetzt vermisse ich sie. Sie versteht warum ich wie von Sinnen Schach im Internet spiele. Es hält mich vom Rauchen ab. Mögen zwischenmenschliche Beziehungen auch personifizierte Zwangsstörungen sein, es ist immer noch besser jemanden zu beschimpfen als Selbstgespräche zu führen. Von wegen ich sehe immer nur das Negative. Ich sei derjenige der immer das Haar in der Suppe findet. Blödsinn. Jeder, der die Suppe auslöffelt, die das Leben ihm einbrockt findet das Haar in der Suppe auf der Zunge. Gemessen an dieser Logik bin ich ein Optimist: viele Suppen ergeben ein Toupet.

 

Tag 6, 18. August

Die soziale Distanz führt dazu, dass man Menschen besser kennen lernt. In der als extrem empfundenen Zuspitzung der Situation entpuppen sich engste Freude als Paranoiker, Verschwörungsgläubige, Dogmatiker, Chauvinisten, Alters- und sonstige Rassisten. Kurz: sie verhalten sich jederzeit so durchgeknallt wie Autofahrer. 

Eine Freundin fragte mich wieso ich nicht mehr täglich meinen Blog schreibe.  Weil ich derzeit auf Entzug bin. Weit weg von der deutschen Medienlandschaft erhole ich mich von den Nachwirkungen der Talkshows und langsam erhole ich mich von Lanzeritis und dem Maischberger-Syndrom. Das Mittelmeer als Flüssiges Sanatorium. Mit dem Abschalten des Fernsehers schalten die eigenen Gedanken sich zu. Diejenigen, die nicht für andere gedacht sind, Die mit denen man niemanden bedrängen will, der zufällig und unschuldig über diese Seite stolpert. Die Grübeleien über das Warum des Schreibens. Fiktion als Reaktion auf die Zumutungen der Physik, den Mangel an Freiheitsgraden der Bewegung in der Raumzeit. Die Relativitätstheorie läßt beliebige Richtungen des Propagierens in der Raumzeit zu, doch dazu sind wir Menschen nicht in der Lage. Das wird unser Tod sein. Die Unerbittlichkeit der Entropie ist kein physikalisches Gesetz sondern vielmehr eine Beschränkung der menschlichen Evolution. Wir sind noch nicht annähernd so weit in beliebige Richtungen der Raumzeit zu reisen, dazu sind wir viel zu primitiv. Deswegen erfinden wir Geschichten, in denen Figuren sich vorwärts, rückwärts und seitwärts in der Zeit bewegen. So müssen sie nicht altern und sterben.

Ich beneide Menschen die sich auf ihre Zukunft freuen. Menschen die daran glauben man könne alles sein und erreichen was man sein und erreichen will. An den elementaren Dingen ändert unser Willen, Entschlossenheit, unsere visionäre Kraft gar nichts. An der Unvermeidlichkeit von Tod und Siechtum kann sich unser freier Wille noch so sehr abarbeiten, er scheitert kläglich. Auch im hohen Alter, las ich, sei das Gehirn noch lernfähig. Wozu? 

Das also sind meine Ausreden für meinen Mangel an Outpout. Der fatale Impetus der menschlichen Existenz. Die unmittelbare Nähe des Meeres. Das Sich-Treiben lassen mit Blick in den Himmel, als liege man in einem Kinderwagen mit Panoramablick ins Blaue. So geborgen, mit dem Gefühl ein Baby zu sein, die Windeln voller Zukunftsfreude, stelle ich mir einen akzeptablen Tod vor. 

 

 

 Tag 5, Wellendisfunktion

"Einhörner aus Kunststoff, trojanische Pferde voller Aerosole, und Schiffe die wie tote Riesenfische auf dem Wasser treiben bestimmen die Szenerie. Auf einer Luftmatratze im Design einer Flasche Becks döst ein Pärchen, erschöpft von den Anstrengungen vergangener Nächte. Der Konfusionsreaktor in meinem überhitzten Schädel produziert idiotische Buchtitel und verfremdete Zitate: `Schlechte Geschenke`. Dieses Bier war nur für Dich bestimmt. Ich bleibe jetzt und trinke es. Dabei neige ich meines Wissens nicht zum Verfassen von Belletristik, aber die Hitze und der Lärm unter dem Hallenbadgewölbe des Himmels forcieren Hirnverbranntes. Kann man richtig riechen. Verkokelter Speck. Exzessives Rückenschwimmen - der trägste Stil -  beschert mir einen Sonnenbrand im Gesicht. Toter Mann auf dem Rücken, umschifft von Tretbooten und Longboards. Ex war nicht die beste meiner Ideen die Begegnung im Sommer zu erzwingen. Aber was will ich von jemandem erwarten, dessen Variante eines von Stan Wawrinka unter Tennisfans bekannt gemachten Mottos von Beckett lautet: Scheitere erneut, scheitere schlimmer.    

 

Tag 4, Wie springt man über einen Schatten, der über einem schwebt?

Der Hinklug erschien mir deutlich kürzer. Als sei ich von einem Airport gestartet, der deutlich näher am Ziel liegt. Als sei ich kein alter Schwede. Kann sein, dass ich mir schon zu nahe gekommen bin. Scheinerinnerungen geraten zu meinem Flugbegleiter. Ich erinnere mich an eine Mitbewohnerin, über die ich mich ständig ärgerte, weil sie Kaffee mit Milch und Zucker trank und nie die Tasse spülte. Weil sie die Nächte durchhustete und morgens Zigaretten frühstückte. Weil sie mir ständig Vorträge über Biosonnenöl und gesunde Ernährung hielt. Vielleicht bin ich infiziert? COVID soll ja aufs Hirn schlagen. Ich befürchte jedoch, mein ungebetenes Ich gibt einen Dreck auf meine physikalischen Bedenken. Wenn ich mir begegne werden wir beide annihiliert. Bevor keiner von uns beiden etwas davon hat verdrücke ich mich. Der Sommer der europaweiten, neuen Normalität ist dafür die beste Zeit. Abschied vom maskierten Meer. Vom Ladenschlußgesetz der Insolvenzen, denen meine Stammlokale zum Opfer fallen ohne dass es hier einen einzigen COVID-Fall gab. Denn die neue Normalität greift um sich wie eine Seuche - oder ein Segen, wenn man es mit Rainer Langhals hält, rückgängige Geburtenraten und sinkenden Energieverbrauch erhofft. Mich traf buchstäblich der Schlag, als das Schlagwort von Bubi Scholz plötzlich in italienischer Sprache auf allen Hinweisschildern an den Türen zu Restaurants und Cafes prangte. Vor dem Rettungspaket beschloss die EU das Label. Gemeinsames Marketing ist ja auch leichter, als eine gemeinsame Finanzpolitik. Die Äh...Uuuh.. musste ihre Variante der Neuen Weltordnung nicht mal erfinden. Der Begriff wurde 2018 von Paul Sailer-Wlasits geprägt und meinte politischen Populismus als heue Form staatlicher Herrschaft. Und daran lehnt man sich an? Herzlichen Dank für diesen Hinweis. Aber war das wirklich so? Ich war doch gestern noch bei Guiseppe und da hieß es doch im Fernsehen, man sehe derzeit trotz einiger Fälle in Bergamo keinen Anlass zu besonderer Unruhe. Was solls. Soll das Virus ruhig in meinem Hirn rumfuhrwerken. Kann ja sein, dass mein nächstes Buch mal kein Verlagstod ist. Das Meer und die Maske. Klingt doch gar nicht so übel wie mir ist. Hoffentlich befinden wir uns bald im schwedischen Luftraum, dann kann ich endlich diesen Fetzen abnehmen, mit dem man sich fühlt wie der Gefolterte in Kafkas Erzählung In der Strafkolonie.

 

Tag 3, Begründung

Über der kulminierten Rat- und Rastlosigkeit wurde es Abend. Ein gedopter Chihuahua begleitet einen Radfahren im Irrsinnstempo. Ich wundere mich bis ich feststelle dass der Begleiter der Schatten von Pedal und Sandale des Radfahrers ist. Mein Handy drängelt. Je öfter ich nicht dran gehe, desto schlimmer werden die Folgen sein. Bei meiner notorischen Konfliktscheu frage ich mich welcher Teufel mich ritt, als ich den Entschluss fasste mit Dir um mein Leben zu kämpfen. Was macht mein altnormales Ich? Es verpisst sich und hinterlässt mir eine zerrüttete Beziehung. Wieso flüchtete ich lieber als mit mir dieses Leben zu teilen an diesem Ort, an dem ich lieber unglücklich bin als woanders glücklich?

Tag 2, Heimfluch

“Meine Reiselektüre: Catch 22. Konnte nicht umhin, diesen Schmöker mitzunehmen, jetzt freue ich mich diebisch darüber, dass keiner meiner Mitreisenden diese Anspielung auf das Stockholm-Syndrom versteht, dabei wollen doch so viele auf einmal Schweden sein, nur weil man dort gehorsam freizügig bleibt. Ob irgendwer die Anspielung versteht außer dem, vor dem ich mich verzeihe? Keine Ahnung. Ich müsste es aufschreiben und publizieren, dann würde ich es vielleicht erfahren.“

Tag 1, versetzt

Gestrandet am Rande des größten Nichtschwimmerbeckens Europas. Von einer Sandbankenkrise keine Spur. Bis zu der Phalanx an Booten, die den Grenzwall zwischen Gigantischem Planschbecken und Massengrab bilden, halten selbst Halbwichsigen den Kopf über Wasser, wenn sie auf Zehenspitzen stehen. Auf der Wasseroberfläche treiben Damenbinden und Masken, über den Zusammenhang mag man nicht nachdenken. Die Lichtreflexe auf dem Sand dicht unter der Wasseroberfläche: sanfte elektrische Entladungen, weiche Verweise auf Filme, in denen Tote elektrisch reanimiert, Zeitreisen unternommen und Tunnel zu Parallelwelten geöffnet werden. Laut der Kalenderfunktion meines Handies schreiben wir den 11.August. Mir fehlt ein Monat. An den ich mich dennoch erinnere.

Ich höre mich sagen: ‚Das Meer riecht heute wie frischer, grüner Tee.‘ ‚Dich hat’s erwischt.‘ erwidert das Gespenst in der Duschkabine. ‚Erst fällt der Geruchsinn der Seuche zum Opfer, dann zerfrisst sie Dein Gehirn.‘ Die Schiebetür öffnet sich einen Spalt, eine Hand mit 5 Tropfen auf dem Handrücken kommt zum Vorschein, ich händige das Handtuch aus und der Spalt schließt sich wieder. Ich wanke wie ein Zombie aus dem Badezimmer und vergesse mich, während ich mich an ein Leben erinnere, dass ich so nie geführt habe. 

Wie ferngesteuert gehorche ich, schnappe mir ein Handtuch, das an einem Haken an der Schiebetür zum Badezimmer hängt und öffne die Tür langsam. Hinter der milchigen Wand der Duschkabine die bleichen Konturen eines nackten Körpers. 

“Man hebt ab ins Ungewisse. Die Spätnachmittagssonne taucht die Felswände der Steilküsten in Champagnerlicht. Es müssen besondere Umstände sein die einen dazu veranlassen, diesen Ort fluchtartig zu verlassen. Mein Sitznachbar am Fenster würdigt die Kulisse, die wir unter uns lassen keines Blickes. Stoisch fixiert er die Rücklehne vor sich wie eine Katze ihren Widersacher. Seine Mund- und Nasenpartie bedeckt ein Trichter mit einer Membran, die sich in seinem Atemrhythmus auswärts- und einwärtswölbt so regelmäßig als beatme die Maske ihn. Auch ohne Maske atme ich schwer wie durch Pergamentpapier. Wie bei jedem überstürzten Aufbruch hat man das Gefühl etwas Wuchtiges, äh, Wichtiges zurück zu lassen.“

In den Regalen einige Bücher, die ich zu Hause habe, die aber nicht hier hin gehören. Darunter ‚ Geständnisse einer Maske.‘ von Mishima. Zumindest waren sie bei meinem letzten Besuch nicht hier. Auf dem Bücherbord zwischen getigerten Muschelschalen ein Miniaturschaukelstuhl, der vor- und zurück wippt, als habe jemand vor Sekundenbruchteilen hastig die Wohnung verlassen und sei dabei angeeckt. Ich werde es gewesen sein. ‚Kannst Du mir bitte ein Handtuch geben?‘ ruft eine Stimme aus dem Bad. Ich erstarre in der Sommerhitze schwitzend zu Eis.